Zeitschrift für Palliativmedizin 2006; 7 - V9_2
DOI: 10.1055/s-2006-954116

Freier Wille und Selbstbestimmungsrecht aus ethischer Sicht

J Beckmann 1
  • 1FernUniversität, Institut für Philosophie, Hagen

Einführung: Aus ethischer Sicht bildet die Freiheit des Willens nicht nur die Basis der Zurechenbarkeit moralischer Entscheidungen an das handelnde Subjekt, sondern zugleich die Voraussetzung für die Verwirklichung der Selbstbestimmung und damit eines ethisch fundamentalen Rechts des Menschen. Methoden: Es wird (1.) geprüft, ob es im Falle der Frage nach der Willensfreiheit um einen Existenz- oder einen Geltungsbeweises geht. Sodann wird (2.) dargelegt, was unter Selbstbestimmung aus Freiheit zu verstehen ist. (3.) werden die ethischen Konsequenzen der freien Inanspruchnahme des Rechts auf Selbstbestimmung in aktuellen wie in prospektiven Situationen aufgezeigt. Resultate: Die Grundlage für die Beantwortung der Frage nach der Freiheit des Willens bilden die individuelle Selbsterfahrung und Selbstreferenzialität des Menschen. Die entsprechende Geltungsreflexion steht in engem Zusammenhang mit der Norm des Respekts vor der Autonomie des Menschen und der Manifestation derselben durch Selbstbestimmung. „Autonomie“ meint den Status moralischer Subjekthaftigkeit, der jedem Menschen ungeachtet seiner Leistungen und Fähigkeiten in jeder Situation zeit seines Lebens unveränderbar eigentümlich ist; die Möglichkeit, dies zu manifestieren, bildet aus ethischer Sicht ein fundamentales Recht eines jeden Menschen. Schlussfolgerungen: (1.) Die Stärkung der infolge von Alter und/oder Krankheit teil- oder zeitweise eingeschränkten Manifestierbarkeit der Autonomie des Patienten zwecks Wahrnehmung seines Selbstbestimmungsrechts gehört aus ethischer Sicht zum Kern ärztlicher Teleologie. (2.) Das autonomiebasierte Selbstbestimmungsrecht erstreckt sich auch auf das Recht, den eigenen Willen für den Fall der Entscheidungsunfähigkeit in Form einer schriftlichen oder mündlichen Patientenverfügung im Voraus festzulegen. (3.) Ethische Grundlage ist neben der Autonomie die Verpflichtung der Mitwelt, eine alters- und/oder krankheitsbedingt mögliche Einschränkung der aktuellen freien Willensentscheidung eines Patienten nicht zum Gegenstand von Mutmaßungen zu machen, wenn eine die aktuelle Situation des Patienten betreffende Vorausverfügung vorliegt und ein begründeter Anlass zum Zweifel am seinerzeitigen Zustandekommen der Vorausverfügung nicht gegen ist. Freiheit des Willens und autonomiebasiertes Selbstbestimmungsrecht bilden insoweit aus ethischer Sicht eine untrennbare Einheit.