Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2006; 38(4): 186-187
DOI: 10.1055/s-2006-952099
Praxis
Das Interview
Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Eine individuelle Begleitung heißt die Selbstbestimmung des Patienten zu achten und zu respektieren

Das Sterben ins Leben einbeziehenUnser Gesprächspartner: Rolf Kieninger
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Publication Date:
28 December 2006 (online)

Krankenpfleger für die Pflege in der Onkologie, Weiterbildung in Palliative Care, seit zwei Jahren Leiter des Hospiz Elias, davor fünf Jahre Leiter des Hospizwerkes beim Arbeiter Samariter Bund Mannheim, seit 1992 tätig in der Erwachsenenbildung in verschiedenen Einrichtungen des Gesundheitswesens

DZO:

Was hat sich aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren in der Hospizbewegung im Wesentlichen getan und wo sehen Sie Chancen für die Zukunft?

Kieninger:

Die Hospizarbeit hat sich in den letzten Jahren zu einem festen Angebot im Gesundheitswesen in Deutschland etabliert. Geprägt war und ist die Hospizentwicklung durch die ehrenamtliche Bürgerbewegung. Im Wesentlichen ergab sich durch die Implementierung des § 39a im SGB V für die stationäre und ambulante Hospizarbeit eine Basisfinanzierung. Durch die rasante Entwicklung der Hospizarbeit wurde das Tabuthema Sterben und Tod aufgebrochen. Durch die zahlreichen Fortbildungsangebote der Hospiz- und Palliativeinrichtungen und durch die Öffentlichkeitsarbeit sehe ich eine Chance, die letzte Phase des Lebens, nämlich das Sterben, zu verbessern. Ich rede von Fortbildungsangeboten für Ärzte zu den Themen Schmerztherapie, von Kommunikation mit unheilbar erkrankten Menschen und deren ärztliche Begleitung.

DZO:

Der erkennbare Beginn des Sterbeprozesses bei einem Patienten ist eigentlich kein Grund für eine Krankenhauseinweisung. Dennoch sterben die meisten chronisch kranken Patienten immer noch in Krankenhäusern, die wenigsten zu Hause oder in Hospizen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Und wo sehen Sie konkrete Ansätze, damit das Sterben von Schwerstkranken außerhalb von Krankenhäusern stattfinden kann?

Kieninger:

Das liegt vor allem daran, dass keine palliativmedizinische ärztliche Versorgung „rund um die Uhr” zu Hause zur Verfügung steht. Bekommt ein Mensch Atemnot, Schmerzen, Angst oder Krampfanfälle durch z.B. Hirnmetastasen, ist niemand zur Stelle, der eine Bedarfsmedikation verabreicht. Geschweige denn, dass diese von erfahrenen Medizinern angeordnet ist. Ein herbeigerufener Bereitschaftsarzt hat oft gar keine andere Möglichkeit als den Patienten stationär einzuweisen. Zum anderen kommt hinzu, dass gerade die Behandlung und Begleitung von Tumorpatienten derart medizinisch wie pflegerisch anspruchsvoll ist, z.B. die Versorgung von exulzerierenden Tumoren, sodass Angehörige oft schlichtweg überfordert sind, übrigens auch viele ambulante Pflegedienste. Diese wissen oft nicht, welche Versorgungsmöglichkeiten im Hospiz angeboten werden und lassen die Patienten in die Klinik einweisen. Die Möglichkeit einer stationären Hospizversorgung scheitert oft am Kenntnisstand der einweisenden Ärzte. Ein Ansatz wäre die Einrichtung von ambulanten palliativen Dienstleistungsangeboten. Diese müssen aber kostendeckend arbeiten können. Hier sind die Politik und die Kostenträger gefragt. Der zweite Ansatz ist Fortbildung von Hausärzten und ambulanten Pflegediensten.

DZO:

Wie sieht bei Ihnen im Hospiz Ludwigshafen konkret die individuelle Begleitung von Sterbenden aus? Wie kann die Begleitung für Sterbende in der letzten Lebensphase wertvoll und angstfrei gestaltet werden?

Kieninger:

Eine individuelle Begleitung heißt die Selbstbestimmung des Patienten zu achten und zu respektieren. Beispiel: Ein Patient will um 15:00 Uhr frühstücken, also muss das Frühstück um 15:00 Uhr serviert werden. Der Patient bestimmt seinen Tagesablauf. Wach- und Schlafphasen werden vom Patienten bestimmt. Wir versuchen den Menschen kennen zu lernen und seine Angehörigen, damit wir wissen, was für diesen Menschen seine Lebensqualität ausmacht. Was sind seine Wünsche und Bedürfnisse? Immer wieder spannend… Und dann versuchen wir einfach mit dem Patienten zu leben. Wichtig ist, dass wir uns trauen, schwierige Themen anzusprechen. Im Hospiz muss dafür Raum sein.

Angstfrei geht nur, wenn wir ein Vertrauen herstellen können; z.B. dem Patienten auch versprechen, ihn auf Wunsch terminal zu sedieren, falls seine Schmerzen nicht durch andere Verfahren in den Griff zu bekommen sind.

DZO:

In der Hospizbewegung arbeiten viele Haupt-, aber auch ehrenamtliche Helfer. Wie kann ein sog. „burn-out” bei den Betreuenden vermieden werden?

Kieninger:

Es geht immer wieder darum, dass sich alle, die in diesem Bereich tätig sind, immer wieder selbst die Motivationsfrage stellen. Warum arbeite ich in diesem Bereich? Ein berufliches (Selbst-)Verständnis und die eigene Haltung sind am wichtigsten. Daran muss man immer wieder arbeiten. Fortbildungen und Supervisionen tragen natürlich zu einer Burn-out-Prophylaxe bei. Aber ich glaube, man kann diese Arbeit nur tun, wenn man, wie Frank Ostaseki (Leiter eines Hospizes in San Fransisco) sagt: erstens für sich selber sorgen können, zweitens seinen Platz einnehmen können und drittens zuhören können. Und das hat jetzt nichts mit Buddhismus zu tun.

DZO:

Wie können Angehörige optimal betreut werden? Gibt es Ihrer Meinung nach genügend Angebote zur Bewältigung der Trauer?

Kieninger:

Angebote für Trauer gibt es inzwischen immer mehr. Aber wichtig ist, dass diese Angebote früh zur Verfügung stehen. Trauer beginnt schon, wenn der Kranke noch lebt. Bei uns im Hospiz gibt es verschiedene Angebote und Rituale für trauernde Angehörige, z.B. dass sie auch nach dem Tod ihres Patienten immer noch eingeladen werden. Dass sie weiterhin, wenn sie es wollen, noch bei uns Kaffeetrinken können oder zu Mittag essen. Trauernde brauchen Trost in Form von Umarmungen oder beispielsweise, dass sie beim Versorgen des Verstorbenen mit einbezogen werden. Und dann freuen sich Hinterbliebene über eine kleine Karte zum ersten Todestag (nicht alleine lassen!).

DZO:

Wie stehen Sie zur aktuellen Diskussion um die aktive Sterbehilfe?

Kieninger:

Davon halte ich überhaupt nichts und bin strikt gegen jede Form der aktiven Euthanasie. Obwohl ich weiss, dass es Grenzfälle geben kann. Aber ich bin der Überzeugung, dass, wenn wir sterbende und schwerkranke Menschen ärztlich und pflegerisch gut begleiten und ihnen Angebote machen und sie nicht als „austherapiert” abtun - welcher Kranke will dann nicht aktiv getötet werden? -, der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe sinkt. Ärzte müssen endlich lernen, die Autonomie eines Patienten zu respektieren. Dann müssen Menschen keine Angst mehr haben vor unnötig produziertem Leid z.B. durch Zwangsernährung. Es kann nicht sein, dass Pflegenotstand und unzureichende ärztliche Begleitung eine aktive Euthanasie scheinbar nahelegen.

DZO:

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was bedeutet für Sie der tägliche Umgang mit Sterbenden?

Kieninger:

Täglich eine Horizonterweiterung und eine Herausforderung! Ich muss dafür sorgen, dass Menschen erstens schmerzfrei sterben können, zweitens in einer für sie vertrauten Umgebung und drittens nicht alleine. Das ist gar nicht so schwer. Meine Arbeitszufriedenheit ist sehr hoch, da das in 99 % der Begleitungen gelingt. Man muss nur mutig sein!

DZO:

Herr Kieninger, vielen Dank für das Gespräch.

Korrespondenzadresse

Rolf Kieninger

Hospiz Elias

Steiermarkstr. 12

67065 Ludwigshafen am Rhein

Email: rolf.kieninger@hospiz-elias.de

URL: http://www.hospiz-elias.de