Zeitschrift für Palliativmedizin 2007; 8(1): 31-34
DOI: 10.1055/s-2006-952036
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Angst in der Palliativmedizin[1]

Palliative Medicine and AnxietyH.  Speidel1
  • 1Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse
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Publication Date:
27 March 2007 (online)

Zusammenfassung

Angst ist in der Palliativmedizin ubiquitär, vor allem als Angst vor dem Sterben und vor Schmerzen. Sie kommt auch in verborgener Form vor, als Klage über funktionelle Beschwerden und in Gestalt von aggressivem Verhalten. Generell ist die Angst vor allem eine Verlustangst, besonders als Verlust der Autonomie und als Angst vor der Vereinsamung. Die Persönlichkeitsstruktur, nicht zuletzt eine Vorgeschichte mit Angstkrankheiten sind beim Umgang mit den Patienten zu bedenken. Die wichtigsten Mittel, die Angst und damit auch Schmerzen und Depressivität zu mindern, sind neben Medikamenten vor allem die geeignete Beratung der Angehörigen und die Beziehungsqualität des in der Palliativmedizin tätigen Personals.

Abstract

Anxiety can be everywhere in palliative medicine, above all as fear of dying and fear of pain. Often, its manifestations are hidden, like functional complaints or aggressive behaviour. The central issues of fear are loss of autonomy and imminent isolation. The structure of personality and a history of anxiety neurosis need to be considered. The most important remedies are, apart from drugs, counseling for relatives and the quality of relationship between staff, patients and relatives.

1 Erweiterte Fassung eines Vortrages auf dem 6. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Hamburg, 22. September 2006.

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1 Erweiterte Fassung eines Vortrages auf dem 6. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Hamburg, 22. September 2006.

2 Aulbert [3] unterscheidet ebenfalls drei Phasen: eine erste mit zeitweiliger Verleugnung der Diagnose und dem Gefühl von Unwirklichkeit, eine zweite mit offener Not und Verzweiflung, Schlaf- und Appetitlosigkeit, ängstlich-trauriger Stimmung, Verzweiflung und Zukunftsangst sowie einer dritten: der Adaptation mit der Wiederaufnahme der Alltagsaktivitäten.

3 Aulbert [3] unterscheidet sechserlei Ängste: vor den physischen und den psychischen Folgen der Krankheit, vor dem Sterben, vor Therapie und Therapiefolgen, Ängste, die Familie und Freunde betreffend und solche im sozioökonomischen Bereich.

4 „Aufklärung ist immer ein Prozess, nie eine einmalige Mitteilung.” [3]

5 Aulbert warnt: „Ungenügende Aufklärung kann Diebstahl am Leben sein.” [3]

6 Die modernen neurobiologischen und neurophysiologischen Untersuchungen haben mit der Entdeckung der Spiegelzellen und der korrespondierenden Aktivierung von Hirnarealen diesen psychologischen Beobachtungen die naturwissenschaftliche Fundierung hinzugefügt und ihre praktisch-klinische Bedeutung unterstrichen. Als Beispiel sei die neurophysiologische Illustration in der Empathie für Schmerzempfindungen bei Partnern genannt: Mithilfe der funktionellen Magnetresonanzdarstellung (fMRI) konnte gezeigt werden, dass bei dem anwesenden, beobachtenden Partner in einer experimentellen Schmerzsituation dieselben für die aktive Komponente des Schmerzes zuständigen Hirnareale aktiviert werden wie bei dem Betroffenen [12].

Prof. Dr. med. Hubert Speidel

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