Z Geburtshilfe Neonatol 2006; 210(5): 164-165
DOI: 10.1055/s-2006-951739
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sauerstoff oder Raumluft zur Maskenbeatmung von asphyktischen Neugeborenen?

Oxygen or Room Air for Mask Ventilation of Asphyctic BabiesK. Bauer1
  • 1Neonatologie, Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Klinikum der Johann Wolfgang-Goethe Universität, Frankfurt am Main
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Publication Date:
13 November 2006 (online)

Die Frage „Soll die Beatmung eines asphyktischen Neugeborenen mit 100 % Sauerstoff oder mit Raumluft begonnen werden?” ist in den letzten Jahren viel diskutiert worden. In diesem Editorial soll die aktuelle Empfehlung in den Neonatal Resuscitation Guidelines vom Dezember 2005 [1] als Standardvorgehen bei der Reanimation weiterhin 100 % Sauerstoff einzusetzen, dargestellt und kommentiert werden.

In den Neonatal Resuscitation Guidelines wird darauf hingewiesen, dass es derzeit keine ausreichenden Beweise gibt, eine bestimmte Sauerstoffkonzentration für die Beatmung asphyktischer Neugeborener festzulegen. Bis zur Vorlage neuer Forschungsergebnisse halten die Experten daran fest, dass „das Standardvorgehen bei der Reanimation ist, 100 % Sauerstoff einzusetzen”. Sie verbinden diese Aussage allerdings mit der Warnung wegen der möglichen Auslösung oxidativer Gewebsschädigung eine übermäßige Sauerstoffgabe zu vermeiden. Ziel der Therapie sei das möglichst schnelle Erreichen einer Normoxie, z. B. durch eine pulsoximetrisch gesteuerte Anpassung der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration.

Die erste klinische Pilot-Studie zur Beatmung asphyktischer Neugeborener mit Raumluft stammt aus Indien [3], wo bei den meisten Geburten keine Sauerstoffquelle zur Verfügung steht. Eine aktuelle Metaanalyse der inzwischen durchgeführten 5 klinischen Studien [2] kam zu dem unerwarteten Ergebnis, dass eine Reanimation mit Raumluft einer Reanimation mit 100 % Sauerstoff nicht nur gleichwertig, sondern sogar überlegen sei, da in der Metaanalyse die Gruppe, die mit 100 % Sauerstoff beatmet wurde, eine höhere Mortalität als die Raumluftgruppe hatte (16 % versus 11 %). Als Schädigungsmechanismus der Sauerstoffgabe bei Reanimation wurde die durch Hyperoxämie induzierte Bildung toxischer Sauerstoffradikale postuliert.

Die Interpretation der Beobachtung einer erhöhten Mortalität in der Sauerstoffgruppe ist aus mehreren Gründen schwierig. 1) Der Mortalitätsunterschied in der Meta-Analyse konnte nur festgestellt werden, wenn die Mortalitätsangaben von Tag 7 und von Tag 28 zusammengefasst wurden. Die Mortalität in der 1. Lebenswoche, die wahrscheinlich viel direkter mit der unmittelbar postpartalen Therapie zusammenhängt, dagegen war nicht unterschiedlich. 2) Der Vergleich der Mortalitäten in der Sauerstoff- und in der Raumluftgruppe wurde ohne die notwendige Risikoadjustierung gemacht, die Unterschiede in der Verteilung der Diagnosen und des Gestationsalters zwischen den Gruppen ausgleicht. 25 % der Neugeborenen in beiden Therapiegruppen mussten nach Versagen der Maskenbeatmung intubiert werden. Diese Gruppe, zu der auch die Mehrzahl der später Verstorbenen gehört, umfasst die eigentlichen Risikoneugeborenen, wie Neugeborene mit schwerer Asphyxie, Frühgeborene und Neugeborene mit Lungenerkrankung durch Infektion oder Mekoniumaspiration. Da es in keiner Studie Angaben über Art und Anzahl dieser Risikoneugeborenen in der Raumluft- und in der Sauerstoffgruppe gibt, unterblieb die notwendige Risikoadjustierung. 3) Die Mortalität der untersuchten Neugeborenen, die überwiegend in Ländern mit unterentwickeltem Gesundheitswesen und hoher neonataler Mortalität geboren wurden, ist nicht auf Länder mit hochentwickelter neonatologischer Versorgung und niedriger perinataler Mortalität, wie z. B. Deutschland, übertragbar. So betrug die Mortalität aller in die Metananalyse einbezogenen Neugeborenen unabhängig von der Art der initialen Beatmung 14 %. Diese Mortalität ist ungewöhnlich hoch für Neugeborene, deren Gestationsalter im Mittel um 38 SSW lag und von denen 75 % allein durch Maskenbeatmung erfolgreich reanimiert werden konnten.

Als mögliche Folge der Reanimation mit 100 % Sauerstoff wird Hyperoxämie und die Bildung toxischer Sauerstoffradikale diskutiert, nachdem sich in einer Pilotstudie in der Sauerstoffgruppe biochemische Veränderungen fanden, die als „protrahierter oxidativer Stress” gedeutet wurden [7]. Längeranhaltende oder rezidivierende hohe Sauerstoffkonzentrationen sind toxisch und z. B. an der Entstehung der Frühgeborenenretinopathie beteiligt [6]. Besteht aber bei der Reanimation mit 100 % Sauerstoff tatsächlich eine langandauernde oder ausgeprägte Hyperoxämie? Die Dauer der Beatmung mit 100 % Sauerstoff betrug in 1 Studie (46 % der Neugeborenen der Metaanalyse) 2 Minuten [5], in 2 Studien (39 % der Neugeborenen der Metaanalyse) 3 Minuten [3] [4] und in 2 Studien, die aber nur 15 % der in der Metaanalyse einbezogenen Neugeborenen umfassen, 7 Minuten [7] [8]. Angaben über den arteriellen pO2 finden sich nur für einen Teil der Neugeborenen. In der Resair 2 Studie [5] mit 2 Minuten dauernder Sauerstoffbeatmung ist der arterielle pO2 in Lebensminute 10 und 30 zwar höher als in der Raumluftgruppe, aber noch im normoxämischen Bereich (pO2 10 Minuten 87 vs 76 mmHg, pO2 30 Minuten 89 vs 74 mmHg). Nur in einer Studie an insgesamt 106 Neugeborenen wurden arterieller pO2 und biochemische Indikatoren des antioxidativen Systems gemessen [8]. Obwohl die Neugeborenen der Sauerstoffgruppe in dieser Studie bereits nach 1.8 Minuten eine pulsoximetrische gemessene Sauerstoffsättigung von > 90 % erreichten, wurde die Maskenbeatmung mit Sauerstoff über 6.8 Minuten durchgeführt, mehr als dreimal so lang wie in der ResAir2 Studie. Am Ende der Maskenbeatmung bestand eine Hyperoxämie (MW des art pO2 126 mmHg) in der Sauerstoffgruppe, die sich auch 10 Minuten später noch nicht normalisiert hatte (MW des art pO2 110 mmHg). Die Konzentrationen von oxidiertem Gluthation, Enzymen des Gluthationstoffwechsels und der Superoxiddismutase in Erythrozyten waren erhöht. Die klinische Relevanz dieser biochemischen Befunde ist nicht bekannt.

Zusammenfassend halte ich es aus oben genannten methodischen Gründen nicht für möglich, aus dem Ergebnis der Meta-Analyse einen kausalen Zusammenhang zwischen Maskenbeatmung mit 100 % Sauerstoff und erhöhter Mortalität herzustellen. Auch der postulierte Schädigungsmechanismus durch toxische Sauerstoffradikale kann bei der Mehrzahl der Neugeborenen in der Metaanalyse nicht wirksam sein, da die Sauerstoffexposition mit 2 - 3 Minuten zu kurz war, um zu einer Hyperoxämie zu führen.

Literatur

  • 1 American Heart Association Guidelines for Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiovascular Care: Neonatal resuscitation guidelines. Circulation 2005 112(24):Suppl IV: 188-195
  • 2 Davis P G, Tan A, O-Donnell C PF, Schulze A. Resuscitation of newborn infants with 100 % oxygen or air: a systematic review and meta-analysis.  Lancet. 2004;  364 1329-1333
  • 3 Ramji S, Ahuja S, Thirupuram S, Rootwelt T, Rooth G, Saugstad O D. Resuscitation of asphyxic newborn infants with room air or 100 % oxygen.  Pediatr Res. 1993;  34 809-812
  • 4 Ramji S, Rasaily R, Mishra P K, Narang A, Jayam S, Kapoor A N, Kambo I, Mathur A, Saxena A C, Saxena B N. Resuscitation of asphyxiated newborns with room air or 100 % oxygen at birth: a multicenter clinical trial.  Indian Pediatrics. 2003;  40 510-517
  • 5 Saugstad O D, Rootwelt T, Aalen O. Resuscitation of asphyxiated newborn infnats with room aif or oxygen: an international controlled trial: the Resair 2 Study.  Pediatrics. 1998;  102 e1
  • 6 Saugstadt O D. Oxidative Stress in the Newborn - a 30-year perspective.  Biol Neonate. 2005;  88 228-236
  • 7 Vento M, Asensi M, Stastre J, Garcia-Sala F, Pallardo F V, Vina J. Resuscitation with room air instead of 100 % oxygen prevents oxidative stress in moderately asphyxiated term neonates.  Pediatrics. 2001;  107 642-647
  • 8 Vento M, Asensi M, Sastre J, Lloret A, Garcia-Sala F, Vina J. Oxidative Stress in asphyxiated term infants resuscitated with 100 % oxygen.  J Pediatr. 2003;  142 240-246

Prof. Dr. Karl Bauer

Neonatologie

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