Psychiatr Prax 2006; 33(6): 304-305
DOI: 10.1055/s-2006-951401
Fortbildung und Diskussion
Buchhinweise
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Buchhinweise zu Burnout

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. August 2006 (online)

 

Burnout ist keine Diagnose. Es ist ein Terminus, der ein aktuelles Problem auf den Begriff bringt. Dass ihm das gelingt, zeigt seine Beliebtheit: Fernsehsendungen, Presseberichte und eine Fülle von Büchern und Artikeln im Graubereich zwischen Laien und Fachpresse widmen sich dem Phänomen, das weder ausschließlich individueller noch ausschließlich institutioneller noch ausschließlich gesellschaftlicher Natur ist. Im Personalmanagement steht seit Jahren nicht mehr die Leistungssteigerung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern die "work-life-balance". Der Rücktritt von einem öffentlichen Amt oder aus einer Managementposition mit dem Argument des Burnout ist gesellschaftlich akzeptiert. Sozialversicherungen müssen sich der Frage stellen, ob das, was als Burnout bezeichnet wird, unter die Berufskrankheiten gerechnet werden soll. In der klinischen Psychiatrie werden Spezialambulanzen und Rehabilitationsabteilungen eröffnet, aber die Frage, was unter Ausbrennen zu verstehen sei, ist offen. Zwei Bücher aus diesem Jahr versuchen unterschiedliche Wege, sich dem Problem zu nähern. Ein etwas älteres drittes, das durch seinen anthropologischen Ansatz aus der Fülle der Publikationen hervorsticht, ist nach wie vor lesenswert:

Das klassische Lehrbuch

In dritter Auflage ist dieses Jahr "der Burisch" erschienen. Hier erfährt der Begriff eine "definitorische Eingrenzung", für den empirischen Wissensstand werden "Anleihen bei benachbarten Forschungsgebieten" genommen, Ausschau nach einem integrierenden Burnout-Modell und nach Umwegen und Auswegen gehalten. Auf 300, locker bedruckten, mit Stichworten am Rand versehenen, gut gegliederten Seiten erfährt die geneigte Leserin, dass es weder eine noch mehrere klare Definitionen des Begriffes gibt, seine Operationalisierbarkeit zu wünschen übrig lässt, die Forschung unter dem Schlagwort Burnout überquellend, aber seit 30 Jahren ohne neue Erkenntnis ist, benachbarte Forschungsgebiete Ideen liefern könnten, und Anregungen zur Bewältigung wie Therapien sich deshalb auf allgemeine klinische Erfahrungen beschränken. Das Buch ist gut lesbar, die einzelnen Aussagen sind korrekt, und doch beschleicht einen die Frage, ob hier nicht Etikettenschwindel betrieben wird, wenn sich die Gliederung an die eines Lehrbuchs anlehnt (Begriffsdefinition, theoretische Modelle, Stand der Forschung, Therapie), auf den nachfolgenden Seiten aber nur Leerstellen beschreiben kann. Die Frage sei erlaubt, ob mit dem Suggerieren eines Lehrbuchs der Begriff nicht letztlich gerechtfertigt und die muntere Fortsetzung des immer selben sanktioniert wird.

Die Gesellschaftskritik

Ein Psychiater und ein Psychologe haben sich aufgemacht, die Burnout-Epidemie einzugrenzen. Das gelingt in der Regel, wenn man den Keim identifiziert, soweit möglich isoliert, ein Antiserum entwickelt und idealerweise einen Impfstoff. Der Keim, den Andreas Hillert und Michael Marwitz ausgemacht haben, ist gesellschaftlicher Natur. Sobald wir verstanden haben, dass emotionale Erschöpfung, schwindende Leistungsfähigkeit und soziale Distanz die Kehrseite der modernen Arbeitswelt sind, haben wir den Keim identifiziert. Die Isolierung soll durch Entspannungstrainings, Verhaltensmodifikationen, und Stressbewältigungsprogramme vonstatten gehen. Ganz überzeugt sind die Autoren von den Methoden nicht. Das Antidot besteht in der Erkenntnis des Leides als uneigentlicher, nämlich moderner oder einer Form von Zivilisationskrankheit. Der Impfstoff ist noch nicht in Sicht. Die Kritik ist auf den ersten Blick erkennbar. Auch sie kommt auf gut 300 süffig lesbaren Seiten daher. Angesichts der Feststellung, dass das Burnout-Syndrom epidemische Ausmaße angenommen hat, bleibt die Frage, ob die Autoren die Hartnäckigkeit des Phänomens richtig einschätzen.

Systemkritik

Ina Rösing hat die Literaturübersicht und ihre Kritik an der bisherigen Forschung ins Zentrum gestellt: Etwa 90% der Publikationen hat sich darauf beschränkt, eine überschaubare Gruppen von Probanden zu einem einzigen Zeitpunkt einen Erhebungsbogen, ganz weit überwiegend das Maslach Burnout Inventory ausfüllen zu lassen. Noch fehlt die kritische Auseinandersetzung mit dem zugrunde liegenden, vagen Konzept weitgehend. Es fehlen qualitative Interviews, Langzeitstudien und interkulturelle Vergleiche. Es fehlen interdisziplinäre und breiter abgestützte methodische Ansätze. Die psychologische Burnout-Gemeinde scheint ein von Soziologie, Anthropologie, Medizingeschichte abgeschottetes Dasein zu führen. Nachdem trotz umfangreicher Bemühungen keine manifeste psychische, und schon gar keine körperliche Störung bei den Befragten auszumachen war, geht die Tendenz dahin, das, was man mithilfe der Erhebungsbögen erfasst als krank zu definieren. In die Definition eingeschlossen werden sollen die Hinweise auf emotionale Erschöpfung, reduzierte Leistungsfähigkeit und Dissoziation nur dann, wenn sie auf berufliche Zusammenhänge zurückgeführt werden können. Das lässt ahnen, dass als nächstes eine eigene psychiatrische Diagnose konstruiert werden soll. Sie ragte von ihren Kriterien her ebenso aus den Diagnosesystemen des DSM wie ICD hervor wie die PTBS. Wer sich von der redundanten, mit hörbarem Groll begleiteten Kritik nicht schrecken lässt, findet viele Anregungen zur Öffnung des Horizonts, nicht zuletzt zum Seelenverlust in anderen Kulturen. Wer in der Geschichte psychiatrischer Nosologie bewandert ist, kann unschwer Bezüge zur Erschöpfungsdepression, zur Neurasthenie oder zum Chronic-fatigue-Syndrom erkennen.

Ausblick

Pop-Psychologie hat viele Vorteile: Sie kann auf Alltagswissen Bezug nehmen, stigmatisiert nicht und taugt zum Marketinginstrument. Wie tragfähig psychiatrisches Marketing mit pop-psychologischen Schlagworten ist, ist eine andere Frage: Wenn sich die psychiatrische und/oder psychologische Krankheitserfindung weiter ausbreitet, wenn 100% der Bevölkerung an einer psychischen Störung leidet und neben einem Pillendosett die Palette von Psychotherapien durch Wohlfühlangebote ausgeweitet wird, wird sich zeigen, ob psycho noch popt. Vielleicht rücken dann wieder die sozialen Faktoren unseres Daseins in den Vordergrund, und vielleicht ist dann wieder die Frage zulässig, ob Belastungen, unerträgliche Lebens- und Arbeitsbedingungen nur ernst genommen werden, wenn ihre Folgen als Krankheit anerkannt sind. Judith Pfeuffers Studie über die Arbeitssituation von Journalisten in diesem Heft ist es bei bewältigbarem Aufwand gelungen, die Belastungsfaktoren zu benennen, die bei dieser Berufsgruppe zu einem "mittleren Burnout" führen: sie beziehen sich ausnahmslos auf ihre Arbeitsbedingungen, wohingegen die Häufung depressiver und Abhängigkeitsprobleme, die Journalisten zugeschrieben wird, nicht bestätigt werden konnte.

Ulrike Hoffmann-Richter, Luzern

Literatur

  • 01 Burisch M . Das Burnout-Syndrom. Theorie der inneren Erschöpfung.  3. bearbeitete Auflage. Heidelberg: Springer. 2006; 
  • 02 Hillert A . Marwitz M . Die Burnout Epidemie oder Brennt die Leistungsgesellschaft aus?.  München: CH Beck. 2006; 
  • 03 Rösing I . Ist die Burnout-Forschung ausgebrannt? Analyse und Kritik der internationalen Burnout-Forschung.  Heidelberg: Asanger. 2003;