Zentralbl Gynakol 2006; 128 - A20
DOI: 10.1055/s-2006-950521

Intravenöse Tokolyse – Was ist evidenz-basiert?

L Spätling 1
  • 1Frauenklinik, Klinikum Fulda

Die Tokolyse, in den siebziger Jahren fast ausschließlich mit Betamimetika durchgeführt, stand von Beginn an nicht nur wegen ihrer Nebenwirkungen in der Kritik, sondern auch mit dem Argument, die Tokolyse wirke nicht, da die Rate der Frühgeburten gleichbleibe, bzw. in den letzten Jahren sogar leicht ansteige. Hier liegt die vordergründige Vorstellung zu Grunde, dass „die Ursache“ der zu frühen Geburt mit Tokolytika behandelt werden könnte. Im optimalen Fall kann nur das klinische Bild der „drohenden Frühgeburt“ mit Wehen hemmenden Medikamenten therapiert werden. Dieses trifft aber nur auf die kleinere Teilmenge aller zu früh Geborenen zu. Der weit größere Teil, mehr als 50% der Frühgeburten, beruht auf einer elektiven Beendigung der Schwangerschaft auf Grund mütterlicher, kindlicher oder kombinierter Pathologie, die zur Entscheidung des Arztes führt, die Entbindung im Interesse von Mutter und Kind vorzeitig vorzunehmen. Dieses Segment hat sich erst in den letzten 10 Jahren im Wesentlichen durch die Weiterentwicklung der Sonographie zusammen mit der Dopplerflussmessung, sowie durch die Maßnahmen der Reproduktionsmedizin einerseits und den zunehmenden Fertigkeiten der Neonatologen andererseits erheblich zum Vorteil gesunden Überlebens vieler Kinder vergrößert. Da nun die Anzahl der zu früh Geborenen im Wesentlichen gleich geblieben ist, waren unsere Bemühungen in den letzten zwei Jahrzehnten, Wehen zu hemmen oder ihre Entstehung zu verringern und damit die Rate der drohenden Frühgeburt zu reduzieren, erfolgreich.

Was haben wir in den letzten Jahren getan? Wir haben die Anwendung der Betamimetika präzisiert und verbessert, prophylaktische Maßnahmen eingeleitet, wie das großzügige Einsetzen von oralem Magnesium und einer Infektionsfrüherkennung resp –Therapie. Neue Wehen hemmende Ansätze sind geprüft worden, und das therapeutische Spektrum wurde erweitert und differenziert.

Was ist gesichert? Die meisten Tokolytika beeinflüssen das Symptom Wehen, aber nicht die den Wehen zugrunde liegende Pathologie. Die Gabe von Betamimetika verlängert die Schwangerschaft signifikant bis zu sieben Tage. Die gewonnene Zeit sollte genutzt werden, die Mütter in ein Zentrum zu verlegen und die fetale Lungenreife zu induzieren. Die orale Tokolyse hemmt wohl die Kontraktion des Myometrium, hat aber keinen Effekt hinsichtlich einer Verlängerung der Schwangerschaft. Mit der Bolustokolyse, der pulsatilen Applikation von Fenoterol (Partusisten) ist es möglich, im Vergleich mit der kontinuierlichen Infusion mit einem Fünftel der Substanzmenge eine ebenso effektive aber nebenwirkungsarme und sehr gut steuerbare Wehenhemmung zu erreichen. Die hochdosierte intravenöse Gabe von Magnesium hat einen wehenhemmenden Effekt, ist aber wegen möglicher neonataler Mortalität besonders bei langzeitiger Infusion und geringem Gestationsalter umstritten. (Orale Magnesiumgabe (ca. 15 mmol/d) ist eine fast nebenwirkungsfreie äußerst kostengünstige Medikation. Orales Magnesium ist kein Tokolytikum, es hilft nur bei einer durch einen Magnesiummangel ausgelösten Wehentätigkeit). Prostaglandinsynthesehemmer können eine ideale Ergänzung einer Wehen hemmenden Therapie sein, wenn sie in Fällen gegeben werden, bei denen man als Wehenursache eine lokale Prostaglandinproduktion vermutet. Dies ist bei Infektionen des unteren Eipols der Fall, weshalb auch in diesen Fällen eine Antibiose, obwohl ebenfalls umstritten, sinnvoll ist. Prostaglandinsynthesehemmer sollten nur vor abgeschlossenen 32 Schwangerschaftswochen und nicht länger als 72h gegeben werden. Kalziumantagonisten haben ebenfalls einen Wehen hemmenden Effekt mit einer gegenüber kontinuierlicher Ritodrininfusion besseren Verträglichkeit. Beeinträchtigung der fetalen Durchblutung konnte nicht gesehen werden. Kontraindikationen sind eine Hypotonie und eine gleichzeitige Magnesium Infusion. Als Nebenwirkungen werden Hypotonie und Kopfschmerzen beobachtet. Oxytozinantagonisten wirken durch spezifische Bindung hemmend auf Oxytozinrezeptoren. Atosiban (Tractocile) ist mindestens so Wehen hemmend wie Betamimetika, hat jedoch kaum Nebenwirkungen. Wegen des sehr hohen Preises wird Atosiban nur bei Unverträglichkeiten gegen andere Tokolytika empfohlen. NO Donatoren wie Nitroglyzerin wirken ähnlich wie Betamimetika auf die glatte Muskulatur. Die Studienlage ist noch nicht eindeutig. Der bei zwei Dritteln auftretende Kopfschmerz schränkt die Anwendung von Nitroglyzerin als Wehenhemmer ein.

Was ist die Zukunft? In Zukunft werden wir zunehmend die Problematik Frühgeburt differenzierter betrachten. Wir werden nicht nur Wehen hemmen, sondern auch versuchen, ihre Ursachen zu beseitigen. Wir werden bei unserer Therapie das gesamte Spektrum der therapeutischen Möglichkeiten ausnutzen. In einem Fall wird eine orale Gabe von Mg oder Nifidepin ausreichen, im anderen Fall ist stationäre Überwachung mit Anwendung der pulsatilen Bolustokolyse, ggf. auch mit Gabe von Antobiotika bzw. Prostaglandinsynthesehemmer oder Atosiban notwendig. Wünschenswert ist auch, den Einsatz wehenhemmender Substanzen zu spezifizieren, „falsche von richtigen Wehen“, lokale von globalen Kontraktionen zu unterscheiden. Eine differenzierte Therapie vorzeitiger Wehen bedarf sowohl enteraler als auch parenteraler Medikationen.