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DOI: 10.1055/s-2006-948660
Prävention und Eigenverantwortung im Kontext von Genetik und sozialem Status am Beispiel der Adipositas
Hintergrund: Übergewicht und Adipositas haben sich durch ihre pandemische Zunahme zu einem der weltweit größten Gesundheitsprobleme entwickelt. Als schwer therapierbare Risikofaktoren für eine Reihe von weit verbreiteten Erkrankungen wie z.B. Diabetes mellitus Typ 2 und Hypertonie sind sie zwar als Public Health – Priorität einzuschätzen, die bisher ergriffenen und evaluierten, zumeist verhaltensorientierten Präventionsmaßnahmen blieben allerdings insgesamt ohne größere Effektivität. Ziel: Die Studie identifiziert aus sozialethischer Perspektive die für die Ineffektivität der bislang durchgeführten Adipositasprävention verantwortlichen Faktoren und zieht daraus Schlüsse für die Gestaltung künftiger präventiver Maßnahmen. Methoden: Zunächst wird eine Übersicht über den Stand der Adipositas- und Präventionsforschung mit dem Fokus auf den genetischen Befunden zur Körpergewichtsregulation und den Einflüssen sozioökonomischer Faktoren auf die Ausbildung extremen Übergewichtes erstellt. Daraus leitet die Studie ein ätiologisches Modell der Adipositas mit den drei Faktoren Genetik, Umwelt und Lebensstil ab. Anschließend wird die so modellierte Ätiologie auf ihre Implikationen für die Prävention hin untersucht und in ethischer Perspektive mit Fragen der Eigenverantwortung in Beziehung gesetzt. Ergebnisse: Das Risiko, Übergewicht oder Adipositas auszubilden, ist abhängig von genetischen Faktoren sowie von schicht-, gruppen- und geschlechtsspezifischen Effekten. Die in diesem Bereich gegenwärtig vorherrschende Präventionsstrategie spricht Menschen auf ihre Eigenverantwortung hin an, ohne die differierenden Spielräume des Verhaltens zu beachten. Bisherige präventive Maßnahmen berücksichtigen folglich diese relevanten Aspekte nicht ausreichend, sind daher zu unspezifisch und damit ineffektiv. Diskussion: Prävention gegen Übergewicht und Adipositas muss neben Verhaltensgesichtspunkten auch ökologische und soziale Aspekte realisieren. Eigenverantwortung im Kontext von Prävention ist vor diesem Hintergrund so zu definieren, dass die Erzeugung von Möglichkeitsbedingungen von Verhalten integriert wird. Konzeptionell können die skizzierten Determinanten im Begriff der Health Literacy zusammengeführt werden. Schlussfolgerungen: Den Gesundheitsproblemen Adipositas und Übergewicht kann nur durch ein komplexes Zusammenspiel von Verhaltens- und Verhältnisprävention auf der Makro- und Mikroebene sowie in verschiedenen Settings und Lebenswelten effektiv vorgebeugt werden. Dazu sind sowohl ökologische und selektive, an Risikogruppen orientierte Maßnahmen als auch Programme außerhalb des zumeist gewählten edukativen Umfeldes notwendig. In diesem Zusammenhang ist neben ordnungspolitischen Interventionen insbesondere die Verbesserung der gesundheitsbezogenen Bildung ein relevanter Faktor.