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DOI: 10.1055/s-2006-944784
Weniger Krebstote durch Ausschaltung vermeidbarer Risikofaktoren - Unterschiede zu früheren Arbeiten methodisch bedingt
Publication History
Publication Date:
20 September 2006 (online)
Kommentar zu:
Weltweite Ursachen für Krebserkrankungen: vergleichende Risikobewertung von neun durch Lebensstil und Umwelt bedingten Risikofaktoren
Causes of cancer in the world: comparative risk assessment of nine behavioural and environmental risk factors.
Danaei G, Vander Hoorn S, Lopez AD, Murray CJ, Ezzati M; Harvard School of Public Health, Boston, USA
Hintergrund: Weltweit ist die Krebssterblichkeit von 1990 -, 2001 weniger zurückgegangen als die Sterblichkeit an kardiovaskulären Erkrankungen. Screening-Programme und Therapien greifen nur bei einem Teil der Krebserkrankungen. Daher spielt die Primärprävention, die auf Änderungen des Lebensstils und der -umstände zielt, eine zentrale Rolle beim Bemühen, die global steigende Tumorlast zu senken.
Methoden: Anhand von Daten des „Comparative Risk Assessment Projekts” und der WHO wurde errechnet, inwieweit neun modifizierbare Risikofaktoren (RF) (Übergewicht/Adipositas, geringer Obst-/Gemüseverzehr, Bewegungsmangel, Rauchen, Alkohol, ungeschützter Geschlechtsverkehr, Luftverschmutzung, Innenraumbelastung durch Heizen mit festen Brennstoffen, kontaminierte Injektionen) dazu beitragen können, die Sterblichkeit an 12 Karzinomen zu senken (Mund/Oropharynx, Ösophagus, Magen, Kolorektum, Leber, Pankreas, Trachea/Bronchus/Lunge, Brust, Cervix und Corpus uteri, Blase, Leukämie). Es wurden sieben Weltbankregionen einbezogen. Länder mit niedrigem/mittlerem und hohem Einkommen wurden getrennt analysiert.
Ergebnisse: In 2001 waren die neun RF weltweit für schätzungsweise 2,43 von 7 Mio. (35 %) Krebstodesfällen (1,6 Mio. Männer, 0,83 Mio. Frauen) verantwortlich. Wichtigste RF waren Rauchen (für 21 % der Todesfälle verantwortlich), Alkohol (5 %), geringer Obst- und Gemüseverzehr (5 %). In Ländern mit hohem Einkommen waren 760 000 Todesfälle vermeidbar. Neben Rauchen (29 %) und Alkohol (4 %) war Übergewicht (3 %) der drittwichtigste RF. In Ländern mit geringem Einkommen waren die neun RF - vor allem Rauchen (18 %), geringer Obst-/Gemüseverzehr (6 %), Alkohol (5 %) - für 1,67 Mio. Todesfälle verantwortlich. Die häufigste vermeidbare Krebstodesursache bei Frauen in ärmeren Ländern war eine HPV-Virus-Infektion.
Folgerungen: Eine Reduzierung von vermeidbaren RF kann zur deutlichen Senkung der globalen Krebssterblichkeit beitragen, so die Autoren.
Lancet 2005; 366 : 1784 - 1793
Im Vergleich zu früheren Abschätzungen darüber, welche Faktoren in welchem Ausmaß zum Krebsgeschehen beitragen, die erstmalig bereits Ende der 1970er Jahre (Wynder und Gori 1976, Higginson 1977) vorgelegt und in den 1980er und 1990er Jahren weiter ausgearbeitet (Doll und Peto 1981) und präzisiert (Harvard Report on Cancer Prevention 1996, Zitate in Der Onkologe 2004; 10 : 127-138) wurden, gibt es einige Gemeinsamkeiten, aber auch zu kommentierende Unterschiede:
Gemeinsamkeiten. Gemeinsam ist, dass es sich bei den Prozentangaben um Größenordnungen handelt, die zur groben Orientierung dienen und nicht punktgenau zu verstehen sind. Mehr geht nicht, dies reicht aber auch, um praktische Prioritäten setzen zu können. Zweitens bestätigen die Ergebnisse die grobe Tendenz der früheren Arbeiten: Ein beträchtlicher Anteil der Krebsmortalität hat mit der Lebensweise zu tun und ist damit vergleichsweise einfachen Präventionsmöglichkeiten zugänglich.
Unterschiede. Hier ist zu nennen: Der vermeidbare Anteil ist mit 35 % nur etwa halb so hoch wie z. B. bei Doll und Peto. Dies liegt einfach daran, dass Danaei et al. von durch Einzelstudien gesicherten Risikofaktoren ausgehen und diese auf Bevölkerungen hochrechnen, während die früheren Autoren von internationalen Erkrankungsunterschieden ausgingen und diese mit nicht wenig Spekulation bestimmten Risikofaktorbereichen zuordneten. Eine Konsequenz ist, dass früher der Ernährung ein etwa gleich großer Beitrag am Krebsgeschehen zugerechnet wurde wie dem Tabakkonsum (etwa 30 %), während es bei Danaei et al. bezüglich des Obst- und Gemüsekonsums - als einzige Faktorgruppe aus dem Bereich der Ernährung - dagegen nur ein Anteil von etwa 5 % ist. Der Unterschied liegt demnach in der Herangehensweise und nicht an einer Neueinschätzung. Mit zunehmendem Wissen können sich die Zahlen von Danaei et al. erhöhen. Verfahrensbedingt wurden auch ganze Faktorengruppen mangels genauer Daten weggelassen (z. B. der berufliche Bereich), was die Gesamtbilanz des Präventionspotenzials verschlechtert. Seltsam wirkt die stereotyp wiederholte Doppelnennung von Rauchen und Alkohol als Risikofaktoren: Sie verwischt die einzigartige Rolle des Tabakkonsums mit etwa 29 % Anteil am Krebsgeschehen in den westlichen Industrienationen gegenüber 5 % beim Alkoholkonsum und anderen Faktoren.
Fazit. Insgesamt untermauert die Arbeit bekannte Implikationen: die hohe Priorität bei der Tabakprävention (aus der wissenschaftlichen Beweislage kann nur ein Verbot der Herstellung und des Vertriebs von Tabak und Tabakprodukten gefolgert werden), verstärkte Öffentlichkeitsarbeit hinsichtlich des karzinogenen Potenzials von Alkohol und des erhöhten Krebsrisikos durch Übergewicht und mangelnde Bewegung sowie zugunsten eines höheren Obst- und Gemüseverzehrs.
Prof. Dr. Nikolaus Becker
Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ), Abteilung für Klinische Epidemiologie
Im Neuenheimer Feld 506 · 69120 Heidelberg
Email: n.becker@dkfz.de