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DOI: 10.1055/s-2006-943188
Nutritiv bedingter konnataler Vitamin B12-Mangel als Ursache von Krampfanfällen und Myoklonien im Neugeborenenalter
Hintergrund: Ein Vitamin B12-Mangel hat verheerende Folgen für die Entwicklung des Gehirns beim Kind. Der Mechanismus der neurologischen Schädigung beruht auf einer Akkumulation von neurotoxischen Substanzen wie Methylmalonat und -proprionat.
Fallbericht: Das 3 Wochen alte Neugeborene gesunder Eltern präsentierte sich mit Myoklonien und Krampfanfällen. Die neurologische Symptomatik hatte im Retrospekt schon in der Neugeborenenperiode begonnen. Neben laborchemischen Routineparametern waren BZ, Ammoniak und Lactat im Serum normal. Die Untersuchung der organischen Säuren im Urin ergab eine erhöhte Ausscheidung von Methylmalonsäure auf 117mg pro g Kreatinin (normal <5). Die Vitamin B12-Konzentration im Serum war mit 139 ng/l (normal 224–1491) moderat erniedrigt. Trotz der Methylmalonazidurie ergab das Acylcarnitinprofil einen unauffälligen Befund.
Dieser Vitamin B12-Mangel war Folge einer inadäquaten intrauterinen Versorgung und postnatalen Aufnahme: die Mutter hatte sich seit 11 Jahren vegetarisch und seit 1 Jahr vegan ernährt, das Kind war zudem voll gestillt.
Nach Diagnosestellung erfolgte eine Vitamin B12-Therapie, zunächst 1mg Vitamin B12 täglich intramuskulär über 4 Tage, anschließend 200mg pro Woche oral. Hierunter fiel die Methylmalonsäureausscheidung stetig bis auf normale Werte im 4. Lebensmonat ab. Ein Monat nach Therapiebeginn sistierten Krampfanfälle und Myoklonien. Im Alter von 8 Monaten war jedoch eine leichte Entwicklungsverzögerung erkennbar.
Diskussion: Nach unserer Kenntnis ist dies der erste in der Literatur beschriebene Fall mit neurologischer Symptomatik durch einen konnatalen Vitamin B12-Mangel bereits im Neugeborenenalter. Bisherige Publikationen beschreiben Säuglinge mit neurologischen Symptomen im Alter von mindestens 4 Monaten (z.B. Graham et al., J Pediatr 1992; Korenke et al., Eur J Pediatr 2004; Roschitz et al., Arch Dis Child Fetal Neonatal 2005). Daher postulieren wir, dass bereits ein intrauteriner Vitamin B12-Mangel zu neurologischen Manifestationen wie Myoklonien und Krampfanfällen führen kann.
Schlussfolgerungen: Bei cerebralen Krampfanfällen im Neugeborenenalter sollte eine ausführliche Ernährungsanamnese der Mutter während Schwangerschaft und Stillzeit erhoben und ein nutritiv bedingter Vitamin B12-Mangel differentialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden.
Unsere Beobachtungen zeigen die Notwendigkeit einer zusätzlichen Vitamin B12-Zufuhr bei sich vegan ernährenden Schwangeren und stillenden Müttern. Da ein Vitamin B12-Mangel durch den Spiegel nur unzureichend reflektiert wird, ist gegebenenfalls die Ausscheidung von Methylmalonsäure im Urin als diagnostischer Marker auch bei Schwangeren zu nutzen (D.S. Rosenblatt et al., Semin Hematol 1999). Die Acylcarnitinbestimmung ist zur Diagnostik der Vitamin B12-abhängigen Stoffwechseldefekte unzuverlässig (R. Fingerhut et al., APS Jahrestagung 2004).