Zeitschrift für Phytotherapie 2006; 27(1): 24-25
DOI: 10.1055/s-2006-933355
Praxis
Kasuistik
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Kräuter- und Früchtetees beeinflussen die Ciclosporin-Spiegel bei Patienten mit Nierentransplantation - Drei Klinische Kasuistiken

Rainer Nowack, Barbara Nowak
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Publication Date:
07 December 2006 (online)

Nach einer Nierentransplantation erleichtert eine konstant hohe Diurese die Erkennung von Funktionsstörungen des Transplantates. Daher wird eine Flüssigkeitszufuhr von 2-3 Litern täglich empfohlen, die möglichst mit kalorienarmen Getränken gedeckt werden sollte. Kräutertees gelten hier als ideal und werden häufig von den Transplantationszentren empfohlen. Bisher gab es keine Hinweise darauf, dass Inhaltsstoffe von Kräutertees zu einer klinisch bedeutsamen Interaktion mit der immunsuppressiven Therapie bei Transplantierten führen könnten. Einige der Immunsuppressiva, darunter das besonders häufig eingesetzte Ciclosporin, werden maßgeblich über das Cytochrom-P450-Enzymsystem (Ciclosporin: CYP3A4) metabolisiert. Modulationen in der Aktivität dieses Stoffwechselweges können zu erheblichen Abweichungen der Ciclosporin-Wirkspiegel, die in einem engen therapeutischen Bereich eingestellt werden müssen, führen. Subtherapeutische Spiegel erhöhen das Rejektionsrisiko, supratherapeutische Spiegel korrelieren mit toxischen Veränderungen. Für die Dosissteuerung werden die Talspiegel 12 h nach der letzten Einnahme des Medikamentes gemessen.

Die Autoren haben bei drei Nierentransplantierten deutliche Veränderungen der Ciclosporin-Talspiegel beobachtet, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Konsum von Tees zurückzuführen sind.

Kasuistiken

Eine 48-jährige Patientin erlitt nach der Nierentransplantation zunächst zwei schwere Transplantat-Abstoßungskrisen. In der Folge hatte sie jedoch unter einer Immunsuppression aus Ciclosporin und Mycophenolatmofetil (MMF) eine stabile Transplantatfunktion. Als weitere Medikation erhielt sie Pravastatin (10mg/d), Valsartan (80mg/d) und Hydrochlorothiazid (12,5mg/d). Etwa ein Jahr nach Transplantation begannen die zunächst stabilen Ciclosporin-Spiegel von 110-140μg/l in den subtherapeutischen Bereich abzufallen, so dass die Dosis von 23110mg/d über 23150mg/d bis auf 23170mg/d erhöht wurde und die Zielspiegel mit Werten von 80-85μg/l dennoch verfehlt wurden.

Zur Erreichung der empfohlenen hohen Trinkmenge hatte die Patientin täglich etwa 2 Liter eines so genannten Thüringer-9-Kräuter-Tees getrunken, der laut Etikett folgende Kräuter (ohne quantitative Angaben) enthält: Pfefferminzblätter (Menthae piperitae folium); Brombeerblätter (Rubi fruticosi folium); Kamillenblüten (Matricariae flos); Melissenblätter (Melissae folium); Koriander (Coriandri fructus); Sandelholz (Santali albi lignum); Pomeranzenschalen (Aurantii pericarpium); Ratanhiawurzel (Ratanhiae radix); Anisfrüchte (Anisi fructus).

Die Patientin ersetzte den Tee durch Mineralwasser. Bei unveränderter Ciclosporin-Dosis stiegen die Talspiegel bereits zwei Wochen später an. Als nach sechs Wochen mit 170 μg/l ein supratherapeutischer Talspiegel erreicht wurde, klagte die Patientin über Muskelschmerzen und -schwäche. Im Labor wies eine Erhöhung der Creatinkinase auf 340 U/l (normal l100) auf eine Rhabdomyolyse als typische Komplikation der begleitenden Pravastatin-Medikation (10 mg/d) hin. Daraufhin nahm die Patientin ihren Teekonsum wieder auf. Bei gleich bleibender Ciclosporin-Dosis fielen die Talspiegel innerhalb von zwei Wochen auf 110 μg/l ab.

Der zweite Patient, ein 37-jähriger Mann armenischer Abstammung, wurde nach der Nierentransplantation mit Azathioprin und Ciclosporin behandelt. Trotz kontinuierlicher Dosisreduktion des Ciclosporins bis auf 2375 mg/d erreichte der Patient supratherapeutische Talspiegel von 180-200 μg/l. Er trank während dieser Zeit mindestens 1-1,5 Liter Kamillentee täglich. Nachdem der Kamillentee abgesetzt und hauptsächlich durch Hagebuttentee ersetzt worden war, fielen die Ciclosporin-Spiegel bei unveränderter Dosierung innerhalb weniger Wochen in den Zielbereich von 100-120 μg/l. Als sie schließlich 50 μg/l unterschritten, wurde die Ciclosporin-Dosis auf 23100 mg/d erhöht.

Der dritte Patient wurde nach Transplantation mit Ciclosporin und MMF immunsuppressiv behandelt. Mit 23100 mg Ciclosporin/d lagen die Talspiegel zwischen 118-155 μg/l und damit im Zielbereich. Ab 3/2002 stiegen die Talspiegel plötzlich und konstant über 200 μg/l an. Der Patient hatte zeitgleich damit begonnen, große Mengen (ca. 2l/d) von zwei Früchtetees zu trinken. Es handelte sich um ein so genanntes Wildfrucht-Teegetränk (»Früchtezauber«, bestehend aus: Zucker, Dextrose, Zitronensäure, Hibiscus-Extrakt [2 %], Geschmacksstoffen, Vitamin C und Hagebutten-Extrakt [0,1 %]) und ein Zitronenteegetränk (bestehend aus: Zucker, Dextrose [20 %],

Zitronensäure, Schwarztee-Extrakt [1,28 %], Vitamin C, Zitronenfruchtpulver, Geschmacksstoffe).

Nachdem der Patient auf ärztlichen Rat den Teekonsum beendete und ihn durch Konsum von Mineralwasser ersetzte, fielen die Talspiegel innerhalb weniger Wochen auf 90 μg/l. Nach erneuter Anpassung der Ciclosporin-Dosis auf 23110/d pendelten sich die Talspiegel auf 120 μg/l ein.

Diskussion

Ciclosporin hat einen engen therapeutischen Bereich; seine Dosierung muss deshalb in der Langzeitimmunsuppression nach Nierentransplantation über die regelmäßig gemessenen Talspiegel gesteuert werden. Co-Medikationen sowie viele Pflanzeninhaltsstoffe in der Nahrung oder in Getränken können den Metabolismus über CYP450 beeinflussen [5] [13] und damit die Bioverfügbarkeit von Ciclosporin verändern. So inhibiert beispielsweise Grapefruitsaft die Aktivität verschiedener CYP450-Enzyme, was über eine Reduktion des First-Pass-Effektes zum Anstieg der Talspiegel führt [6]. Inhaltsstoffe von Johanniskraut stimulieren dagegen CYP450 und können so u.a. den Abbau von Ciclosporin erheblich beschleunigen [1]. Experimentell wurde für viele weitere Pflanzeninhaltsstoffe bereits der Nachweis einer mehr oder weniger ausgeprägten Beeinflussung von CYP450-Enzymen erbracht [2], so dass auch in der klinischen Realität weitere, noch unbeschriebene Interaktionen zu erwarten sind.

Zu Kräutertees war in diesem Zusammenhang bislang wenig bekannt, obwohl gerade Nierentransplantierte erhebliche Mengen davon konsumieren. Beim ersten hier vorgestellten Patienten führte das Absetzen des 9-Kräuter-Tees zu einem Anstieg der zuvor sehr niedrigen Ciclosporin-Spiegel, die Wiederaufnahme des Teekonsums zu einem erneuten Abfall der Spiegel. Unter den neun in der Teemischung enthaltenen Kräutern ist zwar für Bitterorangenschale und Kamille eine CYP450-hemmende und damit eine die Talspiegel von Ciclosporin erhöhende Wirkung bekannt; durch welche Kräuter jedoch die beobachtete gegenläufige Bewegung der Ciclosporin-Spiegel verursacht worden sein könnte, bleibt unklar. Der Abfall der Talspiegel nach Verzicht auf Kamillentee bei dem zweiten Patienten könnte mit der aus In-vitro-Untersuchungen bekannten CYP450-Hemmung durch Kamillenblüten erklärt werden [2].

Auf welchen Substanzen in den beiden vom dritten Patienten getrunkenen Früchtetees die offenbar den Ciclosporin-Abbau hemmende Wirkung beruht, bleibt unklar. Am ehesten kommen die enthaltenen Zitrusextrakte infrage, da in Tierexperimenten vergleichbare Wirkungen von Inhaltsstoffen der Bitterorangen dokumentiert wurden [4]. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass selbst in relativ artifiziellen Instant-Getränken offenbar ausreichend bioaktive Substanzen enthalten sein können, um klinisch bedeutsame Veränderungen von Medikamentenwirkspiegeln herbeizuführen.

Wie folgenreich derartige Einflüsse sein können, wird durch die Komplikation einer Rhabdomyolyse bei der ersten Patientin illustriert. Nach Weglassen des 9-Kräuter-Tees stiegen die Ciclosporin-Werte rasch und stark an, und bei Erreichen der Spitzenspiegel trat eine Rhabdomyolyse als Komplikation auf, eine gut bekannte Folge der Arzneimittelinteraktion von Ciclosporin mit HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren wie z.B. Pravastatin [9] [10]. Dieses wurde vorübergehend abgesetzt und gleichzeitig der Teekonsum wieder aufgenommen, was bei prompt fallenden Ciclosporin-Spiegeln zur Rückbildung der Komplikation führte. Pravastatin wird im Gegensatz zu anderen Statinen kaum von CYP3A4 metabolisiert und weist damit in der beschriebenen Situation ein geringeres Rhabdomyolyse-Risiko auf [11].

Die Kasuistiken zeigen, dass ganz alltägliche Produkte für Transplantierte verborgene Gefahren enthalten können. Forschungen der jüngsten Zeit lassen selbst für ein traditionelles Englisches Frühstück mit Earl Grey Tee und einigen Toasts mit Bitterorangenmarmelade ein Potenzial zur Modifizierung des Ciclosporin-Metabolismus vermuten, denn das Flavonoid Naringenin und das Furanocumarin Bergamottin mit ihrer starken inhibitorischen Potenz von CYP3A4 sind in Grapefruitsaft [12], in Schalen von Pomeranzen (Citrus aurantium) und deren botanischen Varietät Bergamotte enthalten, mit der der Earl Grey Tee aromatisiert wird. Bei Versuchstieren führten Pomeranzenschalen bei einer üblicherweise sicheren Ciclosporin-Dosis zur Intoxikation [7]. Ein weiteres Beispiel ist das beinahe ubiquitär vertretene Quercetin (enthalten u.a. in Küchenzwiebeln und Rotwein), das die Bioverfügbarkeit von Ciclosporin durch Stimulation von CYP3A4 im Tierexperiment reduzierte [8]. Ergebnisse aus tierexperimentellen Untersuchungen können allerdings nur als Hinweise auf mögliche Probleme bei der Therapie gewertet werden.

Neben der Vertiefung der Forschung auf diesem Sektor ist das Bewusstsein bei Patienten und Ärzten für diese Problematik zu schärfen. Bei deutlichen Veränderungen der Nahrungs- und Trinkgewohnheiten können Dosisanpassungen der Ciclosporin-Medikation notwendig werden [3].

Originalbeitrag publiziert als: Nowack R, Nowak B: Herbal teas interfere with cyclosporin levels in renal transplant patients. Nephrol Dial Transplant 2005; 20(11): 2554-6.

Literatur

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  • 13 Zhou S, Koh HL, Gao Y, Gong ZY, Lee EJ. Herbal bioactivation: the good, the bad and the ugly.  Life Sci. 2004;  74 935-968

Priv.-Doz. Dr. Rainer Nowack

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