Zeitschrift für Phytotherapie 2006; 27(1): 3
DOI: 10.1055/s-2006-933351
Editorial

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In vino veritas et in vino sanitas

Franz-Christian Czygan
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Publication Date:
07 December 2006 (online)

Zugegeben, selbst ein emeritierter Professor kann einen gewissen Grad an Eitelkeit nicht verleugnen. So muss ich gestehen, dass mich vor vielen Jahren - ich hatte gerade habilitiert - ein Lob stolz gemacht hat; ein Lob des bekannten Marburger Pharmaziehistorikers Rudolf Schmitz. Ich hatte im Rahmen eines Vortrags über verschiedene Aspekte des Weins, u.a. über seine Rolle als Apotropaikum, als Mittel gegen böse Geister, gesprochen. Das gefiel Schmitz und das sagte er mir auch in seiner durchaus charmanten Weise. Diese Episode ergänzte Schmitz noch durch die Anmerkung: »Endlich ein Pharmazeut, der sich nicht erst im Ruhestand mit der Historie seines Faches beschäftigt!« Diese Geschichte ist bei mir immer dann mental abrufbar, wenn ich mich als »gewordener« Franke genüsslich oder wissenschaftlich mit Wein beschäftige. Denn für mich ist von allen Arzneipflanzen, die ich kenne, Vitis vinifera forma franconia die eindrucksvollste Droge und das aus ihren Früchten hergestellte weiße oder rote Produkt das wirksamste Phytopharmakon. Nicht ohne Grund gilt in Franken der Spruch »Frankenwein gleich Krankenwein«.

Aber darf man heutzutage für diese Rauschdroge überhaupt noch die Werbetrommel rühren? Ich meine ja. In Maßen genossen ist der Wein durchaus nicht nur ein Antimelancholikum, eine Art Fuga daemonum. Auch für das kranke Herz ist Wein eine Wohltat. Hier spielt der vinogene Inhaltsstoff Resveratrol eine kurative Rolle. Der tägliche Weingenuss ist wohl dafür verantwortlich, dass in den mediterranen Ländern weniger Menschen am Herzinfarkt sterben als bei uns in Mitteleuropa.

Dennoch sollte man die liebliche »Droge Wein« mit Verständnis, das heißt mit Maßen zu sich nehmen. Das ist eine uralte Erfahrung, die schon der griechische Philosoph Eubulides (er lebte im 4. Jahrhundert v.Chr.) in Worte fasste: »Drei Schalen Wein empfehle ich dem verständigen Mann: die erste für die Gesundheit, die zweite für die Liebe und für den Genuss und die dritte für den Schlaf.« Wenn man diese Menge getrunken hat (wobei die Größe der Schale natürlich ein variabler Faktor ist!), gehen kluge Menschen nach Hause. Sehe nur ich hier Parallelen in der von antiken und heutigen Medizinern empfohlenen täglichen Weinmenge?

Dieses Editorial über ein Phytopharmakon sui generis lässt sich sicherlich um ein Vielfaches erweitern. Aber eine potenzielle Frage des Lesers sollte noch geklärt werden: Warum beschäftigt sich ein Autor, der aus Ostpreußen stammt, das nun wirklich kein Land der Weinrebe ist, mit Wein? Dort schätzte man u.a. den Bärenfang oder den Machandelschnaps als Äthanollieferant. Hier die Antwort auf diese Frage: In den letzten Jahren wurde ein altes Familiengerücht zur Gewissheit: »Königsberg hatte einige gute Weinstuben. Die älteste, vermutlich schon 1733 gegründete, war die von Carl Czygan. 1914 bestand sie noch in der Münchenhofstraße« (G. Gause: Die Geschichte der Stadt Königsberg. Band 11, Seite 420; Böhlau Verlag - Köln, Graz 1968).

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Wir Ostpreußen waren immer schon davon überzeugt, dass auch Vorlieben vererbbar sind.

PS: Als preußischer Franke oder als fränkischer Preuße - immerhin habe ich mehrere Dezennien in Mainfranken verlebt - befreundete ich mich mit dem durchgegorenen und daher trockenen, aber durchaus nicht saueren Silvaner. Diese Rebe wurde um 1660 vermutlich von Mönchen aus dem Kloster Ebrach von Österreich in die Gegend von Würzburg gebracht. In diesem durch den Main geprägten Klima gediehen die Reben (ursprünglich »Österreicher« genannt) vortrefflich. Heute erinnert den vinophilen Preußen der aus Silvanertrauben gekelterte Wein und seine Blume nicht nur an den typischen Franken- oder Steinwein, sondern ebenfalls daran, dass zumindest seit dem 19. Jahrhundert auch im nördlichen Brandenburg Weinreben angebaut und trinkbare (!) Weine produziert wurden. Ob dieser Wein mehr Arzneimittel als Genussmittel war? Einem Ondit zufolge lehnten die preußischen Könige und ihr Hof den brandenburgischen Wein ab. Sie präferierten französische Qualitäten wie sie mein Königsberger Vorfahr, der Gastwirt Carl Czygan, empfahl und ausschenkte.

Franz-Christian Czygan

Würzburg

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