Pneumologie 2006; 60(6): 373-375
DOI: 10.1055/s-2006-932209
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Antioxidative Therapie der idiopathischen Lungenfibrose

Antioxidative Treatment of Idiopathic Pulmonary FibrosisJ.  Behr1 , U.  Costabel2 , R.  Buhl3
  • 1Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München-Großhadern, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Schwerpunkt Pneumologie
  • 2Ruhrland-Klinik Essen, Abteilung Pneumologie/Allergologie
  • 3Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, III. Medizinische Klinik, Schwerpunkt Pneumologie
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Publication Date:
08 June 2006 (online)

Innerhalb der heterogenen Krankheitsgruppe der interstitiellen Lungenerkrankungen macht die idiopathische pulmonale Fibrose (IPF) einen Anteil von ca. 20 - 30 % aus, ihre Prävalenz in der Bevölkerung beträgt 15 - 20 pro 100 000. Die klinischen Diagnosekriterien sind in Tab. [1] zusammengefasst [1] [2]. Von besonderer Bedeutung ist das typische Befundmuster im hochauflösenden Computertomogramm, welches eine retikuläre Zeichnungsvermehrung, subpleurales Honigwabenmuster und das Fehlen flächiger, milchglasartiger Lungenparenchymtrübungen beinhaltet [3]. Die Anwendung dieser Kriterien (Tab. [1]) erlaubt in ⅔ der Fälle eine zuverlässige Diagnose, nur in ⅓ der Patienten ist die Bestätigung der Diagnose anhand einer chirurgischen Lungenbiopsie erforderlich. Von besonderer Bedeutung ist die sehr ungünstige Prognose der IPF - die mediane Überlebenszeit nach Diagnosestellung beträgt nur 2 - 4 Jahre. Das bisherige Fehlen wirksamer Therapieansätze stellt vor diesem Hintergrund eine besondere Herausforderung dar.

Tab. 1 Diagnosekriterien der IPF 3 Hauptkriterien: 1. Ausschluss bekannter Ursachen einer interstitiellen Lungenerkrankung 2. Lungenfunktion: Restriktion und Einschränkung der Diffusionskapazität 3. hochauflösende Computertomographie: retikuläre Zeichnungsvermehrung und subpleurales Honigwabenmuster, basal betont, bei gleichzeitigem Fehlen relevanter Milchglastrübungen des Lungenparenchyms 4. bronchoalveoläre Lavage oder transbronchiale Lungenbiopsie ohne Hinweis auf eine alternative Diagnose Nebenkriterien: 1. Alter > 50 Jahre 2. schleichender Beginn einer unerklärten Atemnot 3. Krankheitsdauer mindestens 3 Monate 4. inspiratorisches Knisterrasseln über den basalen Lungenabschnitten Alle 4 Hauptkriterien und mindestens 3 von 4 Nebenkriterien müssen zur Diagnosestellung einer IPF erfüllt sein.

Die Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose orientiert sich am zugrunde liegenden pathophysiologischen Konzept. Ursprünglich ging man von der Vorstellung aus, dass eine persistierende Entzündung der Alveolarwand (Alveolitis) zu einer fibrotischen Umwandlung des Lungenparenchyms führt. Daher wurden initial antiinflammatorische Therapieansätze unter Verwendung von Prednison als Monotherapie oder in Kombination mit Immunsuppressiva, meist Azathioprin oder Cyclophosphamid, eingesetzt [3]. Obwohl ausreichend dimensionierte kontrollierte Studien zu diesen Therapieansätzen fehlen, sprechen alle vorliegenden Daten für eine allenfalls nur unzureichende Wirksamkeit. Basierend auf diesen Erfahrungen sowie auf neuen histopathologischen Erkenntnissen wurde eine neue pathogenetische Hypothese formuliert, der zur Folge eine repetitive Epithelläsion zu einer direkten Aktivierung der mesenchymalen Zellen im Lungeninterstitium mit Ausbildung fibroblastärer Proliferationsherde und letztlich fibrotischer Umwandlung des Lungengewebes führt [4]. Bisher vorliegende prospektive, plazebokontrollierte klinische Studien mit Interferon-Gamma-1b [5], Pirfenidon [6], Ethanercept [7] und Bosentan (ATS 2006) verfehlten allerdings ihren jeweiligen primären Studien-Endpunkt, zeigten aber positive Teilergebnisse und Trends, die derzeit in groß angelegten Phase-III-Studien (INSPIRE, PIPF-006, BUILD-3) überprüft werden.

Zahlreiche experimentelle und klinische Untersuchungen konnten belegen, dass in den Lungen von Patienten mit IPF ein Oxidanzien-Antioxidanzien-Ungleichgewicht herrscht, welches durch unterschiedliche Mechanismen den inflammatorischen und fibroproliferativen Krankheitsprozess hervorrufen und/oder verstärken kann. Hierbei spielt ein Mangel von antioxidativ wirksamem Glutathion im Flüssigkeitsfilm des Lungenepithels sowie in Lungenzellen eine möglicherweise entscheidende Rolle [8]. In verschiedenen Pilotstudien konnte gezeigt werden, dass N-Acetylcystein (NAC) in einer Dosierung von 3 × 600 mg pro Tag zu einer partiellen Korrektur des Oxidanzien-Antioxidanzien-Ungleichgewichts in den Lungen von IPF-Patienten führt, indem es insbesondere die bei der IPF reduzierten extra- und intrazellulären Glutathionspiegel signifikant bis in den Normbereich ansteigen lässt [8] [9] [10]. In einer prospektiven, plazebokontrollierten, randomisierten Multizenterstudie wurde deshalb die Wirkung von hochdosiertem N-Acetylcystein (3 × 600 mg pro die p. o.) an 155 Patienten mit gesicherter IPF über einen Zeitraum von 1 Jahr untersucht. Ausgehend von der ATS-ERS Konsensusempfehlung, dass Patienten mit progressiver Lungenfibrose eine Behandlung mit Prednison und Azathioprin (oder Cyclophosphamid) erhalten sollten [3], wurden alle Patienten mit diesem Regime als Basistherapie versorgt und erhielten N-Acetylcystein (3 × 600 mg pro die) oder Plazebo zusätzlich [11]. Als primärer Endpunkt wurde die Änderung der Vitalkapazität und der CO-Diffusionskapazität nach 1 Jahr gewählt. Es zeigte sich, dass die Behandlung mit hochdosiertem NAC zu einer signifikant geringeren Progression der idiopathischen Lungenfibrose nach 1 Jahr führte, gemessen an einem geringeren Abfall der Vitalkapazität (Unterschied NAC versus Plazebo 180 ml bzw. 9 %, p < 0,02) sowie auch der Diffusionskapazität (Unterschied NAC versus Plazebo 0,75 kPa/min/mmHg oder 24 %, p < 0,003) [11]. Von Seiten der sekundären Studienendpunkte zeigte vor allem die Ergospirometrie einen positiven Trend zugunsten der NAC-Therapie und auch die Mortalität war in der NAC-Gruppe mit 7 von 80 Patienten (9 %) geringfügig niedriger als in der Plazebogruppe, in der 8 von 75 Patienten (11 %) verstarben [11]. Dieser geringe Unterschied war statistisch nicht signifikant, was aufgrund der Patientenzahl nicht verwundert. Es bleibt festzuhalten, dass diese unter dem Akronym „IFIGENIA” bekannte Studie erstmals einen statistisch signifikanten, positiven Effekt auf den primären Studienendpunkt bei Patienten mit idiopathischer Lungenfibrose gezeigt hat. Eine Limitation dieser Studie ist die Tatsache, dass ca. 30 % der 155 eingeschlossenen Patienten die Studie nicht beendet haben, entweder weil sie verstorben sind (15 Patienten insgesamt) oder weil sie die Studie aus unterschiedlichen Gründen vorzeitig beendet haben (32 Patienten) [11]. Auch sind die Veränderungen der Lungenfunktion nach 1 Jahr als so genannte „weiche Studienendpunkte” zu werten und lassen nur indirekt Rückschlüsse auf einen tatsächlichen klinischen Vorteil für die Patienten zu. Andererseits war die Behandlung mit hochdosiertem, oralen NAC sehr gut verträglich und führte sogar zu einer geringeren Knochenmarktoxizität unter Azathioprin im Verumarm [11].

Fasst man die vorliegenden Studienergebnisse zusammen, so kann festgehalten werden, dass eine alleinige immunsuppressive Therapie zur Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose zumindest nicht ausreichend ist. Die zusätzliche Gabe von hochdosiertem N-Acetylcystein bewirkt dagegen eine signifikante Verlangsamung des Abfalls der klinisch relevanten Lungenfunktionsparameter Vitalkapazität und Diffusionskapazität um ca. 70 % verglichen mit Plazebo. Nachdem in verschiedenen Studien ein Zusammenhang zwischen einer Abnahme der Vitalkapazität um 10 % bzw. der Diffusionskapazität um 15 % im Verlauf von 6 - 12 Monaten und einem signifikant erhöhten Mortalitätsrisiko (OR ca. 2,4) hergestellt werden konnte, liegt die Spekulation nahe, dass die vorliegenden Ergebnisse der IFIGENIA-Studie einen tatsächlichen klinischen Benefit durch NAC repräsentieren. Wenngleich es äußerst wünschenswert wäre, einen positiven Effekt einer hochdosierten NAC-Therapie auf die Mortalität im Rahmen einer größeren Nachfolgestudie direkt zu demonstrieren, erscheint es angesichts einer geringen Gewinnspanne des Medikaments und der erforderlichen großen Patientenzahl unwahrscheinlich, dass eine solche Studie finanzierbar sein wird. Ein Antrag der Firma Zambon, NAC in erhöhter Dosis von 3 × 600 mg pro die als „Orphan Drug” zuzulassen, wurde bei der europäischen Arzneimittelkommission gestellt und erscheint aussichtsreich. Auch unter dem Gesichtspunkt des günstigen Nebenwirkungsprofils von NAC kann die Behandlung von Patienten mit IPF nach dem „IFIGENIA-Protokoll” empfohlen werden, wenngleich kritisch anzumerken ist, dass die Notwendigkeit einer immunsuppressiven Basistherapie mit Prednison und Azathioprin aus den Studiendaten nicht abgeleitet werden kann. Andererseits lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten, dass NAC auch ohne diese Begleitmedikation den gleichen Effekt erzielt. Unbegründet erscheint hingegen eine Interpretation, der zu Folge NAC lediglich einen pneumotoxischen Effekt von Azathioprin günstig beeinflusst haben könnte [12]. Diese Annahme wird durch publizierte Daten bisher nicht gestützt und lässt sich darüber hinaus durch die Tatsache entkräften, dass der Verlust an Vitalkapazität im Plazeboarm der IFIGENIA-Studie, in dem alle Patienten die gleiche durchschnittliche Azathioprindosis erhielten wie im Verumarm, vergleichbar dem Abfall der Vitalkapazität in allen anderen publizierten Studien zur Therapie (ohne Azathioprin) der IPF war (Tab. [2]). Ein pneumotoxischer Effekt von Azathioprin kann dementsprechend schwerlich konstatiert werden. Mit Blick auf die primär antifibrotischen Therapieansätze mit Interferon-Gamma-1b, Pirfenidon, Etanercept und Bosentan ist eine abschließende Bewertung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich. Für jede dieser Substanzen existieren positive Signale, eine Wirksamkeit bei IPF ist bisher aber nicht nachgewiesen. Hier müssen die Ergebnisse der Nachfolgestudien abgewartet werden.

Tab. 2 Vergleich der Änderung der Vitalkapazität im Verlauf verschiedener IPF-Therapiestudien Studie FVC (% d. Soll)Baseline Studiendauer(Wochen) ΔFVC Plazebo(l) ΔFVC Verum(l) NACn = 155(Ref. 11) 65 52 - 0,19 - 0,06 Interferon-Gamma-1bn = 330(Ref. 5) 64 48 - 0,16 - 0,20 Etanerceptn = 88(Ref. 7) 64 48 - 0,20 - 0,10 Pirfenidonn = 107(Ref. 6) 80 39 - 0,13 - 0,03

Auch wenn mit hochdosiertem NAC erstmals eine wirksame Therapie der idiopathischen Lungenfibrose zur Verfügung steht, dürfen angesichts der begrenzten Effekte dieser Therapie die Anstrengungen, neue und effektivere Behandlungsstrategien zu entwickeln, nicht nachlassen. Dementsprechend erscheint es gerechtfertigt und notwendig, auch zukünftig IPF-Patienten in plazebokontrollierte Studien einzuschließen, sofern die Sicherheit dieser Patienten durch engmaschige Kontrolluntersuchungen gewährleistet ist. Insgesamt kann die Entwicklung auf dem Gebiet der Therapie der idiopathischen Lungenfibrose als vielversprechend bezeichnet werden. Nach einer langen Zeit der Stagnation wurden nun erstmals positive Effekt erzielt und erfolgversprechende Strategien entwickelt. Patienten mit IPF, die nicht an einer Therapiestudie teilnehmen, sollten nach Expertenmeinung [13] mit einer Tripeltherapie aus Prednison, Azathioprin und NAC behandelt werden, solange keine wirksamere Therapie verfügbar ist.

Literatur

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  • 11 Demedts M, Behr J, Buhl R. and the Ifigenia study group . High dose acetylcysteine in idiopathic pulmonary fibrosis.  N Engl J Med. 2005;  353 2229-2242
  • 12 Hunninghake G W. Antioxidant therapy for idiopathic pulmonary fibrosis.  N Engl J Med. 2005;  353 2285-2287
  • 13 Wells A U. Antioxidant therapy in idiopathic pulmonary fibrosis: hope is kindled.  Eur Respir J. 2006;  27 664-666

Prof. Dr. med. Jürgen Behr

Leiter des Schwerpunkts Pneumologie · Medizinische Klinik und Poliklinik I · Klinikum der Universität München-Großhadern

Marchioninistr. 15

81377 München ·

Email: juergen.behr@med.uni-muenchen.de

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