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DOI: 10.1055/s-2006-927372
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Teil II: Die staatliche Gesundheitsbürokratie spielt Schicksal
Publication History
Publication Date:
14 February 2007 (online)
1. Neue Aufgaben für den ÖGD: „Erb- und Rassenpflege“
1.1. Zwangssterilisationen
Ziemlich schnell nach der „Machtergreifung“ verabschiedete die nationalsozialistisch dominierte Reichsregierung mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN, auch: „Erbgesundheitsgesetz“) gleichsam das Grundgesetz zur Umsetzung ihrer Ausgrenzungs- und Vernichtungspläne. Ernst Rüdin und Arthur Gütt hatten das erste rassenhygienische Gesetz der Nazis ausgearbeitet. [83]
Die Reaktionen unter den Eugenikern im Ausland waren recht unterschiedlich und reichten von strikter Ablehnung bis zu begeisterter Zustimmung.
So nahm die Hauspostille des ERO (Eugenics Record Office) in Cold Spring Harbor (Long Island) im Sommer 1933 die Vorbildfunktion der amerikanischen Eugenik für das GzVeN in Anspruch und tönte:
„Germany is the first of the world’s major nations to enact a modern eugenical sterilisation law for the nation as a unit.[...] The law recently promulgated by the Nazi Government marks several substantial advances. Doubtless the legislative and court history of the experimental sterilisation laws in 27 states of the American union provided the experience, which Germany used in writing her new national sterilisation statute. To one versed in the history of eugenical sterilisation in America, the text of the German statute reads almost like the ‚American model sterilization law.[...]” [84]
Sogar das angesehene „Journal of the American Medical Association” (JAMA) stand damals wohl unter rassistisch-eugenischem Einfluss, denn es übernahm aus deutschen Veröffentlichungen zum Sterilisationsgesetz unkritisch Überzeugungen als wären sie wissenschaftlich evident: „[...] The fact that among the Jews the incidence of blindness is greater than among the remainder of the population of Germany (the ratio is 63 to 53) is doubtless due to the increased danger of hereditary transmission resulting from marriage between blood relatives.[...]” [85]
Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“: vom 14. Juli 1933 (RGBl. I, S. 529), legitimierte die Zwangssterilisation und legte eine ärztliche Dominanz im Entscheidungsverfahren fest, die im Entwurf des preußischen Landesgesundheitsrates von 1932 ebenso wenig wie die Möglichkeit des Zwanges vorgesehen war.
§ 1 beinhaltete einen Katalog von Krankheiten bzw. Zuständen:
„§ 1
(1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.
(2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:
-
angeborenem Schwachsinn,
-
Schizophrenie,
-
zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein,
-
erblicher Fallsucht,
-
erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea),
-
erblicher Blindheit,
-
erblicher Taubheit,
-
schwerer erblicher körperlicher Mißbildung.
(3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet. [...]”
Laut § 2 ist „[...] Antragsberechtigt derjenige [...] der unfruchtbar gemacht werden soll. [...]” Für den Fall der Entmündigung, Geschäftsunfähigkeit oder bei Minderjährigen „[...] ist der gesetzliche Vertreter antragsberechtigt.[...]”.
Erst in § 3 werden dann auch die Amtsärzte und Anstaltsleiter genannt:
„[...] Die Unfruchtbarmachung können auch beantragen 1. der beamtete Arzt, 2. für die Insassen einer Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalt oder einer Strafanstalt der Anstaltsleiter.[...]”
Durch die hintergründig gewählten Formulierungen „Antragsberechtigt“ in § 2 und „können auch“ in § 3 sowie die Reihung der im Gesetz genannten, zum Antrag berechtigten, Personen wurde bewusst vermittelt, die zuerst in § 2 aufgeführte Möglichkeit stelle die Regel dar - § 3 die Ausnahme! [86]
Um den Eindruck eines gesetzmäßigen Verfahrens zu erwecken, sah das Gesetz eine gerichtliche Entscheidung vor.
Dazu wurde als Sondergericht das „Erbgesundheitsgericht“ (EG) gegründet (§§ 5 - 7).
Es war den regulären Amtsgerichten angegliedert, wobei nicht jedem Amtsgericht ein EG zugeordnet wurde, sondern in der Regel ein EG für mehrere Amtsgerichtsbezirke zuständig war.
Das Gericht setzte sich zusammen „...aus einem Amtsrichter als Vorsitzenden, einem beamteten Arzt und einem weiteren für das Deutsche Reich approbierten Arzt, der mit der Erbgesundheitslehre besonders vertraut ist [...] ” (§ 6, Abs. 1). Somit waren die Ärzte in der Überzahl.
Es wurde grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt.
Die zur Sterilisation verurteilte Person konnte „[...] binnen einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung...“ (§ 9) gegen den Beschluss des EG Beschwerde beim „Erbgesundheitsobergericht“ (EOG) einlegen.
Alle für das deutsche Reich approbierten Ärzte hatten die Pflicht, „Erbkranke“ den Gesundheitsämtern anzuzeigen. Die ärztliche Schweigepflicht (§ 300, RStGB) war diesbezüglich aufgehoben. [87]
Der Kreis- oder Bezirksarzt und ab April 1935 der Amtsarzt des Gesundheitsamtes hatte nach Eingang der Anzeige wie ein Staatsanwalt die Funktion einer Ermittlungsbehörde. Das Gesundheitsamt nahm die Anzeige auf, stellte eigene Ermittlungen an (Abfragen bei der zuständigen Gemeindebehörde, bei den Wohlfahrts-, Fürsorge-, und Jugendämtern; es wurden auch Zeugen vernommen oder gar die Fürsorgerin zu einem Hausbesuch geschickt, um die Wohn- und Familienverhältnisse des Betroffenen auszuspionieren) und schlussendlich lud der Amtsarzt die betreffende Person zur amtsärztlichen Untersuchung vor.
Der Amtsarzt oder auch der Leiter einer psychiatrischen Klinik oder einer Heil- und Pflegeanstalt stellte nach eigener Urteilsbildung dann den „Antrag auf Unfruchtbarmachung“ beim EG. Der Amtsarzt hatte nach ergangenem EG-Urteil, sofern nötig, auch für die „Erzwingung des Eingriffs“ zu sorgen (§ 12).
Durch die 1. DVO zum GzVeN vom 5.12.1933 wurde der Personenkreis auf die fortpflanzungsfähigen Personen und die Insassen, deren Anstaltsbedürftigkeit nicht dauerhaft vorauszusehen war, beschränkt.
Nach Art. 3 der 1. DVO sollten die Betroffenen oder ihr gesetzlicher Vertreter den Antrag zur Sterilisation möglichst selbst stellen bzw. unterschreiben. Erst wenn dieser sich weigerte, sollte der Amtsarzt den Antrag stellen. Dies erklärt die hohe Anzahl der „Selbstanträge” der Jahre 1934 und 1935, die hauptsächlich von Anstaltspatienten, aber natürlich nicht freiwillig, gestellt waren, sondern in der Hoffnung, durch eine Sterilisation einer dauerhaften Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt zu entkommen oder vom Amtsarzt dazu gedrängt wurden. [88]
Den Kreis- bzw. Bezirksärzten (ab April 1935 den Amtsärzten in den Gesundheitsämtern) stellte das RMdI den pünktlich zum Inkrafttreten des Gesetzes erschienenen Kommentar zum Gesetz („Gütt/Rüdin/Ruttke”) zur Verfügung [89].
Ab Juli 1935 war auch die „Schwangerschaftsunterbrechung“ im Rahmen der „Unfruchtbarmachung“ gesetzlich geregelt (§ 10a), jedoch nur mit Einwilligung der Schwangeren. Erst im Krieg wurde gegen Zwangsarbeiterinnen mit „unerwünschtem Nachwuchs“ auch Zwang ausgeübt. [90]
Andere als die im Gesetz genannten Krankheiten bzw. Zustände, insbesondere „Asoziale“, „Fremdrassige“ oder generell „Gemeinschaftsfremde“ wurden als mögliche Kandidaten für eine Ausweitung des Gesetzes diskutiert, in einzelnen Regionen auch bereits illegal in die Aktion mit einbezogen [91].
Wer vom ärztlichen Gutachter einer der im Gesetz genannten Kategorien zugeordnet wurde, wurde in der Regel auch sterilisiert, zumeist gegen seinen Willen.
Die ärztlichen „Diagnosen”, die den Entscheidungen zugrunde lagen, beruhten hauptsächlich auf sozialen Werturteilen. Die Hauptgruppe der von Zwangssterilisierung bedrohten Menschen wurde der Kategorie „angeborener Schwachsinn“ zugeordnet und rekrutierte sich mehrheitlich aus der bildungsfernen und finanzschwachen Schicht. [92]
Für Gesundheitsämter und Erbgesundheitsgerichte (EG) stellte hier u. a. die Tatsache, dass jemand eine Hilfsschule besuchte oder besucht hatte, ein wichtiges Indiz für die Annahme der „Erbkrankheit” „angeborener Schwachsinn“ dar. [93]
So sah der Hilfsschullehrerverband neben dem Bildungsauftrag und der Entlastungsfunktion für die Volksschule die „erbhygienische Selektionsfunktion“ im Zusammenhang mit dem GzVeN als Hauptaufgabe an. [94]
Man ging davon aus, „[...] daß das Hilfsschulentlaßniveau als Ausgangspunkt und Grundlage für die Bestimmung der Grenze zwischen Schwachsinn und normaler Beschränktheit dienen könne.[...]” [95]
Der Hilfsschullehrerverband forderte deshalb konsequent den Einsatz von Lehrern als Beisitzer bei den Erbgesundheitsgerichten. [96]
Wie wichtig den Nazis die Informationen zur Erfassung der „Minderwertigen“ und „Asozialen“ aus den Schulen, auch aus den Volksschulen, war, veranschaulicht ein „streng vertrauliches“ Rundschreiben an alle Schuleiter Schwabens:
„NSDAP. Gau. Schwaben
Amt f. Erzieher (NSLB) Augsburg, den 17. Dez. 1936
An alle Schulleitungen Schwabens.
Streng vertraulich!
Die Durchführung der Rechtsmaßnahmen auf dem Gebiete der Gesamtgesundheitsführung unseres Volkes, insbesondere des Ehegesundheitsgesetzes und des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses macht eine möglichst restlose Erfassung des gesamten, unter diese Gesetze fallenden Personenkreises erforderlich, wenn überhaupt der Erfolg gesichert sein soll, den diese Gesetzesmaßnahmen bezwecken sollen. Die Lehrerschaft erscheint für diese Erfassung besonders geeignet, da sie für lange Zeit in innigstem Kontakt mit der Jugend und der Gesamtbevölkerung steht. Ihre Mitwirkung ist uns fast unentbehrlich.
Sie werden daher ersucht unter Zusicherung unbedingter Verschwiegenheit alle erkennbar Erbkranken oder als Erbkrankverdächtigen und Eheuntauglichen in die unten stehende Liste einzutragen und an das zuständige Gesundheitsamt zu senden.
Zu melden sind: Angeborener Schwachsinn auf intellektuellem und moralischem Gebiet, Geistesstörungen, erbliche Fallsucht, Veitstanz, erbliche Blindheit und erbliche Taubheit, schwere erbliche, körperliche Mißbildungen (Hasenscharte, Wolfsrachen, Klumpfuß, Hüftgelenksluxation, Fehlen von Gliedmaßen), schwerer Alkoholismus, chronische, ansteckende Lungen- und Geschlechtskranke und unverbesserliche Asoziale, Dirnen und Verbrecher.
Heil Hitler!
Der Leiter der Abteilung für Der Gausachbearbeiter
Erb- und Rassenpflege am für Rassefragen
Gesundheitsamt
gez. Dr. Pfannmüller gez. Fritz Schön“
Die Schulleiter meldeten sodann eifrig mehr Erwachsene als Kinder an das GA in Neuburg a. d. Donau. [97]
Ähnliches berichtet Vossen über die Vorgehensweise des ÖGD in Wuppertal.
Dort war der ÖGD „nach der Vereinheitlichung des Gesundheitswesens in größerem Umfang nazifiziert [...] als in anderen Großstädten. Durch das Vereinheitlichungsgesetz wurden über das Stadtgebiet verteilt vier ‚Beratungsstellen für Erb- und Rassenpflege‘ eingerichtet, die von acht, im Folgejahr bereits zehn niedergelassenen Ärzten als nebenamtlichen Fürsorgeärzten geleitet wurden, die das örtliche Kreisamt für Volksgesundheit der NSDAP vorgeschlagen hatte. [...] Eine wesentliche Bedeutung für die Ausweitung der Sterilisationspolitik im Bereich des Gesundheitsamtes Wuppertal hatte auch das Wirken der ‚Arbeitsgemeinschaft für Eugenik, Fachschaft V [= für Sonderschulen, J. D.] des ‚Nationalsozialistischen Lehrerbundes‘, die dem Gesundheitsamt Wuppertal durch ihre Recherchen in den Sonder- und Volksschulen eine große Anzahl von Personen- Dossiers zulieferte, die das Gesundheitsamt ohne weitere Ermittlungen in Sterilisationsanträge umsetzte. Die Arbeitsgemeinschaft hatte vor allem ‚das Hilfsschulmaterial planmäßig eugenisch durchgearbeitet‘. Wie die erhaltene Statistik zeigt, stammten von den 6745 Wuppertaler Sterilisationsanzeigen der Jahre 1935 bis 1941, die damit 1,67 % der Bevölkerung betrafen, 1405 von Ärzten des Gesundheitsamtes, 763 von Anstaltsärzten, 262 von niedergelassenen Ärzten, aber der Hauptteil von 4315 Anzeigen von sonstigen Personen, wobei es sich im wesentlichen um die Fachschaft für Sonderschulen des NS-Lehrerbundes und die Dienststellen des Wohlfahrtsamtes, dem auch die Bezirksfamilienfürsorge angeschlossen war, gehandelt haben dürfte. Durch diese Zuarbeit anderer Institutionen, vor allem des Personals der Sonderschulen, konnte im Bereich des Gesundheitsamtes Wuppertal eine dezidiert sozialrassistische Sterilisationspolitik praktiziert werden, die sich u. a. in einer weit überdurchschnittlichen Anzahl von Beschwerden aus dem Bereich dieses Gesundheitsamtes in den Akten der Regierung Düsseldorf manifestiert.” [98]
1.1.1. Die Ärztliche Untersuchung am Gesundheitsamt Für ihre Gutachten zu den Sterilisationsanträgen nahmen die Amtsärzte zwei Formblätter zu Hilfe: Das „amtsärztliche Gutachten“ und den „Intelligenzprüfungsbogen“, die als Anlagen 5 und 5a dem Text des GzVeN in reichseinheitlicher Form beigefügt waren. Das Formblatt „Amtsärztliches Gutachten” erforderte im Teil „I. Angaben über die näheren Familienangehörigen” detaillierte und intime Informationen zu den Eltern und Geschwistern der Betroffenen, insbesondere zu Krankheiten und Zuständen wie sie im § 1 des GzVeN aufgeführt sind. Im Teil „II. Eigene Vorgeschichte des E.” ging es um seinen sozialen Werdegang inkl. Sexualleben und Straffälligkeit sowie die bisher durchgemachten Krankheiten. Teil „III. Befund” setzte sich aus dem körperlichen und psychischen Untersuchungsbefund zusammen. Hier waren insbesondere zur Erstellung des psychopathologischen Befundes dem Untersucher vorformulierte Begrifflichkeiten zu den Rubriken „1. Allgemeines Verhalten, „2. Stimmungs- und Affektlage”, „3. Willenssphäre”, „4. Bewußtseinslage”, „5. Gedankenablauf”, „6. Sexuelle Perversionen” und „7. Anfälle” an die Hand gegeben. Begriffe wie „Hemmung, Sperrung, formale Störungen, Inkohärenz, Steifheit, inhaltliche Störungen, Wahnideen, Zwangsvorstellungen” waren hier als Beispiele vorgegeben. Ob die im Fache Psychiatrie hauptsächlich wohl nicht spezialisierten Amtsärzte mit den fachspezifischen Termini und deren zum Teil schwieriger Abgrenzung zurechtkamen, bleibt fraglich. [99] Wie die begutachtenden Ärzte im Einzelnen vorgingen, soll ein Blick in die Akten aus dem GA Pfaffenhofen veranschaulichen. Einen Eindruck über die fließbandmäßige Vorgehensweise Dr. Fischers in Pfaffenhofen bei der amtsärztlichen Begutachtung der Menschen, denen eine Zwangssterilisation drohte, mag folgender Eintrag im GzVeN-Akt des GA Pfaffenhofen vermitteln: „Zur Untersuchung am 28. Januar 1937 bestellt:” Hier sind die Namen von 17 Personen mit Uhrzeiten im 30-Minuten-Takt aufgeführt. In dieser Zeit wollte Dr. Fischer die eingehende amtsärztliche Begutachtung mit Erhebung der Anamnese, des körperlichen und psychischen Untersuchungsbefundes erledigen. Bei allen Personen, bei denen der Amtsarzt in der Anzeige die Zuordnung zur Kategorie „angeborener Schwachsinn“ vorfand (das waren die meisten), musste er zusätzlich die Prüfung der Intelligenz mittels „Intelligenzprüfungsbogen“ vornehmen. [100] Aus dem amtsärztlichen Gutachten über die 27-jährige Dienstmagd Maria E. vom 08.11.1938: [101] Zu Frage 1: „Sind in der Familie die im Ges. gen. Krankheiten vorgekommen?” äußert der Amtsarzt:” nein, eine Schwester des Vaters soll „nervenschwach” gewesen sein.” Diese unkritische Übernahme von Angaben aus der Familie oder Gerüchten aus dem Umfeld der Betroffenen war typisch, wie auch Hella Birk in ihrer Arbeit belegt. [102] Zu den Schulleistungen ist im amtsärztlichen Gutachten vermerkt:„7 Jahre Volksschule in [...] in der 2. Klasse sitzengeblieben [...]” Zumeist wurde auf Informationen aus den Schulen von Lehrern oder aus den Schulzeugnissen großen Wert gelegt. [103] Zur „Stimmungs- und Affektlage“ heißt es: „etwas stumpf und gleichmütig - gleichgültig erscheinend.” und zur „Bewußtseinslage: Normale Verständigung möglich mit E. Sie ist geistig schwerfällig.“ Zur „Diagnose“ schreibt Dr. Fischer:„Die E.[...] ist zweifellos schwachsinnig, aber es ist fraglich, ob der Grad der Schwachsinnigkeit die Unfruchtbarmachung rechtfertigt. Hat sich seit Jugend selbst durchgebracht. Ich empfehle dringend kurze Beobachtung in psych. Klinik.“ Dr. Fischer hatte hier wohl die seit kurzem geforderte Berücksichtigung der „Lebensbewährung” pflichtbewusst mitberücksichtigt. [104] Ein anschauliches Beispiel für die sozial wertenden Beurteilungen einzelner Amtsärzte ist der Fall der 42-jährigen Walburga R. Hier vermerkte der Eichstätter Amtsarzt in seinem Gutachten vom 24.12.1937: „[...] R.[...] selbst macht den Eindruck einer etwas albernen und nervös-zappeligen alten Jungfer. [...]” [105] Bei der Durchsicht einiger amtsärztlicher Gutachten fiel auf, dass vor allem der körperliche Untersuchungsbefund häufig sehr dürftig (z. T. auch unleserlich) ausgefüllt war und seine Aussagekraft dementsprechend darunter litt. Streng genommen wäre hier besondere Sorgfalt vonnöten gewesen, galt es doch (zumindest in der Theorie), exogene von endogen Ursachen sorgsam zu trennen. Vor allem wenn es um die Kategorie „angeborener Schwachsinn“ ging, sollte eigentlich der Untersucher neben der Prüfung der Intelligenz sein Hauptaugenmerk auf das Auffinden körperlicher Anomalien legen (z. B. Hyperkyphose der Brustwirbelsäule, „Rosenkranz” an den Rippen als Hinweis auf Rachitis; biparietale Narben bei Zustand nach Zangengeburt, Malformation des Kopfes, Narben, Konturunregelmäßigkeiten des Kopfes als Hinweis auf frühere Schädel-Hirn-Traumata, Vergrößerung der Schilddrüse als Hinweis auf eine Hypothyreose, etc.). Auch eine Schwerhörigkeit oder der Verdacht darauf, sollte mittels Überprüfung der Hörschwelle der Flüstersprache aus standardisierter Entfernung geprüft werden (was wohl häufig unterblieb, zumindest fehlen entsprechende Einträge im Formblatt). Denn unerkannte Schwerhörigkeit konnte leicht Schulschwierigkeiten verursachen und daraus vorschnell „angeborener Schwachsinn“ diagnostiziert werden. [106] Vor allem bei Betroffenen, in deren Anzeigen eine Zuordnung zur Kategorie „angeborener Schwachsinn“ erfolgt war, musste der Amtsarzt auch die Intelligenz prüfen. Dazu stand ihm das Formblatt 5a der „Intelligenzprüfungsbogen“ zur Verfügung. Da sich die Standardfragen des Intelligenzprüfungsbogens hauptsächlich an Lerninhalten der Schule orientierten und darüber hinaus einiges an bildungsbürgerlichem Ballast enthielten, hatten die meisten Untersuchten, die in der Regel nur einen Volksschulabschluss oder nicht einmal diesen hatten, kaum eine Chance, der Zuordnung zur Kategorie „angeborener Schwachsinn“ zu entgehen. Die Amtsärzte waren hier mit absoluter Definitionsmacht ausgestattet und damit von vornherein in einer übermächtigen Position. [107] 1.1.2. Die Urteile der Erbgesundheitsgerichtsbarkeit Im Fall der 27-jährigen Dienstmagd Maria E. hatte der begutachtende Amtsarzt Dr. Fischer aus Pfaffenhofen die Tatsache, dass sie sich „[...] seit Jugend selbst durchgebracht [...]” hatte, wohl als positiv im Sinne der „Lebensbewährung” angesehen. Das nützte Maria E. aber nichts, denn das EG München hatte zum Thema „Lebensbewährung” eigene Erkundigungen aus dem Heimatort eingeholt und der hatte noch Informationen zu Maria E.s angeblich „hemmungslosem“ Sexualleben zu bieten - ein Umstand, der vor allem für Frauen im Dritten Reich die gesellschaftliche Disqualifikation bedeutete. [108] Das zuständige EG in München beschloss am 12. April 1939 die „Unfruchtbarmachung“, nachdem es ein fachärztlich-psychiatrisches Gutachten eingeholt hatte. Aus der Urteilsbegründung: „Die Familienanamnese ergibt, daß einer der drei Brüder in der Schule ebenfalls schwer mitgekommen ist. Weitere Fälle von Erbkrankheit sind in der Familie nicht bekannt.[...] In der Schule mußte E[...] einmal sitzenbleiben. Ihre Schulnoten waren fast immer drei und vier. Nach dem Intelligenzprüfungsbogen ist das allgemeine Schul- und Lebenswissen äußerst dürftig. Kritik, Auffassungs- und Urteilsfähigkeit sind nur mäßig herabgesetzt. Da nach dem amtsärztlichen Untersuchungsergebnis sowie durch die persönliche Einvernahme vor Gericht die Diagnose nicht einwandfrei gestellt werden konnte, wurde [...] die fachärztliche Untersuchung und Begutachtung durch Obermedizinalrat a. D. Dr. Ast in München angeordnet. [Gutachten vom 21.03.1939; Ast war ehemaliger Leiter der HuPflA Eglfing-Haar bei München, J. D.] „...Sie zeigte sich kindlich naiv, was bei ihrem Alter ausgesprochen läppisch wirkte, zeigt keinerlei Distanzgefühl, keinerlei konsequente, der Situation angepasste Haltung, wie man sie von einem reifen Menschen erwartet.[...] Zwar findet sich im Sippenbefund keine Belastung, wie sie bei der geschilderten Form des hier vorliegenden Schwachsinns erwartet werden könnte. Aber er spricht auch nicht gegen Schwachsinn [!...] Die von der Heimatgemeinde erholte Auskunft erweist jedoch, daß eine Lebensbewährung nicht vorliegt. Sie wird als geistesschwach, unbeholfen und als eine Person bezeichnet, die als Dienstmagd nicht den vollen Lohn einer normalen Person beanspruchen könne. Ferner überlasse sie sich hemmungslos den Bauernburschen.[!...] Dieses Verhalten in geschlechtlicher Hinsicht vervollständigt das Bild völliger intellektueller und sittlicher Unreife, das wir hier vor uns haben und das keinen Zweifel daran läßt, daß ein krankhaft hoher Grad von Schwachsinn im Sinne des Gesetzes vorliegt.[...]” Maria E. wurde laut ärztlichem Bericht „[...] am 27.5.39 [...] unfruchtbar gemacht [...]”. Bemerkenswert, dass dem urteilenden EG München der Sachverhalt, dass Maria E. und einer ihrer drei Brüder in der Schule „schwer mitgekommen“ sind, genügte, um dies als „Erbkrankheit“ einzuordnen - der „Sippenbefund“ spricht halt „nicht gegen Schwachsinn“. Der ihnen zur Verfügung stehende Ermessensspielraum wurde von den Erbgesundheitsrichtern entsprechend ausgeschöpft. [109] Der folgende Fall einer 24-jährigen Bauernmagd zeigt, dass das EG München aus einem psychiatrischen Gutachten nur das übernahm, was für die bereits vorgefasste Meinung „entscheidungsrelevant” war: [110] Vorgeschichte: Es existiert ein Teil (die letzten beiden Seiten) eines fachärztlichen Gutachtens aus der oberbayerischen Heil- und Pflegeanstalt Gabersee: „Gabersee, den 29. Mai 1934 Direktion der Oberbayer.-Heil- und Pflegeanstalt Gabersee. gez. Dr. Utz An das Erbgesundheitsgericht München, Prinz-Ludwigstr. 9” Dr. Utz kommt in seiner „Beurteilung“ zu folgendem vorsichtigen Schluss, der keineswegs die Verantwortung für alles Weitere übernehmen will: „[...] das oft recht eigenartige, unverständliche Verhalten der Kranken, wie sie es vor allem in der Klinik geboten hat, spricht sehr für Schizophrenie. Was sie dagegen jetzt bietet, läßt mehr an Hysterie denken. Wir können eine sichere Diagnose nicht stellen und auch die Frage nicht entscheiden, ob eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes vorliegt, denn nur Schizophrenie wäre als solche zu werten. Die größere Wahrscheinlichkeit spricht wohl, für eine beginnende Schizophrenie. Ob unter diesen Umständen eine Unfruchtbarmachung in Frage kommt, müssen wir der Entscheidung des Erbgesundheitsgerichts überlassen, die Kranke ist entlassungsfähig, könnte aber nach erfolgter Entscheidung des Erbgerichts nach Hause kommen. Sie ist geschäftsfähig.[...]” Das Erbgesundheitsgericht beim Amtsgericht in München beschloss am 15. Januar 1935 die „Unfruchtbarmachung” aus den Gründen: „[...] Der Bezirksarzt für den Bezirk Pfaffenhofen Dr. Fischer hat am 8./10. XII. 1934 [...] die Unfruchtbarmachung der M.[...]beantragt und die den Antrag begründenden Tatsachen durch ein fachärztliches Gutachten vom 29.V.1934 glaubhaft gemacht [...] Auf Grund des obigen fachärztlichen Gutachtens [...] ist das Gericht der Überzeugung, dass M.[...] an Schizophrenie leidet, also an einer Erbkrankheit nach § 1 Abs. II des Gesetzes [...]” Die vorsichtigen Einwände des begutachtenden Anstaltsarztes Dr. Utz aus Gabersee fanden hier keinerlei Berücksichtigung. Besonders aufschlussreich ist auch der Fall des ledigen Bauernsohnes Josef S., Geburtsjahrgang 1900. Der komplette Vorgang ist im Anhang Nr. 1 bis 8 im Faksimile dokumentiert. Josef S. war wegen einer einzigen psychotischen Episode 16 Jahre zuvor in der Heil- und Pfleganstalt Gabersee gewesen. Am 29. Jan. 1935 fällte das EOG München mit dem Beisitzer und Kommentator des GzVeN Professor Ernst Rüdin den Beschluss, Josef S. unfruchtbar zu machen, nachdem der Vater des Opfers eine Beschwerde gegen das Sterilisationsurteil des EG München vom November 1934 eingereicht hatte. Entscheidend war wohl für die Richter die 16 Jahre zurückliegende einmalige Episode, wobei die Krankengeschichte und die ermittelten Informationen aus dem sozialen Umfeld von Josef S. keinerlei Hinweise auf ein Rezidiv ergaben. Beeindruckend ist außerdem die wissenschaftliche Präzision in den die Erblichkeit der Erkrankung von Josef. S. begründenden Formulierungen, wie „[...] ein Bruder der Mutter geistig nicht ganz richtig war [...]”, die von den beiden dem Gericht beisitzenden Universitätsprofessoren mit ihrer Unterschrift bestätigt wurden. [111] Auf diesem Niveau lief also der „Erblichkeitsnachweis” ab in einem Verfahren, dem der international angesehene Begründer der „Munich School of Psychiatric Genetics”, Ernst Rüdin beisaß! [112] 1.1.3. Das Erbgesundheitsgesetz in Bayern Wohl bedingt durch einen noch umfangreich erhaltenen Archivbestand der damaligen Erbgesundheitsgerichte (EG) sind in den letzten Jahren einige Veröffentlichungen zur Erbgesundheitsgerichtsbarkeit in Bayern erschienen, die sehr gut Aufschluss über die Arbeit der EG geben und teilweise auch Einblicke in die Arbeit der Gesundheitsämter in den untersuchten Zuständigkeitsgebieten gewähren. [113] Hier soll der Blick jedoch hauptsächlich auf die Gesundheitsämter gerichtet bleiben. Zwangsläufig ist dieser eingeengt auf das in den Staatsarchiven noch auffindbare Aktenmaterial. So wurden aus dem damaligen Regierungsbezirk Oberbayern die Akten des GA Pfaffenhofen und in deutlich geringerem Umfang des GA Weilheim herangezogen. Im damaligen Regierungskreis Schwaben und Neuburg wurden die Akten der GÄ Augsburg-Land, Kaufbeuren, Neuburg a. d. Donau und Wertingen und im damaligen Regierungskreis Mittel- und Oberfranken der Aktenbestand des GA Eichstätt herangezogen. Amtsarzt Dr. Ernst Holländer (Jahrgang 1879) vom Staatl. Gesundheitsamt Neuburg a. d. Donau scheint im Vergleich zu seinem um 13 Jahre jüngeren Pfaffenhofener Kollegen Dr. Josef Fischer den Vollzug des GzVeN mit wenig Engagement verfolgt zu haben. So bat er in einem Schreiben im Januar 1936 das Erbgesundheitsgericht Eichstätt „[...] infolge dienstlicher Inanspruchnahme“ [seine] „Teilnahme auf eine Sitzung im Monat zu beschränken“, da es ihm nicht möglich sei „jede Woche an einer Sitzung des Erbgesundheitsgerichtes in Eichstätt teilzunehmen [...]”. [114] Leider sind die Akten des Staatl. Gesundheitsamtes Neuburg a. d. Donau zum GzVeN der Jahre 1934 mit 1937 nicht vollständig erhalten. So kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass Dr. Holländer zunächst den Vollzug des Gesetzes in seinem Wirkungsbereich mit Vehemenz vorantrieb. Die Zahlen von 1938 bis 1944 zeigen jedoch eine auffällige Zurückhaltung, auch wenn man berücksichtigt, dass nach Kriegsbeginn der Vollzug des GzVen im Altreich generell deutlich zurückging. Aus den 28 im Jahre 1938 eingegangenen Anzeigen formulierte Dr. Holländer in diesem Jahr insgesamt nur 3 Anträge (11 %). Eine Person wurde 1938 sterilisiert. Von den 1939 eingegangenen 30 Anzeigen stammte nur eine einzige vom Amtsarzt. Dagegen reichte der Truppenarzt beim Wehrmeldeamt Ingolstadt insgesamt 24 Anzeigen ein. Der Amtsarzt stellte davon insgesamt 10 Anträge (42 %) beim Erbgesundheitsgericht. Ob er den Anzeigen seines Kollegen vom Wehrmeldeamt mehr Plausibilität zubilligte als den Anzeigen der niedergelassenen Kollegen oder ob er sich mit dem Miltärarzt nicht anlegen wollte, bleibt wie so Vieles aus diesem Bereich im Dunkeln. 5 Anträge wurden 1939 vom EG oder vom EOG abgelehnt. 1939 wurde niemand sterilisiert. Auch 1940 kam nur eine von insgesamt 23 Anzeigen vom Amtsarzt selbst. Der Truppenarzt reichte wiederum 11 Anzeigen ein. Vom Gesundheitsamt wurden davon 2 Anträge auf Sterilisation gestellt. Abgelehnte Anträge bzw. sterilisierte Personen sind 1940 nicht verzeichnet. 1941 erfolgten von den insgesamt 19 Anzeigen nur eine durch den Amtsarzt, zwei durch die Gesundheitspflegerin sowie sieben durch den Truppenarzt. Dr. Holländer stellte insgesamt 2 Anträge, 6 Antragsablehnungen gingen in diesem Jahr ein. Das Jahr 1942 fällt etwas aus dieser Statistik heraus. Nun stammen 8 von 20 Anzeigen von Dr. Holländer. 5 Anzeigen gingen wieder vom Truppenarzt ein. Insgesamt stellte der Amtsarzt 1942 5 Anträge, davon waren jedoch 3 Fremdanträge (eine vom Jugendgefängnis im Landkreis, eine vom Nachbargesundheitsamt Donauwörth sowie eine von der HuPflA Kaufbeuren). Die 8 Anzeigen, die Amtsarzt Dr. Holländer selbst vornahm, betrafen 5 × die Kategorie „angeborener Schwachsinn“ sowie 3 × „Schwere körperliche Mißbildung“. Eine Antragsablehnung ging 1942 ein, es wurde keine Person sterilisiert. 1943 stammten 4 der 17 Anzeigen vom Amtsarzt, 5 von der Entlassungsstelle des Heeres und eine vom Heereslazarett, 2 Anträge wurden gestellt, davon war ein Fremdantrag aus dem Jugendgefängnis. Eine Ablehnung bzw. eine Sterilisation sind für dieses Jahr nicht verzeichnet. 1944 stammten 3 Anzeigen der eingegangenen 23 vom Amtsarzt, 9 stellte wiederum der Truppenarzt bzw. die Heeresentlassungsstelle. Dr. Holländer formulierte 2 Anträge, ein Fremdantrag war zuständigkeitshalber weitergeleitet worden. Antragsablehnungen bzw. Berichte über Sterilisationen sind für 1944 nicht verzeichnet. Die letzte und einzige Anzeige im Jahr 1945 ging am 17. April, 3 Wochen vor dem Kriegsende, ein. Antragsablehnungen bzw. Sterilisationen sind für 1945 nicht mehr verzeichnet. Tab. 3 Anzeigen, anzeigende Person und Anträge gemäß GzVeN im Gesundheitsamt Neuburg a. d. Donau 1938 - 1945 [115] ∑ 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 eingegangene Anzeigen 161 28 30 23 19 20 16 23 1 davon durch: Bezirksarzt 18 ? 1 1 1 81 42 3 ? Truppenarzt 62 ? 24 11 73 5 6 9 ? sonstige 51 ? 5 11 114 7 6 11 ? gestellte Anträge 28 3 10 2 2 55 36 37 - 1Davon 5 Anzeigen mit der Kategorie „angeborener Schwachsinn”, 3 lauteten auf „schwere körperliche Mißbildung”. 2Davon: 3 × „angeborener Schwachsinn”, 1 × „schwere körperliche Mißbildung”. 3Alle 7 Anzeigen lauteten auf „angeborener Schwachsinn”. 4Davon 2 Anzeigen durch die Gesundheitspflegerin. 5Davon 3 Fremdanzeigen, die Dr. Holländer in eigene Anzeigen umwandelte (1 × JVA Niederschönenfeld, 1 × GA Donauwörth, 1 × HuPflA Kaufbeuren). 6Davon 1 Fremdantrag durch den Anstaltsarzt der JVA Niederschönenfeld. 7Davon 1 Antrag „zuständigkeitshalber” an GA Donauwörth weitergeleitet. Insgesamt lässt sich festhalten, dass in den Jahren 1938 bis April 1945 in der Summe 161 Anzeigen beim Gesundheitsamt Neuburg an der Donau eingingen, davon stammten 18 Anzeigen vom Bezirksarzt selbst, entsprechen einem Anteil von 11 %. In den gut 7 Jahren stellte der Bezirksarzt insgesamt 23 eigene Anträge an das Erbgesundheitsgericht, entsprechend einem Anteil von 14 % der eingegangenen Anzeigen. Der Löwenanteil (39 %) der Anzeigen stammte vom Truppenarzt in Ingolstadt. Von „Sonstigen Personen” erfolgten 51 Anzeigen; hier sind vermutlich Fürsorgerinnen und Lehrkräfte darunter, dezidiert ausgewiesen sind sie in den Jahresberichten jedoch nicht. Vom EG Eichstätt wurden die Opfer wie allgemein üblich sehr flott abgefertigt: Amtsarzt Dr. Holländer in Neuburg führte genau Buch über seine „Inanspruchnahme als Beisitzer am Erbgesundheitsgericht beim Amtsgericht Eichstätt“. So verhandelte das EG Eichstätt am 14.12.1934 und am 1.2.1935 jeweils 8 Fälle. [116] Die Angaben über durchgeführte Sterilisationen sind dem „Verzeichnis über Unfruchtbarmachungen“ zu entnehmen: Zwischen Juli 1934 und April 1945 wurden 285 Menschen aus dem Bezirksamt Neuburg a. d. Donau durch EG-Beschluss zwangssterilisiert. Davon waren 70 Frauen und 215 Männer betroffen. Das entspricht bei einer Einwohnerzahl von 39 927 im Jahre 1935 einem Anteil von 0,7 % der Wohnbevölkerung und liegt deutlich über dem bisher aus einzelnen Regionen ermittelten Schnitt [117]. Im Neuburger Verzeichnis sind überdies fälschlicherweise 86 Sterilisationen bei Frauen (ohne EG-Beschluss) aufgeführt aufgrund rein gynäkologischer Erkrankungen. [118] Das Gesundheitsamt Weilheim in Oberbayern (42 368 Einw. in 1935) verzeichnet mit Stand Juni 1945 in den Jahren 1934 bis 1944 insgesamt 183 durchgeführte Sterilisationen, entsprechen 0,43 % der Bevölkerung. [119] Im unmittelbar nördlich von Neuburg a. d. Donau gelegenen Bezirk Eichstätt (damals Kreis Mittel- und Oberfranken) wurden in den Jahren 1934 mit 1944 insgesamt 83 Personen sterilisiert. Das entspricht bei einer Einwohnerzahl von 41 620 im Jahre 1939 einem Anteil von 0,2 % der Wohnbevölkerung. [120] Bezirksarzt Dr. Josef Fischer, im unmittelbar südöstlich an Neuburg angrenzenden Bezirk Pfaffenhofen a. d. Ilm im Regierungskreis Oberbayern, scheint im Vergleich zu seinem Neuburger Kollegen wesentlich rigider gewesen zu sein. [121] Leider liegen aus Pfaffenhofen nur Zahlen der Jahre 1934 bis einschließlich 1939 vor. Wenn man zum direkten Vergleich die Jahre 1938 und 1939 heranzieht, kann man feststellen, dass 15 der 31 eingegangenen Anzeigen im Jahr 1938 vom Amtsarzt Dr. Fischer selbst gestellt wurden. 1939 waren es 9 von 23 Anzeigen. Auch die Jahre zuvor sind aufschlussreich, auch wenn sie sich wegen fehlender Vorgänge mit Neuburg nicht direkt vergleichen lassen. So stellte Bezirksarzt Dr. Fischer in Pfaffenhofen 1935 bereits 19 der insgesamt 35 Anzeigen selbst, also mehr als die Hälfte und 1936 immerhin 16 der insgesamt 38 Anzeigen (vgl. Tab. 4). Tab. 4 Die drei häufigsten Diagnosen gem. § 1 GzVeN, Anzeigen, sowie Aufteilung der Anzeigen nach der Person des Anzeigenden, Staatl. Gesundheitsamt Pfaffenhofen [122] Diagnosen 1934 1935 1936 1937 1938 1939 angeborener Schwachsinn 6 7 19 12 16 5 Schizophrenie 24 18 10 - 15 7 erbliche Fallsucht 5 3 6 - - 4 sonstige Diagnosen gem. § 1 2 3 3 2 - 71 Anzeigen durch:Bezirksarzt 22 19 16 ? 15 9 Anstaltsarzt 32 7 3 ? 10 8 sonstige (Niedergelassene Ärzte, Uni-Kliniken, Gesundheitsfürsorgerin, NSV-Schwester) 3 9 193 ? 6 6 1Davon 5 mit der Diagnose „schwere körperliche Mißbildung”. 2Alle beiden Anzeigen des Bezirksarztes wurden als Anträge vom EG München abgelehnt. 2Davon 7 durch Truppenarzt beim Wehrbezirkskommando Ingolstadt. Auch für Pfaffenhofen lässt sich zeigen, dass nach Inkrafttreten des GzVeN zunächst hauptsächlich die Insassen der Heil- und Pflegeanstalten sterilisiert wurden. Dies entspricht auch dem Vorgehen in anderen Landkreisen (so bestätigt sich dies auch bei Vossens Befunden für Westfalen). Diese Welle ebbte in den darauf folgenden Jahren deutlich ab. Die Anstaltsärzte der für Pfaffenhofen zuständigen Heil- und Pflegeanstalt Gabersee (damals Bezirksamt Wasserburg am Inn, heute Landkreis Rosenheim in Oberbayern) brachten demnach 1934 32 der insgesamt 37 registrierten Fälle zur Anzeige. 24-mal erscheint hier die Diagnose „Schizophrenie“. Später, als die Anzeigen des Bezirksarztes überwiegen, häuft sich die Diagnose „angeborener Schwachsinn“. Tab. 5 Abgelehnte Anträge und Sterilisationen gem. GzVeN der Jahre 1934 - 1939, Staatl. Gesundheitsamt Pfaffenhofen [123] 1934 1935 1936 1937 1938 1939 Vom EG oder EOG abgelehnte Anträge1 4 7 5 - 6 4 Ausgeführte Sterilisationen 10 22 30 5 13 4 1Die von den Gerichten abgelehnten Anträge betrafen bis auf 2 Fälle Anzeigen, die der Bezirksarzt oder niedergelassene Ärzte gestellt hatten. Leider liegen aus Pfaffenhofen keine Statistiken zu den gestellten Anträgen vor, sondern nur die der Anzeigen, sodass sich eine Ablehnungsquote der eingereichten Anträge nicht erschließt. Zum bisher aufgeführten Zahlenmaterial lassen sich Vergleiche mit drei damaligen Gesundheitsämtern aus dem damaligen Regierungsbezirk Schwaben und Neuburg ziehen. Das Staatl. Gesundheitsamt Wertingen (jetzt zum Landkreis Dillingen a. d. Donau gehörend) leitete damals Dr. Hans Stuhlberger. [124] Den im Staatsarchiv Augsburg verwahrten Sippenakten des Gesundheitsamtes Wertingen sind insgesamt 148 Anträge auf „Unfruchtbarmachung“ aus den Jahren 1935 bis einschließlich 1939 zu entnehmen. Insgesamt 28-mal (knapp ein Fünftel!) lehnten die Erbgesundheitsgerichte die Anträge des Staatl. Gesundheitsamtes Wertingen ab. In einigen Verfahren legten die Betroffenen bzw. ihre gesetzlichen Vertreter Beschwerde ein. Die Beschwerde wurde meist zurückgewiesen, hatte aber immerhin in 5 Fällen Erfolg. Das EOG in München hob vier Sterilisationsbeschlüsse des EG Augsburg und einen Sterilisationsbeschluss des EG Günzburg auf. [125] Das Staatl. Gesundheitsamt Kaufbeuren im gleichnamigen ehemaligen Bezirksamt Kaufbeuren mit 34 253 Einwohnern (davon 9630 Einwohner der kreisfreien Stadt Kaufbeuren, Stand: 1935) lässt sich mit Wertingen, das damals 22 190 Einwohner zählte, recht gut vergleichen. Das Kaufbeurer Gesundheitsamt leitete von 1935 bis 1938 Dr. Friedrich Hofmann, 1938 und 1939 Dr. Hans Göring und von 1939 bis 1954 Dr. Rudolf Riedel. Obwohl das Amt zwischen 1935 und 1945 dreimal einen Leiterwechsel erfuhr, scheinen die Stelleninhaber zumindest der „Erb- und Rassenpflege“ wohl recht zugeneigt gewesen zu sein. [126] Von den aus dem Staatl. Gesundheitsamt Kaufbeuren im Staatsarchiv Augsburg vorhandenen 909 Sippenakten beziehen sich 194 (rund 21 %) auf den Vollzug des GzVeN. Die Amtsärzte stellten in 153 von 190 eingegangenen Anzeigen den Antrag auf Unfruchtbarmachung, das entspricht gut 80 % der Anzeigen! Die für die entsprechenden Entscheidungen zuständigen EG in Augsburg, Günzburg und Kempten wiesen in nur 5 Fällen die Anträge ab, darunter waren nur 2 Anträge der Amtsärzte in Kaufbeuren. [127] Für die Einzugsbereiche der EG Kempten und Günzburg gelang Hella Birk eine genau Aufstellung der Antragsquoten beamteter Ärzte. [128] Für die sechs dokumentierten Jahre zwischen 1934 und 1939 ermittelte sie in den Zuständigkeitsgebieten der EG Kempten und Günzburg (Günzburgs Zahlen in Klammern) eine durchschnittliche Antragsquote der beamteten Ärzte von 62,3 (71,9) % gegenüber 32,3 (25,5) % den Anträgen der Anstaltsleiter. Birk errechnete so für das Jahr 1934 im Bereich des EG Kempten eine bevölkerungsbezogene Antragsquote von 1,6 und für das EG Günzburg 1,06 Anträge pro 1000 Einwohner. [129] Birk gelang es außerdem, Anhaltspunkte zum unterschiedlichen „Sterilisationseifer” der einzelnen Amtsärzte im Bereich der EG Kempten und Günzburg herauszuarbeiten. Sie betont, die exakten Ursachen entzögen sich dem historischen Zugang, vermutet aber, unter der Prämisse gleichbleibenden Druckes der vorgesetzten Instanzen ebenso wie die meisten Autoren einschlägiger Publikationen, dass die politisch-ideologische Einstellung der einzelnen Amtsärzte ausschlaggebend war. So stellten die Amtsärzte in Kempten und Lindau zwischen 1934 und 1939 im Schnitt in 36,3 resp. 30,5 % der Fälle die Anträge, wohingegen in Günzburg und Mindelheim dies nur in 4,0 resp. 3,4 % der Fall war. Auch in Memmingen (27,6 %) und Illertissen (22,2 %) waren eifrige Amtsärzte am Werk. [130] Aus den Akten des ehemaligen Staatl. Gesundheitsamtes Augsburg-Land (44 240 Einwohner in 1935) liegen die Jahresberichte für die Jahre 1935 bis 1937 sowie 1939 bis 1941 vor. Daraus lässt sich zumindest ersehen, dass die Amtsärzte im Jahr 1936 65 % der neu eingegangenen Anzeigen stellten und 1939 immerhin 55 %. Das Jahr 1937 mit 75 Anzeigen der „sonstigen anzeigepflichtigen Personen“ fällt hier heraus. Der Grund für dieses hohe Anzeigenaufkommen liegt vermutlich in der eifrigen Umsetzung des bereits zitierten Schreibens des „NSDAP.Gau.Schwaben“ vom 17.12.1936 an alle Schulleiter Schwabens, „alle Erbkranken oder als Erbkrankverdächtigen“, die den Lehrkräften in ihrer schulischen Tätigkeit auffallen, ans zuständige Gesundheitsamt zu melden. Johannes Vossen belegt ebensolche Lehreraktivitäten für Wuppertal (s. Anmerkung 98). Insgesamt wurden in den 6 Jahren 1935 bis 1937 und 1939 bis 1941 412 Anzeigen beim Gesundheitsamt eingereicht. Im selben Zeitraum wurden 159 Anträge auf Unfruchtbarmachung gestellt, die fast ausschließlich von Amtsärzten stammten. Das entspricht einer Anzeigenquote von 38 % (vgl. Kaufbeuren mit 80 %). 107 Sterilisationen sind für diesen Zeitraum zu verzeichnen, das sind 26 % der im selben Zeitraum eingelaufenen Anzeigen und 67 % der im selben Zeitraum gestellten Anträge. Hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Amtsärzte im Gesundheitsamt Augsburg-Land von Jahr zu Jahr mehr „noch nicht abschließend bearbeitete Anzeigen“ vor sich herschoben. So waren es 1936 noch 11 nicht fertig bearbeitete Anzeigen, 1939 bereits 161 und 1941 237 nicht bearbeitete Anzeigen. Zumindest für das Jahr 1935 lässt sich festhalten, dass die 33 verzeichneten Sterilisationen im Wesentlichen auf Anträge aus dem Jahr 1934 beruhen, aus dem leider kein Jahresbericht vorliegt. [131] (s. Tab. 6) Tab. 6 Anzeigen und anzeigende Person, Anträge und Sterilisationen, Gesundheitsamt Augsburg-Land [131] Anzeigen gestellt durch: 1935 1936 1937 1939 1940 1941 Bezirksarzt 1 51 52 31 ? ? nicht beamteter Arzt 5 6 10 16 ? ? Anstaltsarzt 13 13 5 7 ? ? sonstige anzeigepflichtige Personen - 9 75 2 ? ? ∑ Anzeigen:412 19 79 142 56 61 55 ∑ Anträge:159 34 49 54 11 4 7 ∑ Sterilisationen: 107 33 28 27 13 1 5 Tab. 7 Die drei häufigsten Diagnosen gem. § 1 GzVeN, Gesundheitsamt Augsburg-Land [132] 1935 1936 1937 1939 1940 1941 Schwachsinn 12 31 33 3 2 4 Schizophrenie 12 8 11 1 2 2 erbl. Fallsucht 6 6 6 3 - 1 sonstige gem. § 1 4 4 4 4 - - ∑ 34 49 54 11 4 7 Im Folgenden werden die Zwangssterilisationen in der Zeit von 1934 bis 1945 bezogen auf die Gesamtbevölkerung der damaligen drei bayerischen Bezirke dargestellt, deren Daten am Vollständigsten überliefert sind. Die extrem hohe Sterilisationsquote aus Neuburg im Vergleich zum unmittelbar nördlich benachbarten Eichstätt lässt sich nicht eindeutig klären. Da für Neuburg eine Auflistung der beim Gesundheitsamt eingegangenen Anzeigen und der daraus gestellten Anträge erst ab 1938 nachweisbar ist, liegen die vier Jahre 1934 mit 1937 diesbezüglich im Dunkeln. Auffallend ist für Neuburg der hohe Anteil der ab 1938 verzeichneten Anzeigen durch den Truppenarzt beim Wehrbereichskommando Ingolstadt, so dass die Vermutung naheliegt, dies könnte bereits in den vier Jahren vor 1938 der Fall gewesen sein, zumal in Neuburg 174 Männer und nur 47 Frauen aufgrund der „Diagnose angeborener Schwachsinn” sterlisiert wurden. Die 285 Fälle (215 Männer, 70 Frauen) wurden jedenfalls aus dem für Neuburg komplett erhaltenen „Verzeichnis der Unfruchtbarmachungen”, in dem jede betroffene Person namentlich und mit Diagnose aufgeführt ist, entnommen. (s. Tab. 8) Tab. 8 Vergleich der bevölkerungsbezogenen Zwangssterilisationsquoten in drei damaligen bayerischen Bezirksämtern Bezirksamt Neuburg1 Eichstätt2 Weilheim3 Bevölkerungsanteil [%] 0,71 0,20 0,43 ∑ Zwangssterilisationen [n] 285 83 183 1Neuburg, 1934 - 1945, Einwohner: 39.927 (1935), Reg.-Bez. Schwaben und Neuburg 2Eichstätt, 1934 - 1944, Einwohner: 41.620 (1939), Reg.-Bez. Mittel- und Oberfranken 3Weilheim, 1934 - 1944, Einwohner: 42.368 (1935), Reg.-Bez. Oberbayern [133] Im Vergleich zu Oberbayern und Schwaben wurden in den Zuständigkeitsbereichen der EG Bayreuth und Erlangen (die Erlanger Zahlen folgen den Bayreuther in Klammern) zwischen 1933 und 1944 45,7 % (46 %) der gemäß GzVeN gestellten Anträge mit der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ gegenüber 34,8 % (28 %) „Schizophrenie“ begründet. Antragsteller waren in der Region Bayreuth in 50,1 % der Fälle Amtsärzte und 23,7 % Anstaltsärzte. [134] Für Ostbayern dokumentiert Heitzer aus dem Zuständigkeitsgebiet des EG Passau folgendes Zahlenmaterial: In einer nach Jahrgängen und Geschlecht geschichteten 10-prozentigen Stichprobe der 739 vom EG Passau archivierten Erbgesundheitsakten wurden in 85,3 % der gesichteten Fälle die Anträge von den Amtsärzten, in 2,7 % dem Anstaltsleiter der Heil- und Pflegeanstalt, in 4 % vom Anstaltsleiter eines Gefängnisses/Zuchthauses und in 4 % vom gesetzlichen Vertreter/Pfleger der Betroffenen gestellt. In 4 % der Fälle stellten „Erbkranke” den Antrag selbst. Die drei wichtigsten antragsbegründenden Diagnosen verteilen sich auf 58,7 % „angeborener Schwachsinn, 12 % „Schizophrenie” und 16 % „erbliche Fallsucht”. [135] 1.1.4. Das Erbgesundheitsgesetz in anderen Regionen des Reiches Die Durchführung des GzVeN erfolgte auch in anderen Regionen des Reiches mit recht unterschiedlicher Intensität. In Württemberg waren in den Jahren 1935 bis 1941 die Antragssteller in 78 % der Fälle Amtsärzte und in 18 % Anstaltsärzte. In Schleswig-Holstein lag in den Jahren 1937 bis 1940 die Zuordnung zu den beiden Hauptkategorien im GzVeN in den Anträgen bei durchschnittlich 68 % für „angeborenen Schwachsinn“ und bei 16 % für „Schizophrenie“. [136] Für den Zuständigkeitsbereich des kommunalen Gesundheitsamtes der Stadt Hannover veröffentlichte Rüdiger Fleiter erst kürzlich einen Überblick zu den Aktivitäten des städt. Gesundheitsamtes im Vollzug des GzVeN: Vor in Kraft treten des GVG reichten die hannoveraner Kreisärzte 1934 bereits 1002 Anträge bei den EG ein. In den Jahren 1935 bis 1945 stellten die Amtsärzte 2132 Sterilisationsanträge, von denen 1394 (66 %) mit der Zuordnung zur Kategorie „angeborener Schwachsinn” begründet wurden. Fleiter errechnet daraus eine einwohnerbezogene Antragsquote von 0,45 %. [137] Laut Vossen wurden im Bereich des EOG Braunschweig im Jahr 1934 mit 0,88 auf 1000 Einwohner die wenigsten Sterilisationsanträge gestellt, im Bereich des EOG Karlsruhe dagegen 2,56 Anträge pro 1000 Einwohner und in Hamburg 2,22 Anträge pro 1000 Einwohner. Bei Vossen findet sich auch ein Vergleich des Vollzuges zwischen den Regierungsbezirken Minden, Düsseldorf, Osnabrück und Magdeburg mit der Vorgehensweise im „Mustergau“ Thüringen. Aus dem bei Vossen vorgefundenen umfangreichen Zahlenmaterial sind hier die wichtigsten Zahlen zu Anzeigen und Anträgen der Jahre 1935 bis 1941 der westfälischen Regierungsbezirke Minden, Düsseldorf und Osnabrück den Zahlen aus dem „Mustergau“ Thüringen gegenübergestellt (s. Tab. 9). Tab. 9 Vergleich der Anzeigen und Anträge gemäß GzVeN in einzelnen Regionen (Zahlen aus: Johannes Vossen, Gesundheitsämter im Nationalsozialismus) Reg.-bezirk Minden1 Düsseldorf2 Osnabrück3 Thüringen4 n % n % n % n % Anzeigen 15 175 1,675 40 472 0,97 3 480 0,715 40 804 2,45 Anträge 6 881 0,765 16 517 0,40 1 704 0,355 16 017 1,28 Einwohner 910 000 4 150 000 488 935 1 659 510 1S. Vossen, S. 319, Tab. 6. 2S. Vossen, S. 423, Tab. 10. 3S. Vossen, S. 433, Tab. 13. 4S. Vossen, S. 448, Tab. 14. 5Diese Zahlen wurden anhand Vossens Tabellen vom Verfasser errechnet. Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Gesamteinwohnerzahl im jeweiligen Regierungsbezirk. Für den Regierungsbezirk Minden unterscheidet Vossen bezüglich der Anträge, ob diese von beamteten Ärzten oder von Anstaltsärzten gestellt wurden. Hier kommt er bei den beamteten Ärzten auf einen Mittelwert von 0,29 % bezogen auf die Einwohnerzahl, wobei die Extremwerte zwischen 0,12 % und 0,87 % schwanken. [138] Im Vergleich dazu waren die Amtsärzte in Thüringen mit einer durchschnittlichen Antragsquote von 0,87 % bezogen auf die Gesamteinwohnerzahl wesentlich rigider. [139] Für den Regierungsbezirk Düsseldorf konnte Vossen die Sterilisationsanträge sogar nach den drei vom Gesetzgeber zugelassenen Typen von Gesundheitsämtern unterscheiden. Hier liegt die durchschnittliche Antragsquote der vollkommunalen Gesundheitsämter (mit kommunalem Amtsarzt) bei 0,35 %, bei den kommunalen Gesundheitsämtern (mit staatlichem Amtsarzt) bei 0,42 % und bei den staatl. Gesundheitsämtern bei 0,49 %. [140] Vossen weist aber darauf hin, die deutlich höhere Antragsquote der staatlichen Gesundheitsämter komme durch den Ausreißer des Gesundheitsamtes Neuss zustande. Hier sei eine einwohnerbezogene Antragsquote von 0,74 % zu verzeichnen. Dabei handele es sich um „ein statistisches Artefakt”, weil sich hinter dieser Zahl eingereichte Sterilisationsanträge mehrerer katholischer Anstalten verbergen würden, die „aus religiösen Gründen von einer Antragstellung absahen und diese Aufgabe dem Amtsarzt überließen”. [141] Dazu ist anzumerken, dass sich der dortige staatliche Amtsarzt offensichtlich auf den „Handel” einließ und aufgrund der von den katholischen Anstalten eingereichten Unterlagen entsprechen zahlreiche eigene Anträge stellte. Die besonders hohen Zahlen für den „Mustergau” Thüringen lassen sich folgendermaßen erklären: Der spätere Reichsinnenminister Wilhelm Frick hatte bereits in der Zeit von 1930 bis 1931, als die NSDAP an einer bürgerlichen Koalition beteiligt war, die Position des Innen- und Volksbildungsministers im Land Thüringen inne. Für sein Ressort hatte Frick bereits damals versucht, genuin nationalsozialistische Politik zu verwirklichen. So nahm er hier die „Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ mit der Eingliederung der Kreisärzte in die Kreisämter bereits vorweg. Die in 10 Stadtkreisen noch bestehenden kommunalen Gesundheitsämter mit eigenem hauptamtlichen Personal wurden ausnahmslos verstaatlicht, so dass in Thüringen 24 staatliche Gesundheitsämter entstanden. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Reich wurde Thüringen als „Mustergau“ weiter ausgebaut. So wurde bereits 1933 das „Thüringische Landesamt für Rassewesen“ unter Leitung des Altnationalsozialisten Karl Astel aus München eingerichtet. Außerdem wurde Astel in Personalunion Staatskommissar für das Gesundheitswesen und damit Leiter der Gesundheitsabteilung im thüringischen Innenministerium und Beauftragter des Reichsärzteführers für die ärztlichen Spitzenverbände in Thüringen. [142] Die Gesundheitsämter unterlagen deshalb einer besonders scharfen Kontrolle durch ihre vorgesetzte Dienststelle. [143] Dazu kann Vossen für Thüringen im Vergleich zu Westfalen einen wesentlich höheren Durchsetzungsgrad der Medizinalbeamtenschaft mit NSDAP-Mitgliedern belegen. [144] Vor allem in den Heil- und Pflegeanstalten fanden nach Inkrafttreten des GzVeN zum 01.01.1934 bis Ende 1935 massenhaft Sterilisationen statt. Dazu wurden sogar OP-Abteilungen in den Anstalten eingerichtet. So wurden in diesem Zeitraum in den provinzialen Heil- und Pflegeanstalten Westfalens über 1200 Sterilisationen vorgenommen. [145] Im Regierungsbezirk Minden gingen bei den Kreisärzten bzw. ab 1. April 1935 bei den Gesundheitsämtern bis 1941 insgesamt 15 175 Anzeigen ein (davon ein Drittel bereits im ersten Jahr!). Mehr als die Hälfte davon stammte aus den Heil- und Pflegeanstalten des Regierungsbezirks, ein Fünftel waren eigene Anzeigen der Kreis- bzw. Amtsärzte, ein gutes Sechstel fiel auf Anzeigen nichtbeamteter (niedergelassener) Ärzte, ein Zehntel auf sonstige Personen, wie Fürsorgerinnen und Wohlfahrtspflegerinnen oder Lehrer. Etwa die Hälfte der angezeigten Personen wurde sterilisiert. [146] In den bayerischen Heil- und Pflegeanstalten wurden demgegenüber bis 1944 etwa 7300 Insassen sterilisiert. [147] Nitschke dokumentiert für Bremen in den Jahren 1934 bis 1944 insgesamt 2665 EG-Verfahren. Die Anträge wurden in 58,2 % der Fälle von den Amtsärzten und in 36,5 % der Fälle von den Heil- und Pflegeanstalten gestellt. Die durchschnittliche Ablehnungsquote bei den Anträgen lag bei 16,5 %. Von den EG-Verfahren seien „[...]Knapp die Hälfte [...]mit der Diagnose angeborener Schwachsinn und rund ein Drittel wegen Schizophrenie eingeleitet[...]” worden. Nitschke schätzt die Gesamtzahl der im Lande Bremen zwischen 1934 und 1944 sterilisierten Menschen auf 2000, diese Schätzungen berücksichtigen 438 vom EG abgelehnte Anträge in den insgesamt 2665 ermittelten EG-Verfahren, unter denen auch eine unbekannte Zahl von Wiederaufnahmeverfahren gewesen seien. Nitschke errechnete daraus eine Sterilisationsquote von etwa 0,5 %, bezogen auf die Gesamtbevölkerung Bremens. Diese Quote deckt sich mit der von Gisela Bock ermittelten. [148] Braß dokumentiert im Saarland 1426 Anträge für die Jahre 1935, 1936 und 1938, 386 davon (27,06 %) stellten Anstaltsleiter. 43,4 % der Diagnosen fielen auf die Kategorie „angeborener Schwachsinn”, 23,4 % auf „Schizophrenie”, 17,17 % auf „erbliche Fallsucht”. Die Relation der Anträge zur Einwohnerzahl lag durchschnittlich bei 0,13 % und schwankte zwischen 0,04 % in Saarlautern und 0,23 % in St. Wendel. [149] Für den Reichsgau „Oberdonau” (entsprach größtenteils dem heutigen Oberösterreich, hier trat das GVG nach dem „Anschluss” Österreichs im März 1938 zum 01.12.1938 und das GzVeN zum 01.01.1940 in Kraft) ermittelte Goldberger folgende Zahlen: Im Gesundheitsamt Grieskirchen stammten 450 von den etwa 500 erhaltenen Sterilisationsanzeigen vom Truppenarzt des Wehrbezirkskommandos Ried. Unter den restlichen knapp 50 Anzeigen stammten 21 Anzeigen von Gemeindeärzten aus der Region, 13 von der Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart, 3 vom Amtsarzt des GA Schärding, 2 aus der chirurg. Uni-Klinik Wien und je 1 aus verschiedenen Gemeindeverwaltungen und dem Amt für Volksgesundheit bei der Kreisleitung in Wels. Bis Oktober 1941 wurden davon insgesamt 462 Anträge formuliert. Spitzenreiter mit 114 Anträgen war das GA in Schärding, während die GÄ in Steyr nur 21 bzw. in Ried 18, Krumau und Perg nur 4 und Braunau gar nur 2 bzw. Grieskirchen nur 1 Antrag in diesem Zeitraum lieferten. Goldberger berichtet über entsprechende Rügen aus der Gauleitung der NSDAP an die in der „Erb- und Rassenpflege“ so passiven Amtsärzte. [150] Zu den Diagnosen der Anträge kann Goldberger aufgrund der lückenhaften Quellenlage nur ungefähre Angaben machen: Das GA der Stadt Linz stellte in etwas mehr als der Hälfte und das GA Linz-Land in drei Viertel der Anträge die Diagnose „angeborener Schwachsinn”. Für ganz Oberdonau schätzt Goldberger, dass 60 bis 80 % der antragsbegründenden Diagnosen auf „angeborener Schwachsinn” lauteten. [151] Insgesamt lässt der Überblick eine regional zum Teil recht unterschiedliche Umsetzung des GzVeN erkennen. Meist schwanken die Zahlen bereits zwischen einander benachbarten Gesundheitsämtern, was auf unterschiedlichen „Sterilisationseifer” (Bock) schließen lässt. Die Einschätzung des Sicherheitsdienstes der SS (SD) im 1. Vierteljahresbericht 1939 „[...] Ein großer Teil der Amtsärzte steht den Fragen der Erb- und Rassenpflege uninteressiert gegenüber. [...]” ist nach dem bisher bekannt gewordenen Dokumentenmaterial eine Verallgemeinerung und bildet die damalige Realität sicherlich nur unzureichend ab. [152] 1.1.5. Radikalisierung im Vollzug des Erbgesundheitsgesetzes Im Vollzug des Sterilisationsgesetzes gab es nicht nur organisatorische Probleme, sondern vor allem auch Probleme inhaltlicher Art. Insbesondere die beiden im Gesetz an erster Stelle genannten Kategorien „angeborener Schwachsinn“ und „Schizophrenie“ waren vom Gesetzgeber bewusst als umfassende und unscharfe Sammelbegriffe für eine Vielzahl von Erscheinungsformen gewählt worden. In der entsprechenden Fachliteratur wurde z. B. auf den Erblichkeitsnachweis bei „angeborenem Schwachsinn“ verzichtet. Auch bezüglich der Kategorie „Schizophrenie“ gab es erhebliche diagnostische Probleme bzw. Schwierigkeiten mit der damaligen Nomenklatur. Nicht nur in der Zuordnung zur Kategorie „angeborener Schwachsinn“, sondern auch in der Stellung der Diagnose „Schizophrenie“ trafen die ärztlichen Gutachter ihre Einschätzung oft genug aufgrund ihrer eigenen sozialen Wertvorstellungen. Diese ließen sie beim betroffenen Menschen eine vermeintliche Abweichung vom „Normalen“ erkennen und bedingten somit eine Anzeige gegenüber dem Erbgesundheitsgericht. Vielen Psychiatern (und nicht nur diesen!) war durchaus bewusst, dass der Intelligenztest nahezu wertlos war. Im Fachorgan „Der Öffentliche Gesundheitsdienst“ wurde 1936 eine Studie veröffentlicht über „normale“ und „zurückgebliebene“ Schulkinder im Samland bei Königsberg. Hier wurde offenbar, dass beide Gruppen in etwa dieselbe Unkenntnis über Bismarck bzw. den Entdecker Amerikas hatten. In der Beantwortung der Fragen aus dem „Intelligenprüfungsbogen“ zu „2. Schulwissen.”, insbesondere den Multiplikations- und Divisionsaufgaben, sah es nicht anders aus. [153] Der Psychiater Karl Bonhoeffer, der trotz gewisser Distanz zum Vollzug des GzVeN eine umstrittene Rolle in der Zwangssterilisationspolitik der Nationalsozialisten spielte, äußerte dazu 1949 in einem „Rückblick auf die Auswirkungen und die Handhabung des nationalsozialistischen Sterilisationsgesetzes”: Es hätten sich erst im Vollzug des Gesetzes „[...] bei einer verschärften diagnostischen Analyse sehr viel häufiger als früher Zweifel an der Sicherheit des Schizophreniebegriffs [...]” ergeben, und „[...] die wachsende Erkenntnis der mannigfachen Unsicherheiten, die auf klinisch-diagnostischem und erbbiologischem Gebiete noch bestehen, führte die Gerichte mehr und mehr dazu, abzulehnen, was irgendwie zu Zweifeln an der Erblichkeit Anlaß gab [...]”. [154] Hier wird deutlich, dass es sich vor allem in der Anwendung dieser beiden unscharfen Kategorien um einen politischen Großversuch handelte, der erst im Sammeln von Erfahrungen eine Präzisierung der entsprechenden Begrifflichkeit erbringen sollte. Es gilt jedoch festzuhalten, dass es zwar einerseits Bemühungen vor allem aus dem Bereich der Psychiatrie gab, nach den damaligen Vorstellungen der Wissenschaftlichkeit eindeutigere Diagnosekriterien zu erarbeiten, andererseits jedoch mittlerweile durch die entsprechende Literatur eindrucksvoll belegt werden kann, dass hier Kategorien geschaffen wurden, die von vornherein darauf angelegt waren, sie politisch missbrauchen zu können. Eine kontroverse Diskussion mit durchaus heftigem Schlagabtausch wurde vor allem in juristischen Kreisen um die Auslegung des Wörtchens „kann” in der Formulierung des § 1 im GzVeN „Wer erbkrank ist kann [...] unfruchtbar gemacht werden.[...]” geführt. [155] Die fachliche Diskussion, die in den entsprechenden Zeitschriften und Publikationen der damaligen Zeit geführt wurde, entging den ärztlichen Standesvertretern im NSDÄB und den Gesundheitspolitikern in der NSDAP nicht. So sah sich Ministerialdirigent Gütt im RMdI bereits 1934 vehementen Angriffen des stellvertretenden Reichsärzteführers Friedrich Barthels ausgesetzt, der auf die „uneinheitliche Ausfüllung“ des Intelligenzprüfungsbogens hinwies. [156] Eine vernichtende Kritik an der durch den Instanzenzug des RMdI organisierten Sterilisationspolitik äußerte der damalige Reichsärzteführer Gerhard Wagner in einer Denkschrift, die er im Mai 1937 Adolf Hitler überreichte. Darin kritisierte er u. a. den Gesetzeskommentar von Gütt, Rüdin und Ruttke aus dem Jahre 1934. Am grundsätzlich den Gesundheitsämtern und den neuen Sondergerichten vorbehaltenen Verfahren ließ Wagner kein gutes Haar und geißelte die Inkompetenz der Juristen und Amtsärzte in politischen Fragen der Zukunft: [Unterstreichungen im Original] „[...] weil es vorläufig in den vielen deutschen Erbgesundheitsgerichten unmöglich genügend Persönlichkeiten geben kann, die befähigt wären, selbständig die politischen Notwendigkeiten des Volkes für heute und die fernere Zukunft zu entscheiden. Nachdem in den Erbgesundheitsgerichten über 450 Amtsärzte und Aerzte sitzen, die nicht Parteigenossen sind, kann deren „freiem richterlichen Ermessen” ein Entscheid über ausschliesslich völkisch und nationalsozialistisch zu sehende Zukunftsfragen nicht überlassen bleiben.[...]” [157] Zudem weite der Kommentar „[...] das Gesetz in unverantwortlicher Weise aus. [...]”. Außerdem fasse er „[...] den Begriff „angeboren” ausserordentlich weit. [...] Er lässt eine äussere Ursache für das Entstehen des Schwachsinns nur dort gelten, wo diese äussere Ursache mit Sicherheit erwiesen ist. [...] 2.) Auch heute noch wird die Diagnose Schwachsinn in erster Linie auf den Ausfall der Intelligenzprüfung (nach dem Intelligenzprüfbogen) gestellt, dem der Kommentar ebenso wie den anderen groteskschematischen Prüfungsmethoden besonderen Wert beimisst.[...] 3.) Vielfach werden die angeblich Schwachsinnigen von den Gerichten nicht gehört, sodass der dürftig ausgefüllte Intelligenzprüfungsbogen das einzige „Beweismaterial” für den Schwachsinn darstellt. [...] [158] Es habe sich deshalb „[...] im Volk vielfach eine zeitweise geradezu psychotische Furcht vor dem in das Getriebe des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zu geraten [...]” entwickelt. [159] Darum gehe es auch nicht an, „[...] gewissermaßen dem als „erbkrank” „Angeschuldigten” die Beweislast dafür, daß die Ursache in Umweltfaktoren und nicht in der Erbanlage zu suchen ist, zuzuschieben [...]”. [160] Zusammenfassend verdeutlichte Wagner, was die Wissenschaft seiner Meinung nach zu berücksichtigen habe: „[...] Die Prinzipien der Rassenpflege dürfen nicht Dogma werden, an das sich eine zwangsläufige bürokratisierende Verwaltungsmaschine der Einfachheit halber klammert, sondern sie müssen subjektives Werten bleiben. Sie müssen ferner aufbauen auf den Ergebnissen, nicht auf Vermutungen oder Wahrscheinlichkeiten wissenschaftlicher Forschung. Das Grundsätzliche unseres Glaubensbekenntnisses auf biologischem und insbesondere rassenpflegerischen Gebiet darf nicht von verwaltungsmedizinischen Schwärmern und kurzsichtigen Erbgesundheitsfanatikern zum Tummelplatz unpolitischer und damit wirklichkeits- und letztlich volksfremder Wissenschaft, die weltanschaulich noch im Vergangenem steckt, werden, sondern die Wissenschaft muss Dienerin unseres politischen Glaubens und Willens bleiben .[...]” [161] Deutlich wird in dieser fundamentalen Kritik Wagners an dem durch den öffentlichen Gesundheitsdienst und den Erbgesundheitsgerichten geprägten Verfahren einerseits die harsche Wissenschaftskritik, eine Distanz, die sich bei ideologischen Protagonisten des Nationalsozialismus wie Alfred Rosenberg und allen voran Adolf Hitler ausprägte, andererseits ist sie genährt aus der Beobachtung, dass die Rassenhygieneszene der damaligen Zeit keineswegs einheitlich war und vor allen Dingen zum Teil Vertreter hatte, die sich dem Nationalsozialismus nur zögerlich annäherten wie z. B. Fischer und Lenz und deshalb von den Naziideologen als „laue“ Parteigänger bezeichnet wurden. Für Wagner war dies jedoch nur ein Vorwand, um einen Generalangriff gegen die staatlich organisierte „Erb- und Rassenpflege“ des RMdI führen zu können. Dieser Versuch misslang. Gütt konnte sich erfolgreich gegen die vorgebrachten Vorwürfe beim „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Hess, wehren. Hess wies die Vorwürfe Gerhard Wagners zurück und ließ nur einzelne Grenzfälle gelten. Auch Adolf Hitler bekannte sich weiterhin zum staatlich organisierten Gesundheitswesen. Einen Kompromiss konnte Wagner trotzdem für die Partei aushandeln. Das RMdI gestand der NSDAP eine Einspruchsmöglichkeit in Sterilisierungsverfahren zu, die Parteigenossen betrafen. Außerdem wurde ihr ein Vorschlagsrecht bei der Bestimmung der Beisitzer an Erbgesundheitsgerichten und Erbgesundheitsobergerichten gewährt. Der Rückgang der Sterilisationsverfahren und der durchgeführten Sterilisationen ist aber nicht auf den Einspruch Wagners zurückzuführen, sondern auf die 1938 gesteigerten kriegsvorbereitenden Maßnahmen bzw. auf eine Verordnung des RMdI kurz vor Kriegsbeginn, mit der die Sterilisationen, bis auf „dringliche Fälle“, auf die Zeit nach Kriegsende verschoben wurden. [162] Eine Radikalisierung in der Anwendung des Gesetzes trat bereits 1935 in der Folge der Nürnberger Gesetze ein, in dem die Ausgrenzung „fremder Rassen“, an erster Stelle der Juden, verstärkt wurde. Juden waren damit den „Minderwertigen“ zuzuordnen und von den Vorteilen „positiver” eugenischer Maßnahmen von vornherein ausgeschlossen. Für die Gesundheitsverwaltung im RMdI stellten die „Rheinlandbastarde“ (Kinder, die aus Verbindungen französischer Soldaten schwarzafrikanischer Abstammung mit deutschen Frauen durch die Besetzung des Rheinlands nach dem ersten Weltkrieg hervor gegangen waren) ein besonderes Problem dar. Es erwies sich nämlich als unmöglich, deren Sterilisation im Rahmen des GzVeN durchzuführen, da keine der dort genannten Kategorien griff. So gab schließlich ein von Adolf Hitler erteilter „Sonderauftrag auf dem Gebiet der praktischen Erb- und Rassenpflege“ die Grundlage für die ausnahmslos gegen den Willen der Betroffenen durchgeführten Sterilisationen. [163] Ein ähnliches Problem tat sich für die Gesundheitsverwaltung im RMdI im Umgang mit der Bevölkerungsgruppe der Roma und Sinti, damals ausnahmslos als „Zigeuner“ bezeichnet, auf. Es zeigte sich nämlich, dass man diese Bevölkerungsgruppe bei der Abfassung der Nürnberger Rassengesetze schlichtweg übersehen hatte. Ein Runderlass des RMdI vom 26.11.1935 legte die Aufgaben des Gesundheitsamtes in der Durchführung der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935 fest. Im Absatz 5 heißt es dazu: „[...] c) der Nachweis, daß aus einer Ehe keine die Reinhaltung des deutschen Blutes gefährdende Nachkommenschaft im Sinne des § 6 der ersten Ausf.-VO. zum Blutschutzgesetz v. 14.11.1935 zu erwarten ist, wird von einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt ab allgemein durch das Ehetauglichkeitszeugnis, das vom Gesundheitsamt ausgestellt wird, erbracht. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Standesbeamte das Ehetauglichkeitszeugnis nur in solchen Fällen zu verlangen, in denen er in Folge der Zugehörigkeit der Verlobten zu verschiedenen Rassen eine für das deutsche Blut ungünstige Nachkommenschaft befürchtet (z. B. bei einer Eheschließung von deutschblütigen Personen mit Zigeunern, Negern oder ihren Bastarden).[...]” [164] Aus Sicht der damaligen Rassenanthropologen befanden sich die Erbgesundheitspolitiker, was die Roma und Sinti betraf, in Erklärungsnot. Diese hatten vor über tausend Jahren den indischen Subkontinent verlassen, waren seit etwa Anfang des 15. Jahrhunderts in Mitteleuropa nachweisbar und galten daher in der NS-Terminologie als Arier. [165] Außerdem waren sie, anders als die Juden, christlichen Glaubens. Um dieses Problem für die Nationalsozialisten zu lösen, wurde im Reichsgesundheitsamt eine eigene „rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle“ eingerichtet. Zum Leiter dieser neuen Forschungsstelle wurde der Tübinger Nervenarzt Robert Ritter ernannt. Die Forschungsstelle beschäftigte sich ausschließlich mit der sog. „Zigeunerfrage” da Ritter, einmal zum Leiter der Forschungsstelle ernannt, sich dafür einsetzte, dass die nationalsozialistischen Rassengesetze zukünftig nicht nur auf „Kriminelle und Asoziale“, sondern auch auf „Zigeuner“ auszudehnen waren. Für sein Forschungsprojekt „Arbeiten zur Asozialenforschung und zur Bastardbiologie“ erhielt Ritter außerdem eine Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft über 19 000 Reichsmark. Bis 1938 gelang es der „rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“ im Reichsgesundheitsamt, den nationalsozialistischen Rassenpolitikern mit ihrer pseudowissenschaftlichen Untersuchung das Fundament für die Ausgrenzung „reinrassiger Zigeuner“ oder der als „minderwertig“ eingestuften „Zigeunermischlinge“ zu erarbeiten. Um die Tatsache zu umgehen, dass die Roma und Sinti aufgrund ihrer Abstammung eigentlich als Arier galten, definierte Ritter die in Deutschland lebenden Roma und Sinti als Mischlinge um, in dem er behauptete, dass „weit mehr als 90 % der in Deutschland lebenden Zigeuner als Mischlinge anzusehen“ seien. Seiner Meinung nach stellten diese einen Teil des „asozialen Lumpenproletariats dar, dessen Minderwertigkeit in keiner Weise dem Erbstrom der Geisteskranken und Schwachsinnigen“ nachstehe. [166] Unmittelbare Folge dieser „Forschungsergebnisse“ war der Runderlass des Reichsführers-SS und Chef der deutschen Polizei im RMdI, Heinrich Himmler, vom 08.12.1938. In diesem Runderlass ging es nicht mehr nur um die Einschränkung der Reisetätigkeit bzw. der Gewerbeausübung der Roma und Sinti, wie es sie bereits seit 1926 in Bayern gab, sondern um eine ganz bewusste rassistische Ausgrenzung mit der Folge massenhafter Zwangssterilisationen und später der direkten Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager. [167] Dazu war in einer „Ausführungsanweisung“ vom 01. März 1939 festgelegt worden, dass die „rassenbiologische Untersuchung“ aller „Zigeuner“ von der „rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle des RGA“ durchzuführen sei. Nach dem „Anschluss“ von Österreich lebten im großdeutschen Reich etwa 30 000 Roma und Sinti. Ritter und seine Mitarbeiter erfassten und „begutachteten” insgesamt 23 822 Roma und Sinti aus Deutschland und Österreich. Die Dienstaufgaben der Gesundheitsämter im Rahmen des Runderlasses „Bekämpfung der Zigeunerplage“ waren Folgende: „F. Maßnahmen der Gesundheitsämter. Die Gesundheitsämter haben jede ihnen vorkommende Person, die als Zigeuner oder Zigeunermischling angesehen werden muß oder die nach Zigeunerart umher zieht, alsbald der zuständigen Krim.-POL.-Stelle gebührenfrei mitzuteilen. Die betreffenden Personen sind entsprechend den Richtlinien für die Durchführung der Erbbestandsaufnahme v. 23.03.1938 [vergleiche Runderlass vom 01.04.1938 - IV b 1289/38 - 1075b (nicht veröffentlicht)] in die Wohnort- und Geburtsortkartei aufzunehmen und entsprechend Zif. 17f dieser Richtlinien auf der Karteikarte zu kennzeichnen. Personen, für die sich ein Geburtsort innerhalb des deutschen Reiches nicht ermitteln läßt, gelten hierbei als im Ausland geboren. Die Geburtsortkarte ist dementsprechend beim Reichsgesundheitsamt zu führen.” [168] Die Nationalsozialisten knüpften hier an eine lange vorbestehende Tradition der Diskriminierung von Roma, Sinti und Jenische an. Der Freistaat Bayern hatte bereits 1926 als erstes Land im Deutschen Reich die schon seit 1885 existierenden Verwaltungsvorschriften in Gesetzesform gegossen und dabei verschärft. [169] Neben der Erfassung und der Ausgrenzung der „Fremdrassigen“ bildete die von den Nationalsozialisten ausgemachten „Asozialen“ die nächste Bevölkerungsgruppe, die „erbbiologisch zu behandeln“ war. Karl Astel, der Präsident des thüringischen „Landesamtes für Rassenwesen“ und Leiter des „Staatlichen Gesundheits- und Wohlfahrtswesen im thüringischen Ministerium des Innern“ sowie Professor der „Menschlichen Erbforschung und Rassenpolitik“ an der Universität Jena äußerte sich dazu 1938 recht deutlich: „[...] Nach dem Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens liegt die Hauptlast der Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses bei den Gesundheitsämtern. Die bisherigen Unfruchtbarmachungen in Thüringen stellen eine finanzielle Entlastung des Landes dar, die in zahlreiche Millionen hineinreicht, handelt es sich doch um Unfruchtbargemachte, die es nach allen Erfahrungen, die man mit Nicht-Unfruchtbargemachten derselben Beschaffenheit gemacht hat, zweifellos zu einem im Durchschnitt hohen Kinderreichtum gebracht hätten. Bei der Gelegenheit möchte ich nicht versäumen hervorzuheben, daß sich die Ausschaltung von der Fortpflanzung nicht - wie man das oft hört - erst in Generationen, sondern in der Tat sofort rentiert. [...] eine Erweiterung der Möglichkeiten auf gesetzlicher Grundlage Unfruchtbarmachungen durchzuführen, könnte nichts schaden. Im Gegenteil, ich halte die Einbeziehung einer Reihe von krankhaften Zuständen in das Gesetz für notwendig. Zahlreiche Asoziale, Kriminelle und schädliche Psychopathen weisen einen in der Praxis immer wieder auf die Notwendigkeit ihrer Unfruchtbarmachung hin.[...] man sollte sich stets vor Augen halten, daß hier nicht Krankheitsbezeichnungen zu sterilisieren sind, sondern in der Lebenstüchtigkeit erblich beeinträchtigte Menschen oder gar erblich Gemeingefährliche, bei denen es weniger auf die genaue Bestimmung des Zustandes als auf seine Schädlichkeit und die Feststellung seiner Erblichkeit ankommt.” [170] Die von Astel erwähnte Ausweitung der Sterilisationsindikation von den angeblich rein erblich bedingten Einzelmerkmalen auf die Gesamtpersönlichkeit der betroffenen Menschen, sollte in Form eines „Gemeinschaftsfremdengesetzes“ Anfang der 40iger-Jahre realisiert werden. Die Motive, die zur Abfassung eines solchen Gesetzes führten, erklären sich aufschlussreich im Schreiben eines Beamten des Reichsjustizministeriums an den Leiter des Wehrmachtssanitätswesens: „[...] Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuches [sic!] bringt ein ärztliches Verfahren. Es beschränkt die Unfruchtbarmachung auf bestimmte Krankheiten, dient also vor allem der Erbgesundheitspflege. Deshalb beschränkt es seine Anwendbarkeit auf ärztlich bekannte Dinge und hebt deshalb die Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft hervor [...] Das Gesetz genügte für die Erfassung der Gemeinschaftsfremden jedenfalls nicht. Man muß hier weitergehen, also bewußt den Kreis der ärztlichen Wissenschaft verlassen. Es ist übrigens durchaus denkbar, die Unfruchtbarmachung als moralische und nicht nur als erbbiologische Maßnahme zu fassen, indem man allen Personen das Recht Kinder zu zeugen abspricht, die es nicht wert sind Kinder zu haben, weil sie Lumpen sind und sie doch nicht erziehen, sondern verderben würden. [...] Die Erfahrungen, die hier anzuwenden sind, entstammen großenteils der Rechtswissenschaft und der Soziologie. Auch diese Wissenschaften müßten deshalb neben der Medizin, Kriminalbiologie und Erbbiologie aufgezählt werden.[...] Die künstliche Unfruchtbarmachung soll lediglich das natürliche Ausleseprinzip wieder herstellen, in dem sie Fehler ausgleicht, die menschliche soziale Nieten erst hervorrufen. Es muß also unfruchtbar gemacht werden, wer ohne Hilfe der anderen keine Familie gründen könnte (Ballastexistenzen). Dies Prinzip hat den Vorteil, von den Schwankungen wissenschaftlicher Ansichten unabhängig zu sein, die sich beim Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses bereits unangenehm zeigen. (Wiederaufnahmeverfahren nach durchgeführter Unfruchtbarmachung). [...]” [171] Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ intendierte eine optimierte Zusammenfassung der eigentlich schon längst bestehenden Eingriffsmöglichkeiten gegen sozial abweichendes Verhalten und sollte somit als Regulativ im Vorfeld der Euthanasiemorde dienen. Endziel war der von jeder Form von Abweichung gereinigte „Volkskörper“. Das Gesetz kam jedoch nicht mehr zustande. Der Grund ist einfach zu erklären: Im Krieg verdrängte der „Maßnahmenstaat” der Nazis zunehmend den bestens durch Reichsinnenminister Frick repräsentierten, bis 1939 zunächst im Vordergrund stehenden, „Normenstaat” mit seinem Fundament der gesetzlichen Regelungen. „Führererlasse“ oder mündliche „Anordnungen“ des „Führers“ ersetzten nach Kriegsbeginn einfach die Gesetzgebung. [172] Hier wird deutlich, dass die Zwangssterilisationen in der NS-Gesundheitspolitik der Jahre bis zum Kriegsausbruch das Herzstück einer Sozialtechnologie darstellten, die den „arischen Volkskörper“ von allen „Minderwertigen“, „Fremdrassigen“ und „Gemeinschaftsfremden“ mittels Ausgrenzung und Sterilisation „reinigen“ sollte. Teil dieses Selektionsapparates waren die staatlichen Gesundheitsämter. 1.1.6. Das Ausmaß der Sterilisationen Genaue Zahlen zum quantitativen Ausmaß der Zwangssterilisationen können vermutlich nie mehr vorgelegt werden. Dazu ist die Quellenlage zu lückenhaft. Für die Jahre 1934 mit 1936 existieren verwaltungsinterne Statistiken aus den Reichministerien der Justiz und des Inneren. Diese Zahlen wurden der interessierten Öffentlichkeit in Veröffentlichungen von Stürzbecher 1974, Bock 1986, Friedlander 1995 und Vossen 2001, mit geringfügigen Unterschieden (je nach Quelle) zugänglich gemacht. [173] Obwohl Bock aus einigen Reichsgauen komplette Zahlen vorlagen, musste auch sie mittels Hochrechnungen auf Schätzungen zurückgreifen. So schätzt sie die Gesamtzahl, der im Deutschen Reich in den Grenzen von 1937 zwischen 1934 und 1944 eingereichten Sterilisationsverfahren, zwischen 480 000 bis 530 000. Für denselben Zeitraum errechnet Bock für die tatsächlich erfolgten Zwangssterilisationen eine Schätzzahl von 360 000 im „Altreich”. Das entspricht einer Sterilisationsquote von etwa 0,5 % der Gesamtbevölkerung. Bezogen auf die Bevölkerung im Alter zwischen 16 und 50 Jahren beträgt die Quote knapp 1 % und in der Altersgruppe der 18 - 40-Jährigen, in der am häufigsten sterilisiert wurde, steigt sie sogar über 1 %! Bock vermutet außerdem ca. 40 000 Serilisationen in den ab 1938 „angeschlossenen” oder eroberten Gebieten und kommt damit auf insgesamt etwa 400 000 Fälle. [174] Auch zu den Komplikationen lässt sich keine sichere Zahl festlegen, zumal man sich hier nur auf das unvollständige Zahlenwerk der Originalunterlagen aus den Jahren 1934 - 1936 verlassen muss, wobei davon auszugehen ist, dass hier mit Sicherheit Schönungen vorgenommen wurden. [175] Diesen, im Bundesarchiv Berlin dem Büro von Staatssekretär Pfundtner im RMdI zugeordneten, Dokumenten ist in „Anlage 11“ zu einem geheimen Sachstandsbericht des Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes Reiter an das RMdI eine genaue Aufstellung über die „Durchführung der Unfruchtbarmachung“ der Jahre 1934 mit 1936 aufgeführt. „[...] I. Erbgesundheitsgerichtsverfahren. Bei Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sind nach Angaben des Reichsjustizministeriums an Anträgen eingegangen: Im Jahre 1934 84 604 Anträge im Jahre 1935 88 193 Anträge im Jahre 1936 86 254 Anträge. Die Beschlüsse auf Unfruchtbarmachung beliefen sich: Für das Jahr 1934 auf 62 463 für das Jahr 1935 auf 71 760 für das Jahr 1936 auf 64 646 Beschlüsse auf Ablehnungen erfolgten: Im Jahre 1934 bei 4874 Personen im Jahre 1935 bei 8976 Personen im Jahre 1936 bei 11 619 Personen [...]” [176] Stürzbecher fand auch noch eine Auflistung zu den antragstellenden Personen. (s. Tab. 10) Tab. 10 Anträge 1934 und 1935 sowie Antragsteller [177] 1934 1935 ∑ der Anträge 84 330 91 299 beamtete Ärzte 67 822 63 322 Anstaltsleiter 0 19 559 Erbkranke selbst 10 049 5 572 gesetzliche Vertreter 6 399 2 956 Anzeigeerstattung: Im Jahr 1934: 222 055, im Jahr 1935: 166 354. Davon hätten im Jahr 1934 Anzeige erstattet: Beamtete Ärzte 17,7 %, nichtbeamtete Ärzte 23,3 %, Anstaltsleiter 41,6 %, sonstige Personen 17,4 %. Im Jahr 1935 erfolgten die Anzeigen durch beamtete Ärzte 25,2 %, nichtbeamtete Ärzte 23,8 %, Anstaltsleiter 26,8 % und sonstige Personen 24,2 %. Im Jahr 1934 seien von den Gesundheitsämtern 58 258 Anträge nicht weitergegeben worden. Gründe: Unbegründete Anzeige 13,9 %, zu hohes Alter 14,71 %, nicht bestehende Fortpflanzungsfähigkeit 6,8 %, Alter unter 10 Jahren 11,89 %, andere Gründe 52,70 %. Tab. 11 Für die Jahre 1934 und 1935 sah die Zuordnung zu den einzelnen Erbkrankheiten gemäß GzVeN folgendermaßen aus [178] Erbkrankheiten: [%] 1934 1935 angeborener Schwachsinn 58,91 58,20 Schizophrenie 19,91 19,41 zirkuläres Irresein 2,09 2,35 erbliche Fallsucht 12,81 12,81 erblicher Veitstanz 0,13 0,15 erbliche Blindheit 0,80 0,85 erbliche Taubheit 1,90 2,18 schwere erbliche körperliche Missbildung 0,67 1,03 schwerer Alkoholismus 2,78 3,02 Der Anlage 11 zum Geheimbericht sind folgende Zahlen über die „Durchführung der Unfruchtbarmachung“ in den Jahren 1934 mit 1936 zu entnehmen: (s. Tab. 12) [179] Tab. 12 Gesamtzahl der Sterilisationen im Reich 1934 - 1936 insgesamt Männer Frauen 1 934 32 268 16 238 16 030 1 935 73 174 37 834 35 340 1 936 63 547 32 887 30 624 ∑ 168 989 1 86 959 1 81 994 1 1Die Gesamtzahlen wurden vom Autor addiert. Todesfälle durch Zwangssterilisation: Zu den Todesopfern der Sterilisationen äußert sich der Geheimbericht wie folgt: „[...] Bei der operativen Durchführung und im Anschluß verstarben im Jahre 1934 21 Männer, 81 Frauen 102 Personen insgesamt im Jahre 1935 35 Männern, 173 Frauen 208 Personen insgesamt im Jahre 1936 14 Männer, 113 Frauen 127 Personen insgesamt. [...]” [180] Für das Jahr 1934 ergeben diese absoluten Zahlen eine Gesamttodessrate von 0,32 % (Männer: 0,13 %, Frauen: 0,15 %) und für 1935 eine Quote von 0,29 % (Männer: 0,09 %, Frauen: 0,49 %). 1936 lag die Todesrate bei 0,19 %, wobei 0,04 % auf die Männer und 0,37 % auf die Frauen entfielen. Als Grund, für die insgesamt niedrigere Sterblichkeitsquote im Jahre 1936, gibt Stürzbecher an, dass durch die Einführung der „Unfruchtbarmachung durch Strahlenbehandlung [...] ein erheblicher Rückgang der Todesfälle bei Frauen eingetreten ist”. Mit keinem Wort äußert sich Stürzbecher zu den, wenn auch nicht tödlichen, Komplikationen der „Strahlenbehandlung”, die eigentlich nur zu einer Verklebung der Tuben führen sollte. Weiterreichende Strahlenschäden waren häufig, eine Schädigung der Ovarien wurde ohnehin billigend in Kauf genommen. Setzt man, unter der Annahme die Zahlen sind korrekt, daraus eine durchschnittliche Komplikationsrate von 0,26 % an, dann wären bei der von Bock geschätzten Zahl der 400 000 Zwangssterilisierten 1160 Menschen dadurch zu Tode gekommen. Die Schätzung von Gisela Bock beläuft sich auf etwa 5000 Todesfälle. Eine Fallzahl, die irgendwo zwischen diesen beide Extremen liegt, dürfte daher realistischer sein. Henry Friedlander verwendet in seinem 1995 erschienen Buch, The Origins of Nazi Genocide: From Euthanasia to the Final Solution, 1997 auch in Deutsch mit dem Titel, Der Weg zum NS-Genozid, erschienen, ebenfalls die Zahlen aus dem Bundesarchiv (damals noch in Koblenz). Friedlander führt darüber hinaus auch Statistiken auf über die Sterilisationen in preußischen Heil- und Pfleganstalten, die einer Umfrage des deutschen Gemeindetages (DGT) entstammen. So waren zum 31.12.1935 in den 15 preußischen Provinzen 82 993 Bewohner gemeldet. Von diesen wurden 47 278 als „erbkrank” gemeldet. 16 627 rechtskräftige Urteile waren bereits ergangen; davon vielen 15 861 positiv (im Sinne von Zwangssterilisation) aus, nur 652 negativ (entsprechend einer Ablehnungsquote von 3,92 %). Bis Ende 1935 wurden 15 390 Insassen sterilisiert, 8205 davon danach entlassen. [181] Nichts sagen diese nüchternen Zahlen aus über das Schicksal der Opfer. Neben der körperlichen Verstümmelung litten sie oft genug auch an seelischen Qualen. Vor allem für viele Frauen war der Verlust der Gebärfähigkeit nicht zu verkraften, zumal wenn sie vom nationalsozialistischen Bild der Frau und ihrer Funktion in der NS-Gesellschaft geprägt waren. Entschädigungen nach dem Krieg gab es für die erlittene Verstümmelung nicht. Das GzVeN war ja nach Ansicht der damaligen Sachverständigen und der Bundesregierung, die 1965 offiziell eine generelle Entschädigungsregelung ablehnte, kein Unrechtsgesetz und der Vollzug sei sowieso in völlig gesetzmäßigen Bahnen verlaufen. Unter den Sachverständigen, die der damalige Bundestagsausschuss für Wiedergutmachung um ihre Stellungnahme bat, dominierte mit Hans Nachtsheim, dem Direktor des „Max-Planck-Institutes für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie” und Werner Villinger, dem ehemaligen Beisitzer der EOG Hamm und Breslau und T4-Gutachter, die alte Garde der Bevölkerungspolitiker und Rassenhygieniker. Der von 1961 bis 1965 mehrmals tagende Ausschuss schloss sich schlussendlich den Voten dieser „Experten” an, obwohl ihn eher das Kostenargument im Falle einer generellen Entschädigung überzeugt hatte. 1967 beantwortete der damalige Bundesfinanzminister Franz-Josef Strauß eine kleine Anfrage im Bundestag mit denselben ökonomischen Argumenten, die bereits 1965 den Bundestagsausschuss beeinflussten: „Bei unserer derzeitigen Haushaltslage bin ich der Meinung, daß eine solche Maßnahme auch finanziell nicht zu verantworten wäre. Da im Bundesgebiet etwa 175 000 bis 200 000 Zwangssterilisierte leben dürften, würde sich eine finanzielle Belastung von fast einer Milliarde DM ergeben, wenn man jedem Betroffenen auch nur eine Entschädigung von DM 5000,- gewähren würde [...] Gegen eine Pauschalabfindung spricht überdies noch, daß von dem gesamten Entschädigungsbetrag von fast einer Milliarde DM bis zu 60 % an Geisteskranke, Schwachsinnige oder schwere Alkoholiker gezahlt werden würde”. [182] Bis 1980 brauchte der Gesetzgeber, um zumindest eine vorläufige Entschädigungsregelung einzuführen, nach der Zwangssterilisierte aus einem Härtefallfonds auf Antrag eine einmalige Zahlung von 5000,- DM erhalten konnten. [183] Der Bundestag hob erst am 28. Mai 1998 alle Nazi-Unrechtsurteile auf, auch die der Erbgesundheitsgerichte. [184]1. 2. „Unerwünschter Nachwuchs” von „Minderwertigen” oder „Fremdrassigen”: Die „eugenischen” Schwangerschaftsabbrüche
Das GzVeN erfuhr bereits kurz nach dem in Kraft treten durch die Runderlasse des RMdI eine ständige Radikalisierung. Die folgenreichste Verschärfung bedeutete jedoch die gesetzliche Legalisierung von Abtreibungen aus „eugenetischer Indikation“ mit dem „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 26. Juni 1935. [185]
Ministerialdirektor Gütt vom RMdI konnte hier in Abgrenzung zu den sonstigen Bestimmungen im GzVeN und gegen den Widerstand des „Reichsärzteführers” Gerhard Wagner erreichen, dass die Abtreibung nur bei „erbkranken” Frauen und nicht auch bei der Konstellation „erbkranker” Zeuger und „erbgesunde” Schwangere, nur mit der Einwilligung der Schwangeren, möglich war. [186]
Allerdings wurde mit der 4. Ausführungsverordnung zum GzVeN vom 18. Juli 1935 in Artikel 3 die Bestimmung abgeschwächt mit der Formulierung „kann ihm [!] nach Ansicht des Amtsarztes die Bedeutung der Maßnahme nicht verständlich gemacht werden, so ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters oder des Pflegers erforderlich.” [187]
Die Vorgeschichte dazu hat Heidrun Kaupen-Haas bereits vor zwanzig Jahren ermittelt. Hier wird beispielhaft deutlich, wie die Ideen zur negativen Eugenik im chaotischen, polykratisch strukturierten Herrschaftssystem Adolf Hitlers durch einzelne Protagonisten bzw. gegeneinander rivalisierende Gruppierungen immer weiter radikalisiert wurden.
Schon im Frühjahr 1933 berief Reichsinnenminister Wilhelm Frick einen Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik ein. Er hatte die Aufgabe, alle einschlägigen Gesetzesentwürfe vor ihrer Verabschiedung auf die bevölkerungs- und rassenpolitischen Auswirkungen und hinsichtlich ihrer politischen Durchsetzbarkeit zu prüfen. Analog zum weit gefächerten Aufgabenkreis berief man in den Sachverständigenbeirat nicht nur Rassenhygieniker, Ministerialbeamte aus dem Geschäftsbereich des RMdI, Vertreter des deutschen Gemeindetages, der Reichsärztekammer, des Reichsausschusses für Volksgesundheitsdienst und der SS, sondern auch Universitätsordinarien sowie Vertreter der Wirtschaft und der deutschen Arbeits- und Frauenfront. Je nach Bedarf wurden Vertreter weiterer Ministerien, vor allem des Auswärtigen Amtes, des Reichsfinanz-, Reichsarbeits- und Reichskriegsministeriums hinzugezogen. Schnell erkannte der Sachverständigenbeirat, dass insbesondere die einschlägigen Vorschriften des GzVeN ihren bevölkerungspolitischen Vorstellungen nur bedingt gerecht wurden. So entschloss man sich im Sachverständigenbeirat für außergesetzliche Lösungen der Rassenfrage. Der Normenstaat wurde hier bereits durch den in Kriegszeiten noch deutlicher hervortretenden Maßnahmenstaat ausgehöhlt, der durch vom „Führer” erlassene Sondervollmachten gesetzliche Regelungen ergänzte oder ersetzte. Die Zwangssterilisation der „Rheinlandbastarde“ war so eine Aktion, die durch das GzVeN keineswegs gedeckt war.
Im Sachverständigenbeirat wurden die Vorschläge zur Bevölkerungskontrolle immer uferloser. Man diskutierte die Vor- und Nachteile legaler, bzw. illegaler Vorgehensweisen hinsichtlich der Schwangerschaftsabbrüche bei „unerwünschtem” Nachwuchs ebenso wie die Anwendung neuer Sterilisationsmethoden, wie z. B. die Bestrahlung mit Röntgenapparaten oder Radiumeinlagen bei Frauen, wobei deren Kastration als Nebenwirkung billigend in Kauf genommen wurde.
Anschaulich wird die skrupellose Vorgehensweise des Sachverständigenbeirates an folgendem Beispiel:
Im Frühjahr 1935 verhandelte die Arbeitsgemeinschaft für Rassenhygiene und Rassenpolitik des Sachverständigenbeirates die Erweiterung der Sterilisationsgesetzgebung um die Röntgenkastration und die Radiumsterilisation, bzw. -kastration. Ernst Rüdin, der Mitautor und Kommentator des GzVeN sah in der Einführung der Röntgenkastration keinerlei Probleme. Der Frauenarzt und Direktor der Universitätsfrauenklinik München, Heinrich Eymer, verschwieg die großen Risiken und Nachteile der Röntgenkastration keineswegs. Er sprach sich trotz der ihm bekannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, der Unsicherheit der Methode und der möglichen weiteren Körperverletzungen durch Strahleneinwirkung für eine Röntgenkastration aus. Er wies außerdem darauf hin, dass diese Methode der Kastration durch Strahlen erst nach ungefähr sechs Wochen sicher sei und in der Zwischenzeit mit ungewünschten Schwangerschaften zu rechnen sei. Ein daraus resultierender Schwangerschaftsabbruch stellte für die Sachverständigen jedoch kein Problem dar. Die Tatsache, dass die Frauen durch die Röntgenkastration gesundheitlich stark geschädigt würden bzw. das Leben der Frau gefährdet war, nahm man ebenso billigend in Kauf.
Als Folge dieser Vorberatungen wurde die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruches aus „eugenetischen” Gründen im GzVeN verankert.
Ein Jahr später folgte die gesetzliche Regelung der Röntgen- und Radiumkastration als sogenannte „Strahlenbehandlung“, (Röntgenbestrahlung und Radiumbestrahlung). Die von Eymer im Sachverständigenrat aufgeführten lebensbedrohlichen Nebenwirkungen der Röntgenkastration wurden in den Kommentar des GzVeN nicht aufgenommen. [188]
Das RMdI übertrug mittels Ermächtigung die Befugnisse zur Ausführung der entsprechenden Verordnung an den Reichsärzteführer Dr. Wagner. [189]
Eine Anordnung des Reichsärzteführers Dr. Wagner regelte insbesondere das Begutachtungsverfahren. Wagner organisierte dies unter Ausgrenzung des öffentlichen Gesundheitsdienstes.
Schwangerschaftsabbrüche aus sozialer Indikation wurden von den Nationalsozialisten gleichzeitig streng abgelehnt und waren mit Gefängnisstrafe bedroht. Für die Nationalsozialisten beging jeder, der die natürliche Fertilität des deutschen Volkes auf künstliche Weise zu beeinträchtigen versuchte, „Rassenverrat“.
Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen im § 218 des Reichsstrafgesetzbuches sahen überhaupt keine Indikation für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch vor. Nur bei einer Gefahr für das Leben der Schwangeren, bestand nach einem Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahre 1927 eine „medizinische Indikation” für eine Abtreibung als „übergesetzlichen Notstand”, die so straffrei bleiben konnte. [190]
1933 beklagte der Reichsärzteführer Gerhard Wagner, dass im Nachkriegsdeutschland ein abgetriebener Fötus auf jedes dritte bis vierte lebend geborene Kind käme. Dies entspräche einer geschätzten Zahl, die zwischen 300 000 und 500 000 Schwangerschaftsabbrüchen pro Jahr liege. [191]
Um hier eine Trendumkehr zu erreichen, versuchten die Nationalsozialisten über eine Verschärfung gesetzlicher Bestimmungen strengere und breiter gefächerte Strafen zu implementieren. So wurden 1937 Ärzte, die man ungesetzlicher Schwangerschaftsabbrüche überführte, gemeinhin mit 10 Jahren Gefängnis in Verbindung des Verlusts der Bürgerrechte auf ebenfalls 10 Jahre bestraft. [192]
Ausnahmen davon konnten für die NS-Ideologen nur im Bereich der Eugenik entstehen. Auch der Staatskommissar für das Gesundheitswesen im bayer. Innenministerium, Ministerialdirektor Walter Schultze, äußerte sich 1933 im Dt. Ärzteblatt entsprechend, der nationalsozialistische Staat erkenne die grundsätzliche Legitimation des § 218 an. Daraus ergebe sich jedoch als unmittelbare Konsequenz der von der Rassenhygiene geforderten Auslese, dass der Staat in Ergänzung zu bereits bestehenden Ausnahmeregelungen die Legitimation von Schwangerschaftsabbrüchen aufgrund eugenischer Indikation anerkenne. [193]
So lautete im „Mustergau” Hamburg das Motto: „In dubio pro Volksgemeinschaft”. [194]
Mit anderen Worten konnte die Abtreibung erlaubt werden, wenn sie im Interesse der Rassenhygiene war. Tatsächlich blieben Sterilisation und Abtreibung für „gesunde” deutsche Frauen während der NS-Zeit illegal. Dies galt auch für alle Formen der Geburtenkontrolle.
Gisela Bock hat die Beweggründe der Nazis und ihre Vorgehensweise gegen „unerwünschte” oder „asoziale” Frauen, wie z. B. Prostituierte und „fremdrassige” Zwangsarbeiterinnen und deren „unerwünschten” Nachwuchs recht eindringlich im Kapitel „Geburtenkrieg im Weltkrieg” beschrieben. [195]
Das RMdI gab mit den „Richtlinien für die Beurteilung der Erbgesundheit“ vom 18.07.1940 den Gesundheitsämtern einen Selektionsleitfaden an die Hand, der sich zu „Asozialen und Gemeinschaftsfremden“ in drastischer Sprache äußerte:
„[...]III. a) (1) Von allen in Frage kommenden Maßnahmen und dem Bezug jeder Zuwendung auszuschließen sind asoziale Personen und Angehörige asozialer Familien. Asozialer Nachwuchs ist für die Volksgemeinschaft vollkommen unerwünscht. Daher können asoziale Familien mit vielen Kindern niemals als „kinderreich” angesehen werden.
(2) als asozial (gemeinschaftsfremd) sind Personen anzusehen, die auf Grund einer anlagebedingten und daher nicht besserungsfähigen Geisteshaltung
-
fortgesetzt mit Strafgesetzen, der Pol. und den Behörden in Konflikt geraten; oder
-
arbeitsscheu sind und den Unterhalt für sich und ihre Kinder laufend öffentlichen oder privaten Wohlfahrtseinrichtungen, insbesondere auch der NSV. und dem WHW. aufzubürden suchen. Hierunter sind auch solche Familien zu rechnen, die ihre Kinder offensichtlich als Einnahmequelle betrachten und sich deswegen für berechtigt halten, einer geregelten Arbeit aus dem Wege zu gehen; oder
-
besonders unwirtschaftlich und hemmungslos sind und mangels eigenen Verantwortungsbewußtsein weder einen geordneten Haushalt zu führen noch Kinder zu brauchbaren Volksgenossen zu erziehen vermögen; oder
Trinker sind oder durch unsittlichen Lebenswandel auffallen (z. B. Dirnen, die durch ihr unsittliches Gewerbe ihren Lebensunterhalt teilweise oder ganz verdienen). [...] -
Familien sind als asozial zu bezeichnen, wenn mehrere ihrer Mitglieder asozial (gemeinschaftsfremd) sind und die Familie selbst im ganzen gesehen eine Belastung für die Volksgemeinschaft darstellt.[...]” [196]
Zur selben Zeit erlaubten die Nationalsozialisten bereits Abtreibungen bei Schwangeren, die als rassisch „minderwertig“ galten.
Dies betraf insbesondere nach Kriegsausbruch Schwangerschaften von Zwangsarbeiterinnen, die aus den besetzten Gebieten, vor allem Osteuropas, rekrutiert wurden.
Ähnlich wie bei den Krankenmorden scherte man sich jetzt überhaupt nicht mehr um gesetzliche Regelungen; nur der Duktus der Formulierungen in den Runderlassen des RMdI suggerierte nach wie vor eine gesetzmäßige Vorgehensweise der Verwaltung.
Ein geheimer Runderlass des Reichsgesundheitsführers Leonardo Conti vom September 1940 an die Gesundheitsämter verdeutlicht dies. Conti weist darauf hin, dass es bisher für „unerwünschten Nachwuchs“ (Conti nannte hier „Notzuchtsfälle“ und „rassische Gründe“) keine gesetzliche Regelung gebe, dass aber aufgrund einer „besonderen Ermächtigung“ die „Möglichkeit“ bestehe, in „nicht gesetzlich geregelte Fällen gleichfalls eine entsprechende Regelung herbeizuführen“. Keineswegs dürfe „[...] jedoch dem Artfremden dabei bekannt gegeben werden, dass eine Schwangerschaftsunterbrechung aus rassischen Gründen in Erwägung gezogen wird. [...]”. [197]
Geschickt verband hier der Reichsärzteführer die ethische mit der rassistischen Komponente in der Indikation, wobei sicherlich die ethische reiner Vorwand für die Einführung der „rassischen” Indikation war. [198]
Im Runderlass vom 28.04.1942 („streng vertraulich”) nahm sich Reichärzteführer Conti dem „Problem” „Schwangere Prostituierte” an:
„[...] In letzter Zeit ist bei mir die Frage zur Sprache gebracht worden, inwieweit die bestehenden Bestimmungen die Möglichkeit bieten, bei Prostituierten insbesondere Bordellinsassinnen auftretende Schwangerschaften zu unterbrechen. Ich weise darauf hin, daß derartige Fälle in den Rahmen meines Erlasses vom 19. September 1940 - IV b 2917/40 g-1067 - fallen und daher bei mir die Genehmigung zur Schwangerschaftsunterbrechung und die etwa notwendig gehaltene Unfruchtbarmachung nachgesucht werden kann. Darüber hinaus besteht selbstverständlich nach wie vor die Möglichkeit, bei Dirnen, bei denen angeborener Schwachsinn oder sonst eine Erbkrankheit festgestellt wird, die Schwangerschaftsunterbrechung und Unfruchtbarmachung auf Grund der Bestimmungen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses durchzuführen. In Vertretung Dr. L. Conti“ [199]
Ein weiterer geheimer Runderlass des RMdI belegt, wer nun das Ruder auch in der Abwicklung von Schwangerschaftsabbrüchen übernommen hatte:
„IV b 276 / 42 g 1067 [...] 17.6.42
Geheim
Betr. Behandlung von Anträgen auf Schwangerschaftsunterbrechung bei Polinnen [...]
Nachdem der Reichsauschuß zu wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden ermächtigt worden ist, in bestimmten Fällen Schwangerschaftsunterbrechungen zu genehmigen, ersuche ich, die entsprechenden Einzelanträge von Polinnen dem genannten Ausschuß (in Berlin W. 9, Postschließfach 101) durch die Regierungspräsidenten zur Entscheidung unterschreiben zu lassen [...]” [200]
Die nach der Übernahme des Reichspräsidentenamtes durch Adolf Hitler im November 1934 gegründete „Kanzlei des Führers”, die mit ihrem halbamtlichen Mitarbeiterstab alle persönlichen Eingaben an den „Führer” zu bearbeiten hatte, stand eng mit den Sachverständigen vom „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ in Verbindung und war 1940 von Hitler nicht nur mit der Organisation der geheimen Krankenmordaktion „T4“ beauftragt worden, sie sollte auch die Organisation der Schwangerschaftsabbrüche bei Zwangsarbeiterinnen übernehmen. [201]
Im Krieg wurden nun zunehmend Zwangsarbeiter aus dem Ausland rekrutiert. Laut Gisela Bock waren 1944 unter den rund sechs Millionen in Deutschland zur Zwangsarbeit herangezogenen ausländischen Zivilisten etwa 2,5 Millionen Frauen. Anfang 1941 arbeiteten ungefähr 200 000 polnische Frauen in Deutschland, sie waren vorwiegend in der Landwirtschaft eingesetzt. Schwangere Polinnen wurden zunächst nach der Entbindung in ihre Heimat abgeschoben. So versuchten sie auch durch Schwangerschaft dem Arbeitseinsatz zu entgehen. Im Dezember 1942 verbot der für den Arbeitseinsatz zuständige Fritz Sauckel die Rückkehr schwangerer Arbeiterinnen aus dem Osten in ihre Heimat. „Germanische” Schwangere aus West- und Nordeuropa waren davon ausgenommen. Für die schwangeren Arbeiterinnen aus dem Osten wurden daraufhin extra Lager oder spezielle Ausländerbaracken eingerichtet. [202]
Im Reichsgau Oberdonau alarmierte Gauleiter Eigruber im Juli 1942 den Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler, dass „[...] im Gau Oberdonau Tausende von Ausländerinnen [...] schwanger werden und Kinder in die Welt setzen.[...]”. Eigruber schlug nun vor, den Müttern gleich nach der Entbindung die Kinder wegzunehmen und in geschlossenen Heimen unterzubringen. [203]
Dasselbe „Problem” veranlasste bereits ein halbes Jahr zuvor Amtsarzt Dr. Albert Heißing aus dem staatlichen GA Donauwörth zur Abfassung eines besorgten Berichtes an die Regierung von Schwaben in Augsburg. Diese leitete das Schreiben offensichtlich wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung an sämtliche Gesundheitsämter Schwabens weiter.
Dem offenbar mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Nationalsozialismus stehenden oder zumindest von der „Reinerhaltung des deutschen Volkskörpers“ fest überzeugten Dr. Heißing war es ein Dorn im Auge, dass polnische Zwangsarbeiterinnen in seinem Wirkungsbereich geschwängert, dort von ihren Kindern entbunden wurden und diese Kinder dann auch noch in engen Kontakt zur deutschen Bevölkerung kamen. Der Amtsarzt bat deshalb um entsprechende Maßnahmen zur Abgrenzung dieser „fremdvölkische[n]Kinder“ von der deutschen Bevölkerung, z. B. „[...]ob nicht zweckmäßiger eigene fremdvölkische Säuglingsheime errichtet werden sollen, [...]”, weil „[...] Diese Unterbringung polnischer Kinder in deutsche Pflegefamilien [...] aus völkischen Gründen m. E. als unverwünscht bezeichnet werden.[...]” müsse. Er habe jedenfalls „[...]für den Bereich meines Gesundheitsamtes bisher jegliche Betreuung dieser Säuglinge durch unsere Gesundheitsfürsorge unbedingt abgelehnt. [...]”. Der Brief Dr. Heißings ist im Anhang Nr. 10 komplett als Faksimile abgedruckt. [204]
Da die Regierung von Schwaben dem Anliegen des Donauwörther Amtsarztes offensichtlich grundsätzliche Bedeutung beimaß, legte sie seinen Bericht mit Schreiben vom 19.01.1942 dem bayerischen Staatsministerium des Innern vor. Das StMI reagierte prompt darauf und forderte mit IMS vom 23.04.1942 von allen bayerischen GÄ, Erhebungen anzustellen, „[...]ob und in welchem Umfang die gleichen Mißstände sich im dortigen Gesundheitsamtsbezirk schon bemerkbar gemacht haben.[...]” [205]
1.3. Exkurs: Ehe- und Geschlechtsleben als Politikum
Nicht erst im Nationalsozialismus war die Ehe zum Politikum geworden. Sozialdarwinisten, Sozialhygieniker, Eugeniker und Rassenhygieniker hatten schon Jahrzehnte zuvor Ehe und Sexualität aufs Korn genommen. [206]
Für den Rassenhygieniker Wilhelm Schallmayer war die Trennung von Sexualität und Zeugung das zentrale Thema des eugenischen Diskurses und durch die Darwin’sche Selektionstheorie eine wissenschaftlich begründete Dringlichkeit. [207]
Im Vorwort zu seinem Hauptwerk „Vererbung und Auslese“, 4. Auflage 1920, setzte Schallmayer hauptsächlich auf „positive” eugenische Maßnahmen und formulierte:
„[...] daraus ergibt sich für die Staatsleitung die Notwendigkeit einer zweckmäßigen Beeinflussung des sozialgenerativen oder Rasseprozesses sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Solche Beeinflussung ist fast auf allen Gebieten des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens möglich, und zwar weniger mittels staatlicher Gebote und Verbote in Bezug auf Ehe und Fortpflanzung oder mittels anderer unmittelbarer staatlicher Eingriffe in die Fortpflanzungsverhältnisse, als viel mehr durch Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Sinn des Rassedienstes mit allen Mitteln, die dem Staat zur Verfügung stehen, besonders mittels entsprechender Jugenderziehung, dann durch geeignete gesellschaftliche Verteilung der Nachwuchskosten, ferner durch Reformen auf den Gebieten der Sexualordnung, des Erbrechts, des Steuerwesens, des Erwerbslebens, des öffentlichen Gesundheitswesens, des staatlichen und gemeindlichen Beamtensystems, des Strafrechts, der staatlichen Ehrungen usw. [...]” [208]
Die auf der Darwin’schen Theorie fußende Eugenik (bei Schallmayer Rassehygiene) muss in diesem Zusammenhang als eine Sozialtechnologie verstanden werden, die die Steuerung des Fortpflanzungsverhaltens über die Veränderung sozialer Gepflogenheiten und/oder die Reform von Institutionen unter dem Gesichtspunkt ihrer für die Erbqualität relevanten Auslesefunktionen intendierte.
Der Münchner Ordinarius für Hygiene, Max v. Gruber, veröffentlichte 1914 ein kleines Kompendium mit dem Titel „Hygiene des Geschlechtslebens“. Hier wandte er sich vehement gegen die seiner Meinung nach vorherrschende „Gedankenlosigkeit und Leichtfertigkeit [...] bei der Kindererzeugung [...] Es muß ins allgemeine Bewußtsein übergehen, daß es eines der schlimmsten Verbrechen ist, Kinder zu erzeugen, von denen man vorher wissen kann, daß sie höchstwahrscheinlich verkümmert, verkrüppelt, schwer krank oder mit schwerer Krankheitsanlage behaftet sein werden.” In diesem Zusammenhang warnte er auch davor, dass „[...] enge Blutverwandtschaft meistens schädlich wirkt, so ist auch die Kreuzung von Rassen, die sich zu ferne stehen, nicht günstig [...]”. [209]
Auch Alfred Grotjahn wies bereits 1914 in „Die hygienische Forderung“ darauf hin, dass die Fortpflanzung „nach vernünftigen Gesichtspunkten zu regeln“ sei, wobei er sich 1914 noch etwas distanziert zur neuen Wissenschaft der Eugenik äußerte:
„[...] Von den Eltern erhalten die Kinder ihre körperkonstitutionellen Erbwerte, um sie später den Kindeskindern weiter zu vererben, aber leider auch zahlreiche konstitutionelle Minderwertigkeiten, die das junge Sonderfach der Hygiene der Fortpflanzung, die Eugenik, gern vollständig beseitigen möchte. Dieser im wesentlichen der Zukunft noch vorbehaltene Zweig der Hygiene wird uns voraussichtlich einst lehren, die menschliche Fortpflanzung sowohl qualitativ als auch quantitativ nach vernünftigen Gesichtspunkten zu regeln, anstatt sie wie bisher dem Zufall zu überlassen.[...]” [210]
1926 bekräftigte Grotjahn seine Forderung, die er bereits in seinem Buch „Soziale Pathologie“ aus dem Jahre 1912 aufgestellt hatte:
„[...]1. Jedes Elternpaar hat die Pflicht eine Mindestzahl von 3 Kindern über das 5. Lebensjahr hinaus aufzuziehen.
-
Diese Pflicht haben auch Eltern, die an erblich bedingten Eigenschaften eine unerhebliche Minderwertigkeit der Nachkommen erwarten lassen; doch ist in diesen Fällen die Mindestzahl nicht zu überschreiten.
-
Jedes rüstige oder durch wertvolle, erblich bedingte Eigenschaften ausgezeichnete Ehepaar hat das Recht die Mindestzahl zu überschreiten und für jedes überschreitende Kind eine materielle Gegenleistung zu empfangen, die von den ledigen, kinderlosen und jenen Ehepaaren, die hinter der Mindestzahl zurückbleiben, beizusteuern ist.[...]” [211]
Der Biologe und Jesuitenpater Hermann Muckermann, ab 1927 Leiter der Abteilung Eugenik am neugegründeten KWI für Anthropologie, Menschliche Erblehre und Eugenik, forderte 1924 in seinem populärwissenschaftlichen Werk „Kind und Volk. 1. Teil Vererbung und Auslese“:
„[...] Bei jeder Heirat, und zwar schon vor der definitiven Verlobung - denn später ist es gewöhnlich zu spät - sei körperliche und seelische Gesundheit erste Bedingung für die eigene Entschließung zur Ehe und für die Entscheidung der Wahl. Vor allem prüfe man die ererbte Konstitution in der Familie, aus der man auslesen möchte, sowie die gesamte Lebenslage [...] Unter allen Eheberatern, [...] sind familienkundige selbstlose Ärzte und Seelsorger die besten Zeugen, und unter allen Zeugnissen ist das Gesundheits- und Sittenzeugnis das wichtigste [...]” [212]
Für die Eheführung gab er noch den wohlmeinenden Rat: „[...] Der reichste Segen für die Harmonie des Wachstums und seelischer Kräfte erblüht aus der Keuschheit, die sowohl für die Ehe als auch für den Stand der Jungfräulichkeit die einzig würdige Vorbereitung bildet. Keusche Menschen bleiben Kinder. Sie leuchten wie hochaufragende Lilien, und entzückende Rosen erblühen im verborgenen Garten ihrer Herzen [...]” [213]
Auch Fritz Lenz, außerordentlicher Professor für Rassenhygiene an der Universität München, sah 1932 in seinem Werk „Menschliche Auslese und Rassenhygiene, (Eugenik)“ die Ehe mehr von der technischen (wissenschaftlichen) Seite:
„[...] Der direkteste Weg positiver Rassenhygiene wäre der, hochgeartete junge Menschen unmittelbar in der Fortpflanzung zu fördern. Der Staat hat das höchste Interesse an der Erhaltung der hochbegabten Familien. Es wäre daher durchaus berechtigt, daß begabte und tüchtige junge Leute staatl. Beihilfen für die Eheschließung und für jedes Kind bekämen [...] die Feststellung der Fortpflanzungswürdigkeit würde keineswegs unüberwindliche Schwierigkeiten machen, sobald nur die Einsicht in die soziale Zweckmäßigkeit eines solchen Vorgehens und der gute Wille vorhanden wären. [...] Die Hauptaufgabe positiver Rassenhygiene besteht gegenwärtig in der Herbeiführung indirekter Maßnahmen zur Förderung der Fortpflanzung überdurchschnittlich veranlagter Familien. [...]”. [214]
Lenz schlug hier gleich ein ganzes Bündel an „positiven” eugenischen Maßnahmen vor, die vor ihm auch schon Grotjahn und Schallmayer in ähnlicher Weise gefordert hatten. Von Geburtenprämien über Kinderbeihilfen bis hin zur Erhöhung staatlicher Kindergelder oder Familienzulagen zum Lohn war hier die Rede. Bei allen Autoren tauchen im Übrigen auch konkrete Vorschläge zur Erhöhung der Beamtenbesoldung auf, weil diese als Prototyp „überdurchschnittlich Veranlagter“ galten. Lenz vergaß jedoch nicht, auf die Pflichten, insbesondere der Frau im Rahmen der Ehe hinzuweisen: „[...] am besten ist es selbstverständlich, wenn gesunde und tüchtige Mädchen möglichst früh heiraten und möglichst viele Kinder aufziehen. Jeder andere Beruf für das weibliche Geschlecht muß im Vergleich zum Mutterberuf als ein unvollkommener Ersatz gelten, und vereinbar sind beide ja doch nicht [...]” [215]
Die Nationalsozialisten bekräftigten dieses Frauenbild. So erklärte ein bayerischer Nationalsozialist 1930: „[...] Wir Nationalsozialisten vertreten die Position, daß die Politik das Geschäft des Mannes ist. Die deutsche Frau ist für uns viel zu heilig, um vom Filz des Parlamentarismus beschmutzt zu werden.[...]”. [216]
Ähnlich verquaste patriarchalische Vorstellungen über die Funktion der Frau in der „völkischen“ Gesellschaft hatte auch Adolf Hitler. [217]
So war eines der wichtigsten Vorhaben der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik, die Frauen aus dem Erwerbsleben zu entfernen und sie heim an den Herd zu schicken, wo sie möglichst viele Kinder zur Welt bringen und aufziehen sollten. Daher lobten die Nationalsozialisten Ehestandsdarlehen bis zu einer Höhe von 500 bis 1000 Reichsmark aus, die „erbgesunden“, verheirateten Männern angeboten wurden, deren Frauen dafür freiwillig eine Arbeitsstelle aufgaben. Die Reichsregierung sprach vom Ideal der „Vierkindfamilie“.
Hitler führte im Dezember 1938 das „Ehrenkreuz der deutschen Mutter“ ein. [218]
Für mindestens vier Kinder konnte die deutsche Mutter das Ehrenkreuz in Bronze, für sechs Kinder das Ehrenkreuz in Silber und für acht und mehr Kinder das Ehrenkreuz in Gold erhalten. [219]
Die nationalsozialistischen Anstrengungen, die deutsche Geburtenrate anzuheben, bestand in einer Kombination aus Propaganda, finanziellen Unterstützungen und sonstigen gesellschaftlichen Anreizen, wie eben das „Ehrenkreuz“.
Die Nationalsozialisten entwickelten daraus einen Mutterkult, dessen Hauptziel es war, den Rückgang der Geburtenrate zu stoppen. Die Frau wurde kühl und berechnend als Gebärerin „rassisch hochwertiger“ Kinder verplant. Um dies zu verschleiern war es nötig, einen Kult zu kreieren, der mit Kitsch und Gefühlsduselei verbrämt war. So führten die Nazis auch den 10. Mai als „Tag der deutschen Mutter“ ein. Die ideale Mutter war eine gewissenhafte, nicht berufstätige Hausfrau, deren Mann eine feste Beschäftigung hatte und, die eheliche Kinder zur Welt gebracht hatte. Frauen, die „jüdisch“ oder „Zigeunerinnen“ waren oder mit einem Juden oder „Zigeuner“ verheiratet waren, wurden von vornherein ausgegrenzt.
Michael Burleigh bringt die ganze Verlogenheit der nationalsozialistischen Familien- und Mutterpropaganda sehr anschaulich zur Darstellung:
„[...] Die Anwärterin [für das „Ehrenkreuz der deutschen Mutter“, J. D.] durfte ebenso wenig wie ihr Mann vorbestraft sein, keine Mietrückstände oder Schulden haben und, wenn beide auf die Fürsorge angewiesen waren, mussten sie das Geld für die Kinder statt für unwesentliche Dinge ausgeben. Hier wurden kinderlose Ehepaare regelmäßig wegen ihres angeblichen Egoismus kritisiert, der in diesem Kontext gleichbedeutend mit Pflichtvergessenheit war. 1938 wurden deshalb die Scheidungsgesetze durch den Zusatz erweitert, dass Kinderlosigkeit ein Scheidungsgrund war, was eine zusätzliche gesellschaftliche Ächtung kinderloser Ehepaare einschloss.[...] Die Nazis legten großes Gewicht auf die Werte der Familie und maßen gleichzeitig der Jugend eine besondere Bedeutung bei. [...] Die große Ausnahme von dieser Regel war Hitler selbst, der von sich unverblümt behauptete, dass ihm jeder Sinn für Clangeist und das Glück des Familienlebens vollständig abgehe und dessen eigenes Gefühlsleben aus einer bedrohlichen Wolke von Devianz und Verklemmtheit bestand, die jede seiner Beziehungen zu einer Reihe schüchterner junger Frauen belastete. Da Hitlers eigenes Junggesellendasein der Öffentlichkeit gegenüber als ein Opfer für den Dienst am Volk hingestellt werden konnte, mussten Josef und Magda Goebbels mit ihrer vielköpfigen hübschen Nachkommenschaft als Erste Familie einspringen, auch wenn Goebbels ein notorischer Schürzenjäger war. [...] Der Nationalsozialismus mochte zu den Werten der Familie Lippenbekenntnisse abgeben, doch seine totalitäre Reglementierung der Gesellschaft schwächte die Familienbande und erschütterte die traditionellen Hierarchien in der Familie wie in der Schule.[...]” [220]
1.4. Unterstützung der Geburtenförderung
Als erste „positive eugenische Maßnahme“ propagierten die neuen Machthaber im Sommer 1933 die finanzielle Förderung „bedürftiger Heiratswilliger“ durch die Gewährung von „Ehestandsdarlehen“. [221]
In erster Linie dachte der neue NS-Staat aber an die „Bereinigung” des überlasteten Arbeitsmarktes und versuchte Frauen aus der Erwerbsarbeit zu drängen. [222]
Da in der NS-Rassenideologie selbstverständlich „Träger minderwertiger Erbanlagen“ von einer Förderung ausgeschlossen waren, sollte eine amtsärztliche Untersuchung im Gesundheitsamt Aufklärung über den „Erbwert“ der Heiratskandidaten erbringen.
Diese Untersuchungen konnten nur eine begrenzte Kontrolle über Eheschließung und Fortpflanzung darstellen, da sie nur dann erfolgten, wenn Heiratswillige einen Darlehensantrag gestellt hatten.
Trotzdem war der Aufwand für die Kreis- und Bezirksärzte und ab April 1935 für die Gesundheitsämter enorm:
Die in den Reichsgesundheitsblättern veröffentlichten Statistiken zur Untersuchung von Ehestandsdarlehensbewerbern verdeutlichen das Ausmaß der Aufgabe und geben außerdem Hinweise auf erhebliche regionale Unterschiede in der Umsetzung der „Erb- und Rassenpflege“. Die unterschiedliche Auslegung individueller Ermessensspielräume einzelner Amtsärzte bzw. unterschiedlich intensive Kontrollen, der die Fachaufsicht führenden Bezirks- bzw. Provinzialregierungen, werden hier eine Rolle gespielt haben (s. Tab 13, 14, 15).
Tab. 13 Abgelehnte Ehestandsdarlehensbewerber 1936, einzelne Länder [223] ∑ aller Prüfungsbogen [n] Abgelehnt [n] % ∑ aller Prüfungsbogen [n] abgelehnt [n] % Baden11 280 391 3,47 Rheinprovinz52 125 1 114 2,14 Bayern30 034 566 1,88 Saarland8 293 249 3,00 Brandenburg11 336 150 1,32 Sachsen238 941 867 2,23 Hannover21 354 495 2,32 Schaumburg-Lippe287 15 5,23 Hessen120 089 582 2,90 Schlesien323 661 368 1,55 Mecklenburg5 303 110 2,07 Schlesw.-Holst. 11 925 314 2,63 Oldenburg5 168 57 1,10 Thüringen6 600 247 3,74 Ostpreußen12 828 238 1,86 Westfalen36 190 699 1,93 Pommern9 304 237 2,55 Württemberg10 641 304 2,86 Dt. Reich gesamt348 063 7 508 2,16 1Land Hessen und Hessen-Nassau 2Land Sachsen und preuß. Provinz Sachsen 3Nieder- und Oberschlesien Tab. 14 Abgelehnte Ehestandsdarlehensbewerber 1936, einzelne Großstädte ∑ aller Prüfungsbogen [n] abgelehnt [n] % ∑ aller Prüfungsbogen [n] abgelehnt [n] % Stadt Berlin 13 003 126 1,0 Bremen: 1 879 1 6 72 3,62 Hamburg 7 876 154 1,9 Frankfurt:2 879 158 5,5 Köln 5 171 104 2,0 Städte in Bayern: Hannover 3 558 39 1,0 München: 3 481 53 1,5 Dresden 3 088 75 2,5 Nürnberg: 1 350 29 1,8 Erfurt 649 58 8,92 Augsburg: 805 15 1,9 Stuttgart 1 962 102 5,2 Würzburg: 905 20 2,2 1Zahlen aus Bremen von Nitschke, ‚Erbpolizei‘, S. 198. 2Erfurt war Landeshauptstadt des „Mustergau” Thüringen. Tab. 15 Gründe für die Ablehnung von Ehestandsdarlehensbewerbern im dt. Reich, 1936 [224] im GzVeN angegebene Krankheiten n1 % wg. eigener Krankheit wg. „erblicher Belastung“ angeborener Schwachsinn 3 073 41,0 2 320 763 Schizophrenie 539 7,2 28 511 erbliche Fallsucht 242 3,2 39 203 erbl. körperl. Mißbildung 222 3,1 130 18 erbl. Blindheit/Sehstörung 63 0,8 51 13 1Rest: Sonstige Erkrankungen oder „Unzuverlässigkeit” eines Ehegatten.Neben dem Erfurter Gesundheitsamt tat sich auch das Frankfurter Amt besonders hervor. Mit seinem Leiter Fischer-Defoy stand dem Stadtgesundheitsamt Frankfurt ein strammer Nationalsozialist vor, der sich u. a. mit vielen einschlägigen Publikationen zum Thema „Erb- und Rassenpflege“ hervortat. Entsprechend rigoros fallen die Entscheidungen bei den Ehestandsdarlehensuntersuchungen aus, wie sie einer Veröffentlichung in der Beilage zum Deutschen Ärzteblatt, „Der Erbarzt“, zu entnehmen sind:
„[...]Vom 01. Oktober 1933 bis zum 30. September 1934 wurden 3851 Anträge bearbeitet. [...]:
Anträge % befürwortet 2 985 77,5 % bedingt befürwortet 296 7,7 % abgelehnt 570 14,8 %[...] An diesen Zahlen fällt auf, daß sich unsere Ablehnungsziffer seit dem April 1934 von 17,5 v. H. auf 14,8 v. H. gesenkt hat. [...] Der wahre Grund für das Sinken der Ablehnungszahl ist darin zu sehen, daß durch die letzten gesetzlichen Vorschriften die Ehestandsdarlehen einer erblich hochwertigeren Auslese zugute kommen. Es hatten sich bekanntlich unter den Arbeitslosen nicht nur Erbgesunde, sondern auch eine recht hohe Anzahl von Erbkranken um diese Darlehen beworben. Diese Gruppe ist in Wegfall gekommen, wodurch die Ablehnungszahl sinken mußte.[...]” [225]
Ein Vergleich mit Zahlen aus dem bayerischen Gesundheitsamt Kaufbeuren zeigt:
„Ehetauglichkeitsuntersuchungen“ 1936: 13 (in den Vorjahren Fehlanzeige)
Quartalsmeldungen der Ehestandsdarlehensbewerber:
1937 (es fehlt das 2. Quartal): 86 (alle „ehetauglich“)
1938: 157 (nicht „ehetauglich“ 1 Person)
1939 (es fehlt das 4. Quartal): 193 (alle „ehetauglich“)
Gesamtsumme: 436, davon 1 Person nicht „ehetauglich“ bzw. abgelehnt (0,2 %) [226]
Im Gesundheitsamt Eichstätt (damals Mittelfranken) sahen die amtsärztlichen Untersuchungsergebnisse wie [Tab. 16] aus.
Tab. 16 Untersuchte und abgelehnte Ehestandsdarlehensbewerber 1937 bis 1943 im staatl. Gesundheitsamt Eichstätt (Bayern, Reg.-Bez. Mittelfranken) 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 Untersuchte: Frauen 67 151 162 68 85 37 15 Männer 60 147 119 36 21 8 3 davon Abgelehnte: Frauen 3 5 6 4 - - - Männer 4 1 3 4 - - -Nach den noch zugänglichen Vierteljahresmeldungen des Gesundheitsamtes Eichstätt wurden zwischen April 1937 und Juli 1943 insgesamt 979 Ehestandsdarlehensbewerber untersucht. 30 von ihnen wurden von den Amtsärzten abgelehnt. Dies entspricht einer Ablehnungsquote über die gesamten sieben Jahre von gut 3 %. Bis einschließlich 1940, als das Amt unter der Leitung von Dr. Bergleiter und ab März 1939 seinem Nachfolger Dr. Hofmann stand, waren bereits 810 Personen untersucht und 30 davon abgelehnt. Dr. Niederer, der seinen Kollegen Hofmann 1941 ablöste, der sich zur Wehrmacht gemeldet hatte, lehnte keine Bewerber mehr ab. Die Ablehnungsquote der Amtsärzte Bergleiter und Hofmann (letzterer war NSDAP-Mitglied seit 01.05.1933), beträgt somit 3,7 % und liegt damit deutlich über dem Reichsdurchschnitt ([Tab. 13]). [227]
Unverhältnismäßig war der geburtenfördernde Erfolg der Ehestandsdarlehen im Vergleich zum hohen administrativen und finanziellen Aufwand. Wenngleich hier noch einmal daran erinnert sei, dass hinter den Ehestandsdarlehen in erster Linie eine arbeitsmarktpolitische Intention stand. Sachße und Tennstedt gehen davon aus, der größte Teil der Ehestandsdarlehen hätte keine zusätzlichen Eheschließungen ausgelöst. Von ihnen profitierten hauptsächlich diejenigen, die auch ohne Darlehen die Heirat geplant hatten. Der anfängliche Darlehensboom der Jahre 1933/1934 ging vermutlich größtenteils auf das Konto der wegen der Weltwirtschaftskrise aufgeschobenen Heiratspläne. Ende 1935 konnten die „Darlehensehen” 590 Geburten auf 1000 Eheschließungen gegenüber 402 Geburten auf 1000 ohne Darlehen geschlossene Ehen aufweisen. Der deutlichste Einfluss dieser Politik ist noch am ehesten aus folgenden Zahlen zu erkennen: Die Zunahme der Drittgeburten betrug 1937 5513 mehr als im Vorjahr, die der Viertgeburten um 2771 und die der fünften und folgenden Geburten gar 4779 mehr als im Jahre 1936. [228]
Wenn es nun den Anschein hat, der NS-Staat hätte eine besonders erfolgreiche geburtenfördernde Politik betrieben, muss festgehalten werden, der Schein trügt.
Schon der „Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik“ im RMdI beschränkte die Maßnahmen zum „Familienlastenausgleich“ auf Familien, die entsprechend der Ideologie „völkisch-biologisch“ leistungsfähig waren. Wegen der angespannten Finanzlage zu Beginn der NS-Herrschaft sollte das RMdI überprüfen, inwieweit Mittel für die Politik der „positiven Auslese“ durch eine Senkung der Ausgaben für „geistig Minderwertige, Asoziale und Kriminelle“ freigemacht werden könnten. Dazu diskutierte man auch eine Reform der Sozialversicherung. Der Reichsleiter der deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, musste jedoch eingestehen, dass die Sozialversicherung „bankrott und pleite“ und ihr „Umbau“ zur „Reichsfamilienausgleichskasse“ unmöglich war. [229]
So versuchte man, im Dezember 1933 kleinere Brötchen zu backen und diskutierte die bevorzugte Behandlung Kinderreicher bei den Behörden und die Gewährung günstigerer Strom-, Gas- und Wassertarife sowie Baudarlehen. Ministerialdirektor Gütt hoffte noch zwei Jahre später auf eine Realisierung des Familienlastenausgleichs.
Auf dem Internationalen Kongress für Bevölkerungswissenschaft 1935 in Berlin erklärte Gütt, dass eine Reichsfamilienkasse zugunsten von Arbeitern und Angestellten geschaffen werde. Ein Gesetzentwurf zur Schaffung einer Familienkasse, den der Sachverständigenbeirat Ende 1935 vorlegte, wurde vom Reichsminister der Finanzen am 13. Januar 1936 mit Hinweis auf die Gewährung von Kinderbeihilfe zurückgestellt. Am 01.10.1935 waren einmalig 55 000,- RM Kinderbeihilfen gewährt worden. Ab 01.07.1936 wurden Beihilfen an Arbeitnehmer mit einem Jahreslohn bis zu 1800,- RM gewährt und zwar 10,- RM für das 5. und jedes dann folgende Kind. Bereits im November 1935 war eine Entscheidung gegen eine „Reichsfamilienkasse“ zugunsten der finanziellen Unterstützung des Wehrwirtschaftsstabes im Reichskriegsministerium gefallen. [230]
Der einzige Teilerfolg in Richtung auf einen Familienlastenausgleich gelang mit einem Steuerreformgesetz, das mit großem Propagandaaufwand anlässlich des Nürnberger Reichsparteitages im Oktober 1934 veröffentlicht wurde. Hier wurden Kinderfreibeträge erhöht und Ledige bzw. kinderlos Verheiratete steuerlich stärker belastet. Diese geringfügige finanzielle Besserstellung kinderreicher Familien dürfte sich jedoch hauptsächlich bei den Besserverdienenden bemerkbar gemacht haben. Am 15.09.1935 erließ der RMdFi eine „Verordnung über die Gewährung von Kinderbeihilfen an kinderreiche Familien“
„§ 1 Kinderreichen Familien können aus den Mitteln des Sondervermögens des Reichs für Ehestandsdarlehen [...], auf Antrag einmalige Kinderbeihilfen gewährt werden.” [231]
In den Durchführungsbestimmungen zur Verordnung heißt es dazu:
„[...] § 1 Kinderbeihilfen können unter den folgenden Voraussetzungen gewährt werden:
-
Die Familie muß vier oder mehr zum elterlichen Haushalt gehörige Kinder, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umfassen.
-
Die Eltern müssen Reichsbürger im Sinn des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (Reichsgesetzbl. I, S 1146) sein.
-
Das Vorleben und der Leumund der Eltern müssen einwandfrei sein.
-
Die Eltern und die Kinder müssen frei von vererblichen, geistigen oder körperlichen Gebrechen sein [...]”
Im § 6 Abs. 3 wurde außerdem als Dienstaufgabe für die Gesundheitsämter bestimmt:
„[...] (3) Die Tatsache, daß die im § 1 Ziff. 4 bezeichnete Voraussetzung vorliegt, ist durch ein Zeugnis des zuständigen Gesundheitsamts nachzuweisen.[...]” [232]
Wie alle anderen geburtenfördernden Maßnahmen der NS-Bevölkerungspolitik war somit auch die Vergabe von Kinderbeihilfen den stigmatisierten Bevölkerungsgruppen, wie Juden, sonstigen „Fremdrassigen“ und Menschen mit vermeintlichen oder tatsächlichen Erbkrankheiten vorenthalten. Der Bericht eines Amtsarztes aus Kyritz, Regierungsbezirk Potsdam, der darüber hinaus eine „Umfrage bei den Leitern der Gesundheitsämtern der Untergruppe Kurmark, einschließlich Grenzmark und der Untergruppe Berlin“ vornahm, zeigt folgendes Bild:
„[...] Von insgesamt 339 Anträgen meines eigenen Bezirkes konnten auf Grund sorgfältiger Vorprüfung bei wohlwollender Beurteilung 274 genehmigt werden. 59 Anträge mußten auf Grund der zur Kenntnis gelangten Tatsachen und dem Ergebnis der Untersuchung wegen Vorliegen des § 1, Ziffer 4 [s. o., J. D.] abgelehnt werden. In weiteren sechs Fällen war, soweit bekannt geworden, die Voraussetzung des § 1 Ziffer 3 [s. o., J. D.] nicht erfüllt. Dies entspricht einem Prozentsatz von 17,4 bzw. 19,1 %. Beschwerde gegen die Ablehnung wurde in etwa 20 Fällen erhoben, entgegen der ablehnenden Stellung des Gesundheitsamtes, wurde in 6 Fällen = 30 % die Beihilfe genehmigt.[...] Die Gründe für die ablehnende Stellungnahme lagen überwiegend in dem Vorkommen von Schwachsinn und allen seinen Folgen in den betreffenden Familien bzw. Sippen. Bei den Eltern und in der Sippe fanden sich unter den 50 Familien 39 sichere Fälle von Schwachsinn, in 14 Fällen andere unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchs fallende Geisteskrankheiten, darunter fünf mal Epilepsie [...]”. Der Amtsarzt stellte weiterhin fest:
„[...] daß von den insgesamt 392 Kindern 89 Kinder, gleich 25,3 %, weit unter dem Durchschnitt begabt waren, 45 Kinder waren Hilfsschüler bzw. hilfsschulreif und als schwachsinnig zu bezeichnen. Das entspricht einem Hundertsatz von 12,5 %. Die Zahl der als minderwertig zu bezeichnenden Kinder betrug im ganzen 134 = 38 % [...]”.
Bei seiner Umfrage unter den Leitern der umliegenden Gesundheitsämter kam Medizinalrat Dr. Federhen aus Kyritz zu folgenden Ergebnissen:
„[...] daß die Zahl der aus § 1, Ziffer 4 von den Gesundheitsämtern abgelehnten Anträge im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Anträge rund 5 % betrug, und zwar wurden von 20 449 Anträgen insgesamt 19 020 genehmigt, 1000 auf Grund des § 1 Ziffer 4 und 429 auf Grund § 1 Ziffer 3 = etwa 3 % abgelehnt, insgesamt also etwa 8 %.[...]”
Der Amtsarzt zog daraus folgenden Schluss:
„[...] daß unter den Familien, die in den Bereich der Verordnung fallen, in weit größerer Anzahl, als es dem Durchschnitt entspricht, erbunwerte Familien enthalten sind. Selbst bei wohlwollenster Beurteilung müssen schätzungsweise mindestens 15 % dieser Familien als erbunwert angesehen werden. [...]” [233]
Aber auch für Reichsdeutsche, die der nationalsozialistischen Vorstellung der „erbgesunden” Familie entsprachen, war der bürokratische Hürdenlauf, den eine Familie bis zur Gewährung von Kinderbeihilfen zu absolvieren hatte, enorm, wie Vossen am Beispiel Westfalen beschreibt:
„[...] Ausgangspunkt für die Beantragung der Kinderbeihilfe war wiederum die Gemeindeverwaltung, also das zuständige Amt. [...] Als Voraussetzungen [für die Gewährung von Kinderbeihilfen, J. D.] wurden genannt: Die Existenz von mindestens vier, zum Haushalt gehöriger Kinder unter 16 Jahren, das Reichsbürgerrecht der Eltern und die Bedürftigkeit der Familie. Die übrigen erforderlichen Voraussetzungen wurden verschwiegen. Mit dem Antrag waren die Geburtsscheine der Kinder, Unterlagen über die Einkommensverhältnisse und Angaben über die Geburtsorte der Eltern und die von Eltern und Kindern besuchten Schulen einzureichen. Auf der Basis dieser Informationen und weiterer Ermittlungen überprüften die Amtsverwaltungen, ob die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Beihilfe vorlagen. Sie forderten einen Strafregisterauszug an, schalteten die NSDAP-Kreisleitung ein und veranlassten eine Überprüfung der persönlichen Lebensverhältnisse der Antragssteller und ihrer Kinder. Sie leiteten dem Gesundheitsamt auch einen Personalbogen zu, der die Personalien der Kinder und der Eltern enthielt. Das Gesundheitsamt führte weitere Nachforschungen durch. Die zuständige Fürsorgerin stellte eine „Übersicht über die Gesundheitsverhältnisse der Sippe” auf, mit deren Hilfe etwa vorhandene, unerwünschte Krankheiten bzw. sozial abweichendes Verhalten erfasst werden sollten. Ein hausärztliches Attest wurde angefordert und Abschriften von Schulzeugnissen eingeholt. Die Antragsteller hatten zusätzlich eine eidesstattliche Erklärung zu unterschreiben, dass bei ihnen und ihren Verwandten in direkter Linie „keine Fälle von Schwachsinn, Fallsucht, Geisteskrankheiten, Krämpfen, Missbildungen, Gebrechen (z. B. vererbbare Blindheit, Taubstummheit usw.) Verkrüppelung, Stoffwechselkrankheiten, Tuberkulose, Alkoholismus, Rauschgiftsucht, Selbstmord, konstitutionelle Krankheiten oder Aufenthalte in Anstalten für Geisteskranke, Schwachsinnige und Fallsüchtige vorgekommen sind. [...]” [234]
Erst wenn alle Informationen positiv ausfielen, gab sich das Gesundheitsamt zufrieden. Eine amtsärztliche Untersuchung sollte nur in Zweifelsfällen erfolgen, um die Gesundheitsämter nicht unnötig zu belasten. [235]
Die vom Gesundheitsamt gewonnenen Informationen sollten in die entsprechenden Sippentafeln eingetragen werden. Der bereits zuvor zu Wort gekommene Amtsarzt aus Kyritz äußerte dazu:
„[...] Für die Beurteilung der Anträge für Kinderbeihilfe ist die Aufstellung eines Sippenbogens unerläßlich, da hier überwiegend von den „bekanntgewordenen Tatsachen” die Entscheidung abhängt. Das auf diese Weise gewonnene und durch Akten und Untersuchung belegte Material bildet einen wertvollen Grundstock für die erbbiologische Bestandsaufnahme der Bevölkerung. Außerdem läßt sich auf Grund eines derartigen Sippenbogens schon im Voraus sagen, ob eine eingehendere Untersuchung, z. B. Intelligenzprüfung erforderlich sein wird, weiterhin bildet der Sippenbogen eine handgreifliche Unterlage bei eingelegter Beschwerde. [...]” [236]
Ab Sommer 1936 wurden dann „erbgesunde“ kinderreiche Familien durch die Einführung laufender Kinderbeihilfen kontinuierlich finanziell gefördert. Als Voraussetzung waren genannt: Fünf oder mehr Kinder in der Familie, der für die Kinder Unterhaltspflichtige sollte in einer krankenversicherungspflichtigen Tätigkeit sein oder Arbeitslosenunterstützung beziehen und nicht mehr als 185,- RM monatlich verdienen. In der NS-Logik waren von der Vergabe der laufenden Kinderbeihilfen wiederum Juden sowie Personen, die keine Reichsbürger waren bzw. deren Vorleben und Leumund nicht „einwandfrei“ waren, von der Gewährung der Beihilfen ausgeschlossen. Jedem bewilligungsfähigen Kind stand eine monatliche Beihilfe von 10,- RM zu. [237]
Das Reichsfinanzministerium ergänzte mit einer 6. „Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Gewährung von Kinderbeihilfen an kinderreiche Familien“ im März 1938 (RGBl I. S. 241) die „Kinderbeihilfen“ durch „Ausbildungsbeihilfen“.
„Ausbildungsbeihilfen“ konnten im Gegensatz zu den „Kinderbeihilfen“ ausschließlich nach einer amtsärztlichen Untersuchung durch das Gesundheitsamt bewilligt werden. Mit Runderlass vom 04.05.1938 legte das RMdI für die amtsärztliche Untersuchung folgendes fest „[...] in den hierzu erlassenen Richtlinien [...] hat der RFM die Gewährung dieser Beihilfen davon abhängig gemacht, daß das zu unterstützende Kind erbgesund und geistig und sportlich entwicklungsfähig sein muss. Die für die Gewährung der Ausbildungsbeihilfen endgültig in Aussicht genommenen Kinder sind in allen Fällen von dem zuständigen Gesundheitsamt eingehend zu untersuchen [...] (2) Für eine Förderung kommen [...] nur völlig gesunde, rassisch einwandfreie, charakterlich saubere und erbgesundheitlich unbedenkliche Personen in Frage. Das Gesundheitsamt hat die erforderlichen ärztlichen Untersuchungen an Hand des Untersuchungsbogens [...] des Erbgesundheitsges. [...] vorzunehmen. Der Stellungnahme ist weiterhin noch die Sippentafel zu Grunde zu legen [...]”. [238]
Nach Kriegsbeginn erfuhr die Vergabepraxis von Kinderbeihilfen eine weitere grundlegende Änderung. Nun wurden die monatlich 10,- RM einheitlich bereits nach dem 3. und jedem folgenden Kind gewährt, die Altersgrenze von 16 auf 21 Jahre angehoben und Einkommensbegrenzungen gestrichen. Unverändert blieben die Ausschlussgründe für Kinder, die „nicht deutschen oder artverwandten Blutes“ waren bzw. Angehörige der „jüdischen Rasse“ oder „Zigeuner“. Jetzt war es auch möglich, dass der Landrat oder der NSDAP-Kreisleiter, sofern sie vom Finanzamt in Kenntnis gesetzt waren, in bestimmten Fällen Widerspruch gegen die Vergabe von Kinderbeihilfen einlegen konnten. Als Widerspruchsgründe galten „asoziales Verhalten“, „Erbkrankheiten“ der Kinder und der Familien, fehlende „Deutschblütigkeit“ des Kindes oder seiner Eltern, politische „Teilnahmslosigkeit“ der Kinder, z. B. durch fehlende Mitwirkung in NSDAP-Organisationen, politische „Unzuverlässigkeit“ der Eltern, unzweckmäßige Verwendung der Kinderbeihilfe, unbekannte Vaterschaft des Kindes einer alleinstehenden Frau und das Bestehen eines eheähnlichen Verhältnisses bei alleinstehenden Frauen. [239]
Mit Runderlass des RMdI vom 23.04.1941 wurde das Verfahren für die Gesundheitsämter insofern vereinfacht, als nun Untersuchungen „in der Regel“ nicht mehr erfolgen sollten. Für die durch Einziehung zur Wehrmacht bzw. Personalanforderungen für die neu zu schaffenden Gesundheitsämter in den eroberten Ostgebieten und der „angeschlossenen Ostmark“ personell erheblich ausgedünnten Gesundheitsämter wäre der Vollzug im bisher erforderlichem Umfang nicht mehr möglich gewesen. Doch die in den zurückliegenden Jahren systematisch aufgebaute „Erbkartei“ erleichterte die Ermittlungstätigkeit des Gesundheitsamtes entscheidend, so dass die zeitaufwendigen Untersuchungen häufig unterblieben.
Den Erfolg aller finanz- und steuerpolitischen Maßnahmen zugunsten der Bevölkerungspolitik beurteilten selbst ihre Protagonisten negativ. Die Bilanz sah kurz vor Kriegsbeginn schlecht aus. Prof. Fritz Lenz stellte 1939 in einem Grundsatzreferat über „Kinderaufzucht als staatliche Pflicht“ fest „[...] daß es bisher nicht gelungen ist, rassischen Niedergang in Aufstieg zu verwandeln. Es fehlt an tüchtigen Facharbeitern, an Soldaten, an tüchtigen Bauern für die Siedlungen.[...] an tüchtigen Ingenieuren und Offizieren, überhaupt an geeignetem Nachwuchs für leitende Stellungen. Dieser Mangel ist [...] die Folge einer seit Generationen ungenügenden Fortpflanzung, gerade der Tüchtigen und persönlich erfolgreichen Rassenelemente [...]” [240]
Eine weitere Dienstaufgabe erwuchs den Gesundheitsämtern durch die Einführung des „Ehrenkreuzes der deutschen Mutter“. [241]
Das Ehrenkreuz sollte „[...] als sichtbares Zeichen des Dankes des deutschen Volks an kinderreiche Mütter [...]” in drei Stufen verliehen werden: „[...] in der 3. Stufe für Mütter von 4 und 5 Kindern, in der 2. Stufe Müttern von 6 und 7 Kindern und schließlich in der höchsten, der 1. Klasse, für Mütter von 8 und mehr Kindern [...]”. Voraussetzung war allerdings, dass die Eltern der Kinder „deutschblütig“ und „erbtüchtig“ waren, die Mutter der Auszeichnung würdig und die Kinder lebend geboren waren.
Der NS-Staat verfolgte die Einführung dieses Symbols mit einem enormen bürokratischen Aufwand, in dem sowohl parteiamtliche Stellen als auch die Staatsverwaltung mit eingebunden waren.
Vorschläge für das „Ehrenkreuz“ stellte in der Regel der zuständige Bürgermeister zusammen. Ein Prüfkatalog musste daraufhin abgearbeitet werden, der Kriterien für die positive „Auslese“ der zu ehrenden Mutter enthielt:
„[...] § 1 Vorschläge auf Verleihung des Ehrenkreuzes
(1) Die Vorschläge auf Verleihung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter werden vom Bürgermeister von Amts wegen oder auf Antrag des Ortsgruppenleiters der NSDAP oder des Kreiswarts des Reichsbundes der Kinderreichen aufgestellt.
(2) Der Bürgermeister legt die Vorschläge der unteren Verwaltungsbehörde vor. Diese stellt nach Einholung einer gutachtlichen Äußerung des Gesundheitsamts das Einvernehmen mit dem Kreisleiter der NSDAP her [...]
(3) Die untere Verwaltungsbehörde stellt die Vorschläge listenmäßig zusammen und reicht sie der höheren Verwaltungsbehörde ein, die sie allmonatlich zum Monatsersten der Präsidialkanzlei übermittelt [...]
§ 3 Aushändigung
Die Aushändigung erfolgt im ganzen Reich einheitlich am Muttertag durch die Orstgruppenleiter der NSDAP, denen die Ehrenkreuze mit den Besitzzeugnissen über die untere Verwaltungsbehörde zugeleitet werden.
§ 4 Entziehung
Im Falle der Unwürdigkeit wird das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter auf Vorschlag des Reichsministers des Innern von mir entzogen.[...]” [242]
Lt. Runderlass des RMdI vom 28.01.1939 galten folgende Sachverhalte als „unwürdig“: Vorbestrafung mit Zuchthaus bzw. wegen Abtreibung, wenn Mütter „[...] das Ansehen der deutschen Mutter schwer geschädigt [...]” hatten, „[...] z. B. durch Gewerbsunzucht oder nicht strafbare Rassenschande [...]”. Ausgegrenzt wurden vor allem auch Mütter von „asozialen“ Großfamilien. Als Kriterium dafür galt eine Familie, „[...] die fortgesetzt mit den Strafgesetzen, der Polizei und den Behörden in Konflikt geraten, deren Mitglieder arbeitsscheu [...] unwirtschaftlich und hemmungslos sind [...]” oder deren Kindererziehung nach Auffassung der NS-Parteibehörde zu wünschen übrig ließ oder „[...] deren Angehörige Trinker sind oder durch unsittlichen Lebenswandel auffallen.[...]” Nach der Überprüfung dieses „Leumunds“ folgten die Ermittlungen des Gesundheitsamtes, die sich überwiegend auf ihre bisher angesammelten Unterlagen der „Erbkartei“ und der „Sippentafel“ verließen. Die letzte Entscheidung lag dann beim Kreisleiter der NSDAP. Dieser gab bei positivem Entscheid die Unterlagen auf dem Dienstweg, über die untere zur höheren Verwaltungsbehörde, an die Präsidialkanzlei weiter. [243]
1.5. Der Vollzug des „Ehegesundheitsgesetzes“
Zur Durchführung dieses Gesetzes war eine enge Zusammenarbeit zwischen Gesundheits- und Standesämtern nötig. [244]
Den Nationalsozialisten gelang es hier, das Konkurrenzdenken zwischen Standes- und Medizinalbeamten, wie es sich bei der Zuständigkeit in Fragen der Eugenik und Rassenhygiene in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik herauskristallisiert hatte, nach und nach den Erfordernissen anzupassen und zu kanalisieren. [245]
1925 hatte sich in Konkurrenz zur „Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene“ ein „Deutscher Bund für Volksaufartung und Erbkunde“ gegründet. Der Bund wollte die öffentliche Aufklärung in Sachen Eugenik durch Anregungen an private Kreise wie auch an die Gesetzgeber und Verwaltungsorgane erreichen. Mit der Aufklärung sollten die menschliche Erblichkeitslehre und Forderungen der Eugenik Verbreitung finden. Aufgeklärt wurde über die Gefahren des Alkoholmissbrauchs, der Geschlechtskrankheiten und der vererbbaren Erkrankungen zum Ziele einer gesunden Eheführung. Hinter dem Bund standen neben dem 7000 Mitglieder zählenden „Reichsverband der Standesbeamten Deutschlands e. V.”, Beamte des preußischen Wohlfahrtsministeriums, die mehrheitlich der Zentrumspartei zuzuordnen waren und damit ein Gegengewicht zu den eher völkisch nationalistischen Rassenhygienikern in der „Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene“ schaffen wollten. In der Zeitschrift für Standesamtswesen erschien 1925 ein Artikel mit eigenartig pathetischen Manierismen: „[...] Der Standesbeamte muß aus einer, wenn auch hochentwickelten Registratur ein Lehrer, ein Führer, ein Berater, ein Staatsmann werden! In vollem Ernste! In aller Wucht! In aller Geschlossenheit! Er muß vor allem Wegbereiter und Wegweiser der Rassenhygiene und Eugenik oder Aufartung werden! Diese Auffassung gewinnt immer mehr an Anhang. Die wichtigsten Geistesführer der Standesbeamtenverbände vertreten heut diese Forderung nachdrücklich und zähe! [...]” [246]
Hier wird deutlich, dass sich die deutschen Standesbeamten ähnlich wie die deutschen Medizinalbeamten bereits vor 1933 vehement für die Umsetzung eugenischer bzw. rassenhygienischer Grundsätze im Rahmen ihrer Dienstaufgaben stark machten.
Gemäß dem im Herbst 1935 verabschiedeten „Ehegesundheitsgesetz“ mussten Heiratskandidaten vor jeder Eheschließung beim Standesamt ein „Ehetauglichkeitszeugnis“ vorlegen:
„§ 1 (1) Eine Ehe darf nicht geschlossen werden, a) wenn einer der Verlobten an einer mit Ansteckungsgefahr verbundenen Krankheit leidet, die eine erhebliche Schädigung der Gesundheit des anderen Teiles oder der Nachkommen befürchten läßt, b) wenn einer der Verlobten entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft steht, c) wenn einer der Verlobten, ohne entmündigt zu sein, an einer geistigen Störung leidet, die die Ehe für die Volksgemeinschaft unerwünscht erscheinen läßt, d) wenn einer der Verlobten an einer Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses leidet.
(2) Die Bestimmung des Absatzes 1 Buchstabe d steht der Eheschließung nicht entgegen, wenn der andere Verlobte unfruchtbar ist.
§ 2 Vor der Eheschließung haben die Verlobten durch ein Zeugnis des Gesundheitsamtes (Ehetauglichkeitszeugnis) nachzuweisen, daß ein Ehehindernis nach § 1 nicht vorliegt. [...]
§ 6 Der Reichsminister des Innern oder die von ihm ermächtigte Stelle kann Befreiungen von den Vorschriften dieses Gesetzes bewilligen. [...]” [247]
Dieses Zeugnis wurde vom Gesundheitsamt ausgestellt. [248]
Der Gesetzgeber hatte die Ausstellung des „Ehetauglichkeitszeugnisses“ eigentlich für alle Eheschließungen vorgesehen. Die im Laufe des Jahres 1935 sich erst im Aufbau befindlichen staatlichen Gesundheitsämter wären hier organisatorisch und personell völlig überfordert gewesen. Zudem weigerte sich das Reichsfinanzministerium, die erforderlichen Mittel für zusätzlich einzustellendes Personal zu bewilligen. [249]
Als Kompromiss sah dann die erste DVO zum Ehegesundheitsgesetz vor, dass Ehegesundheitsuntersuchungen nur dann durchgeführt werden sollten, wenn der zuständige Standesbeamte Zweifel an der „Ehetauglichkeit“ der Heiratskandidaten hegte. [250]
Neben der im „Ehetauglichkeitszeugnis“ vorgesehenen amtsärztlichen Untersuchung war außerdem eine obligatorische Ermittlung des Gesundheitsamtes nötig.
Vossen belegt am Beispiel des Gesundheitsamtes Herford-Land, dass standardmäßig bei den relevanten Fürsorgestellen für Tuberkulosekranke, Nervenkranke und Geschlechtskranke angefragt wurde, ob die vom Standesamt gemeldeten Personen anhand der dort vorliegenden Akten und Listen bekannt waren. [251]
Andere Gesundheitsämter hatten laut Vossen einen Katalog standardisierter Fragen in ein Formular gegossen, das sich an die Ämter richtete, die die entsprechenden Informationen verwalteten. [252]
Wie aus dem Formblatt zum „Ehetauglichkeitszeugnis“ ersichtlich, war neben der amtsärztlichen Bescheinigung auch eine ärztliche Bescheinigung möglich. Damit wurde wiederum das vom „Reichsärzteführer“ Dr. Gerhard Wagner aufgebaute Gesundheitsdienstnetz betraut, das, in Konkurrenz zum ÖGD, im Rahmen der auf Gau- und Kreisebene organisierten „Ämter für Volksgesundheit“ der NSDAP entstanden war.
Aufgrund der kärglichen Ausstattung der Kreisämter für Volksgesundheit (monatlich standen nur 500 Reichsmark zur Verfügung, der Kreisamtsleiter war gleichzeitig der Beauftragte des NSDÄB und ehrenamtlich tätig) konnte nur eine Bürokraft und der übliche Bürosachaufwand damit finanziert werden, sodass die Kreisämter für Volksgesundheit damit jedem Gesundheitsamt organisatorisch und personell unterlegen waren. Daher wurden diese Kreisämter nicht primär ärztlich, sondern führend, koordinierend, aufklärend und beratend tätig. Die praktische ärztliche Arbeit war den von den Ämtern „zugelassenen” niedergelassenen Ärzten vorbehalten. [253]
Diese durften demnach auch nach einem Runderlass des RMdI neben den Amtsärzten die „Bescheinigung über die Untersuchung auf Eignung zur Ehe“ ausstellen. [254]
Vossen berichtet, dem Reichsgesundheitsamt sei bei der Auswertung der von den Gesundheitsämtern gemeldeten Statistiken zur Durchführung des Ehegesundheitsgesetzes aufgefallen, dass in einigen Kreisen wesentlich mehr Untersuchungen durch niedergelassene Ärzte als durch Amtsärzte erfolgt seien. Als Erklärung führt er an, dass insbesondere ein Amtsarzt vehement für die Durchführung der Ehetauglichkeitsuntersuchung unter den niedergelassenen Ärzten geworben habe. Dies kann als Ausdruck einer bewussten Verlagerung von Dienstaufgaben auf niedergelassene Ärzte wegen der eigenen Überforderung oder des Desinteresses gewertet werden. [255]
Der Amtsarzt fasste die Ergebnisse seiner Ermittlungen bzw. seiner ärztlichen Untersuchung in einem durch das Gesetz vorgesehenen vierseitigen Untersuchungsbogen zusammen. [256]
In den Untersuchungsbogen waren aufzunehmen: Angaben über früher erfolgte ärztliche Behandlungen, Daten zur biografischen Anamnese einschließlich der Entwicklung in körperlicher, geistiger und charakterlicher Hinsicht, insbesondere auch wie oft die betreffende Person ein Schuljahr wiederholen musste. Der Amtsarzt hatte außerdem Angaben zum Sexualleben und zu evtl. durchgemachten bzw. bestehenden Geschlechtskrankheiten zu machen. Er musste überdies die Betroffenen einem Konstitutionstyp (nach Kretschmer) zuordnen und eine rassische Einordnung vornehmen. Grundlage dieser Angaben war eine eingehende körperliche Untersuchung. In einer abschließenden Beurteilung vermerkte der Amtsarzt, ob er „zur Eheschließung geraten“ oder „von der Eheschließung abgeraten“ hatte. Gemäß der 1. DVO zum Ehegesundheitsgesetz war nach dem Vorliegen aller Befunde die „Bescheinigung über die Untersuchung auf Eignung zur Ehe“ auszustellen oder zu verweigern. [257]
Für den Fall, dass die Bescheinigung vom Amtsarzt verweigert wurde, konnten sich die Ehekandidaten bis 1939 in einer Beschwerde an das Erbgesundheitsgericht wenden. [258]
Gegen einen negativen Beschluss des Erbgesundheitsgerichts war wiederum eine Berufung an das Erbgesundheitsobergericht möglich, das dann in „Ehegesundheitssachen“ als höchste Instanz entschied. [259]
„In besonderen Ausnahmefällen“ bestand die Möglichkeit, auf dem Gnadenweg beim Regierungspräsidenten, Reichsstatthalter bzw. letztinstanzlich beim Reichsinnenminister um „Befreiung von den Vorschriften des Ehegesundheitsgesetzes“ nachzusuchen. [260]
In einem Schreiben an sämtliche staatliche Gesundheitsämter informierte das RMdI über eine letztinstanzliche Entscheidung des Reichsinnenministers:
„IV b Müller 38 / 42 1075c v. 21.10.1939
An Frau [...] in Neunkirchen/Saar
[...] Auf Ihre Beschwerde vom 28. August 1942 [...]
Ihre Beschwerde gegen den Bescheid des Herrn Reichsstatthalters in Saarbrücken vom 19. August 1942, [...] habe ich nachgeprüft. [...] Es muß bei der Ablehnung Ihres Antrages verbleiben. [...]”
Das RMdI begründet die Ablehnung folgendermaßen:
„[...] Sie ist bereits 3mal geschieden, die Ehescheidungsurteile lassen erkennen, daß sie nicht in der Lage ist, den Sinn und Zweck der Ehe richtig zu würdigen und noch weniger den Willen aufzubringen, ihr Verhalten so einzurichten, wie es von einer Ehefrau verlangt werden muß. Dieses offensichtliche Versagen ist als geistige Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. c des Ehegesundheitsgesetzes anzusehen [...]” [261]
Zunächst lag die Anwendung des Ehegesundheitsgesetzes ganz im Ermessen der Standesbeamten. Das Gesundheitsamt wurde demnach nur tätig, wenn es vom zuständigen Standesamt dazu aufgefordert war. So stellte das Ehegesundheitsgesetz und seine Ausführungsbestimmungen den Standesbeamten in das Zentrum der Durchführung. Diese Konstruktion war den Medizinern in der Abteilung „Volksgesundheit“ des Reichsinnenministeriums ein Dorn im Auge. Sie wollten der aus ihrer Sicht einzig kompetenten Behörde - dem Gesundheitsamt - auch hier die Federführung in der Durchführung übertragen und den Konkurrenzkampf der Standesbeamten mit den Medizinalbeamten beenden.
Mit Erlass vom 16. Juni 1936 führte das RMdI deshalb in einer weiteren Ausführungsbestimmung zum Blutschutz- und Ehegesundheitsgesetz ein Verfahren ein, in dem das Gesundheitsamt ab dem 1. August 1936 auf einem eigens dafür entwickelten Formblatt vom Standesbeamten über jedes Aufgebot informiert werden musste. [262]
Innerhalb der nach Bestellung des Aufgebots vorgesehenen 14-tägigen Frist musste das Gesundheitsamt nun die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Eheschließung überprüfen. Hier ließ sich dann auch die mittlerweile von den Gesundheitsämtern im Aufbau befindliche „erbbiologische Kartei“ bestens für die Ermittlungen einsetzen.
Zur Durchführung des Ehegesundheitsgesetzes veröffentlichte die Zeitschrift „Der Öffentliche Gesundheitsdienst” 1937 praktische Hinweise eines Hamburger Amtsarztes:
„[...] Die Durchführung des Ehegesundheitsgesetzes gibt dem Amtsarzt einen Einfluß auf das Leben jedes einzelnen Volksgenossen, sie bürdet dem Amtsarzt eine solche Verantwortung auf, wie es wohl durch kein anderes Gesetz geschieht. Es ist deshalb unerläßlich, daß die hier verantwortlichen Vollstrecker des Willens nationalsozialistischer Ideen peinlichst nach Erfahrung und Eignung ausgesucht werden und daß diese sich so dann mit allem Ernst sich in den Sinn des Gesetzes hineinarbeiten.[...]”
Er gab seinen Kollegen folgende Ratschläge aus seiner Praxis:
„[...] verlangt eine nach ihrem Gesamtverlauf ungünstige Krankheit, deren Träger ein disziplinloser Geselle ist, auch bei negativem Bazillenbefund natürlich Ablehnung. Wesentlich spricht bei allen diesen Entscheidungen also der charakterliche Wert der Ehepartner mit. [...] Hierher rechnen unter anderem Kriminelle, wie Schwindler, Betrüger, Bauernfänger, Rückfall- und Frühverbrecher, Zuhälter, ferner die ganz große Gruppe der Haltlosen und Willensschwachen, wie die chronisch Arbeitsscheuen, Landstreicher, Fürsorge-Schmarotzer, aus Anlage Verwahrlosten, weiter die Süchtigen und Alkoholiker.[...] Ehe untauglich sind auch die sogenannten hysterischen Kanaillen [...]. Schwierig kann die Beurteilung der sogenannten Psychopathen sein. [...] Hier ist statt Eheverbot Abraten am Platze im Gegensatz zu einer individualistischen Medizin, die bei den schwereren Formen der Hysterie häufig aus therapeutischen Gründen gerade zur Ehe riet. Wir können in der Ehe kein Therapeutikum für den Einzelnen sehen, sondern nur ein Mittel zur Erhaltung der Art, und wenn sich dieses mit dem persönlichen Interesse nicht identifiziert, so können wir nicht zuraten; wir müssen aber abraten oder gar ein Verbot aussprechen, wenn das persönliche Interesse der Arterhaltung entgegen steht [...] [263]
Mit einer freiwilligen Eheberatung, wie sie zumindest in einigen kommunalen Gesundheitsämtern deutscher Großstädte bereits in der Weimarer Republik angeboten wurde, hatte dieses Verfahren nichts mehr zu tun. Es war ein reines Zwangsverfahren. Trotzdem drängte das RMdI mit Runderlass vom 29.11.1937 die Gesundheitsämter, die „freiwillige Eheberatung“ zu fördern. [264]
Die Eheberatung war bereits mit § 3 Abs. 1b) des GVG zur Pflichtaufgabe des Gesundheitsamtes aufgewertet worden.
Auch wenn Ministerialdirektor Arthur Gütt in seinem Kommentar zum Ehegesundheitsgesetz in der Handbücherei für den ÖGD, Band I, besonders darauf hinwies, „[...] daß die Ausstellung des Ehetauglichkeitszeugnisses lediglich ein Teil der Eheberatung ist [...] der Sinn des Ehegesundheitsgesetzes ist demnach nicht Ausstellung einzelner Ehehindernisse sondern die Ermöglichung einer sachkundigen Eheberatung für alle [...] [265], änderte dies nichts an der Tatsache, dass die Heiratskandidaten den Gang zum Gesundheitsamt als reinen Zwang empfanden.
Kurz vor Kriegsausbruch unternahm das RMdI einen Versuch, den bisher nicht vollzogenen § 2 des Ehegesundheitsgesetzes einzuführen. Dazu diente eine Umfrage an die Staatlichen Gesundheitsämter, um die Chancen einer Einführung dieses Paragrafen auszuloten.
Vossen vermerkt hierzu für den Bereich Westfalen:
„[...]die Gesundheitsämter signalisierten übereinstimmend einen hohen zusätzlichen Personalbedarf, um diese neue Aufgabe bewältigen zu können [...] diese Kosten und die Arbeitsbilanz ließen das Reichsinnenministerium offenbar vor einer Einführung der totalen ehegesundheitlichen Kontrolle zurückschrecken [...]” [266]
Als kriegsvorbereitende Maßnahme und im Hinblick auf durch den Krieg entstehende neue Aufgabenschwerpunkte für die Gesundheitsämter setzte das RMdI mit Runderlass vom 31.08.1939 die Durchführung der Ehetauglichkeitsuntersuchungen bis auf Einzelfälle außer Vollzug. [267]
Mit derselben Verordnung wurde außerdem der Instanzenweg bei Verweigerung von Ehetauglichkeitszeugnissen unterbunden. Die Ermittlungstätigkeit der Gesundheitsämter, vor allem anhand ihrer „Erb- und Sippenkarteien“ war davon nicht betroffen. Stattdessen führte das RMdI mit Verordnung vom 22.10.1941 die „Eheunbedenklichkeitsbescheinigung“ ein.
„§ 1 [...] (1) Jeder Verlobte [...] hat [...] bei der Bestellung des Aufgebotes, spätestens aber bei Schließung der Ehe, eine Bescheinigung des für seinen Wohnsitz zuständigen Gesundheitsamts vorzulegen, daß auf Grunde der vorhandenen Unterlagen Bedenken [...] gegen die Eingehung einer Ehe durch diesen Verlobten nicht bestehen (Eheunbedenklichkeitsbescheinigung) [...]
§ 2 Hat das Gesundheitsamt Grund zu der Annahme, daß ein Ehehindernis im Sinne des § 1 des Ehegesundheitsgesetzes oder des § 6 der Ersten Verordnung zur Ausführung des Blutschutzgesetzes vorliegt, so hat es dem Verlobten die Bescheinigung zu versagen und ihn darauf hinzuweisen, daß er sich auf seine Ehetauglichkeit [...] untersuchen lassen kann. Eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Gesundheitsamts ist nicht gegeben [...]” [268]
So waren die Betroffenen vollends dem Belieben des Amtsarztes ausgeliefert.
Vossen kann jedoch belegen, dass zumindest in Westfalen relativ wenige Untersuchungen auf Ehetauglichkeit in den Gesundheitsämtern durchgeführt wurden.
In 12 Gesundheitsämtern Westfalens schwankte der Anteil der Ehetauglichkeitsuntersuchungen an standesamtlich gemeldeten Ehewilligen in den Jahren 1935 bis 1940 zwischen 0,15 % und 0,8 %. [269]
Diese niedrige Rate an Ehetauglichkeitsuntersuchungen sollte nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass wesentlich mehr amtsärztliche Untersuchungen Ehewilliger vorgenommen wurden. Der Löwenanteil der amtsärztlichen Untersuchungen fiel nämlich auf Untersuchungen im Rahmen eines Antrages auf Gewährung eines Ehestandsdarlehens.
Nach Vossen lag hier die „Gesamterfassungsquote von Eheschließungen durch Ehetauglichkeits- und Eheeignungsuntersuchungen bei 36,1 % (Herford-Land), 38,8 % (Herford-Stadt) bis 51,9 %, (Paderborn)”. [270]
Trotz der ansonsten guten Aktenlage, die Vossen bei seiner Untersuchung zur Verfügung stand, war es ihm nur im Bestand eines Gesundheitsamtes (Herford-Land) möglich, „[...] anhand der komplett erhaltenen originalen Untersuchungsbogen [zu überprüfen] wie die Ergebnisse der Ehetauglichkeitsuntersuchungen aussahen und wie häufig nach derartigen Untersuchungen Ehetauglichkeitszeugnisse verweigert wurden. [...] Bei den 548 zwischen 1936 und 1944 im Gesundheitsamt des Landkreises Herford durchgeführten Ehetauglichkeitsuntersuchungen wurde in 341 Fällen (62,2 %) zur Eheschließung geraten, das „Ehetauglichkeitszeugnis” also anstandslos ausgestellt. Auf 28 Untersuchungsbogen war kein Untersuchungsergebnis festgehalten. In 180 Fällen (32,7 %) wurde nicht zur Ehe geraten, sei es, daß von der Ehe abgeraten wurde, womit das Ehetauglichkeitszeugnis noch ausgestellt werden konnte, sei es, daß vorübergehende oder dauernde „Eheuntauglichkeit” festgestellt und damit das „Ehetauglichkeitszeugnis” verweigert und dadurch die Eheschließung verhindert wurde. Als erste Möglichkeit, die Eheschließung zu beeinflussen, konnte vom untersuchenden Amtsarzt „von der Ehe abgeraten” werden, d. h. es wurde zwar kein Eheverbot verhängt, die Ehe galt aber staatlicherseits trotzdem als bedenklich, was in Herford in 45 Fällen geschah. Dies war in der Regel dann der Fall, wenn alte, kranke oder behinderte Menschen heiraten wollten, gegen die das Ehegesundheitsgesetz in seiner Fassung von 1935 keine Handhabe bot. Regelmäßig wurde z. B. auch bei „zu großem Altersunterschied der Ehepartner” abgeraten [...] 135 der 549 untersuchten Personen, über die Aussagen gemacht werden können, also bei etwa genau einem Viertel, wurde vom Amtsarzt das Ehetauglichkeitszeugnis verweigert. Gegen 70 dieser Personen wurden Eheverbote verhängt, es gelang ihnen jedoch, eine Ausnahmegenehmigung des Regierungspräsidenten oder des Reichsinnenministers zu erhalten und damit doch noch die Ehe zu schließen. In den Jahren 1936 bis 1944 führte die Ehegesundheitsuntersuchung im Gesundheitsamt des Landkreises Herford für 15 Menschen zur Zwangssterilisation. Das „Ehegesundheitsgesetz” wurde damit zum zusätzlichen Erfassungsinstrument für die Sterilisationspolitik.
Eheverbote konnten befristet werden. Die Gesundheitsämter konnten nach Ehetauglichkeitsuntersuchungen auch feststellen, daß „vorübergehend Eheuntauglichkeit”, in der Regel wegen einer noch ansteckungsfähigen Tuberkulose, bestehe. In diesen Fällen wurden also vorübergehende Eheverbote verhängt. Die Heiratsgenehmigung wurde vom Gesundheitsamt erst dann erteilt, wenn die Tuberkulose als nicht mehr „ansteckungsgefährlich” galt. Von einer solchen Maßnahme waren im Landkreis Herford 12 Personen betroffen. Totale Eheverbote wurden in dieser Zeit gegen 19 Paare verhängt, indem man ihnen das „Ehetauglichkeitszeugnis” verweigerte, sie als „dauernd eheuntauglich” einstufte und auch Ausnahmeanträge ablehnte [...]” [271]
Da die Bestimmungen des Ehegesundheitsgesetzes keinen Passus zu „Mischlingen 2. Grades“ beinhalteten, nahm das RMdI mit einem Runderlass die Amtsärzte in die Pflicht, die „deutschblütigen“ Heiratskandidaten auf die negativen Folgen einer solchen Verbindung aufmerksam zu machen:
„[...] Die Reinhaltung des deutschen Blutes erfordert, jede Möglichkeit zu seiner weiteren Verschlechterung zu verhindern[...] Hauptweck der Eheberatung muß sein, bei dem deutschblütigen Ehepartner das Verantwortlichkeitsgefühl für die Reinhaltung des deutschen Blutes zu wecken [...] Insbesondere ist es dringend geboten, daß die Amtsärzte bzw. Leiter der Beratungsstellen für Erb- und Rassenpflege gelegentlich ihren Einfluß geltend machen, um sie gegebenenfalls unter Hinweis auf die bei dem Eingehen der Ehe zu erwartenden Folgen - Ablehnung der Gewährung von Ehestandsdarlehen, Kinder- und Ausbildungsbeihilfen, bei Parteimitgliedern Ausschluß aus der Partei und Ausschluß von der Mitarbeit in den Gliederungen usw. - von dem Eingehen derartiger Verbindungen mit Mischlingen 2. Grades abzuhalten [...] Erlaubt ist dem Mischling 2. Grades mithin ohne weiteres nur ein Eingehen einer Ehe mit einem deutschblütigen Partner.[...]” [272]
Vom Ehegesundheits- bzw. Blutschutzgesetz war auch die Bevölkerungsgruppe der Roma und Sinti, betroffen, deren Situation sich insbesondere nach Runderlassen des RMdI im Juni 1936 und im Dezember 1938 zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ dramatisch verschlechtert hatte. [273]
Das RMdI gab noch mitten im Krieg den Amtsärzten mit einem Runderlass auf, eine „besonders scharfe Prüfung“ durchzuführen:
„I g 239 / 40 5626e gen. v. 20.6.41 vertraulich !
Betr.: Ehegenehmigungsanträge von Zigeunermischlingen auf Grund des § 6 der Ersten Ausführungsverordnung zum Blutschutzgesetz [...]
Die in der Zigeunerfrage gesammelten amtlichen Erfahrungen haben gezeigt, daß Zigeunerblut die Reinerhaltung deutschen Blutes in hohem Maße gefährdet. Ich bestimme daher, daß künftig Ehegenehmigungsanträge auf Grund des § 6 der Ersten Ausführungsverordnung zum Blutschutzgesetz einer besonders scharfen Prüfung zu unterziehen sind. Wenn bei einem oder beiden Verlobten zigeunerischer Bluteinschlag festgestellt oder begründet vermutet wird [...]” [274]
1.6. Amtsärztliche Untersuchungen der „bäuerlichen Siedler“
Eine weitere Dienstaufgabe der Amtsärzte bestand in der Untersuchung der bäuerlichen Siedler.
Nur „erbbiologisch“ einwandfreie Reichsbürger konnten in den Genuss staatlich gewährter Beihilfen gelangen. Dazu äußern sich zwei Schreiben des bayerischen Staatsministerium des Innern: „[...] Nach dem beiliegenden Erlasse des Herrn Reichsministers des Innern, sind die bäuerlichen Siedlungsbewerber durch die Amtsärzte kostenfrei [...] auf erbbiologische Tauglichkeit zu untersuchen[...]” (07.03.34) [275] „[...]Die Untersuchung der Anliegersiedlungsbewerber gehört laut Entschließung des Reichs- und Preußischen Minister des Innern IV A 10 048 / 37 / 1072c zusammen mit der Untersuchung der Siedlungsbewerber zu den Pflichtaufgaben der Gesundheitsämter [...]” (25.06.37) [276]
Den Umfang dieser Dienstaufgabe vor allem in ländlich strukturierten Landkreisen verdeutlicht die statistische Auswertung aller im Jahre 1934 diesbezüglich durchgeführten amtsärztlichen Untersuchungen „bäuerlicher Siedler” der preußischen Kreisärzte:
So seien „[...] 57.065 Personen auf ihre Siedlungstauglichkeit von den mit diesen Untersuchungen beauftragten Ärzten geprüft [worden…] Darunter befanden sich 14.825 Siedlungsbewerber, 38.382 mituntersuchte Familienangehörige und 3.858 Personen, bei denen von den berichtenden Stellen eine Unterscheidung in Siedlungsbewerber und deren Familienangehörige nicht vorgenommen worden ist [...] Danach ist die Gesamtzahl der im Jahre 1934 amtsärztlich untersuchten Siedlungsbewerber selbst auf etwa 15.776 Personen anzusetzen.[...] Von insgesamt 15.776 im Berichtsjahr untersuchten Siedlungsbewerbern war das Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung bei 13.345 Bewerbern bekannt; es lautete in 12.713 Fällen auf siedlungstauglich und in 632 oder 4,7 v. H. der Fälle auf untauglich für die bäuerliche Siedlung. Das ist eine erheblich höhere Anteilsziffer als sie bei den Ablehnungen der Eignungszeugnisse von Ehestandsdarlehensbewerbern besteht. Dort betrug in dem Jahr 1934/35 der entsprechende Anteil rund 2,8 v. H. Das liegt daran, weil bei der Prüfung auf die erbbiologische Eignung zur bäuerlichen Siedlung ein viel strengerer Maßstab an die Tauglichkeit gelegt wird. (Anmerkung: E. Meier und M. v. Mezynski: Das Ergebnis der ärztlichen Untersuchungen von Ehestandsdarlehensbewerbern im dritten und vierten Vierteljahr 1934. R. - Gesundheitsblatt 1935. S. 770 bis 773.)
[...] Von den insgesamt 15.776 Bewerbern um neue Bauernstellen war weitaus der größte Teil, 11.204 oder 71,0 v. H. in den Landkreisen mit rein ländlichen Charakter ansässig, d. h. in solchen, die keine Mittelstädte enthalten. [...] Unter den preußischen Provinzen steht Pommern mit 3.674 Bewerbern und 11.732 Familienangehörigen weitaus an erster Stelle. Mehr als Œ (27 v. H.) aller auf ihre erbbiologische Siedlungstauglichkeit untersuchten Personen gehörten allein zu dieser Provinz. In weitem Abstand folgen die Provinzen Hannover mit 2.135 Bewerbern und 4.918 Familienmitgliedern, Niederschlesien mit 1.717 und 3.917 sowie Ostpreußen mit 1.697 und 4.629 untersuchten Bewerbern und deren Angehörigen. In diesen 4 Provinzen wurden rund 2/3 aller in Preußen durchgeführten Untersuchungen vorgenommen. [...]” [277]
In Oberbayern weist das Gesundheitsamt Pfaffenhofen bis Ende 1938 insgesamt 58 Karteikarten bäuerliche Siedler betreffend aus. Im benachbarten Schrobenhausen waren es laut Jahresbericht 1935 11 Untersuchungen. In den späteren Jahresberichten wurden die amtsärztlichen Gutachten nicht mehr spezifiziert, sodass weiteres Zahlenmaterial fehlt. [278]
Insgesamt lassen diese wenigen Zahlen aber vermuten, dass in Oberbayern der Bedarf entsprechend gering war.
1.7. Die totale Erfassung der „Minderwertigen“
Entsprechend den Grundsätzen der Rassenhygiene setzte die damalige Gesundheitsbürokratie alles daran, das „kranke Erbgut“ aus dem bestehenden „arisch-deutschblütigen Volkskörper“ auszusieben. Bereits in den 2œ Jahren zwischen Februar 1932 und Sommer 1934, also teilweise noch vor dem Machtwechsel Anfang 1933, unternahm das RMdI in Zusammenarbeit mit dem Reichsgesundheitsamt den Versuch, die „erbbiologische Bestandsaufnahme“ über die bereits bestehenden kommunalen Gesundheitsämter und Standesämter zu institutionalisieren. [279]
Ebenso wie in anderen Bereichen des NS-Staates machte sich hier im Konkurrenzkampf des Berufsverbandes der Standesbeamten mit dem Deutschen Medizinalbeamtenverein die für die NS-Politik typische polykratische Struktur bemerkbar. Sowohl die Standes-, als auch die Medizinalbeamten wollten die „Erbbestandsaufnahme“ in ihren Wirkungsbereich ziehen. [280]
Auch die Psychiater der Heil- und Pflegeanstalten machten den Medizinalbeamten die Federführung in der „erbbiologischen Bestandsaufnahme“ streitig. Sie hätten diese gerne als Dienstaufgabe im Rahmen ihrer psychiatrischen Außenfürsorge übernommen. [281]
Letztendlich wurde durch den Einfluss des Ministerialdirektors im Reichsinnenministerium, Dr. Arthur Gütt, die „erbbiologische Bestandsaufnahme“ eine Dienstaufgabe der Staatlichen Gesundheitsämter. [282]
Noch vor in Kraft treten des GVG informierte das RMdI mit Runderlass vom 12. Juli 1934 mit dem unverdächtigen Betreff „Vereinheitlichung des ärztlichen Untersuchungsverfahrens“ die Bezirks- und Kreisärzte über ihre zukünftige Aufgabe im Bereich der erbbiologischen Erfassung. Das RMdI unternahm mit diesem Runderlass den Versuch, die bereits in der Weimarer Republik entstandenen personenbezogenen Daten aus dem Bereich der kommunalen Gesundheits- und Wohlfahrtsämter bzw. dem Geschäftsbereich der Kreis- und Bezirksärzte für die Zwecke der „erbbiologischen Bestandsaufnahme“ zu vereinnahmen. Begründet wurde die Zusammenführung der Daten mit dem Hinweis, dass bereits jetzt von den verschiedensten Behörden Parteistellen und Organisationen ärztliche Untersuchungen veranlasst würden, „[...]die die körperliche und seelische Eignung und zum größeren Teil, auch Erbanlagen feststellen sollen [...]” Da diese Untersuchungsergebnisse derzeit noch recht verstreut bei verschiedenen Ämtern aufbewahrt würden, sei es an der Zeit, ein Verzeichnis anzulegen, „[...]in welchem namentlich aufgezeichnet wäre, über welche Personen [...] und an welcher Stelle Untersuchungsergebnisse aufbewahrt werden [...] außerdem muß jeglicher Vernichtung wertvollen Aktenmaterials, das solche Zeugnisse oder Angaben enthält, vorgebeugt werden [...]”. [283]
Vossen kann hierzu aus dem Bereich Westfalen am Beispiel der Gesundheitsämter Büren und Lübbecke „den durch die Gesundheitsfürsorge der Weimarer Zeit bewirkten Grad der gesundheitlichen Erfassung der Bevölkerung bereits vor Gründung der NS-Gesundheitsämter” belegen. [284]
Mit einer umfangreichen Dienstanweisung, die den Staatlichen Gesundheitsämtern im Mai 1935 aus dem RMdI zuging, wurden die Bestimmungen des § 53 aus der 3. DVO zum GVG zu diesem neuen Aufgabengebiet der Gesundheitsämter präzisiert. [285]
Voraussetzung für den einheitlichen Vollzug dieser Dienstaufgabe war die Verwendung einer reichseinheitlichen Karteikarte. Die Einführung dieser neuen Dienstaufgabe war jedoch im Jahre 1935 mit einigen Schwierigkeiten auf Länderebene verbunden, da sich dieses Ansinnen mit der Umsetzung der Vereinheitlichung des Gesundheitswesens in den Ländern, die sich zumindest in Bayern bis in den Herbst 1935 hinzog, überschnitt. So versandte das Reichsgesundheitsamt etwas verfrüht bereits Mitte Februar 1935 die „[...] letzte Fassung des Entwurfs einer erbbiologischen Karteikarte nebst einer Anleitung zur Ausfüllung der Karte [...]”. [286]
Die Bezirksärzte sahen sich zur Umsetzung dieser Aufgabe im Frühjahr 1935, als das GVG noch längst nicht vollzogen war, außer Stande, wie aus einem Schreiben des Bayer. Staatsministeriums des Innern vom 20. März 1935 hervorgeht. Ein Amtsarzt hatte demzufolge gegenüber dem Bayer. Innenministerium die Bitte „um aufsichtsbehördlichen Entscheid“ des Ministeriums zur „Einführung einer erbbiologischen Kartei und für die Ausfüllung einer Karteikarte“ eingereicht. Der Ministerialdirigent und Leiter der Gesundheitsabteilung im Bayer. Innenministerium Schultze wies darauf hin, dass „zur Zeit noch erheblicher Zweifel [besteht], ob die für die Errichtung der Gesundheitsämter insgesamt verfügbaren Geldmittel zu dem gewachsenen Aufgabenbereich im annehmbaren Verhältnis stehen. [...] damit schwebt auch die erbbiologische Bestandsaufnahme nach der Seite ihrer praktischen Einrichtung bei aller selbstverständlichen Betonung und Berücksichtigung, die ihr zu geben sein wird, noch etwas im Dunkeln.[...]” [287]
Die vom Reichsgesundheitsamt erprobten reichseinheitlichen neuen Karteikarten (für Männer wurden sie in grau und für Frauen in hellblau jeweils im Format DIN A5 gedruckt) umfassten auf dem beschränkten Raum alle Informationen, die das NS-Regime über seine Bevölkerung wissen wollte. So konnte das Gesundheitsamt festhalten, ob die entsprechende Person bereits in der Fürsorge betreut wurde oder im Rahmen der „Erb- und Rassenpflege“ amtsärztlich untersucht worden war. [288]
Fördernde Maßnahmen im Rahmen der „positiven Auslese“ ergaben sich, falls die verkartete Person Bauernsiedler war, ein Ehestandsdarlehen oder für eines ihrer Kinder eine Ehrenpatenschaft Hitlers beantragt hatte. Sofern die amtsärztliche Untersuchung ergab, dass es sich um eine „erbbiologisch hochwertige“ Person handelte, ergaben sich daraus geldwerte Vorteile. Wurde im Rahmen der amtsärztlichen Ermittlungen bzw. Untersuchungen ein „Erbleiden“ oder gar Kriminalität festgestellt, resultierte daraus ein Stigma für die betroffene Person. Unmittelbare Folge konnte sein, dass diese Person im Rahmen der „negativen Auslese“ einer „Erbkrankheit“ im Sinne des GZVeN zugeordnet wurde. Maßnahmen aus dem Bereich der „negativen Auslese“ wie Sterilisationsverfahren, Vorstrafen, Konstitutions- oder Rassentyp und Anstaltsaufenthalte konnten hier eingetragen werden. Daraus lässt sich unschwer erkennen, dass die reichseinheitliche Karteikarte in erster Linie ein Instrument der „negativen Auslese“ darstellte. Den Amtsärzten wurde vom RMdI ein erheblicher Handlungsspielraum in der Durchführung der „Erbbestandsaufnahme“ zugestanden. Dies geht deutlich aus Arthur Gütts Kommentar zum § 53 der 3. DVO zum GVG hervor: „[...] Erbpflege ist die praktische Anwendung der Forschungsergebnisse der Erbkunde. Ihr Ziel ist die Verbesserung der Erbgesundheit eines Volkes, wobei eine Anreicherung der wertvollen Erbanlagen und eine Verminderung der schlechten oder krankhaften Erbanlagen erstrebt wird. Rassenpflege ist die praktische Anwendung der Forschungsergebnisse der Rassenkunde. Ausgehend von der Erkenntnis, daß jede Rassenvermischung abzulehnen ist, ist die Reinerhaltung der einzelnen Rassen zu fördern. Das Eindringen artfremden Blutes in einen Volkskörper muß mit allen Mitteln verhindert werden. Soweit sich ein Volk aus verschiedenen artverwandten Rassen zusammensetzt, fordert die Rassenpflege eine besondere Förderung derjenigen Rasse, die dem Volke die arteigene Prägung am meisten verleiht. [...] Mit der Durchführung der Erb- und Rassenpflege sind dem Gesundheitsamt ganz neue Aufgaben übertragen worden, die wohl die bedeutensten sind, die es überhaupt zu erfüllen hat. Hier entscheidet der Amtsarzt nicht nur über das Wohl und Wehe einer Person, sondern über das Wohl und Wehe der deutschen Zukunft überhaupt [...]” [289]
Die Erbkartei war somit das Herzstück des gesamten Erfassungsapparates im Gesundheitsamt. Gütt warb folgendermaßen für dieses Mammutprojekt: „[...] Gesundheitsämter, welche diese fortgesetzte Kontrollarbeit von der Kartei und Sippenregistratur und umgekehrt ständig und folgerichtig durchführen, werden sich im Laufe der Zeit viel Doppelarbeit auf dem Gebiete der Sippenforschung ersparen, da mit dem Ausbau der Erbbestandsaufnahme sich die erfaßten Sippen in einer immer größer werdenden Zahl von Fällen überschneiden werden.[...]” [290]
Den Gesundheitsämtern war es außerdem im Rahmen der „Erbbestandsaufnahme“ auferlegt, untereinander einen regen Austausch zu halten. So mussten im Gesundheitsamt zwei Karteien geführt werden. Die „Geburtsortkartei“ umfasste nur Karteikarten von Personen, die im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Gesundheitsamtes geboren waren. In der „Wohnortkartei“ war die momentan aktuelle Wohnbevölkerung registriert. Falls ein im Ausland geborener Deutscher in das Zuständigkeitsgebiet eines Gesundheitsamtes zuzog, konnte dieses über eine zentrale Kartei im Reichsgesundheitsamt in Berlin Informationen über die entsprechende Person erhalten. Im Rahmen der Amtshilfe wurden „Geburtsortkarten“ bzw. „Wohnortkarten“ untereinander ausgetauscht, falls eine Person verzogen war und im neu zuständigen Gesundheitsamt amtsärztlich untersucht werden musste. Diese enge Zusammenarbeit der Ämter untereinander war wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung der „Erbbestandsaufnahme“.
Ab 1936 wurden dann die „erbbiologischen Erfassungsmaßnahmen“ der Gesundheitsämter auf die Heil- und Pflegeanstalten und ab 1937 auf die Haftanstalten durch Einrichtung eines „kriminalbiologischen Dienstes“ ausgedehnt. Hier fanden die gleichen Formulare und Karteikarten der Gesundheitsämter Verwendung. [291]
Der Vollzug der Dienstaufgaben im Rahmen der „Erb- und Rassenpflege“ oblag der „Beratungsstelle für Erb- und Rassenpflege“, die in jedem Amt einzurichten war. Leiter der Beratungsstelle war bei kleinen Ämtern der Amtsarzt, bei den größeren Gesundheitsämtern, vor allem in den Großstädten, wurden dafür zum Teil selbstständige Abteilungen eingerichtet. Der Begriff „Beratungsstelle” für diese Institution ist wiederum ein Beispiel für eine typische nationalsozialistische Umetikettierung. In Wahrheit handelte es sich um reine Erfassungsstellen. Vossen zitiert dazu in seiner Arbeit bestätigend den Amtsarzt des Gesundheitsamtes Bielefeld: „[...] Freiwillige Inanspruchnahme der Beratungsstelle hat bisher nicht stattgefunden. Aus Äußerungen fraglicher Personen ist zu entnehmen, daß Leute deshalb die Untersuchung ablehnen, weil sie fürchten, Schwierigkeiten bei Gewährung des Ehestandsdarlehens und Beihilfe für Kinderreiche zu bekommen [...]” [292]
Das RMdI verlangte mit Erlass vom 1. Oktober 1938 von allen Gesundheitsämtern im Reich Berichte über den Stand der „erbbiologischen Bestandsaufnahme“. Vossen konnte hier in seiner Arbeit einen guten Überblick über die „Erbbestandsaufnahme“ sämtlicher westfälischer Gesundheitsämter liefern. Die Erfassungstätigkeit schwankt zwischen extrem niedrigen Erfassungsraten (z. B. Gesundheitsamt Wiedenbrück mit 0,18 % der Wohnbevölkerung) und extrem hohen Erfassungstätigkeiten (z. B. Gesundheitsamt Schaumburg-Lippe mit 19,8 % und Gesundheitsamt Meschede mit 38,6 % der Wohnbevölkerung). Ähnlich umfassende Vergleichswerte aus den bayerischen Gesundheitsämtern sind aufgrund der dortigen lückenhaften Archivbestände nicht möglich. [293]
Mit Schreiben vom 12.10.1938 an die Regierung von Oberbayern beantwortete der Leiter des oberbayerischen Gesundheitsamtes Pfaffenhofen, Medizinalrat Dr. Fischer, eine Rundfrage des RMdI zum Stand der Erbbestandsaufnahme am 1. Oktober 1938 „Stärke der Wohnortkartei: 2.447 Karten [...] Stärke der Geburtsortkartei: 1.734 Karten [...]”
Im selben Schreiben wird der aktuelle Einwohnerstand mit 38 898 angegeben. Der Erfassungsgrad lag demnach im Oktober 1938 bei den Wohnortkarten bei 6,3 % und in der Geburtsortkartei bei 4,5 %. [294]
Das Gesundheitsamt Eichstätt meldete ebenfalls im Oktober 1938 1775 Wohnortkarten bei 34 620 Einwohner, dies entspricht einem Erfassungsgrad von 5,2 %, und 868 Geburtsortkarten, entsprechend 2,5 %. [295]
Am 11.08.1939 aktualisiert Dr. Fischer aus Pfaffenhofen den Stand „[...] zur Zeit sind im Amt 1.433 Sippenakten angelegt [...] zur Zeit sind über 5.000 Wohnort- und über 1.500 Geburtsortkarten hier angelegt [...]” [296]
Auch wenn Dr. Fischer in dieser Mitteilung nicht mehr so präzise berichtet, beträgt der Erfassungsgrad bei der Wohnortkartei nur 10 Monate später bereits knapp 13 %.
Das Gesundheitsamt Weilheim in Oberbayern hatte zum Juni 1945 insgesamt 18 026 Wohnortkarten aufzuweisen, was bei einer Einwohnerzahl von 44 700 (Stand 1942) einem Erfassungsgrad von 40 % entspricht. Geburtsortskarten waren es 14 222, entsprechend 31,8 % der Einwohner. [297]
Für Bremen schätzt Nitschke den Erfassungsgrad auf „ein Viertel bis ein Drittel”. [298]
Im Laufe der Jahre wurde der Kreis, der im Rahmen der „Erbbestandsaufnahme“ der Gesundheitsämter zu erfassenden Personen, ständig erweitert. Mit einem Runderlass des RMdI vom 01.04.1938 war die Endausbaustufe erreicht. Mit dem Erlass wurden neu verfasste „Grundsätze [...] für die Tätigkeit der Beratungsstellen für Erb- und Rassenpflege in den Gesundheitsämtern und Richtlinien für die Durchführung der Erbbestandsaufnahme vom 23. März 1938“ erlassen - ein 19-seitiges bürokratische Ungetüm - das u. a. Angaben machte zu den Karten: „[...] Format: 210 zu 148 mm DIN A 5 Querformat). Material: Dauerhaft, holzfreier Karton, 190 g/qm oder Buchungspapier (150 g/qm),[...] Farbe: [...] Druck: Rotdruck [...] Satzaufteilung: Gesamtbreite der ABC-Einteilungen: je 103 mm (vom Kartenrand gemessen) Breite der einzelnen Buchstabenfelder: je 4,5 mm, linkes „A” und rechtes „XYZ” (Eckfelder) je 4,0 mm“ [sowie Hinweise gab] zur verbesserten Abstellsicherung. [...] Die 4 ersten Buchstaben des Geburtsnamens werden sämtlich in der linken ABC-Einteilung gekerbt: [...] Auf der rechten Seite werden nunmehr die beiden letzten Stellen des Geburtsjahres gekerbt, wozu die unter der rechten ABC-Einteilung angebrachte doppelte Dezimaleinteilung (links für die Zehner, rechts für die Einer) dient. Zur Kerbung des Geburtsjahres wird eine etwas tiefer greifende Kerbzange (4,5:9,0 mm) verwendet. [und Begriffe ausführlich definierte, wie Rassenzugehörigkeit:] Es sind ausschließlich folgende Bezeichnungen zu verwenden: „Jude” (im Sinne des § 2 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935, RGBl. I, S. 1333, also auch Dreivierteljuden), „jüd. M I” (= jüdischer Mischling mit 2 volljüdischen Großeltern), „jüd. M II” (= jüdischer Mischling mit 1 jüdischen Großelternteil). Für nichtjüdische Fremdrassige gelten folgende Bezeichnungen: Zi (= Zigeuner), Ne (= Neger), Mo (= Mongole), bei Mischlingen mit dem entsprechenden Zusatz „M I” bzw. „M II”. Alle sonstigen Personen, die als nicht deutschen oder artverwandten Blutes anzusehen sind, sind in dieser Spalte als „AF” (= artfremd) oder „AFM” (= artfremder Mischling) zu bezeichnen.[...]” [299]
Zur weiteren Bearbeitung der von den Gesundheitsämtern unter dem Motto „gesundheitliche Gesamtbeobachtung des Lebens“ gelieferten personenbezogenen Daten wurde bereits 1934 das „Zentrale Gesundheitspaßarchiv“ (GPA) im Statistischen Reichsamt eingerichtet.
Die statistischen Landesämter und vor allem das Statistische Reichsamt in Berlin erfuhren eine enorme Aufwertung.
Das Statistische Reichsamt verdoppelte in den sechs Jahren zwischen 1933 und 1939 seine Mitarbeiter auf etwa 5000 Personen.
Die zunächst für 1938 geplante und dann wegen des „Anschlusses” Österreichs auf 1939 verschobene große Volkszählung sollte zur großen Bestandsaufnahme des nunmehr „großdeutschen“ Reiches werden. [300]
Dazu wurden 750 000 Zähler aufgeboten. Zunächst sollten die Melderegister auf den aktuellen Stand gebracht werden. Die Reichsmeldeordnung von 1938 hatte einheitliche Meldekarten mit der Rubrik „Abstammung“ eingeführt.
Die statistische Auswertung erfolgte mittels „Hollerith-Lochkarten“, die die Firma Dehomag aus Berlin in Lizenz der amerikanischen IBM vertrieb.
Die Volkszählung 1939 diente der Vorbereitung des Krieges und später der Vernichtung der Juden, wie das Protokoll einer Sitzung im Stat. Reichsamt mit allen beteiligten Ministerien Anfang Dezember 1939 zeigt. [301]
Die enormen von den Nationalsozialisten unternommenen Anstrengungen zur Verwirklichung einer „erbbiologischen Bestandsaufnahme“ der gesamten Bevölkerung muten, ex post betrachtet, gigantomanisch an und konnten als solche auch nicht vollständig umgesetzt werden, weil der Kriegsbeginn den Schwerpunkt der Dienstaufgaben in den Gesundheitsämtern völlig verlagerte.
Trotzdem ließ das RMdI von seinem Vorhaben nicht ab und führte 1940 eine „Jugendgesundheitskarte“ für die seit 1941 durchzuführenden Reihenuntersuchungen der HJ-Angehörigen ein und 1942 einen einheitlichen Untersuchungsbogen für Säuglinge. Insgesamt konnten von den Gesundheitsämtern bis Ende 1941 10 Millionen erbbiologische Karteikarten angelegt werden. Vossen zitiert in seiner Arbeit dazu ein Schreiben des Staatssekretärs im Reichsinnenministerium und Reichsgesundheitsführers Dr. Leonardo Conti an den Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, in dem diese Zahl genannt wird. [302]
Welchen Umfang die „Erb- und Rassenpflege“, insbesondere die „Erbbestandsaufnahme“, in einem großstädtischen Gesundheitsamt annehmen konnte, ist der 2003 erschienen Publikation Herwig Czechs über das Wiener Gesundheitsamt zu entnehmen.
Die dortige Abteilung „Erb- und Rassenpflege“ des Wiener Hauptgesundheitsamtes nahm im Februar 1939 (das GVG trat hier zum 1. April 1939 in Kraft) seine Arbeit an der „erbbiologischen Bestandsaufnahme“ auf. Bereits im Juli desselben Jahres konnte die neu geschaffene Abteilung einen ersten Tätigkeitsbericht vorlegen, der insbesondere die hohe Priorität der „Erbbestandsaufnahme“ im Vergleich zu den anderen Dienstaufgaben der Gesundheitsverwaltung erkennen lässt. Czech zitiert aus dem Tätigkeitsbericht der Abteilung „Erb- und Rassenpflege“ vom Juli 1939:
„Seit Februar 1939 wird an der Erfassung der negativen Auslese Groß-Wiens gearbeitet. Aus technischen Gründen wurde in den ersten Monaten der Aufbau der Kartei in Angriff genommen, während an dem Aufbau der Sippenregistratur erst seit Juni gearbeitet wird.
Der Personalstand stieg von 4 Angestellten im Monat Februar auf 70 im Juli 1939.
Der tägliche Karteikarten-Eingang erhöhte sich von anfangs 200 auf 1 000, er umfaßt in der letzten Woche 1 200 und wird im nächsten Monat auf 2 000 - 2 500 ansteigen.
Gearbeitet wurde bislang an der Verkartung folgender Personenkreise:
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Polizei Sanitäts-Departement (ca. 60 000 Geisteskranke und Psychopathen).
Die Arbeit wird in 2 Monaten beendet sein.
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Trinkerkataster (40 000)
Die Verkartung wird im September abgeschlossen.
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Prostituiertenkataster (ca. 60 000)
Die Arbeit wird in etwa 3 - 4 Monaten beendet.
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Zentral-Kinderübernahmestelle (40 000 vorwiegend schwer erziehbare und psychopathische Kinder aus asozialen Familien)
Die Arbeit wird im Oktober abgeschlossen.
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Steinhof (120 000 Einzelfälle)
Die mit sechs Schreibkräften vor kurzem begonnene Verkartungsarbeit wird voraussichtlich in einem Jahr beendet sein.
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I. und II. Hautklinik (8 000 Gonorrhoetiker und Luetiker)
Die Arbeit wurde bereits vor zwei Monaten abgeschlossen.
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Hilfsschulen und Sonderschulen (etwa 12 000 Einzelfälle)
Alle Schüler, die jemals in Wien eine Hilfs- oder Sonderschule besucht haben, sind erfaßt und zwar zum Teil zurückreichend bis zum Jahre 1804.
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Polizei-Passamt (Juden und andere Fremdrassige und Mischlinge ca. 3 000)
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Gauleitung der NSDAP (Juden- und Juden-Mischlinge ca. 3 000)
Insgesamt umfaßt die Kartei etwa 98 000 Einzelfälle
In der Sippenregistratur wurden bislang vorwiegend die durch die Ehrenkreuzaktion anfallenden Unterlagen bearbeitet, die sich auf insgesamt etwa 600 belaufen. Ferner finden sich in Arbeit etwa 300 Unterlagen für Anträge auf Unfruchtbarmachung, die sofort nach Erlaß des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses gestellt werden.
[das GZVN trat in der „Ostmark” erst am 01.01. 1939 in Kraft, J. D.].
Vorarbeiten zur Erfassung von etwa 40 000 kinderreichen Familien, die noch in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit der NSDAP geschehen sollen, sind im wesentlichen abgeschlossen.”
Czech weiter: „Die systematische Erfassung der Bevölkerung begann bereits bei der Geburt: Ab 1. Juli 1939 wurden sämtliche in Wien geborenen Säuglinge zum Zweck einer systematischen Fürsorgebetreuung in eigenen Säuglingskarteien erfasst. Mit 1. Jänner 1940 setzte die regelmäßige Auswertung der Geburtsmeldung für die Erbkartei ein. Im ersten Quartal 1940 wurden auf diese Weise 8907 Neugeborene erfasst. [...]”. [303]
Die systematische gesundheitliche Erfassung war nicht auf die ersten Lebensjahre beschränkt. So verlangte die Hitlerjugend zwischen dem 6. und 18. Lebensjahr insgesamt fünf Reihenuntersuchungen, die von den Gesundheitsämtern durchzuführen waren. [304]
In Wien wurden so „[...] Im Schuljahr 1939/40 [...] auf diese Weise insgesamt ca. 21 500 Schulkinder untersucht [...]” [305]
Abschließend bleibt festzuhalten, dass es den staatlichen Gesundheitsämtern trotz der anfänglichen Schwierigkeiten in der Umsetzung des Vereinheitlichungsgesetzes, die zumindest für Bayern belegt sind, gelang, in einer enormen Anstrengung innerhalb von 4 Jahren (nach Kriegsbeginn wurden zumindest in den Gesundheitsämtern im Altreich die Aktivitäten diesbezüglich deutlich zurückgefahren) einen derart umfangreichen Datenbestand über die jeweilige Wohnbevölkerung zusammenzutragen.
Dies wirft ein Licht auf die Leistungsfähigkeit der staatl. Gesundheitsämter und die wohl weitgehend flächendeckend vorhandene Loyalität der Amtsärzte gegenüber dem Dienstherrn.