physioscience 2006; 02(3): 89-90
DOI: 10.1055/s-2006-927007
Editorial

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Qualitätssicherung durch Fortbildungspunkte?

U. Wolf1
  • 1Fachbereich Medizin, Physiotherapie, Philipps-Universität, Marburg
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Publication Date:
23 August 2006 (online)

Nachdem die Weiterbildungsverpflichtung für Physiotherapeuten nun voraussichtlich zum 1. Januar 2007 in Kraft treten wird, scheint mittlerweile auch klar zu sein, wie Studienleistungen an Hochschulen zu bewerten sind. Die Spitzenverbände der Krankenkassen sehen vor, dass pro Studienjahr 15 Fortbildungspunkte, in 4 Jahren insgesamt maximal 45 Punkte anerkannt werden. Wie aber sehen das die Hochschulen und ihre Absolventen?

Weiterbildungskurse sind in der Regel stark anwendungsorientiert und vermitteln daher systematisch Techniken zur Untersuchung und Behandlung bestimmter Patientengruppen. Die entsprechenden Zertifikate finden bei Stellenbesetzungen im Rahmen der Krankenversorgung starke Berücksichtigung. Da in Deutschland Physiotherapeuten fast ausnahmslos eine vollständige Berufsfachschulausbildung absolvieren (nur Idstein bildet komplett an der Fachhochschule aus) sind die Inhalte an den Fachhochschulen bzw. Universitäten ganz anders konzipiert: Ein Studium ist stark theorie- und grundlagenorientiert. Praktische Inhalte der Physiotherapie werden eher exemplarisch vermittelt. Ein Hochschulabschluss stellt eine Qualifikation dar, die im Bereich Forschung und Lehre sowie bei Leitungspositionen oder in speziellen Tätigkeitsbereichen gefragt ist. Eine Gleichwertigkeit besteht sicher nicht in Bezug auf die Inhalte, die eingesetzten didaktischen Mittel, die verwendete Literatur und die Qualifikation des Lehrpersonals. So differenzieren die Studienberater der Hochschulen ganz klar anhand der angestrebten Tätigkeiten und empfehlen ihren Bewerbern entweder das Studium oder die Weiterbildung. Damit soll den Studierenden möglichst die Enttäuschung und vielleicht sogar den Studienabbruch erspart werden.

Ich denke, dass eine Äquivalenz von Studium und Weiterbildung nicht gegeben ist und für Lehrleistungen an Hochschulen keine Weiterbildungspunkte vergeben werden sollten. Stattdessen sollten die Studierenden für die Dauer der Immatrikulation und die Bearbeitungszeit ihrer Abschlussarbeiten von der Pflicht befreit werden, Weiterbildungspunkte nachzuweisen. Dies ist in der Regelung prinzipiell vorgesehen, eine Erweiterung des benannten Personenkreises wäre jedoch erforderlich. Nach Abschluss des Studiums ist die Fortbildungsverpflichtung für Bachelor und Master der Physiotherapie sinnvoll. Die in den Richtlinien ausdrücklich ausgeschlossenen Weiterbildungsinhalte könnten für diese Zielgruppe allerdings je nach Tätigkeit durchaus relevant sein. Ein leitender Physiotherapeut kann von Schulungen im DV-Bereich (z. B. Lern- oder Befundsoftware) oder zu juristischen Fragen profitieren und somit seine Leitungsfunktion besser wahrnehmen.

Umgekehrt stellt sich auch die Frage, inwieweit absolvierte Weiterbildungen als Hochschulleistungen anerkannt und dadurch die Studiendauer verkürzt werden können.

Im Ausland sind die Hochschulen Anbieter für Weiterbildungen zum Bachelor und Master in Form von Postgraduate courses. Hier ist die Möglichkeit einer Bewertung durch Credit points oder Leistungspunkte klar gegeben. In Deutschland bieten in der Regel private Institutionen Kurse für Berufsfachschulabsolventen an. Ob die Zertifizierung der Weiterbildungsträger diese Diskrepanz kompensieren kann, ist fraglich. Auch wenn der Bologna-Prozess eine großzügigere Anerkennung anstrebt. So liegt in Deutschland immer noch eine andere Situation vor, da die grundständige Ausbildung an Berufsfachschulen und nicht an Hochschulen stattfindet.

Das Punktesystem ist jedoch für Leistungen an Hochschulen ausgelegt. Dies macht nicht nur formal, sondern auch inhaltlich einen Unterschied, was an der Situation deutscher Schüler im 2. Weiterbildungsabschnitt der Manuellen Therapie erkennbar ist. Der angestrebte internationale Standard sieht eine wissenschaftliche Abschlussarbeit für die Vergabe des so genannten Diploms vor. Für die Weiterbildungsteilnehmer in den meisten Mitgliedsländern der International Federation of Orthopaedic Manipulative Therapists (IFOMT) ist das unproblematisch, weil die Kursanten dort bereits einen Bachelor-Abschluss haben und entsprechend ausgebildet sind. Deutsche Physiotherapeuten scheitern jedoch nicht selten an genau diesem Punkt, da Ihnen das Rüstzeug zum wissenschaftlichen Arbeiten fehlt.

Im Sinne der Physiotherapeuten rate ich daher bis zur Verlagerung der Ausbildung an die Hochschulen dringend zur Zurückhaltung bei der Anrechnung von Weiterbildungen als Studienleistungen.

Es muss generell bezweifelt werden, ob der deutscher Weg, Qualifikation über Weiterbildungsstunden zu dokumentieren, der richtige ist. Zwar werden Qualitätsmerkmale für Dozenten und die Fortbildungsinhalte genannt, bei genauer Betrachtung wird jedoch klar, dass beispielsweise durch die Forderung nach einer wissenschaftlichen Tätigkeit momentan die meisten aktiven Lehrer in Weiterbildungsveranstaltungen diesem formalen Kriterium nicht genügen können. Ferner werden Literaturlisten und Begründungen für die zu vermittelnden Konzepte verlangt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Themengebieten hat gerade in Deutschland größtenteils noch nicht stattgefunden. Auch gestaltet sich die Bewertung der angeführten Literatur ohne die entsprechende Ausbildung in der Regel für die Teilnehmer schwierig. So werden sie in den Weiterbildungen teilweise mit Originalarbeiten konfrontiert, die bei der Erstellung von Leitlinien aufgrund qualitativer Mängel gar nicht berücksichtigt werden.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die geplanten Maßnahmen das Pferd von hinten aufzäumen. Sinnvollerweise sollte jedoch zunächst die grundständige Ausbildung an die Fachhochschulen verlagert werden. Dabei ist der gute Praxisbezug der bisherigen Ausbildung an den Berufsfachschulen unbedingt zu erhalten. Dann sollten die Fortbildungsveranstaltungen zertifiziert und erst danach die regelmäßige Teilnahme der Leistungserbringer an den anerkannten Veranstaltungen gefordert werden.

Wo bleibt hierzu das Statement der Kostenträger? Seit Jahren fehlt mir der Appell an den Gesetzgeber, hier grundsätzliche Bedingungen zu schaffen, die im Ausland längst Standard sind und zu einer tatsächlichen Verbesserung der Qualität beitragen. Oder ist der Richtlinienwust doch nur eine getarnte Sparmaßnahme, um die Zahl die Leistungserbringer zu reduzieren?

In der Hoffnung, dass dieser Artikel die Diskussion fördern möge!

Udo Wolf, PT, BSc, MSc

Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Medizin, Physiotherapie

Baldinger Str. 1

D-34043 Marburg

Email: udo.wolf@med.uni-marburg.de