Gesundheitswesen 2006; 68(7): 442-448
DOI: 10.1055/s-2006-926889
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Reformoptionen für einen zukünftigen Risikostrukturausgleich in der GKV

Options for a Future Risc Structure Compensation in GermanyW. Greiner1
  • 1Fakultät für Gesundheitswissenschaften, School of Public Health - WHO Collaborating Center, AG 5 - Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement, Universität Bielefeld
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Publication Date:
26 July 2006 (online)

Zusammenfassung

Ziel des Beitrages: Der Risikostrukturausgleich (RSA) in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) soll dazu führen, dem Solidarprinzip nicht nur für die Gruppe der Versicherten jeder einzelnen Krankenkasse, sondern über die gesamte GKV hinweg Geltung zu verschaffen. Beitragssatzunterschiede sollen nicht differierende Risikoprofile der Versichertengemeinschaften, sondern unterschiedliche Wirtschaftlichkeit in der Versorgung abbilden. Die Kritik an dem derzeitigen Ausgleichssystem in Deutschland ist vielfältig und setzt u. a. an der fehlenden Morbiditätsorientierung an. In dem Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob diese Kritik stichhaltig ist. Methodik: Die derzeit verwendeten Variablen und Methoden zur Berechung des Risikostrukturausgleiches werden diskutiert und mit einem alternativen Vorschlag für die zukünftige Ausgestaltung des RSA verglichen, der sowohl eine stärkere Risikoorientierung vorsieht als auch weiterhin Anreize für Krankenkassen belässt, um die Ausgaben für das Versorgungssystem langfristig zu dämpfen. Ergebnisse: Für die Berechnung des RSA werden gegenwärtig die Variablen Alter, Geschlecht, Einkommen, Zahl beitragsfrei mitversicherter Familienangehöriger und der Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrenten sowie die Einschreibung in ein akkreditiertes Disease-Management-Programm (DMP) einbezogen. Insbesondere die letzte Variable bedingt einen hohen Kontrollaufwand, da die höheren Zuzahlungen aus dem Ausgleichssystem an die Freiwilligkeit der Teilnahme und die aktive Mitwirkung der Versicherten geknüpft ist. Das Argument, bei einer Weiterentwicklung zu einem morbiditätsorientierten RSA fehle jeder Ansatz zu einem Kostenmanagement der Krankenkassen, ist nur teilweise zutreffend, da nicht tatsächliche Kosten, sondern lediglich standardisierte Ausgaben ausgeglichen werden. Um die Anreize zum Kostenmanagement und zur Prävention nicht zu sehr zu schwächen, sollten die morbiditätsbedingten Ausgabenkomponenten nicht vollständig ausgeglichen, sondern eine angemessene Aufteilung auf den RSA und die Einzelkassen vorgenommen werden. Schlussfolgerungen: Eine immer weitere Verfeinerung des RSA setzt die falschen Schwerpunkte. Stattdessen sollte ein morbiditätsorientierter RSA ein Teil der Einsparungen durch bessere Versorgungsstrukturen bei den Kassen belassen und auch ambulante Behandlungsparameter umfassen. Die Umstellung auf neue Vergütungsformen könnte es zukünftig erleichtern, Datengrundlagen für diese erweiterte Form des RSA zu schaffen.

Abstract

Aim of the article: The risc structure compensation scheme within the German compulsory health insurance system is intended to enforce the principle of solidarity all over the statutory health insurance and not only within the different sickness funds. Differences in the contribution rates should not reflect different risc profiles, but the differences of the efficiency in social care. The criticism against the current adjustment system in Germany is multifarious and points e. g. on the missing orientation to morbidity. This article follows the question, whether this criticism is valid. Methods: The variables and methods, which are currently used to calculate the risc structure adjustment are discussed and compared to an alternative proposal for the future form of the risc structure adjustment, which includes both a higher orientation to riscs and incentives for social health insurance funds to decline the costs for the social care system on long-term. Results: Currently, for the calculation of the risc structure adjustment the following variables are used: age, sex, income, number of family members who are exempted from contributions and persons who get occupational disability pension, and number of insured persons who are registered to an accredited Disease-Management-Program (DMP). Especially the last variable includes a high control effort, because the higher co-payments of the adjustment system are aligned to the voluntariness of participation and active collaboration of the patients in DMP. The argument, a further development to a morbidity-oriented risc structure adjustment leads to less cost management of the sickness funds is not totally correct, because not actual, but standardised costs are the basis for compensation. On the other hand the morbidity determined cost components should not totally be adjusted, as a proper distribution of savings to the risc structure adjustment and the single funds would still be an incentive for cost management and prevention. Conclusion: An ongoing refining of the risc structure adjustment might cause new incentive problems. Instead a morbidity orientated risc structure compensation scheme should leave a part of the savings due to better social care structures in the sickness funds and should include outpatient care parameters. The change to a new honorarium system could create a better data basis for this improved form of risc structure adjustment in the future.

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1 Seit Einführung der Disease-Management-Programme in den RSA gibt es für jedes DMP separate RSA-Gruppen, also derzeit 4 * 670 Gruppen für kein DMP, DMP Diabetes, DMP KHK, DMP Brustkrebs.

2 Im Jahr 2005 betrugen die Netto-Verwaltungsausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung 8,1 Mrd. Euro, was 6,2 % der gesamten Leistungsausgaben entsprach. Dies wiederum entspricht (bezogen auf den durchschnittlichen GKV-Beitragssatz) weniger als einem Beitragssatzpunkt. Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2005), Tabellen 10.6. [6]

Prof. Dr. Wolfgang Greiner

Fakultät für Gesundheitswissenschaften, School of Public Health - WHO Collaborating Center, AG 5 - Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement, Universität Bielefeld

Postfach 10 01 31

33501 Bielefeld

Email: wolfgang.greiner@uni-bielefeld.de

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