Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-2006-926870
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Trägerübergreifendes Projekt zur Früherkennung von Rehabilitationsbedarf bei Versicherten mit muskuloskelettalen Beschwerden durch Auswertung von Arbeitsunfähigkeitsdaten: Ergebnisse einer randomisierten, kontrollierten Evaluationsstudie
Offering Multidisciplinary Medical Rehabilitation to Workers with Work Disability due to Musculoskeletal Disorders: Results of Randomized Controlled TrialPublication History
Publication Date:
07 July 2006 (online)
Zusammenfassung
Ziele: Im Zeitraum 2000 bis 2005 erprobte die LVA Schleswig-Holstein (S-H) mit 4 gesetzlichen Krankenkassen und deren Medizinischem Dienst ein neues Verfahren zur Früherkennung von Rehabedarf durch Analyse der Dauer und Anzahl von AU-Tagen nach definierten Kriterien (PETRA-Verfahren: Projekt zur Erkennung, trägerübergreifend, von Rehabedarf durch Auswertung von Arbeitsunfähigkeitszeiten). Hauptziel war die Reduktion der Gefährdung der Erwerbsfähigkeit durch das Angebot einer Beratung mit Unterstützung bei der Rehaantragstellung. Der Nutzen des Verfahrens wurde im Rahmen einer kontrollierten, randomisierten Studie evaluiert. Methodik: Ein Jahr lang wurden alle identifizierten Versicherten mit muskuloskelettalen Beschwerden (M05 - 25, M40 - 54, M60 - 99 nach ICD-10) in randomisierter Weise einer Interventions- (IG) oder Kontrollgruppe (KG) zugewiesen. Der IG wurde das Angebot einer Beratung mit dem Ziel einer Rehaantragstellung gemacht, die KG erhielt die Routineversorgung. Bei Studieneintritt, nach 6 und 12 Monaten, wurde ein Fragebogen zum Gesundheitszustand vorgelegt. Krankenkassen und Rentenversicherung meldeten u. a. Fehltage, Krankenhaustage und Berentungen. Die Auswertung erfolgte nach verschiedenen Strategien (intention to treat, per protocol, as actual, matched pairs). Ergebnisse: 230 Versicherte nahmen an der Studie teil. In der IG (n = 134) erhielten 69 %, in der KG (n = 96) 20 % eine Rehamaßnahme. In IG wie KG reduzierten sich die Fehltage, in den durch ein halbes Jahr getrennten je sechsmonatigen Beobachtungszeiträumen, deutlich mit Effektstärken von 1,3 (IG) und 1,6 (KG). Es zeigten sich keine signifikanten Gruppenunterschiede bei Berentungen, Krankenhausaufenthalten, Wiedereingliederungsmaßnahmen sowie bei der Entwicklung der Erwerbstätigkeit. Subjektive Gesundheitsparameter wie z. B. die Funktionskapazität entwickelten sich in beiden Gruppen in vergleichbarer Weise. Schlussfolgerung und Ausblick: Das PETRA-Verfahren erweist sich bei Versicherten mit muskuloskelettalen Beschwerden weder im Hinblick auf die Beeinflussung der Arbeitsunfähigkeit noch des subjektiven Gesundheitszustandes der medizinischen Routineversorgung überlegen. Eine mögliche Erklärung ist die mangelnde Nachhaltigkeit der Wirksamkeit der in der Beratung empfohlenen Intervention. Sektorübergreifende Versorgungskonzepte, die langfristig eine dem Alter entsprechende Teilnahme am Arbeits- und Gesellschaftsleben ermöglichen, sind zu entwickeln. Forschungsmethodisch bietet das gewählte Verfahren einen entwicklungsfähigen Zugang zur Durchführung von randomisierten, kontrollierten Studien in der Versorgungs- und Rehabilitationsforschung an.
Abstract
Aims: In Germany medical rehabilitation has to be initiated by members of statutory pension fund and health insurances. This often leads to delays in the application for and provision of rehabilitation services. Since January 2000 a regional statutory pension fund for blue collar workers (LVA Schleswig-Holstein), 4 statutory health insurances and their medical service MDK have been evaluating a pro-active system to offer rehabilitation to certain member groups. Its acceptance, performance and outcomes were evaluated within a randomized controlled study. Methods: Over one year actively insured (i. e. working) members of the a. m. institutions were screened for longer work disability due to musculoskeletal disorders (ICD-10: M05 - 25, M40 - 54, M60 - 99). Based on further inclusion criteria eligible persons were randomized either to an intervention (invitation, counselling, application support) or control (usual care) group. At baseline and six and 12 months all participants completed a postal questionnaire enquiring about various health status aspects (secondary outcomes). Information on sick leave (cases, days), hospital treatment and disability pension was based on administrative data (primary outcomes). Analyses were run on an intention to treat-, per protocol-, as actual-, and matched pairs-basis. Results: 230 persons gave written informed consent (IG: n = 134, KG: n = 96). Within 6 months after study entry 69 % of the IG- and 20 % of the KG-members participated in a 3 week in-patient multidisciplinary rehabilitation program. Compared to 6 months prior to the study the occurrence of sick leave due to musculoskeletal disorders was clearly reduced during follow-up between month 6 and 12, however with no significant difference between the two groups. Additionally, IG and CG did not differ in any other primary and secondary outcomes. Conclusion: Contrary to our expectations the IG-members do not seem to benefit from the PETRA-programme including inpatient rehabilitation.
Schlüsselwörter
Bedarf - Rehabilitation - muskuloskelettale Erkrankungen - Evaluation - Versorgungsforschung
Key words
Musculoskeletal disorders - needs assessment - medical rehabilitation - health services research - randomized controlled trial
Literatur
- 1 Lawrence R C, Helmick C G, Arnett F C. et al . Estimates of the prevalence of arthritis and selected musculoskeletal disorders in the United States. Arthritis Rheum. 1998; 41 778-799
- 2 Picavet H SJ, Schouten J SAG. Musculoskeletal pain in the Netherlands: prevalences, consequences and risk groups, the DMC3-Study. Pain. 2003; 102 167-178
- 3 Kohlmann T. Muskuloskelettale Schmerzen in der Bevölkerung. Der Schmerz. 2003; 17 405-411
- 4 Bellach B M, Ellert U, Radoschwewski M. Epidemiologie des Schmerzes - Ergebnisse des Bundesgesundheitssurveys 1998. Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitsschutz. 2000; 43 424-431
- 5 Neuhauser H, Ellert U, Ziese T. Chronische Rückenschmerzen in der Allgemeinbevölkerung in Deutschland 2002/2003: Prävalenz und besonders betroffene Bevölkerungsgruppen. Gesundheitswesen. 2005; 67 685-693
- 6 Vetter C, Redmann A. Arbeit und Gesundheit. Ergebnisse aus Mitarbeiterbefragungen in mehr als 150 Betrieben. Bonn; WIdO-Materialien 52 2005
- 7 Krankheitsartenstatistik 2003. Bonn; AOK Bundesverband 2004
- 8 VDR Statistik Rehabilitation des Jahres 2004. Berlin; Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 2005
- 9 Zimmermann M, Glaser-Möller N, Deck R. et al . Determinanten der Antragsstellung auf eine medizinische Rehabilitation. Ergebnisse einer Befragung von Versicherten der LVA Schleswig-Holstein. Gesundheitswesen. 1999; 61 292-298
- 10 Zimmermann M, Glaser-Möller N, Deck R. et al . Subjektive Rehabilitationsbedürftigkeit, Antragsintention und Inzidenz der Anträge auf medizinische Rehabilitation. Ergebnisse einer Befragung von LVA-Versicherten. Rehabilitation. 1999; 38 (Suppl 2) S122-127
- 11 Weber A, Raspe H. Gelingt die Reintegration in das Erwerbsleben nach Langzeitarbeitsunfähigkeit? Zusammenfassung der Ergebnisse der ISSA Studie aus Deutschland. DRV. 1999; Heft 4
- 12 Who returns to work and why? A six-country study on work incapacity and reintegration. Bloch FS, Prins R London; Transaction 2001
- 13 Bullinger M, Kirchberger I. Der SF-36 Fragebogen zum Gesundheitszustand (SF-36). Handbuch für die deutschsprachige Fragebogenversion Göttingen; Hogrefe Verlag 1998
- 14 Franke G H. SCL-90 R. Die Symptom Checklist von LR Derogatis. Deutsche Version. Beltz Verlag 2002
- 15 Kohlmann T, Raspe H. Der Funktionsfragebogen Hannover zur alltagsnahen Diagnostik der Funktionsbeeinträchtigung durch Rückenschmerzen (FFbH-R). Rehabilitation. 1996; 35 I-VIII
- 16 Leonhart R. Effektgrößenberechnung bei Interventionsstudien. Rehabilitation. 2004; 43 241-246
- 17 Fisher L L, Van Belle G. Biostatistics. A Methodology for the Health Sciences. New York; Wiley 1993
- 18 Deck R, Raspe H. Qualitätsgemeinschaft medizinischer Rehabilitation in Schleswig-Holstein. Ein Modell der eigeninitiativen Qualitätssicherung. Tagungsband zum 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium vom 28.02. bis 02. 03 2005 in Hannover. DRV-Schriften. 2005; 59 108-109
- 19 Raspe A, Matthis C, Héon-Klin V. et al . Chronische Rückenschmerzen: Mehr als Schmerzen im Rücken. Ergebnisse eines regionalen Surveys unter Versicherten einer Landesversicherungsanstalt. Rehabilitation. 2003; 42 195-203
- 20 Bürger W, Dietsche S, Morfeld M. et al . Ambulante und stationäre orthopädische Rehabilitation - Ergebnisse einer Studie zum Vergleich der Behandlungsergebnisse und Kosten. Rehabilitation. 2002; 41 92-102
- 21 Bührlen B, Jäckel W H. Teilstationäre orthopädische Rehabilitation: Therapeutische Leistungen, Behandlungsergebnis und Kosten im Vergleich zur stationären Rehabilitation. Rehabilitation. 2002; 41 148-159
- 22 Feinstein A R. Clinical Epidemiology. The Architecture of Clinical Research Philadelphia; W.B. Saunders Company 1985
- 23 Hüppe A, Raspe H. Zur Wirksamkeit stationärer medizinischer Rehabilitation in Deutschland bei chronischen Rückenschmerzen: Aktualisierung und methodenkritische Diskussion einer Literaturübersicht. Rehabilitation. 2005; 44 24-33
- 24 Hüppe A, Raspe H. Die Wirksamkeit stationärer medizinischer Rehabilitation in Deutschland bei chronischen Rückenschmerzen: eine systematische Literaturübersicht 1980 - 2001. Rehabilitation. 2003; 42 143-154
- 25 Gerdes N. Bewirken Reha-Maßnahmen eine Abnahme der Arbeitsunfähigkeit? Eine Fall-Kontroll-Studie. Stuttgart; Thieme 1993
- 26 Schlademann S, Hüppe A, Raspe H. Medizinische Rehabilitation bei rheumatoider Arthritis: Erfahrungen und Ergebnisse des Rekrutierungs- und Screeningverfahrens. Tagungsband zum 14. Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium vom 28.02. bis 02. 03 2005 in Hannover. DRV-Schriften. 2005; 59 306-307
- 27 Thomas K J, MacPherson H, Ratcliffe J. et al . Longer term clinical and economic benefits of offering acupuncture care to patients with chronic low back pain. Health Technology Assessment. 2005; 9 (32)
- 28 Zwingmann C, Wirtz M. Regression zur Mitte. Rehabilitation. 2005; 44 244-251
Dr. Angelika Hüppe
Institut für Sozialmedizin
Beckergrube 43 - 47
23552 Lübeck
Email: angelika.hueppe@sozmed.uni-luebeck.de