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DOI: 10.1055/s-2005-923735
Drogenabhängigkeit bei Kindern und Jugendlichen – Unter besonderer Berücksichtigung der Lebensgeschichte und Behandlungsmöglichkeiten
Zusammenfassung:
Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen ist ein zunehmendes Problem. Das Einstiegsalter sinkt. Betroffene Jugendliche waren in der Kindheit häufig äußeren und inneren Belastungen ausgesetzt. Frühe Bindungs- und Beziehungsstörungen finden sich in der Vorgeschichte. Seelische Fehlentwicklungen und Störungen können die Folge sein. Häufig werden die Drogen als Selbstmedikation eingesetzt, um seelische Schmerzen und Nöte nicht so deutlich wahrnehmen zu müssen. Seit 1999 haben wir im Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover, mit der Therapiestation für drogenabhängige Kinder und Jugendliche Teen Spirit Island ein spezielles therapeutisches Angebot für diese Altersgruppe entwickelt.
Lebensgeschichte, Delinquenz, Komorbidität, Drogenmissbrauch:
Drogen, Alkohol, Gewalt und selbstverletzendes Verhalten sind als primäre Regulatoren (bei mangelhafter Selbstregulation) und Organisatoren von Identität anzusehen. Die Adoleszenz ist eine Zeit des Umbruchs. Die Einheit von Denken, Fühlen und Handeln zerbricht. Vertrautes wird infrage gestellt. Ein Experimentieren mit und ein Spiel an Grenzen charakterisiert diesen Lebensabschnitt. So stellt die Aldoleszenz eine mögliche Bruchstelle in der Entwicklung dar. Drogen, Alkohol, Gewalt, Kriminalität und selbstschädigende Verhaltensweisen sind Irrwege und Auswege dieser Lebensphase, die bei inneren und äußeren Belastungen auftreten, die nicht anders bewältigt werden können. Größenvorstellungen in der Adoleszenz sind nichts Außergewöhnliches. Sie sind sogar wichtig als „Entwicklungsprogramm“ zum Großwerden. Es besteht jedoch die Gefahr der Verwirklichung einer immensen destruktiven-narzisstischen Größenfantasie. Oft handelt es sich hierbei um Jugendliche, bei denen komplexe psychische, interpersonelle und soziale Beeinträchtigungen vorliegen, Jugendliche mit Grenzenstörungen, die auch als Frühstörungen, ich-strukturelle Störungen, komplexe neurotische Entwicklungsstörungen, Borderline-Störungen oder chronische und komplexe PTSD bezeichnet werden (Streek-Fischer 2005). Bei drogenabhängigen Jugendlichen finden sich häufig komorbide Störungen des Sozialverhaltens (28–62%) und depressive Störungen (16–61%). Weitere, gehäuft auftretende Komorbiditäten sind Angststörungen, sozialphobische Störungen, Essstörungen (v.a. Bulimie) und schizophrene Psychosen (Thomasius 2005). In der Adverse Childhood Experience Study (ACE-Studie) wurden die Gründe für die zehn häufigsten Todesursachen u.a. die Sucht an 17.000 Erwachsenen der amerikanischen Mittelschicht untersucht. Verglichen wurden belastende Kindheitserfahrungen mit dem Gesundheitszustand von Erwachsenen. Es zeigte sich, dass der süchtige Konsum von Nikotin, Alkohol und i.v. Konsum proportional zu dem Ausmaß der belastenden Kindheitserfahrungen steht (Felitti 2003). Ein Großteil der drogenmissbrauchenden Jugendlichen stellt den Drogenmissbrauch nach einer Zeit des Experimentierens und Ausprobierens wieder ein (ca. 90%). Treffen früher Drogenmissbrauch und belastende Kindheitserfahrungen zusammen, hat man es mit einer Hochrisikogruppe zu tun, die droht in einen anhaltenden Drogenmissbrauch und Abhängigkeit überzugehen (Thomasius 2005).
Behandlung:
Die Schnittstellenproblematik der herkömmlichen Drogenhilfe ist mit einer hohen Rückfallquote belastet. Früh traumatisierte Jugendliche erleben hier wiederholte Beziehungsbrüche, wie sie dies aus ihrer Lebensgeschichte kennen. Auf der Therapiestation Teen Spirit Island haben wir ein Konzept entwickelt, mit maximaler Beziehungskonstanz, von der Aufnahmephase (Entzug und Motivationsarbeit) über die Behandlung der zugrundeliegenden Störung und Aufarbeiten der Lebensgeschichte, bis zur Jugendhilfe und integrierter Nachsorge. Gerade früh traumatisierte Jugendliche bedürfen dieser Anbindung an ein beständiges, konstantes Beziehungsangebot. Um längerfristig ohne Drogen leben zu können, ist eine Behandlung der Grundstörung notwendig. In einem zweiphasigen Behandlungsangebot, bieten wir neben der qualifizierten Entgiftung eine längerfristige kinder- und jugendpsychiatrische / psychotherapeutische Therapie an. Wir arbeiten in enger Kooperation mit einer Drogenberatungsstelle und einer Jugendhilfeeinrichtung, so dass wir eine hohe Beziehungskonstanz von der ambulanten Phase, über die stationäre Therapie, bis zur ambulanten und stationären Nachbetreuung anbieten können (Möller 2003). Allgemeine Therapieziele sind, das Schaffen von „Räumen der Entfaltung“ und eine „Ich-Ziel-Verankerung“ beim Jugendlichen zu fördern. Sichere Orte und ausreichend haltende Beziehungen zu entwickeln, sind die ersten Schritte in der stationären Psychotherapie. Die Station ist der Ort, wo nach Bedingungen gesucht wird, die helfen aus Spannungszuständen herauszufinden, Ich-Fähigkeiten zu entwickeln und zu trainieren. Es sollen Kompetenzen entwickelt werden, Symbolisierungsfähigkeiten geschaffen und Sprache statt Handeln verwendet werden. Auf der Station sollten deeskalations-, stabilisierungs- und ressourcenorientierte Interventionen im Vordergrund stehen.
Literatur:
Felitti V. (2003) Ursprünge des Suchtverhaltens: Evidenz aus einer Studie zu den belastenden Kindheitserfahrungen. Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat.; 52: 547–559
Möller C. (2003) JUGEND SUCHT, Ehemals Drogenabhängige erzählen. Gesundheitspflege initiativ, Esslingen
Streek-Fischer A. (2005) Adoleszenz – Delinquenz, Drogenmissbrauch In: Möller C. (Hrsg.) Drogenmissbrauch im Jugendalter. Van & Hoeck Ruprecht, Göttingen: 166–185
Thomasius R. (2005) Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen. In: Möller C. (Hrsg.) Drogenmissrauch im Jugenalter. Van & Hoeck Ruprecht, Göttingen: 13–36.