Suchttherapie 2005; 6 - A1
DOI: 10.1055/s-2005-923722

Alkoholabhängigkeit – internistische Komplikationen

MV Singer 1
  • 1Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg

Es gibt in Deutschland ca. 2,5 Millionen behandlungsbedürftige Alkoholkranke sowie mehr als 9 Millionen Menschen mit riskantem Alkoholmissbrauch, welcher mit erheblichen gesundheitlichen und sozialen Folgen für Patienten, Familien und die Gesellschaft einhergeht. Es muss aber nicht immer übermäßiger Alkoholkonsum sein, sondern auch schon moderater (sozialer) Alkoholkonsum kann gesundheitliche Schäden verursachen.

Von allen Patienten, die in ein Allgemeinkrankenhaus eingewiesen werden, weisen 29% der Männer und 9% der Frauen eine alkoholassoziierte Erkrankung innerer Organe auf. Bei Alkoholabhängigen, die zur stationären Entwöhnungsbehandlung kommen, leiden sogar bis zu 75% an organischen Alkoholfolgekrankheiten.

Im oberen Gastrointestinaltrakt schädigt Alkohol direkt und konzentrationsabhängig die Schleimhaut der Mundhöhle, des Rachens und des Ösophagus. Darüber hinaus verändert Alkohol die Ösophagusmotilität und kann aufgrund einer Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters eine Refluxösophagitis unterschiedlichen Ausmaßes hervorrufen. Im Magen führen vergorene Alkoholika im Gegensatz zu destillierten alkoholischen Getränken zu einer maximalen Magensäuresekretion. Hochprozentige Alkoholika können eine hämorrhagische Gastritis induzieren. Im Dünndarm werden neben alkoholinduzierten Schleimhautschäden und Motilitätsstörungen Störungen der Absorption und des Stoffwechsels von Nahrungsbestandteilen beobachtet, was zur Malnutrition bei chronischem Alkoholmissbrauch beitragen kann. Die schwerwiegendste alkoholassoziierte Erkrankung des Pankreas stellt die chronische Pankreatitis mit exokriner und endokriner Insuffizienz dar.

Das am häufigsten durch Alkohol geschädigte Organ ist die Leber. Das Erkrankungsspektrum reicht von der alkoholinduzierten Fettleber über die Fettleberhepatitis, welche teilweise einen fulminanten Verlauf nehmen kann, bis zur Leberzirrhose mit lebensbedrohlichen Komplikationen wie portaler Hypertension, Ösophagusvarizenblutungen oder hepatischer Enzephalopathie und dem hepatozellulären Karzinom als Spätfolge.

Einen bedeutenden Teil der alkoholinduzierten Erkrankungen nehmen die Karzinome des Gastrointestinaltrakts, vor allem des Ösophagus und der Leber, ein. Ein Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Brust-, Dickdarm- und Pankreaskrebs gilt ebenfalls als sehr wahrscheinlich. Dabei spielt der Ethanolmetabolit Azetaldehyd als Karzinogen eine tragende Rolle.

Das Herzkreislaufsystem ist das einzige Organsystem, bei dem positive Wirkungen durch moderaten Alkoholkonsum nachgewiesen wurden. Dies gilt jedoch nur für einen kleinen Teil der Patienten (kardiovaskuläre Vorerkrankungen, Alter über 50 Jahre).

Zukünftige epidemiologische, klinische wie auch experimentelle Studien werden zu analysieren haben, welche Faktoren der unterschiedlichen individuellen Empfänglichkeit für alkoholinduzierte Organschäden zu Grunde liegen und welche weiteren molekularen Mechanismen auf zellulärer Ebene verantwortlich sind. Da etliche Wirkungen von alkoholischen Getränken auf nicht-alkoholische Begleitstoffe zurückzuführen sind, besteht auf diesem Gebiet noch erheblicher Forschungsbedarf.