Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2005; 15 - A75
DOI: 10.1055/s-2005-917932

Aktive Therapien, verhaltenstherapeutische und multimodale Behandlungsprogramme für chronische Rückenschmerzen – welche Veränderungsprozesse sind für ein erfolgreiches Ergebnis relevant? Ergebnisse eines systematischen Literatur – Reviews

T Wessels 1, MW van Tulder 1, T Sigl 1, H Limm 1, T Ewert 1, G Stucki 1
  • 1Klinik und Poliklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Ludwig-Maximilians-Universität, München, München

Fragestellung: Für chronische Rückenschmerzen haben sich aktive Therapien, verhaltenstherapeutische und multimodale Behandlungsprogramme als effektiv erwiesen [1]. Ungeachtet der empirisch überprüften Wirksamkeit ist jedoch weitgehend unklar, welche Kausalzusammenhänge den Erfolg bedingen. Ein genaueres Wissen über die Wirkmechanismen von Therapieprogrammen ist notwendig, um einfachere und ökonomischere Therapieprogramme entwickeln zu können. Dennoch gibt es bisher keine systematische Übersichtsarbeit, die das empirisch belegte Wissen zu diesem Thema analysiert hat. Ziel des systematischen Literatur-Reviews ist es deshalb, einen Überblick über empirisch belegte Wirkmechanismen in der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen durch aktive Therapien, verhaltenstherapeutische und multimodale Behandlungsprogramme zu geben.

Methode: Basierend auf einer systematischen Literatursuche in Medline (1966–2004/10), Embase (1989–2004/10) und PsycInfo (1872–2004/10) wurden 1048 Studien gescreent, von denen 13 Studien u.a. die folgenden Einschlusskriterien erfüllten: Behandlung von chronischen Rückenschmerzen durch aktive Therapien, verhaltenstherapeutische oder multimodale Behandlungsprogramme; Analyse von Veränderungsprozessen und Anteil der aufgeklärten Varianz am Ergebnis mit multivariaten Verfahren. Die Daten der eingeschlossen Studien wurden anhand eines standardisierten Formblatts extrahiert und methodisch bewertet. Aufgrund der Heterogenität der Daten hinsichtlich erhobener Variablen und eingesetzter statistischer Methoden wurden die Daten nur deskriptiv ausgewertet und zusammengefasst.

Ergebnis: Die eingeschlossenen Studien differierten sehr hinsichtlich der getesteten Erklärungsmodelle. Der Anteil der erklärten Varianz schwankte zwischen 5% und 71%, weshalb ein großer Teil der Wirkmechanismen immer noch eine „black box“ ist. Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen zeichnet sich in den berichteten Studienergebnissen folgende Tendenz ab: Schmerzreduktion ist vor allem von einer Verbesserung der Beeinträchtigung und zu einem geringeren Teil von der Verbesserung physischer Leistungsparameter abhängig. Verbesserungen in der Beeinträchtigung scheinen wiederum sowohl von Schmerzreduktion als auch von einer Zunahme aktiver Copingmechanismen und einer Reduzierung von Angst-Vermeidungsüberzeugungen (fear-avoidance) abzuhängen. Eine Rückkehr an den Arbeitplatz wird vor allem durch eine Reduzierung der Beeinträchtigung und zu einem etwas geringeren Teil durch eine Zunahme aktiver Copingmechanismen und einer Reduzierung von Angst-Vermeidungsüberzeugungen (fear-avoidance) erreicht.

Diskussion: Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass die Gewichtung der einzelnen Veränderungsfaktoren je nach gewähltem Outcome variieren kann bzw. die einzelnen Faktoren miteinander interagieren, so z.B. Schmerz und Beeinträchtigung durch Schmerz. Insgesamt lassen die Ergebnisse den vorläufigen Schluss zu, dass eine Veränderung schmerz-, funktions- und verhaltensbezogener Parameter für eine erfolgreiche Behandlung wichtiger sind als eine Verbesserung körperbezogener Leistungsparameter (z.B. Kraft-Ausdauer). Dieses Ergebnis stimmt mit den Aussagen bisher publizierter Reviews überein [2, 3]. Ein großes Problem der analysierten Studien war die Heterogenität der eingeschlossenen Moderatorvariablen. In zukünftigen Studien sollte die Auswahl dieser Variablen deshalb theoriegeleitet und gestützt auf einen gemeinsamen konzeptuellen Rahmen erfolgen. Die ICF ist ein solches konzeptuelles Modell, dass auf der Grundlage des biopsychosozialen Störungsmodells alle miteinander interagierenden Dimensionen berücksichtigt. Dies würde eine bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse und somit Ableitungen für die Ökonomisierung von Therapieprogrammen ermöglichen.

Literatur:

1 Van Tulder MW, Koes B, Bombardier C. Low back pain. Best Pract Res Clin Rheumatol 2002;16:761–75.

2 Linton SJ. A review of psychological risk factors in back and neck pain. Spine 2000;25:1148–56.

3 Hasenbring M. Predictors of efficacy in treatment of chronic low back pain. Curr opin anaesthesiol 1998;11:553–8.