Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2005; 15 - A72
DOI: 10.1055/s-2005-917929

Auswirkungen eines multimodalen Programmes zur Sekundärprävention von Rückenschmerz bei Krankenpflegekräften auf Schmerzparameter und Hebekapazität

K von Garnier 1, T Wessels 1, H Limm 1, B Rackwitz 1, R Freumuth 1, J John 1, T Ewert 1, G Stucki 1
  • 1Klinik und Poliklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation der Ludwig-Maximilians-Universität München, München

Fragestellung: Krankenpflegekräfte haben mit einer Jahresprävalenz von 40–50% gegenüber der Normalbevölkerung ein erhöhtes Risiko, an Rückenschmerz (RS) zu erkranken [1]. Als einer der Hauptrisikofaktoren gilt das Heben und Tragen [1]. Häufiger Patiententransfer ist mit ansteigender Inzidenz von RS assoziiert.

Die Messung der Hebekapazität (HK) stellt ein wichtiges Instrument zur Bewertung der funktionalen Gesundheit dar. Zur Reduktion von RS und Beeinträchtigung wird eine Steigerung der HK empfohlen, da Studien gezeigt haben, dass Menschen mit chronischem RS über eine geringere Hebekapazität als Gesunde verfügen [2, 3] und dass der Anstieg isoinertialer Hebekapazität mit dem Rückgang von RS assoziiert ist [4].

Ziel unseres vom BMGS geförderten Projektes ist es, die Effekte eines multimodalen Programmes zur Sekundärprävention von Rückenschmerz bei Krankenpflegekräften mit einem bereits als effektiv beschriebenen unimodalen Programm anhand der Outcomeparameter Schmerz und HK zu vergleichen. Zusätzlich wird deskriptiv die Zufriedenheit der TN mit den Programmen beschrieben.

Methode: Im Rahmen einer randomisierten Studie wurden Pflegekräfte mit mindestens einer RS-Episode innerhalb der letzten 2 Jahre eingeschlossen.

Das unimodale Programm umfasst ein Sport- und Trainingsprogramm in Anlehnung an Klaber-Moffett [5]. Das multimodale Programm beinhaltet neben dem identischen Sport- und Trainingsprogramm zusätzlich ergotherapeutische Interventionen (u.a. gelenkschonendes Heben und Lagern, Workhardening, Ergonomie), physiotherapeutische segmentale Stabilisationsübungen und psychologische Interventionen wie Entspannung und Stressbewältigung. Beide Programme dauern 13 Wochen, unterscheiden sich aber in der Anzahl ihrer Einheiten.

Schmerzstärke (ST) und Beeinträchtigung durch Schmerz (BdS) wurden prä, post und im 3-Monats-Follow-up mit dem West Haven-Yale Multidimensional Pain Inventory (MPI-D) [6] erhoben. HK wurde mittels der Progressive Isoinertial Lifting Evaluation (PILE) [2] erhoben. Zufriedenheit mit dem Programm wurde in einem eigen erstellten Fragebogen ermittelt.

Der Test auf Gruppenunterschiede wurden mit dem Mann-Whitney-Test durchgeführt, für Zeitvergleiche wurde der Wilcoxon-Test angewandt.

Ergebnis: Dargestellt werden Intermediäranalysen, die sich auf die ersten 124 Teilnehmer beziehen.

Mit den Kursinhalten waren 63.6% der Teilnehmer sehr zufrieden, 35.4% zufrieden und 1.0% nicht zufrieden. Mit dem Praxisbezug der Inhalte waren 53.5% sehr zufrieden, 43.4% zufrieden und 3.0% nicht zufrieden. Den durch die Teilnahme an den Programmen erzielten Nutzen schätzten die Teilnehmer mit einem Modalwert von 8.0 (28,3%) auf einer Skala vom 1–10 als relativ hoch ein.

Die Teilnehmer beider Programme unterscheiden sich zu keinem der 3 Messzeitpunkte signifikant in ST und BdS voneinander. Im Vergleich über die Zeit nehmen für beide Gruppen sowohl ST als auch BdS von prä nach post und zum 3-Monats-Follow-up höchst signifikant ab, obgleich das Beeinträchtigungsniveau schon zu Baseline auf niedrigem Niveau lag.

Auch in der HK unterscheiden sich die Gruppen weder zu prä noch post signifikant voneinander. Zum 3-Monats-Follow-up wurde keine Hebekapazität erhoben. Im Zeitvergleich jedoch steigt die Hebekapazität für die Gesamtgruppe höchst signifikant von 16.5kg prä auf 24kg post an.

Diskussion: Die Steigerung der Hebekapazität geht mit verringerter RS-Stärke sowie Beeinträchtigung durch RS einher. Es konnten jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen festgestellt werden.

Die gezeigten Ergebnisse müssen für die Gesamtpopulation und im Langzeitverlauf überprüft werden. Sinnvoll könnten Subgruppenanalysen sein, um zu identifizieren, welche Intervention für welche Gruppe besonders indiziert ist.

Literatur:

1 Hignett S. Work-related back pain in nurses. J Adv Nurs, 23: 1238–46, 1996

2 Mayer TG, Barnes D, Kishino ND et al. Progressive Isoinertial Lifting Evaluation I. A Standardised Protocol and Normative Database. Spine, 13:993–997, 1988

3 Mayer TG, Barnes D, Nichols, G et al. Progressive Isoinertial Lifting Evaluation II. A Comparison with Isokinetic Lifting in a disabled Chronic Low-Back Pain Industrial population. Spine, 13:998–1002, 1988

4 Ljungquist T, Nygren A, Jensen I et al. Physical performance tests for people with spinal pain – sensitivity to change. Disability and Rehabilitation 25:856–866, 2003

5 Klaber Moffett J, Torgerson D, Bell-Syer SE et al. Randomised controlled trial of exercise for low back pain: clinical outcomes, costs and preferences. BMJ, 319: 279–283, 1999

6 Flor H, Rudy TE, Birbaumer N et al. (1990). Zur Anwendbarkeit des West Haven-Yale Multidimensional Pain Inventory im deutschen Sprachraum. Daten zur Reliabilität und Validität des MPI-D. Der Schmerz, 4: 82–87, 1990