Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2005; 15 - A69
DOI: 10.1055/s-2005-917926

Gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Schmerzreduktion aufgrund des Abtransports von Schmerzmediatoren durch die „Manuelle Lymphdrainage“?

M Thiel 1
  • 1Ostsee Praxisklinik, Abt. Physiotherapie und Rehabilitation, Bad Schwartau

Fragestellung: Es wurden verschiedene wissenschaftliche Veröffentlichungen, die sich mit dem Transport von interstitieller Flüssigkeit durch das Lymphgefäßsystem beschäftigen, verglichen.

Ziel war es anhand fundierter Arbeiten einen putativen Zusammenhang zwischen der physiotherapeutischen Intervention „Manuelle Lymphdrainage“ und dem Transport von Schmerzmediatoren sowie daraus resultierender Schmezreduktion darzustellen.

Die zur Zeit vorhandenen Publikationen lassen keine eindeutige Aussage bezüglich der genannten Fragestellung zu.

Als Grund hierfür ist zu nennen, dass die „Manuelle Lymphdrainage“ entweder mit einer beobachteten Schmerzreduktion oder dem Transport von Schmerzmediatoren in Verbindung gebracht wird, ohne einen Beweis für die Schmerzreduktion aufgrund des Transports der Schmerzmediatoren zu liefern.

Methode: Recherchiert wurde in Nachschlagwerken und Fachbüchern sowie in verschiedenen Bibliothekskatalogen. Eine erweiterte Suche wurde im öffentlichen Internet (Google) und in medizinischen Datenbanken vorgenommen.

PEDro - http://www.cchs.usyd.edu.au/pedro

Medline - http://www.nlm.nih.gov

Springer-Link - http://www.springerlink.com

Thieme-Connect - http://www.thieme-connect.de

American College of Physicians - http://www.acponline.org/journals/acpjc/jcmenu.htm

Ergebnis: Guyten (1987) und Földi (1993) beschreiben, wenn das interstitielle Flüssigkeitsvolumen durch die Erhöhung des Nettoultrafiltrats steigt, wie z.B. durch eine Gewebeschädigung, führt dies reflektorisch zu einer Steigerung der Lymphproduktion. (5, 2, 3)

Moduliert wird die Lymphangiomotorik durch verschiedene Eikosanoide, Prostaglandine, Leukotriene und Thrombexan sowie durch biogene Amine Histamin, Bradykinin und Serotonin. Dies bedeutet, dass im Fall einer akuten entzündung die Entzündungsmediatoren u.a. die Lymphangiomotorik beeinflussen und somit das Lymphzeitvolumen steigt. (3)

Swartz et al. (1999) zeigen in einer in situ Studie mit Mäusen den direkten Zusammenhang zwischen einer interstitiellen Ödematisierung und dem Anstieg der Lymphangiomotorik und einer Steigerung des Lymphzeitvolumens. In dieser Studie werden Mäuseschwänze mit einer physiologischen, salinen und fluoreszierenden Flüssigkeit interstitinal ödematisiert. Mit einer speziellen mikroskopischen Kamera kann so ein gesteigerter Transport dieser zugeführten interstitiellen Flüssigkeit gezeigt werden. (10)

Der erhöhte Abtransport von Enzymen aus einem verletzten Gewebe durch das Lymphgefäßsystem zeigt die Studie von Kolc et al (1977). Die Unterbrechung der Blutzufuhr an Hinterläufen bei Hunden führt im Muskelgewebe zu einer Ischämie. Das Enzym Kreatin Phospokinase dient als Parameter für das so geschädigte Gewebe. Das in Zeitabständen kanülisiert gewonnene Blut und die Lymphe erden analysiert. Es zeigt sich eine erhöhte Enzymkonzentration der Lymphe in den für das so geschädigte Gewebe zuständigen afferenten Lymphgefäßen. Die Enzymkonzentration steht in Abhängigkeit von der zeitlichen Dauer der Ischämie. (6)

In der kontrollierten Studie von Kurz et al. (1978) lässt man 29 Patienten mit einem chronischen Lymphödem von erfahrenen Therapeuten durch „Manuelle Lymphdrainage“ behandeln. Vor und nach der Behandlung wird der Urin auf Neurotransmitter, Mineralien und Kreatin hin untersucht. Während in der Kontrollgruppe keine signifikanten Unterschiede gefunden werden, zeigen sich in der Behandlungsgruppe signifikante Unterschiede der Neurotransmitter Adrenalin, Noradrenalin, Serotonin und Histamin (hochsignifikant). (7)

Auch in der prospektiven klinischen Studie von Schultze (2000) werden Patienten nach Weisheitszahnosteotomie von erfahrenen Therapeuten mit „Manueller Lymphdrainage“ behandelt. Untersucht wird der Einfluss dieser Intervention auf postoperative Schwellung, Schmerz und andere Parameter. Im Ergebnis zeigt sich eine Schmerzreduktion durch „Manuelle Lymphdrainge“. Diese ist jedoch geringer und setzt später ein als die durch perioperative Gabe von Antiphlogistika zu erreichende Schmerzlinderung. Erst am zweiten und dritten postoperativen Tag wird duch die „Manuelle Lymphdrainge“ eine signifikante Schmerzreduktion mithilfe von Visuellen Analogskalen beobachtet.

Schultze selbst weißt darauf hin, dass alle Studienteilnehmer eine Basismedikation mit Paracetamol nach Dosierungsschema erhielten und dies die intraindividuellen Schmerzdifferenzen verschleiert haben könnte. Er vermutet daher, dass der tatsächliche Effekt der „Manuellen Lymphdrainage“ auf die postoperativen Schmerzen größer ist, als durch das Studiendesign gezeigt werden kann. (9)

Diskussion: Die „Manuelle Lymphdrainage“ als physiotherapeutische Intervention, wie sie auf den Fortbildungskursen für Physiotherapeuten gelehrt wird, hat primär die Endödematisierung von Lymphödemen als Ziel. Das Krankheitsbild des Lymphödems beschreibt ein eiweißreiches Ödem im Interstitium durch eine Schädigung des Lymphgefäßsystems, meistens als Folge einer Carzinombehandlung. Durch den forcierten Abtransport von Eiweißmolekülen werden Gewebsveränderungen und deren Folgen vermieden. Zwar gibt es auch die Hinweise, mit dieser Behandlungstechnik die Schmerzreduktion zu fördern, jedoch wird bei dieser Behauptung die eindeutige Beweislage durch verschiedene Studie nicht erbracht. Auch das Lehrbuch der Lymphologie von Földi und Kubik (2, 3) bleibt diesen Beweis schuldig. Es wird nur beschrieben, dass Schmerzmediatoren wie Gewebshormone und Neurotransmitter zu einer Steigerung der Lymphangiomotorik und des daraus resultierenden Lymphzeitvolumen führt. Auf die Frage, ob aber auch die Schmerzmediatoren selbst durch Lymphgefäße resorbiert werden wird nicht weiter eingegangen.

Die Studie von Swartz (10) zeigt den direkten Zusammenhang einer Ödematisierung und den damit verbundenen erhöhten Abtransport interstitieller Flüssigkeit bei intakten Lymphgefäßen auf. Da das künstlich herbeigeführte Ödem fluoreszierende Stoffe beinhaltet, kann ein Beweis der Resorbtion dieser zusätzlichen interstitiellen Flüssigkeit durch das Lymphgefäßsystem erbracht werden. Ob dies aber auch der Transportweg der verschiedenen Schmerzmediatoren in einem Ödem ist war nicht das Ziel dieser Arbeit.

Eine Veröffentlichung berichtet von der Analyse der Lymphflüssigkeit im direkten Zusammenhang einer Gewebsschädigung.

Nicht mit den Schmerzmediatoren im speziellen, aber mit dem Transportweg über die Lymphgefäße von dem einen Gewebeschaden anzeigenden Enzym Kreatin Phospokinase befasst sich die Studie von Kolc (6). Abhängig von der Dauer eines Schadens, steigt die Konzentration dieses Enzyms in der Lymphflüssigkeit. Um diese ergebnisse zu bekommen werden die afferenten Lymphgefäße punktiert und damit gleichzeitig ein Weg aufgezeigt, die Lymphflüssigkeit für eine Analyse zu gewinnen.

Zwei Arbeiten die gefunden wurden haben schmerzrelevante Themen im Zusammenhang mit einet „Manuellen Lymphdrainage“ als Intervention zum Ziel. Einmal die Studie von Kurz (7), der zwar nicht die Lymphflüssigkeit selbst analysiert aber die Konzentration von Schmerzmediatoren im Urin nach einer „Manuellen Lymphdrainage“ untersucht. Die Behandlungsgruppe zeigt eine steigerung der Neurotransmitter Adrenalin, Noradrenlin, Serotonin und Histmin. Dieses Ergebnis gibt eventuell einen Hinweis auf eine Schmerzreduzierung durch die „Manuelle Lymphdrainage“.

Als Nachteil dieser Studie ist anzusehen, dass keine Bewertung von den Schmerzempfindungen der Probanden über z.B. einer Visuellen Analogskala vorgenommen wurde.

Die zweite arbeit, die Studie von Schultze (9), bewertet hingegen das Schmerzempfinden der Studienteilnehmer über Visuelle Analogskalen. Im Ergebnisteil zeigt sich hier eine reduzierte Schmerzempfindung nach einr „Manuellen Lymphdrainage“. Eine Analyse von Lymphflüssigkeit bezüglich der Schmerzmediatoren wurde in dieser Studie nicht vorgenommen.

Eine durch Studie belegte und befriedigende Antwort auf die Fragestellung einer Schmerzreduzierung durch die physiotherapeutische Intervention „Manuelle Lymphdrainge“ wurde nur zum Teil gefunden.

Die recherchierten Arbeiten zeigen aber durch die verschiedenen Studiendesigns Möglichkeiten auf, die genannte Fragestellung zu beantworten.

Eine antwort hierauf könnte eine arbeit geben, die nach „Manueller Lymphdrainage“ die Lymphflüssigkeit im Hinblick auf die Konzentration von Schmerzmediatoren und zugleich das Schmerzempfinden über eine Visuelle Analogskala zum Inhalt hätte.

Für die Zukunft ist es erstrebenswert, auf dem Feld der Forschung, die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und akademisierten Physiotherapeuten zu verstärken.

Literatur:

1 Butler DS, The Sensitive Nervous System. Noigroup Publikation Adelaide Australia, 2000

2 Földi E, Földi M, Physiologie und Pathophysiologie des Lymphgefäßsystems, in Földi M, Kubik S (Hg) Lehrbuch der Lymphologie. Fischer 1993

3 Földi E, Földi M, Das Ödem bei der akuten Entzündung, in Földi M, Kubik S (Hg) Lehrbuch der Lymphologie. Fischer 1993

4 Gifford L, Schmerzphysiologie, in Berg van den F (Hg) Angewandte Physiologie Bd.2. Thieme 2000

5 Guyton AC, et al, Fluid Dynamics and Control in the Interstitial-Lymphatic System, in Staub NC, Hogg JC, Hargens AR (Ed) Interstitial-Lymphatic Liquid and Solute Movement. Karger 1987

6 Kolc C, et al, Effect of Mercurascanon on the Lymphatic Transport of Enzymes from Ischaemic Tissues, in Malek P, Bartos V, Weissledder H, Witte MH (Ed) Lymphology, Procceedings of the VI. International Congress Prague 1977. Thieme 1979

7 Kurz W, et al, Effect of Manual Lymph Drainage Massge on Urinary Excretion of Neurohormones and Minerals in Chronic Lymphedema. Angiology 29: 764–772, 1978

8 Morree JJ, Dynamik des menschlichen Bindegewebes. Urban&Fischer 2000

9 Schultze A, Die Manuelle Lymphdrainagetherapie (MLT) nach Weisheitszahnosteotomie: Einfluss auf postoperative Schwellung, Schmerzen und andere Parameter. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin in der Medizinischen Hochschule Hannover, 2000

10 Swartz MA, et al, Mechanics of interstitial-lymphatic fluid transport: theoretical foundation and experimental validation. Journal of Biomechanics 32: 1297–1307, 1999

11 Weiß T, Schaible HG, Akuter und chronischer Schmerz, Erfassung von Schmerz, in Berg van den F (Hg) Angewandte Physiologie Bd.4. Thieme 2003

12 Weiß T, Schaible HG, Strukturen der Nozizeption un der Schmerzverarbeitung, in Ber van den F (Hg) Angewandte Physiologie Bd.4. Thieme 2003

13 Zimmermann m, Handwerker O, Schmerz. Springer 1984