Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2005; 15 - A68
DOI: 10.1055/s-2005-917925

Objektivierung muskuloskeletaler Befunde im Schulter-Nacken-Bereich am Beispiel von Bildschirmarbeitern

I Taufmann 1, S Jahr 1, P Destanis 1, A Reißhauer 1
  • 1Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Campus Mitte. Kommissarische Leitung: Frau Dr. med. A. Reißhauer, Berlin

Fragestellung: Die körperlichen und psychischen Belastungen des Arbeitsalltages haben sich in den letzten Jahrzehnten zugunsten einer weniger physisch beanspruchenden Arbeit verändert. Bildschirmarbeitsplätze sind dabei universelle Bestandteile. Schätzungen ergaben, dass derzeit ca. 90% aller Angestellten in Deutschland während ihrer Arbeitszeit einen PC benutzen (1). Dabei zeigen sitzende Tätigkeiten, verbunden mit monotonen Arbeitsabläufen, langfristige Folgen für das Muskel-Skelett-System (2). Möglichkeiten zur Diagnostik und Objektivierung von muskuloskeletalen Erkrankungen können dabei auch standardisierte Fragebögen und apparative Diagnostik sein.

Methode: In einer Studie der Klinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation der Charité zu Schulter-Nacken-Beschwerden durch Bildschirmarbeit wurden 101 Probanden untersucht. Mit einem Fragebogen wurden Daten zur Schmerzstärke (Visuelle Analogskala VAS), zur subjektiven Schmerzempfindung (Schmerzempfindungsskala SES), zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität (SF 36) und zur Schmerzlokalisation erhoben. Die klinische Untersuchung umfasste die manuelle Untersuchung der globalen Beweglichkeit der Halswirbelsäule (Rotation, Flexion, Extension und Seitneige) mittels Winkelmesser sowie die Prüfung von isometrischem Spannungsschmerz und Verkürzungen der Schulter-Nacken-Muskulatur. Das Vorhandensein von myofaszialen Triggerpunkten (mTrP) wurde sowohl palpatorisch als auch mithilfe eines Dolorimeters geprüft. Ergänzt wurde der klinische Befund durch die Ableitung eines Oberflächen-EMG's im Schulter-Nacken-Bereich nach einem standardisierten Protokoll (2cm Elektrodenabstand, 1000Hz Sample rate, Rektifizierung, Filter 15–350Hz, SENIAM-Protokoll) in Ruhe, beim Tastaturschreiben, nach erneuter Ruhephase sowie Armvorhalte.

Ergebnis: Fragebogen: 93% der Probanden beklagten Schmerzen im Nackenbereich und 58% der Untersuchten gaben Schmerzen im Bereich der rechten Schulter an. Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule wurden von 51% angegeben und Schmerzen der linken Schulter mit 50%. Die Medianwerte für die durchschnittliche Schmerzstärke nach VAS lagen bei 4. Bei der Frage nach der Lebensqualität waren besonders die Items der körperlichen Funktionsfähigkeit, Vitalität und körperlichen Schmerzen eingeschränkt und lagen damit jeweils unter dem Durchschnitt der Normalpopulation. Die Schmerzempfindung, differenziert in eine affektive und sensorische Komponente, zeigte in beiden Dimensionen hohe Medianwerte. Klinische Untersuchung: Eine eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule bestand in der Seitneige nach links bei 90% und in der Seitneige nach rechts bei 87% der Probanden. Die Rotation nach links war bei 15% und die Rotation nach rechts bei 13% der Probanden herabgesetzt. Palpatorisch fanden sich positive myofasziale Triggerpunkte am häufigsten über dem M. supraspinatus, M. trapezius und M. pectoralis. Die dolorimetrische Prüfung der myofaszialen Triggerpunkte ergab eine signifikante Herabsetzung der Druckschmerzschwelle über dem M. pectoralis, M. supraspinatus und M. trapezius. Im sEMG des M. trapezius zeigten sich signifikante Unterschiede der jeweils rechten und linken Seite zwischen dem pars transversalis und pars descendens.

Diskussion: Die vorgestellten Ergebnisse zeigen und bestätigen damit komplexe muskuläre Veränderungen im Schulter-Nacken-Bereich bei Bildschirmarbeitern. Diese Ergebnisse korrelieren mit einem Schlussbericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin über Auswirkungen der Bildschirmarbeit auf Gesundheit und Wohlbefinden. (3) Es ist notwendig, Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems, die z.B. durch Bildschirmarbeit entstehen können, zu objektivieren und zu verifizieren. Sinnvoll und geeignet sind dabei komplexe Befragungen sowie standardisierte Messmethoden, wie Dolorimetrie von myofaszialen Triggerpunkten und Ableitung eins Oberflächen-EMG's.

Literatur:

1 Bildschirmarbeit und Gesundheitsrisiken. Argumente für ergonomisch gestaltete Bildschirmarbeit. 3. überarbeitete Auflage September 2003. Arbeitnehmerkammer Bremen.

2 Brackmann C., Gernot E., Lenhardt, U. Projektbericht im WS 97/98: Schmerzproblematik bei Beschäftigten an Bildschirmarbeitsplätzen.

3 Ertel M, Junghanns G, Pech E, Ullsperger P. Auswirkungen der Bildschirmarbeit auf Gesundheit und Wohlbefinden. Ergebnisse betrieblicher Untersuchungen mit dem Fragebogen „Gesundheit am Bildschirmarbeitsplatz“. Bremerhaven: Wirtschaftsverl.NW 1997. (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)