Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2005; 15 - A41
DOI: 10.1055/s-2005-917899

Fear Avoidance Beliefs bei Patienten nach Bandscheibenoperation – kann die Anschlussrehabilitation Einfluss nehmen?

M Morfeld 1, J Höder 1, JU Möller 1, M Fox 1, K Hofreuther 1, U Koch 1
  • 1Institut für Medizinische Psychologie, Hamburg

Fragestellung: Die Frage nach den Ursachen und Bedingungen für eine Chronifizierung von Rückenschmerzen ist Gegenstand nationaler und internationaler Forschung (Nachemson & Jonsson, 2000). Darin wird darauf hingewiesen, dass ca. 5–10% aller Schmerzpatienten ein chronisches Schmerzsyndrom entwickeln (Coste et al. 1994). Neben einer Reihe von eher situativ geprägten (soziale Schicht, Arbeitsplatzbedingungen etc.) werden unter den psychologischen Ursachen vor allem kognitive Variablen wie Bewältigungsstrategien und Vermeidungsverhalten diskutiert. Unter den sogenannten Fear Avoidance Beliefs werden Attributionen subsumiert, die den Schmerz als Ausdruck für eine Verletzung oder eine pathologischen Ursache sehen. Demnach sind es vor allem körperliche Aktivitäten, die zu einer Zunahme des Schmerzes führen. Pfingsten et al. weisen auf die Interaktion von Schmerz und Angst sowie ein möglicherweise daraus resultierendes Vermeidungsverhalten bzgl. Bewegungen und Aktivitäten hin, verbunden mit einer Motivation potentiell schmerzhafte Aktivitäten zu vermeiden (Pfingsten et al. 1997). Andere Autoren weisen darauf hin, dass diese Fear Avoidance Beliefs für einen substantiellen Anteil der Varianz subjektiver Beeinträchtigungen sowie als Prädiktor für die Rückkehr an den Arbeitsplatz infrage kommen (Waddell et al. 1993). Die hier vorgestellte Untersuchung geht bei erstmalig bandscheibenoperierten Patienten in der Anschlussrehabilitation der Frage nach, wie Fear Avoidance Beliefs ausgeprägt sind und ob diese durch zwei unterschiedliche Interventionen (Standardreha vs. Standardreha + VT Intervention) beeinflusst werden können.

Methode: Hintergrund der Untersuchung, auf Basis die hier vorgenommenen Analysen vorgenommen wurden, stellt die Frage nach der Wirksamkeit einer kognitivverhaltenstherapeutischen Intervention während der stationären Anschlussrehabilitation bei erstmalig bandscheibenoperierten Patienten gegenüber den Patienten dar, die ausschließlich an einer Standardrehabilitation teilgenommen haben (Morfeld et al. 2003). Die Therapiestudie ist kontrolliert, bizentrisch und prospektiv angelegt. Die Patienten werden konsekutiv in die Studie aufgenommen.

Zur Erfassung der Fear Avoidance Beliefs wurde das im deutschen Sprachraum von Pfingsten et al. übersetzte und psychometrisch geprüfte Instrument FABQ-D über drei Messzeitpunkte eingesetzt. Es besteht aus insgesamt 16 Items, die zu den Skalen ‘Verursachung durch Arbeit', ‘Prognostik Beruf/Arbeit' sowie ‘Verursachung durch Aktivität' zusammengefasst werden.

Ergebnis: Bisher wurden in beiden Patientengruppen n=220 Patienten (n1=139 Interventionsgruppe; n2=112 Standardrehabilitation) erreicht, beide Gruppen sind in wesentlichen soziodemografischen (Alter, Geschlecht, soziale Schicht) und medizinischen Variablen (OP Verfahren, Etage der OP etc.) vergleichbar.

Die deskriptiven Ergebnisse zeigen im Vergleich zu den bisher publizierten Daten über alle drei Skalen hinweg Mittelwerte, die darauf hinweisen, dass die Patienten eher der Meinung sind, zukünftig Aktivitäten unterlassen wollen, die den Rücken schädigen (FABQ-D3), verstärkt ihren Arbeitsumständen schuld an ihrer Erkrankung zuweisen (FABQ-D1) und eine schlechtere Prognose ihrer eigenen Rückkehr an den Arbeitsplatz haben (FABQ-D2).

Eine Analyse der Fear Avoidance Beliefs getrennt nach Patienten mit und ohne kognitivverhaltentherapeutischer Intervention weist darauf hin, dass zwar im Zeitverlauf deutliche Verbesserungen (FABQ-D1: F=6.6, p=.011; FABQ-D2: F=125,6; p=.001; FABQ-D3: F=7.9, p=.001) bezüglich der Ursachenzuschreibung der eigenen Erkrankung erzielt werden, diese jedoch nicht der Intervention spezifisch zugeschrieben werden können.

Diskussion: Fasst man die internationale Literatur zusammen und verbindet die Ergebnisse hieraus mit Ansprüchen, die gerade bezüglich von Verhaltensmodifikationen während einer Rehabilitationsmaßnahme erhoben werden, so zeigt sich zum einen, dass gerade bei Patienten in der Anschlussrehabilitation nach einer Operation verstärkt Ursachenzuschreibungen bezüglich des Berufs aber auch deutliche Vorbehalte gegenüber weiterer Aktivitäten und Mobilität bestehen. Der Anspruch der Anschlussrehabilitation hier multimodal entgegenzuwirken und Patienten zu Angstabbau bzgl. Bewegungsverhalten zu verhelfen, kann durch die hier vorgestellten Ergebnisse bestätigt werden. Nicht gezeigt werden kann jedoch eine Überlegenheit von zusätzlich erbrachter kognitivverhaltenstherapeutischer Intervention während der Rehabilitationsmaßnahme.

Literatur:

Coste, J., Delecoeuillerie, G., Cohen de Lara, A., Le Parc, J. M., & Paolaggi, J. B. (1994). Clinical course and prognostic factors in acute low back pain: an inception cohort study in primary care practice. BMJ, 308, 577–580.

Morfeld, M., Möller, JUM, Höder, J.H., Fox, M., Hofreuter, K., Koch, U. (2004) Optimierung des Rehabilitationserfolges erstmals bandscheibenoperierter Patienten durch ein ergänzendes kognitivverhaltenstherapeutisches Behandlungsprogramm. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (Hrsg.) Selbstkompetenz – Weg und Ziel in der Rehabilitation. DRV-Schriften Band 52, Frankfurt: VDR, 458–459.

Nachemson, A. N., & Jonsson, E. (Eds.). (2000). Neck and Back Pain: The scientific evidence of causes, diagnosis and treatment. New York: Lippincott.

Pfingsten, M., Leibing, E., Franz, C., Bansemer, D., Busch, O., & Hildebrand, J. (1997). Erfassung der „fear-avoidance-beliefs“ bei Patienten mit Rückenschmerzen. Der Schmerz, 11, 387–395.

Waddell, G., Newton, M., Henderson, I., Somerville, D., & Main, C. J. (1993). A fear-avoidance beliefs questionnaire (FABQ) and the role of fear-avoidance beliefs in chronic low-back pain and disability. Pain, 52, 157–168.