Problemstellung: Holoprosenzephalie (HPE) ist eine zerebrale Malformation, die aus einer fehlenden bzw. unvollständigen Teilung des embryonalen Vorderhirns (Prosenzephalon) resultiert. Sie ist häufig vergesellschaftet mit Mikrozephalie und fazialen Fehlbildungen unterschiedlicher Ausprägung wie Zyklopie, Proboszis oder Hypotelorismus sowie extrakraniellen Fehlbildungen wie Nierendysplasie oder Skelettfehlbildungen. Entsprechend des Ausprägungsgrades unterscheidet man eine alobäre, semilobäre und eine lobäre Form. Die Prävalenz beträgt 1:16.000 Lebendgeburten und 1:250 Aborten. HPE ist zu 41% auf eine Chromosomenstörung, am häufigsten Trisomie 13 zurückzuführen. Weitere Ursachen umfassen familiäre Formen mit autosomal-dominanter, autosomal rezessiver und möglicherweise auch X-chromosomaler Vererbung sowie sporadische Formen. Die häufigste Ursache der monogen bedingten HPE-Fälle sind Mutationen oder Haploinsuffizienz des SHH-Gens auf Chromosom 7q36.
Methoden: In dieser Kasuistik wird die 2D und 3D Ultraschalldiagnostik und das Management eines Feten mit per Zufall entdeckter alobärer HPE dargestellt. Das Krankheitsbild wird vor dem Hintergrund des zytogenetischen Befundes beleuchtet. Die Bedeutung des Falles für die Schwangerenvorsorge wird aufgezeigt.
Ergebnisse: Die 25-jährige Primigravida mit bis zu diesem Zeitpunkt unauffälligem Schwangerschaftsverlauf erlitt in 23+5 SSW einen Fahrradsturz mit mehrfacher Unterkieferfraktur. Nach Versorgung der Fraktur wurde die Patientin zur pränatalen Diagnostik vorgestellt. Im Rahmen der Schwangerenvorsorge war wegen fehlender Risikokonstellation keine Feindiagnostik durchgeführt worden. Im Ultraschall zeigte sich eine Mikrozephalie bei dem Schwangerschaftsalter entsprechendem Abdomenumfang, eine alobäre HPE mit Zyklopie und Proboszis. Weiterhin waren beidseits hyperechogene Nieren, eine Tintenfußstellung im Sprunggelenk, ein generalisiertes Hautödem und eine Hypoplasie des Os sacrum auffällig. Nach Bestätigung des Befundes mittels 3D-Sonographie und Durchführung einer Amniozentese wurde die Patientin über die Diagnose und Prognose des Feten aufgeklärt. Der zytogenetische Befund ergab eine unbalanzierte Translokation zwischen dem langen Arm von Chromosom 1 und dem langen Arm von Chromosom 7, Karyotyp 46,XY, der(7)t(1;7)(q32;q36). In dieser Konstellation liegt eine Trisomie für den Bereich 1q32.1 bis 1qter und Monosomie für den Bereich 7q36 vor, so dass davon auszugehen ist, dass Haploinsuffizienz für das SHH-Gen für den HPE-Phänotyp des Feten verantwortlich ist. Nach Indikation und Einverständnis der Patientin wurde die Abruptio mit Prostaglandinvaginaltabletten eingeleitet. Es kam zum Spontanpartus eines avitalen Knaben mit Zyklopie und Proboszis und einem Gewicht von 590g.
Schlussfolgerungen: Der Fall zeigt das Bild einer HPE, die durch eine Deletion auf Chromosom 7q36 hervorgerufen wurde und somit zur Haploinsuffizienz des HPE3-Gens führte. SHH-Mutationen oder SHH-Haploinsuffizienz sind in ~23% der Fälle von familiärer und 0,05% der Fälle sporadischer HPE ursächlich. Nach genetischer Beratung erfolgte die weitergehende Abklärung durch eine Chromosomenanalyse der beiden Eltern, die ergab, dass einer der beiden Eltern Träger der balanzierten Translokation ist und somit für weitere Schwangerschaften des Paares ein nicht unerhebliches Wiederholungsrisiko besteht. Die Diagnose wurde als Zufallsbefund während einer Routineultraschalluntersuchung nach Fahrradsturz der Mutter mit Unterkieferfraktur in 23+5 SSW gestellt. Dieser Fall illustriert die Notwendigkeit einer Feindiagnostik auch im scheinbar risikofreien Patientinnenkollektiv.