Psychiatr Prax 2006; 33(1): 3-5
DOI: 10.1055/s-2005-915249
Debatte
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pro und Kontra: Der Integrierte Behandlungs- und Rehabilitationsplan (IBRP) und die Hilfeplankonferenz (HPK)

For and Against: The Integrated Plan of Treatment and Rehabilitation (IBRP) and the Conference on the Help Plan (HPK)
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Publication Date:
03 January 2006 (online)

Pro

Reinhard Peukert, Harald Goldbach

Der Integrierte Behandlungs- und Rehabilitationsplan (IBRP) sei ein bürokratisches Monstrum, das Mitarbeitern und Klienten wichtige Betreuungszeiten raubt, ohne Verbesserung der individuellen Hilfen oder des Versorgungssystems; der IBRP leiste der Ökonomisierung und Vermarktlichung (gemeinde-)psychiatrischer Hilfen Vorschub und statt einer ganzheitlichen Sicht auf die Menschen, deren Zukunft offen sei, wird ihre Kalkulierbarkeit behauptet.

Um es gleich vorweg zu sagen: Diese und weitere Kritik wird oft zu Recht vorgetragen. Es gibt viele, zu viele Regionen, in denen mit dem IBRP in dieser Weise umgegangen wird. So wird er z. B. verwendet, um ein festes Platzkontingent im Betreuten Wohnen zu füllen, und die in der Hilfeplanung (und hinterher auf dem IBRP) erscheinenden Hilfen sind die, die das jeweilige Betreute Wohnen schon immer angeboten hat. Auch die Aufforderung im IBRP, nach alltäglichen Unterstützungen im sozialen Umfeld systematisch Ausschau zu halten, bevor (sozial-)psychiatrische Hilfe vorgeschlagen wird, kann übersehen werden.

Diesen zentralen Vorwurf müssen sich die Konstrukteure des IBRP gefallen lassen: er ist gegen solche Verwendungen nicht immun! Oder anders gesagt: wenn die weiter gehenden Intentionen außen vor bleiben, die für uns IBRP-Befürworter mit diesem Instrument unauflöslich verbunden sind, verkommt der IBRP zu einem überflüssigen, Zeit und Kraft raubenden Ungetüm!

Er wurde im Rahmen des BMG-geförderten Projektes der Aktion Psychisch Kranke „Personalbemessung im komplementär-ambulanten Bereich” entwickelt, als dessen Ergebnis nicht Anhaltszahlen wie in der PsychPV vorgeschlagen wurden, sondern Grundsätze und Verfahren für eine personenzentrierte Steuerung der Ressourcen und der konkreten Hilfen [1]. Intentionen und Verfahrensweisen der Hilfeplanung mit dem IBRP findet man auch unter www.ibrp-online.de. Der IBRP kann den Beteiligten dabei nützen, eine an den Zielen der Klienten orientierte Hilfeplanung zu kommunizieren.

Erfreulicher Weise müssen wir uns heute nicht mit theoretischen Erwägungen zur personenzentrierten Steuerung begnügen; es gibt in der Bundesrepublik viele Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, und die allen Schwierigkeiten zum Trotz an ihrem Ort versuchen, die Orientierung der Hilfen an den Zielen und Ansprüchen aller potenziellen Klienten der Region zu verwirklichen.

Der Ort, an dem sich dies realisiert, sind die Hilfeplankonferenzen. Diese basieren auf einer Übereinkunft der regionalen Akteure (Leistungserbringer und Leistungsträger) in Bezug auf Verfahren und Qualität. Dazu gehört die ausdrückliche Verantwortungsübernahme für die Versorgung aller Leistungsberechtigten in der Region.

Hilfeplankonferenzen in diesem Sinne sind keine Belegungskonferenzen, die Plätze unter der Schar von Bewerbern verteilen. Sie arbeiten auf der Grundlage von Hilfeplänen, die darstellen, welche Ziele Klienten und professionelle Helfer vereinbart haben und welche Hilfen sie zur Erreichung dieser Ziele für geeignet halten. Hilfebedarfe werden dabei umfassend dargestellt, sie beschränken sich nicht auf einzelne Leistungsarten oder Leistungsträger. Hilfepläne werden eingebracht, wenn sich bei einem Angehörigen der Zielgruppe Bedarf abzeichnet, und nicht, wenn ein Platz zu besetzen ist. Hilfeplankonferenzen verstehen sich nicht nur als Eingangstor in ein Hilfesystem, sondern begleiten Hilfeverläufe durch periodische, etwa jährliche Anpassung der Hilfen an den individuellen Reha-Prozess. Betroffene können an der Hilfeplankonferenz teilnehmen, müssen es aber nicht. Die Konferenz nimmt Stellung zu Hilfeplänen, nicht zu Personen. Die HPK ist keine zusätzliche Veranstaltung, sie ersetzt bestehende Verfahren.

Heute gelingt es immer besser, mit Hilfeplankonferenzen folgende Funktionen zu erfüllen:

Sie sorgen für eine abgestimmte und koordinierte Leistungserbringung auf der Ebene des Einzelfalles, indem die beteiligten Leistungserbringer auf einen gemeinsamen Hilfeplan verpflichtet werden und eine koordinierende Bezugsperson benannt wird, die für die Durchführung der Hilfen dem Klienten gegenüber unmittelbar verantwortlich ist. Hilfeplankonferenzen helfen, Versorgungsangebote in der Region für alle Leistungsberechtigten sicherzustellen, indem sie (möglichst) alle Leistungsanbieter einbeziehen und somit die Chance erhöhen, gerade auch für die schwächsten und am schwierigsten zu versorgenden Klienten die notwenigen Ressourcen in der passenden Kombination bereitzustellen. Beschlüsse der HPK eignen sich zur Beschreibung des Hilfebedarfs und der notwendigen Hilfen, wie § 10 SGB IX Abs. 1 es fordert. Gefasst auf der Grundlage eines integrierten Verfahrens wie dem IBRP, taugen sie als gutachterliche Stellungnahme gegenüber den zuständigen Leistungsträgern und machen in vielen Fällen weitere Überprüfungen überflüssig. Hilfeplankonferenzen dienen der Sicherstellung der Finanzierung notwendiger Hilfen entsprechend dem individuellen Bedarf. Evident ist dies dort, wo Leistungsträger sich in das Verfahren eingebunden haben und im Regelfall ihre Kostenentscheidung in direkter zeitlicher Nähe zur Beratung in der HPK fällen und bekannt geben. Hilfeplankonferenzen können wichtige Impulse für die Weiterentwicklung des regionalen Versorgungssystems geben. Sie produzieren, entsprechende Dokumentation vorausgesetzt, Daten, die insbesondere über Lücken und Schwachpunkte der regionalen Versorgungsstruktur Auskunft geben.

Mitglieder verschiedener Hilfeplankonferenzen haben rückgemeldet, welche Vorteile sie in diesem Verfahren sehen:

Entscheider bei den zuständigen Kostenträgern schätzen die umfassende Information, die ihnen eine fachlich fundierte Grundlage und damit mehr Sicherheit gibt. Leistungserbringer profitieren von der Verkürzung des Entscheidungs- bzw. Bewilligungsverfahrens. Sozialhilfeträger berichten, dass die Häufigkeit von Widersprüchen Leistungsberechtigter gegen Entscheidungen sehr deutlich zurückgegangen sei. Dies kann als Indikator für erhöhte Klientenzufriedenheit angesehen werden. Klienten profitieren davon, dass öfter unkonventionelle Lösungen gesucht und gefunden werden, wo vorher trotz dringenden Hilfebedarfs nur ein Platz auf der Warteliste in Aussicht gestellt werden konnte. Angehörige äußern sich grundsätzlich positiv - wobei sie nach wie vor auf mehr Einbeziehung pochen.

Mitglieder länger bestehender Hilfeplankonferenzen heben hervor, diese Form der Kooperation habe erheblich dazu beigetragen, Vertrauen zwischen den Beteiligten zu schaffen und so die Kooperation zu erleichtern. Allerdings: ohne einen anfänglichen Vorschuss an Vertrauen geht es auch nicht!

Prof. Dr. Reinhard Peukert
Fachbereich 11 Sozialwesen
Kurt-Schumacher-Ring 18
65197 Wiesbaden
E-mail: peukert@sozialwesen.fh-wiesbaden.de

Harald Goldbach
Beratung und Sozialplanung
Lasinskystraße 21
54296 Trier
E-mail: mail@goldbach-beratung.de

Literatur

  • 1 Bundesministerium für Gesundheit .Von institutions- zu personenzentrierten Hilfen in der psychiatrischen Versorgung. Band 116 der Schriftenreihe des BMG. Baden-Baden; Nomos 1999
  • 2 Dörner K. Das Handeln psychosozialer Profis.  Soziale Psychiatrie. 2004;  3 37-42