Psychiatr Prax 2005; 32(5): 260-261
DOI: 10.1055/s-2005-871827
Fortbildung und Diskussion
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Tagesklinik

Day Care Hospitals
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Publication Date:
28 June 2005 (online)

 

Eigentlich ist "Psychiatrie und Psychotherapie in der Tagesklinik" eine zweite Auflage. In Wirklichkeit ist es ein neues Buch. Es ist, wie manche Wiederauflagen in den vergangenen Jahren in einem neuen Verlag erschienen: Warum? Es hat 16 statt 11 Einzelbeiträge und 28 statt 11 Autorinnen und Autoren. Davon zeichnen 9 für das Kapitel "Tagesklinische Behandlung bei Depressiven" verantwortlich. Warum das sein muss, bleibt mir als nörgelndem Rezensenten ein Rätsel.

Aber auch inhaltlich ist es weitgehend neu. Der Pioniergeist der Tagesklinikmacher, der in der ersten Auflage noch durchschimmerte, ist verflogen. Die Tagesklinik ist keine neue, keine Modellinstitution mehr, wie vor und im Gefolge der Psychiatrieenquete. Im 60. Jahr nach Camerons Gründung in Montreal ist Normalität angesagt. Tagesbehandlung ist Routinebehandlung; und das ist gut so. Es ist nicht mehr ein Häuflein der sieben Aufrechten wie in den 60er-Jahren, das mit 100 Plätzen zu einem schier aussichtslosen Kampf gegen die Windmühlenflügel der Anstaltspsychiatrie angetreten ist, das da die Tagesklinikidee hoch hält. Es sind stolze 400 Einrichtungen mit 10000 Behandlungsplätzen, die sich zwischen klinischer und ambulanter Therapie sehr wohl behaupten.

Das bedeutet zugleich Tagesklinikvielfalt. Spezialisierungen, die in der Klinik möglich und üblich geworden sind haben auch in die Tagesbehandlungen Einzug gehalten. Gut, dass es gerontopsychiatrische und endlich auch Suchttageskliniken gibt! Weniger gut, dass die Tagesklinik, im psychiatrischen Zeitgeist verhaftet, im Zeichen der "Störungsspezifität" die Moden des Faches mitmacht; aber wie sollte sie anders! Und 60-jährig - gleichsam als würdige Greisin - gegenüber der Klinik dennoch eine junge Institution, haben ihre Macher dennoch alles Recht der Welt ihre ganze Spannweite und ihre Grenzen auszutesten. Im Zeitalter der knappen Ressourcen mögen sie nur bedenken, dass wir nichts weniger brauchen als neue überflüssige Einrichtungen, die der Selbstverwirklichung der Therapeuten mehr dienen als den Patientenbedürfnissen.

Ansonsten wird das Buch dem Anspruch seiner Herausgeber gerecht, dass es kein "Lehrbuch, sondern ein kurzes Handbuch" sein soll, das vorrangig in der Psychiatrie Tätige "über eine komplexe Form der Behandlung und ihrer Organisation informieren will." Weil es das ist - und weil das gelingt - ist es ein wichtiges Buch.