Rofo 2005; 177(7): 923-926
DOI: 10.1055/s-2005-871786
Brennpunkt

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Der Durchblick des Jahrhunderts - Welt- und Menschenbilder seit den Tagen von Röntgen

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Publication Date:
22 June 2005 (online)

 

Vor einhundert Jahren erlebte die Wissenschaft der Physik eine Revolution. Albert Einstein erkannte, dass nicht stimmte, was seine Kollegen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts als unumstößliche Wahrheit verkündeten, dass Licht nämlich eine Welle sei. Einstein zufolge zeigte das Licht auch Eigenschaften, die nur Teilchen haben konnten, und diese Einsicht in den dualen Charakter, der besonders bei den von Wilhelm Conrad Röntgen entdeckten Strahlen spürbar wurde, hielt er für revolutionär. Schließlich wusste man jetzt nicht mehr, was Licht ist. Denn wenn sich etwas zugleich als Welle und Teilchen zeigt, können wir gerade nicht mehr sagen, was es eigentlich (oder wirklich) ist. Einstein hatte die erste Frage im Bereich der Naturwissenschaft entdeckt, die keine Antwort findet, und seitdem ist Licht ein Geheimnis.

Es war Einstein selbst, der den Ausdruck "revolutionär" für dieses neue Verständnis gebrauchte, und obwohl Wissenschaftshistoriker gerne geneigt sind, den Großen der Zunft zu folgen, sind sie inzwischen der Meinung, dass die Transformationen von Disziplinen nicht mit diesem bedeutungsschweren Wort belastet werden sollten. Statt von Revolutionen reden sie lieber von so genannten Wenden oder "turns", die von der Forschung vollzogen werden, und sie geben sogar konkret an, welche Wende unsere Gegenwart vollzieht. Es ist der "pictorial turn", also die Hinwendung zu Bildern, und jeder, der auch nur einen flüchtigen Blick in die neuen Lehrbücher der Genetik oder Biochemie wirft, kann sich von der Richtigkeit dieser Beschreibung überzeugen. Wir leben nicht nur dank des Fernsehens und der Regenbogenpresse in einer Bilderwelt. Aber eine Welt von Bildern ergibt von sich aus noch kein Weltbild, und die Frage darf gestellt werden, ob wir heute überhaupt noch eine Vorstellung haben, die mit diesem Wort belegt werden könnte.