Zentralbl Gynakol 2005; 127 - V59
DOI: 10.1055/s-2005-870724

Die Schulterdystokie – Eine seltene geburtshilfliche Komplikation – Retrospektive Analyse über 11 Jahre an einer geburtshilflichen Klinik

J Scharlau 1, T Hitschold 1
  • 1Frauenklinik am Stadtkrankenhaus Worms

Fragestellung: Die Schulterdystokie trifft den Geburtshelfer immer unvorbereitet und stellt eine oft dramatische Notsituation dar. Die Kenntnis prädisponierender Faktoren und Hinweiszeichen sowie der verschiedenen Maßnahmen zur Überwindung der Schulterdystokie müssen von jedem geburtsleitenden Arzt verlangt werden. Anhand der vorliegenden Zusammenstellung von 53 Fällen mit Schulterdystokie aus einem geburtshilflichen Zentrum sollen Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden.

Methode: Unter 14.913 Geburten an der Wormser Frauenklinik der Jahre 1993–2003 wurden 53 Fälle mit Schulterdystokie gefunden. Die Krankenblätter wurden retrospektiv aufgearbeitet bezüglich mütterlicher, subpartaler, neonatologischer und postpartaler Faktoren.

Ergebnisse: Trotz allgemein steigender Sectiorate hat sich die Häufigkeit der Schulterdystokie nicht wesentlich geändert, sie liegt zwischen 0,3 und 0,7%. Prädestinierende Faktoren sind das mütterliche Übergewicht, starke Gewichtszunhame in der Schwangerschaft, fetale Makrosomie, verkürzte Austreibungsperiode und der Status einer Mehrgebärenden. Vor dem errechneten Termin sind alle Kinder mit Schulterdystokie makrosom gewesen, trat die Schulterdystokie nach dem Termin auf, so fanden sich auch normosome Kinder. Nur 3 der 53 Frauen waren nicht adipös. Bei 35 Fällen konnte die Schulterdystokie allein mit dem McRoberts-Manöver überwunden werden, bei 19 Frauen waren weitere Handgriffe erforderlich. Letztere repräsentieren offensichtlich die schweren Fälle. In dieser Gruppe waren die neonatale Morbidität erhöht und die fetalen Zustandswerte reduziert. Alle Frauen in dieser Gruppe waren Mehrgebärende. Die Austreibungsperioden in beiden Gruppen waren kurz, nur bei 2 Fällen dauerte sie über 120 Minuten, in der überwiegenden Mehrzahl unter 60 Minuten. Das geschätzte Geburtsgewicht wurde anhand der Ultraschallbiometriewerte, welche von 35 der 53 Feten vorhanden waren, retrospektiv mittels 3 verschiedener Algorithmen (Hansmann, Merz, Hadlock) ermittelt. In nahezu allen Fällen wurde das tatsächliche Gewicht unterschätzt. Als einfach zu ermittelnder Parameter fanden wir die BIP-Thorax-Diskrepanz. Betrug diese mehr als 14mm zugunsten des Thoraxdurchmessers, so lagen 94,1% der Feten mit ihrem Geburtsgewicht über der 90. Perzentile, 41,2% mussten mit zusätzlichen Handgriffen entwickelt werden, 23,5% zeigten eine Armplexusparese. Die entsprechenden Häufigkeiten in der Gruppe mit einer Diskrepanz unter 15mm lagen bei 55,5%, 11,1% und 5,6%.

Schlussfolgerung: Mittels Ultraschallbiometrie gelingt keine zuverlässige fetale Gewichtsschätzung in Terminnähe bei überwiegend makrosomen Feten. Die BIP-Thorax-Diskrepanz stellt eine einfach zu ermittelnde Alternative dar. In unserer Klinik werden alle Frauen mit BIP-Thorax-Diskrepanz >14mm über die Möglichkeit des Auftretens einer Schulterdystokie unterrichtet und ihnen die primäre Sectio angeboten.