Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2005; 40(10): 593-597
DOI: 10.1055/s-2005-870465
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

F.  Mertzlufft1 , F.  Bach1 , W.  Schaffartzik2
  • 1Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusions- und Schmerzmedizin, Evangelisches Klinikum Bielefeld in Bethel (Gilead), Bielefeld
  • 2Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Unfallkrankenhaus Berlin, Berlin
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Publication Date:
27 October 2005 (online)

Die Optimierung des O2-Angebots gehört mit zu den wichtigsten anästhesiologischen Herausforderungen und ist nicht selten nur im Team mit allen Behandelnden zu meistern. Schließlich müssen rund 100 Trillionen Zellen unseres Organismus über die Gasaufnahme (O2) und Entsorgung (CO2) in der Lunge, anschließenden Transport durch ein Gefäßnetzwerk von über 96 000 km mit einer Herz-Pumpleistung von durchschnittlich 8000 L Blut pro Tag und die O2-Aufnahme und Extraktion über die Mikrozirkulation versorgt werden. Kenngrößen wie zum Beispiel kardiale Druck-Volumen-Kurven (Frank-Starling-Kurve), ventrikuläre Compliance (Dehnbarkeit), Gesetz von Laplace (Nachlast), Pleuradrücke, Impedanz (hydraulische Kraft; mit den Komponenten Compliance und Resistance), Ohmsches Gesetz und Gesetz nach Hagen und Poiseuille (Fluss in starren und variierenden bzw. komprimierbaren Röhren), Viskosität, Sauerstoff-Status (Hb-Konzentration, O2-Gehalt, -Partialdruck, und -Sättigung, O2-Angebot und O2-Verbrauch) sowie der Metabolismus sind betroffen. Unterschiedliche Denkansätze und Literaturdaten stehen sich dabei nicht selten wie Feuer und Wasser gegenüber. Das Thema vorliegender Beiträge - Optimierung des O2-Angebots - spiegelt insofern ein komplexes diagnostisches und therapeutisches Spektrum, das die Bereiche der Optimierung über die Beatmung (Beatmungskonzept, PEEP, FIO2) ebenso umspannt wie die Möglichkeiten der systemischen und organspezifischen Optimierung des O2-Angebots. Die Beiträge dieses Mini-Symposiums widmen sich insofern den Themenkomplexen,

ob und wie das O2-Angebot mittels positiv endexspiratorischem Druck (PEEP) und/oder durch neue Beatmungskonzepte optimiert werden kann (Stichwort protektive Beatmung), welche Konsequenzen sich ergeben können, wenn das O2-Angebot über die FIO2 beeinflusst werden soll, etwa durch Hyperoxie (sowohl prä- und intraoperativ als auch beim Intensivpatienten), und ob durch eine FIO2 von 1,0 möglicherweise das Outcome verbessert wird, welche Möglichkeiten eine systemische Beeinflussung des O2-Angebots beinhaltet, etwa über das Herz-Zeit-Volumen, Hyperoxie statt Transfusion, oder die thoraxchirurgischen Interventionswege und welche organspezifischen Besonderheiten für das O2-Angebot bedacht werden können, und zwar mit Blick auf das Hepatosplanchnikusgebiet, das zentrale Nervensystem und die Geburtshilfe.

Der Stellenwert eines positiv endexspiratorischen Druckes (PEEP) für die Optimierung des O2-Angebots über die Beatmung wird im Beitrag von Wolf, Höhne, Busch, Lohbrunner, Weber-Carstens und Kaisers diskutiert. Abgehandelt wird der Einsatz von PEEP in der Behandlung des ARDS und die Notwendigkeit einer lungenprotektiven Beatmung, wobei die Einstellungskriterien des PEEP-Niveaus ebenso dargestellt werden wie eine kritische Auseinandersetzung mit den klinischen Studien zur Effektivität eines „idealen” PEEP beim ARDS. Die Autoren mahnen an, dass PEEP stets individuell angepasst und immer so gewählt werden sollte, dass eine Verbesserung der Oxygenierung bei bestmöglicher Compliance mit der Möglichkeit zur Verringerung der FIO2 resultiert. Klinischer Standard sei immer noch die Festlegung des PEEP-Niveaus auf Grundlage von Druck-Volumen-Beziehungen, kombiniert mit niedrigem Tidalvolumen.

Die Optimierung des O2-Angebotes (ÅO2) durch neue Beatmungskonzepte wird im Beitrag von Kopp und Kuhlen besprochen. Dabei werden Ventilator-assoziierte Lungenprobleme, Druck- und Volumen-kontrollierte Beatmungsformen, Konzepte mit Spontanatmung und Rekrutierungsmanöver diskutiert. Im Ergebnis definieren die Autoren als oberstes Ziel die Anwendung lungenprotektiver Beatmungsstrategien, die zwar eine Hypoxie vermeiden müssen, eine Optimierung des Gasaustausches jedoch in den Hintergrund treten lassen. Ferner legen die Daten der Autoren nahe, dass durch Erhalt eines gewissen Anteils an Spontanatmung die Ventilations- und Perfusionsverhältnisse optimiert werden könnten.

Mit der kontroversen Frage einer hohen FIO2 beim Intensivpatienten beschäftigt sich der Beitrag von Rothen. Es bleibt abzuwarten, ob sich zum Themenkreis einer durch hohe FIO2 verminderten inflammatorischen Reaktion genügend Sicherheit in der Datenlage finden lässt, während der Nutzen einer Hyperoxie mit einer FIO2 von 1,0 bei hämorraghischem Schock als belegt angesehen werden könne. Auch für schwere Schädel-Hirn-Traumen wird eine FIO2 über „normale” Werte als potenziell günstig eingestuft. Im Ergebnis folgert der Autor, dass die zusätzliche Gabe von Sauerstoff beim kritisch Kranken erforderlich ist, die Dosierung aber auch Risiken wie eine Atelektasenbildung berücksichtigen müsse. Solange spezifische und sensitive Messparameter zur Beurteilung des O2-Effektes und der Nebenwirkungen fehlten, sollten die seit über 30 Jahren geltenden Richtlinien zur Sauerstoffdosierung im Inspirationsgas beibehalten werden.

Ob sich durch eine FIO2 von 1,0 eine Verbesserung des Outcome erzielen lässt, sollte im Beitrag von Greif diskutiert werden. Offensichtlich sind zu diesem Thema die Grenzen zwischen Mythos und Realität noch verwaschen. Nach Ansicht des Autors gilt es als wahrscheinlich, dass eine FIO2 von 1,0 intraoperativ die Inzidenz postoperativer chirurgischer Wundinfektionen verringern könnte, während die Bedeutung der FIO2 hinsichtlich des Problemkreises PONV (postoperative nausea and vomiting) noch ungeklärt sei. Der Schlussfolgerung des Beitrages, dass Hypoxie, Hypovolämie, Hypotonie, Hypo- und Hyperthermie sowie Hyperglykämie in jedem Falle vermieden werden sollten, kann nur zugestimmt werden.

Im Beitrag von Lichtwarck-Aschoff sollten Physiologie und Pathophysiologie des Herzzeitvolumens erläutert werden, um die komplexen Grundlagen zur Frage einer systemischen Optimierung des O2-Angebots darzustellen. Ausgehend vom einfachen Pumpmodell werden die kardialen und peripheren Gefäßeigenschaften beleuchtet, die Frank-Starling Kurven und venösen Rückstromkurven sowie die systolische Druckvariation und die Vorlast-Abhängigkeit, bis hin zur Frage nach einem „normalen” Herz-Zeit-Volumen bei Sepsis. Für die klinische Praxis wird dargelegt, dass unter kontrollierter Beatmung die systolische Druckvariation das geeignete Verfahren zur Feststellung ist, ob ein Patient Volumen-reagibel ist, also das HZV von den Kopplungsfaktoren oder den kardialen abhängt.

Die Ausführungen von Zander stellen Physiologie und Pathophysiologie der Hyperoxie dar und beschäftigen sich darüber hinaus mit der Frage, ob die Gabe reinen Sauerstoffs (FIO2 1,0) zumindest kurzfristig eine Bluttransfusion kompensieren oder gar ersetzen kann, also auch systemisch das O2-Angebot zu optimieren vermag. Der Autor belegt, dass durch geeignete Verfahren, die tatsächlich eine Aufnahme reinen Sauerstoffs im Sinne der intrapulmonalen O2-Speicherung gewährleisten, die Zeitdauer bis zum Auftreten einer akuten arteriellen Hypoxie von ca. 1,5 min beim Erwachsenen auf ca. 10 min verlängert werden kann, beim Frühgeborenen von ca. 10 s auf etwa 2 min - wobei beim Erwachsenen ein Atemstillstand auch von weit über 10 min ohne Hypoxiegefahr toleriert werden kann, sofern nach erfolgter intrapulmonaler O2-Speicherung (FRC mit reinem O2 gefüllt) die O2-Zufuhr von außen gewährleistet bleibt (apnoische arterielle Oxygenierung), auch unter permissiver Hyperkapnie mit paCO2-Werten von 100 mm Hg. Als besonderes Problem wird auf die Hyperoxie bei negativem intrapulmonalem Druck eingegangen, weil sich ein sog. „negative pressure pulmonary edema” (NPPE) ausbilden kann, mit massiver Störung des Ventilations-Perfusionsverhältnisses (z. B. bei Schnarchern, Laryngospasmus, Tubus-Okklusion etc.), ein Mechanismus, der sich im Rahmen einer ACD-Reanimation besonders negativ auswirken kann. Geklärt wird in dem Beitrag ferner, dass eine Hyperoxie den arteriellen Mitteldruck infolge peripherer Vasokonstriktion anheben kann und eine kurzfristige Alternative zur Transfusion von Erythrozyten darstellt. Der Beitrag belegt, dass während akuter Anämie kurzfristig über eine Hyperoxie (FIO2 von 1,0) ein Hb-Defizit von 1,5 g/dL über den erhöhten Anteil physikalisch gelösten Sauerstoffs ersetzt werden kann. Schließlich wird auch die Optimierung der Gewebe-Oxygenierung am Beispiel der O2-Versorgung unter der Geburt abgehandelt. Der Beitrag stellt insgesamt klar, dass eine therapeutisch eingesetzte Hyperoxie mehrere positive Effekte haben kann: (1) Die Hypoxiezeit bei Atemstillstand wird signifikant verlängert (bei korrekter apnoischer Oxygenierung bis zu 55 min). (2) Bereits eine milde Hyperoxie (paO2 100 mm Hg) stellt die Arterialisierung des Blutes selbst bei metabolischer Azidose mit einem BE von - 15 mmol/L sicher. (3) Im Akutfall kann kurzfristig eine Transfusion von etwa 2 Erythrozytenkonzentraten kompensiert werden. (4) Und für den Feten bedeutet die maternale Hyperoxie eine Verbesserung der Gewebeversorgung. Nachteilig sei eine Hyperoxie in Situationen, die zu einem NPPE prädisponieren, während die Atelektasenbildung als nachrangig bewertet werden dürfe. Darüber hinaus stellt die Arbeit heraus, dass es keine Befunde dafür gibt, der O2-Verbrauch würde unter Hyperoxie (paradoxerweise) abnehmen.

Die Relevanz der kardiologischen Maßnahmen zur systemischen Optimierung des O2-Angebots ist Gegenstand des Beitrags von Janssens und Graf. Die Autoren gehen ein auf die Themenkomplexe Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, die Möglichkeiten des Monitorings und der Diagnostik sowie auf die therapeutischen Interventionen und Optionen. Sie unterstreichen die Bedeutung der Verbesserung kardiovaskulärer Funktionen für das systemische O2-Angebot und eines pathophysiologisch fein abgestimmten Konzeptes zur Therapie von Vorlast, Nachlast und Kontraktilität, einschließlich Einsatz der Revaskularisierung und der intra-aortalen Gegenpulsation. Die Wirksamkeit neuer pharmakologischer Substanzen müsse jedoch noch in prospektiven randomisierten Studien bestätigt werden.

Im Beitrag von Fischer und Mehlhorn wird die chirurgische Therapie als fester Bestandteil einer systemischen Optimierung des O2-Angebots besprochen. Diese beinhaltet neben der Herztransplantation die kardiale Resynchronisationstherapie bei Störungen der interventrikulären oder intraventrikulären Erregungsausbreitung, Implantation eines Kardioverter-Defibrillators (ICD) sowie mechanische Unterstützungssysteme wie die intra-aortale Ballonpumpe zur kurzfristigen („bridge to recovery”) oder langfristigen Unterstützungstherapie („bridge to transplant”) sowie auch dauerhafte Systeme als Alternative zur Transplantation und medikamentösen Therapie („destination therapy”), einschließlich Kunstherz („total artificial heart”). Kritisch beleuchtet werden dabei die Besonderheiten pneumatischer Systeme mit pulsatilem Fluss (z. B. Novacor) sowie der miniaturisierten Verfahren mit axialer Turbinenschraube und kontinuierlichem nicht-pulsatilem Fluss (z. B. Incor, Heart Mate II, Jarvik, MicroMed-DeBakey). Ferner werden die Reduktionsventrikuloplastie sowie auch dynamische und passive Kardiomyoplastie-Verfahren als Alternativen besprochen. Die Autoren verdeutlichen, dass Eingriffe wie die Resynchronisationstherapie und implantierbare Kardioverter schon früh von Nutzen sein können, ebenso auch die etablierten Verfahren Kunstherz und Transplantation. Jedoch habe die Weiterentwicklung der Assistsysteme als Alternative zur Herztransplantation Vorrang, insbesondere wegen der möglichen zahlreichen Komplikationen im Rahmen einer Transplantation. Es bleibt abzuwarten, ob experimentelle Ansätze der (Stamm-) Zelltransplantation und des Tissue-Engineerings ihr Potential als künftige Therapieoption zur systemisch-chirurgischen Optimierung des O2-Angebots beweisen können.

Der Beitrag von Pannen belegt die allgemein akzeptierte These, dass die Aufrechterhaltung der O2-Versorgung der Organe des Hepatosplanchnikusgebietes für deren Funktion und Integrität und damit für den Gesamtorganismus von zentraler Bedeutung ist. Insofern und im Sinne einer möglichen organspezifischen Optimierung des O2-Angebots zum Hepatosplanchnikusgebiet werden die Relevanz der Volumentherapie, die Bedeutung von Erythrozytenkonzentraten, der Stellenwert der Katecholamintherapie sowie die Gabe vasoaktiver Mediatoren beleuchtet, aber auch andere Therapieansätze wie etwa die Applikation von Phosphodiesterase-Inhibitoren oder N-Acetylcystein. Für die Sepsis sei aber trotz günstiger Effekte der genannten Möglichkeiten eine spezifische organbezogene Optimierung derzeit nicht zu erreichen. Als in jedem Falle günstig werden der frühzeitige Ausgleich eines Volumendefizits dargelegt, die konsequente Behandlung einer septischen Kardiomyopathie mit Dobutamin und die Stabilisierung des arteriellen Perfusionsdrucks mit Noradrenalin. Für andere Therapieansätze sei derzeit kein eindeutig positiver Effekt auf das O2-Angebot zum Hepatosplanchnikusgebiet nachgewiesen.

Der Beitrag von Luttkus versucht, anhand von Literaturdaten die bisherigen Erfahrungen in der Geburtshilfe zur Hyperoxie der Mutter darzustellen. Es zeigt sich dabei, dass eine maternale Hyperoxie sehr wohl beim Feten ankommt und zum Beispiel mittels Pulsoxymeter verifiziert werden kann. Vorteilhaft ist die Hyperoxie auch bei Hyperventilation der Mutter, da es andernfalls über die Linksverlagerung der O2-Bindungskurve zu einem fetalen Problem kommen kann. Sofern für den Erhalt des Base Excess die Sauerstoffkorrektur berücksichtigt wird, wird ersichtlich, dass die maternale Hyperoxie entgegen Annahmen in der Literatur (Tierversuche) keine Hypoxie und keine Azidose erzeugt, wenn nicht gleichzeitig fetale Perfusionseinschränkungen vorliegen.

Addendum

Definitionen, Symbole und Schreibweisen sind bei CPA vorgegeben und richten sich traditionell nach Literaturempfehlungen, zum Beispiel: QualiTest 2005; 8 : 1 - 7; Zander R, Mertzlufft F. Adv Exp MedBiol 1992; 345: 913 - 919; Zander R, Mertzlufft F. The Oxygen Status of Arterial Blood, Karger, Basel, 1991; Zander R, Mertzlufft F: Scand J Clin Lab Invest 1990; 50 : 177 - 185. Damit sollen Verwechslungen, Neoplasmen und falsche Schreibweisen vermieden werden (z. B. sO2 ⟨O2-Sättigung⟩ anstatt SO2 ⟨Schwefeldioxid⟩ oder cO2 ⟨O2-Gehalt⟩ anstatt CO2 ⟨Kohlendioxid⟩ oder ÅO2 ⟨O2-availability⟩ anstatt DO2 ⟨Diffusionskapazität⟩ etc.), vor allem aber soll dem Leser innerhalb der CPA-Publikationen Einheitlichkeit gewährleistet werden.

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