Psychiatr Prax 2005; 32(2): 101-102
DOI: 10.1055/s-2005-863778
Fortbildung und Diskussion
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Angermünder Psychiatrie 1992-2002

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Publication Date:
18 February 2005 (online)

 

Der Reader "Angermünder Psychiatrie von 1992-2002", von Gudrun Richter und Wulfhard v. Grüner herausgegeben, ist in Inhalt und Konzeption ein ungewöhnliches und bemerkenswertes Buch. Es ist einerseits die Dokumentation der Etablierung und Entwicklung einer gemeindepsychiatrischen Versorgung und andererseits ein Fach- und Lehrbuch mit Schwerpunkt auf der Behandlung von Suchterkrankungen. Darüber hinaus bietet es Beiträge hochkarätiger Autoren zu vielfältigen Fragestellungen psychiatrischer und psychotherapeutischer Arbeit und gibt Anregungen für die Vernetzung mit komplementären Einrichtungen.

Anhand des Readers lässt sich der Aufbau der psychiatrischen Abteilung am Krankenhaus Angermünde von der Konzeption bis zur Umsetzung wesentlicher Elemente vor dem Hintergrund sich verändernder gesellschaftlicher Bedingungen im Osten Deutschlands nachvollziehen. 1992 begann Privatdozentin Dr. Gudrun Richter hier ihre Anstellung als Chefärztin - damals noch ohne Patienten und Mitarbeiter. Zunächst gegen den Widerstand von Teilen der Gemeinde, die den Frieden des Zusammenlebens gefährdet sahen, begann die Arbeit des neuen Teams. Zwischen 1997 und 1999 entstand ein beispielhafter Erweiterungsbau. Das Richtfest war Anlass für ein wissenschaftliches Symposium, dessen Referate und Workshops in den ersten beiden Kapiteln des Bandes dokumentiert werden. Zunächst gibt Gudrun Richter selbst einen Überblick über wesentliche Aspekte des Krankenhauses Angermünde, geht auf das gesellschaftliche Umfeld, die Konzeption des Hauses als Modellklinik sowie auf Fragen der Qualitätssicherung und Fortbildung ein. Die gesellschaftspolitische Dimension der Psychiatrie und die damit verbundenen Forderungen an ärztliches und therapeutisches Handeln sind ein besonderes Anliegen der Veranstaltung. Dem tragen die Beiträge von Heinrich Kunze und Ulrich Hoffmann zur Psychiatriereform in der BRD Rechnung.

Die architektonische Gestaltung des Erweiterungsbaus mit ihrer Zielsetzung der Erhaltung und Förderung von Autonomie und Selbstwirksamkeitserleben wird von Gerald Marx, dem verantwortlichen Architekten, beschrieben. Die Grundidee, eine Orientierung am dörflichen Alltag mit allen Möglichkeiten der Kommunikation und des Privatlebens, bildet dabei den Schwerpunkt.

Die Eröffnung des Neubaus im Jahr 2000 wird in dem Beitrag von Matthias Krisor besonders gewürdigt. Er geht auf die Verdienste des Angermünder Teams für die Reformpsychiatrie ein und schildert eigene Ansätze einer gemeindepsychiatrischen Arbeit am St.-Marien-Hospital Eickel in Herne. Dabei betont er die zentrale Bedeutung von Autonomie-, Bedürfnis- und Ressourcenorientierung im psychiatrischen Alltag und gibt Beispiele für die praktische Umsetzung.

Ein Arbeitsschwerpunkt des Krankenhauses Angermünde ist die stationäre Suchttherapie, der ein Symposium im Jahr 2001 gewidmet war. Referiert werden aktuelle suchttherapeutische Konzepte sowie statistische und therapeutische Besonderheiten der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen am Krankenhaus Angermünde. Die gut lesbaren und praxisorientierten Beiträge vermitteln Einblicke in die stationäre Arbeit mit Suchterkrankten und geben wertvolle Anregungen.

In einem Kapitel zu aktuellen psychotherapeutischen Fragestellungen werden zehn Referate aus einer internen Fortbildungsreihe präsentiert, die von teilweise überregional bekannten Fachleuten gehalten wurden. Besonders erwähnt seien hier die sehr lesenswerten Beiträge von Peter Fiedler zum Thema "Wann und warum Patienten in Psychotherapiegruppen Schaden nehmen" sowie von Peter Fürstenau zur "Psychotherapie in der Psychiatrie".

Im abschließenden Kapitel wird der Vernetzung und Kooperation mit komplementären Einrichtungen Rechnung getragen. Die Beiträge zeigen unter anderem die Perspektive eines niedergelassenen Arztes, einer Tagesklinik und einer Wohnstätte für Alkoholkranke.

In dem vielseitigen Reader wird der engagierte, fast familiäre Geist deutlich, durch den das "Modell Angermünde" lebt und sich weiter entwickeln kann. Den Herausgebern ist eine eindrucksvolle Dokumentation auf hohem fachlichen und menschlichen Niveau gelungen, die allen, an der gemeindepsychiatrischen Versorgung beteiligten Personen - Professionellen, Patienten, Angehörigen aber auch Politikern und Verwaltungsmitarbeitern - zur Lektüre empfohlen sei.