Zentralbl Gynakol 2005; 127 - 13
DOI: 10.1055/s-2005-862469

Erfahrungen von Hebammen mit Frauen mit perinatalen psychischen Störungen

A Nagel-Brotzler 1, EM Chrzonsz 2, J Brönner 3, C Hornstein 4, C Albani 3
  • 1Krankenhaus St. Trudpert, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, Pforzheim
  • 2 Hebammenpraxis, Fulda
  • 3Universitätklinikum Leipzig, Klinik für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Leipzig
  • 4 Psychiatrisches Zentrum Nordbaden, Abteilung Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie, Wiesloch

Einleitung: Perinatale psychische Störungen sind nach wie vor ein vernachlässigtes und tabuisiertes Thema. Trotz der hohen Prävalenz psychischer Störungen in der frühen Mutterschaft gibt es bisher nur unzureichende Behandlungsangebote für Betroffene und diese werden von den Frauen nur in geringem Umfang wahrgenommen. Hebammen kommt eine wichtige Mediatorenfunktion zwischen betroffenen Frauen und anderen Mit- und WeiterbehandlerInnen zu. Die Marcé Gesellschaft initiierte deshalb in Kooperation mit Hebammen ein Projekt zur Früherkennung und Verbesserung der therapeutischen Erreichbarkeit von Frauen mit perinatalen psychischen Störungen. In der vorliegenden Arbeit werden die Ergebnisse einer Voruntersuchung für das Projekt vorgestellt.

Methode: 111 Hebammen aus 12 verschiedenen Zentren in Deutschland, der Schweiz und Österreich wurden bezüglich ihrer Erfahrungen und ihres Wissens zur Thematik psychischer Beschwerden in der frühen Mutterschaft befragt.

Ergebnisse: Die befragten Hebammen bewerten die Thematik als wichtig. Sie halten 33% der von ihnen betreuten Schwangeren für psychisch besonders belastet und vermuten bei 43% der Schwangeren mit körperlichen Beschwerden eher psychische Hintergründe. Neben klassischen psychischen Beschwerden nehmen die Hebammen Beziehungsstörungen zwischen Mutter und Kind und mit dem Partner als besonderen Ausdruck psychischer Probleme der Mutter wahr. 93% der Hebammen ziehen zur weiteren Abklärung der Symptomatik andere Berufsgruppen hinzu. Etwas mehr als die Hälfte der Hebammen geben Probleme bei der Vermittlung von Frauen mit psychischen Beschwerden an, wobei 82% der Befragten das Problem in einer fehlenden Behandlungsmotivation der Patientin und 53% in fehlenden regionalen Behandlungsangeboten sehen. An weiteren Problemen beschreiben die Hebammen Schwierigkeiten in der Kooperation und Kommunikation mit ÄrztInnen, unzureichende zeitnahe Verfügbarkeit von Behandlungsangeboten, sowie Informationsdefizite.

Schlussfolgerung: In der Diagnostik psychischer Beschwerden in der frühen Mutterschaft sollten neben den klassischen psychischen Symptomen Beziehungsstörungen zum Kind bzw. zum Partner beachtet werden. Eine kollegiale Zusammenarbeit zwischen allen in die Schwangeren- und Wöchnerinnenbetreuung involvierten Berufsgruppen und Institutionen mit Anerkennung und Wertschätzung gegenseitiger Kompetenzen, sowie der Berücksichtigung individueller und fachlicher Stärken, aber auch Grenzen, ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung von Frauen mit psychischen Beschwerden in der frühen Mutterschaft.