Zentralbl Gynakol 2005; 127 - 12
DOI: 10.1055/s-2005-862468

Ist die Hyperemesis gravidarum eine depressive Erkrankung?

A Matuszewski 1, W Lütje 1
  • 1AKH-Frauenklinik Viersen

Fragestellung: Medikation versus Psychotherapie: die Hyperemesis gravidarum, bisher als psychosomatische Störung klassifiziert, spricht gut auf Antidepressiva an: Einzelfall oder Paradigmenwechsel?

Kasuitik und Verlauf: 24j. II Gravida, I Para, stationäre Aufnahme in der 15. SSW mit zunehmender Nausea und Emesis, Magenschmerzen, Oberbauchsymptomatik, Gewichtsverlust 10kg und AZ-Verschlechterung. Bei pathologischem, zunehmendem Anstieg der Leberenzymchemie und ausgeprägten subjektiven Beschwerden der Patientin erfolgt eine umfassende interdisziplinäre chirurgische, internistische, radiologische Diagnostik ohne Anhalt für fassbare somatische Ursache des Geschehens. Trotz symptomatischer Therapie mit hochkalorischer parenteraler Ernährung/ZVK, medikamentöser Gastroprotektion und Antiemese weiterhin unverändert persistierende Hyperemesis-Symptomatik. Unerwarteter Intrauteriner Fruchttod in der 17. SSW: Plazentahistologie: V.a. Plazentainsuffizienz wie bei Gestose. Überraschenderweise postpartal persistierende schwere Hyperemesis, welche nach weiteren frustranen konventionellen Therapieversuchen über drei Wochen schließlich mit Mirtazapin ohne Zeitverzug erfolgreich behandelt werden kann. In Gesprächen mit beiden Eltern zeigten sich trotz finanzieller Schwierigkeiten keine Ambivalenzkonflikte bezüglich der Schwangerschaft. Die Kultur- und Sprachbarriere erschwerte die Diagnostik. Schlussfolgerung: Die psychosoziale Komponente einer Hyperemesis als Schichterkrankung sowie als Phänomen einer oralen Regression ist bekannt. Der Fortbestand der Hyperemesis postpartum als möglicherweise depressives Symptom mit Autoaggressionscharakter weist in geschilderter Kasuistik auf einen persistierenden Konflikt hin, wobei der unglückliche Ausgang der Schwangerschaft eine z.B. subtile Schuldproblematik eventuell unterhalten haben könnte. Im Vortrag wird anhand der Kasuistik sowie vorliegender Literatur versucht, neue, sich aus dem Fall ergebende krankheitstheoretische Überlegungen im Sinne ätiologischer bzw. psychodynamischer Erklärungsmodelle abzuleiten. In diesem Rahmen wird die Erschwernis der psychodynamischen Diagnostik aufgrund des Migrationshintergrundes der Patientin diskutiert. Es besteht weiterer Forschungsbedarf bezüglich der oben genannten Fragestellungen, auch in Anlehnung an die bereits veröffentlichte Literatur zum Thema.