Zentralbl Gynakol 2005; 127 - 2
DOI: 10.1055/s-2005-862458

Fehlgeburten, ihre Verarbeitung und die Folgen für eine neue Schwangerschaft

A Bergner 1, R Beyer 2, M Rauchfuß 1
  • 1Charité-Universitätsmedizin Berlin, Medizinische Klinik mit SP Psychosomatik, Berlin
  • 2Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Psychologie, Berlin

Einleitung: Es ist bekannt, dass Fehlgeburten (ungewollte, frühe Schwangerschaftsverluste) nachhaltige seelische Folgen für die Betroffenen haben und sich auf den Verlauf einer neuen Schwangerschaft auswirken können. Die psychischen und körperlichen Belastungen von Schwangeren mit zurückliegenden Fehlgeburten sind bislang jedoch nur vereinzelt untersucht worden. In der vorliegenden prospektiven Längsschnittuntersuchung wurden Frauen nach dem Ereignis der Fehlgeburt sowie nach Eintritt einer neuen Schwangerschaft schriftlich befragt. Ziel ist es, die körperliche, psychische und psychosomatische Symptomatik dieser Frauen in einer neuen Schwangerschaft im Vergleich zu anamnestisch nicht belasteten Gravidae zu erheben. Darüber hinaus wird untersucht, inwieweit sich Symptomatik und Beschwerden in einer neuen Schwangerschaft durch Verarbeitungsprozesse, die nach der Fehlgeburt zu beobachten waren, vorhersagen lassen.

Methode: 224 Frauen wurden wenige Wochen und 6 Monate nach dem Schwangerschaftsverlust (Spontanabort und missed abortion) mit Fragebögen postalisch befragt. 78 dieser Frauen wurden innerhalb des Untersuchungszeitraums erneut schwanger und beantworteten im ersten Schwangerschaftstrimenon einen weiteren Fragebogen. Parallel wurden Daten einer Vergleichsgruppe von 69 anamnestisch nicht belasteten Gravidae erhoben. Die Symptomatik in der neuen Schwangerschaft wird über standardisierte Erhebungsinstrumente (Depressivitätsskala und Beschwerdenliste von Zerssen) und spezifische, nichtstandardisierte Verfahren zur Erhebung von schwangerschaftsspezifischen Ängsten und Komplikationen im Schwangerschaftsverlauf erfasst. Zur Erfassung unmittelbar nach der Fehlgeburt einsetzender Verarbeitungsmuster kommen die Münchner Trauerskala (Beutel et al.), eine stark modifizierte Form des Freiburger Fragebogens zur Krankheitsverarbeitung (Muthny) und ein an einer Pilotstichprobe im Vorfeld der Untersuchung entwickeltes Verfahren zu Messung von Ursachezuschreibungen nach Fehlgeburten zum Einsatz.

Ergebnisse: Schwangere mit einer Fehlgeburtsanamnese weisen ausgeprägtere schwangerschaftsspezifische Ängste und häufiger Schwangerschaftskomplikationen (v.a. in Form von Blutungen) als die Kontrollgruppe auf. Keine Unterschiede finden sich hinsichtlich der Auftretenshäufigkeit von depressiven und psychovegetativen Symptomen. Bei den Frauen mit Abortanamnese können depressive Störungen und starke schwangerschaftsspezifische Ängste mittels einer Diskriminanzanalyse über die Verarbeitungsprozesse nach der Fehlgeburt zuverlässig vorhergesagt werden. Dabei scheinen v.a. eine depressive Verarbeitung des Verlustes, ausgeprägter Ärger nach dem Verlust oder aber eine Bagatellisierung des Verlustes sowie subjektive Ursachezuschreibungen auf die eigene Person (Schicksal, Schwäche) depressive Störungen in einer neuen Schwangerschaft zu begünstigen. Schwangerschaftsängste werden durch große Verlustangst, Ärger, Bagatellisierung oder depressive Verarbeitung nach der Fehlgeburt vorhergesagt sowie durch überwiegende Attributionen auf sich selbst oder Schuldzuweisungen an das betreuende medizinische Personal.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse werden v.a. in Hinblick auf eine bessere Betreuung der Frauen nach dem Abort und in einer neuen Schwangerschaft diskutiert. So sollten depressive Verarbeitungsmuster oder eine starke Verleugnung möglichst schon nach dem Verlust diagnostiziert werden, um entsprechende Interventionen (Gesprächsangebote, in Einzelfällen Psychotherapie) rechtzeitig einleiten zu können. Die Frage nach den subjektiven Vorstellungen über Ursachen für die Fehlgeburt bietet dem behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin einen Ansatzpunkt, maladaptive Verarbeitungsmuster der Patientin zu identifizieren sowie entlastende Erklärungsmuster anzubieten. In einer neuen Schwangerschaft sollten bei Frauen mit auffälliger psychische oder körperlicher Symptomatik vertiefte Gespräche angeboten werden. Bei entsprechender Indikation ist eine psychotherapeutische Begleitung in Erwägung zu ziehen.