intensiv 2005; 13(5): 220-221
DOI: 10.1055/s-2005-858404
Abstract

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Eine retrospektive Studie zur Inzidenz von nosokomialen Pneumonien bei Patienten mit und ohne Ernährungssonden

Hardy-Thorsten Panknin1
  • 1Berlin
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. September 2005 (online)

Die nosokomiale postoperative Pneumonie stellt eine immer noch zu häufige Komplikation nach größeren operativen Eingriffen dar. Es ist bekannt, dass die Pneumonieinzidenz - ebenso wie die Häufigkeit von Wundinfektionen - in hohem Maße durch patienteneigene Faktoren beeinflusst wird. Hierzu gehören Verhaltensweisen wie Rauchen und übermäßiger Alkoholgenuss, aber auch körperliche Probleme wie extremes Über- oder Untergewicht sowie chronische Erkrankungen (z. B. chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, Herzkrankheiten, Karzinome, Autoimmunkrankheiten).

Das Pneumonierisiko hängt allerdings nicht nur von diesen patientenseitigen Faktoren ab, sondern wird auch durch ärztliche und pflegerische Maßnahmen beeinflusst. Eine besondere Rolle spielt hierbei die Art der postoperativen Ernährung. In der neueren Literatur wird überwiegend zu einer frühzeitigen enteralen Ernährung geraten, auch wenn hierfür eine Ernährungssonde gelegt werden muss. Vermutlich verringert die enterale Ernährung das Pneumonierisiko dadurch, dass sie die physiologische Magen-Darm-Motorik in Gang bringt und hierdurch einen Reflux von ungepuffertem Magensekret in den Rachenraum verhindert. Die regelmäßige Entleerung des Magens und die Sekretion von Verdauungsenzymen verhindern auch ein Überwuchern potenziell pathogener Erreger im Magen-Darm-Kanal.

Die Richtlinie des Robert Koch-Instituts zur Pneumonieprävention aus dem Jahre 2000 empfiehlt daher eine möglichst frühe enterale Ernährung. Die Applikation von Sondenkost soll selbstverständlich entleerungsadaptiert erfolgen, d. h. vor jeder Sondenmahlzeit ist der Füllungszustand des Magens durch Aspiration zu prüfen. Gleichartige Aussagen finden sich auch in der aktuellen US-amerikanischen Leitlinie zur Prävention nosokomialer Pneumonien.

Aufgrund theoretischer Überlegungen ist allerdings auch durchaus denkbar, dass eine nasogastrische Ernährungssonde Aspirationen begünstigt. Immerhin wird durch die Sonde der obere Ösophagusmund ständig offen gehalten. Wird zusätzlich der Hustenreflex durch Faktoren wie postoperative Schmerzen, Gabe von Sedativa oder sedierenden Schmerzmitteln gehemmt, kann es durch Aspirationen zur Pneumonie kommen (Abb. [1]).

Abb. 1 Modell zum Einfluss einer nasogastrischen Ernährungssonde auf die Entstehung einer postoperativen Pneumonie.
Quelle: Bullock TK et al. A retrospective study of nosocomial pneumonia in postoperative patients shows a higher mortality rate in patients receiving nasogastric tube feeding. The American Surgeon 2004; 70: 822 - 826.

Weitere Untersuchungen zur Rolle der Ernährungssonden bei der Pneumonieentstehung sind somit durchaus wünschenswert.

In der retrospektiven Studie von Dr. Timothy Bullock u. Mitarb. aus der chirurgischen Abteilung der Universitätsklinik von Louisville, Kentucky/USA, wurden mit dieser Fragestellung die Akten von 1669 Patienten ausgewertet, bei denen in einem Untersuchungszeitraum von 6 Monaten eine abdominalchirurgische, kardiochirurgische oder thoraxchirurgische Operation durchgeführt wurde.

Die Diagnose einer Pneumonie wurde anhand der Aktenlage gestellt, wenn mindestens 3 der folgenden Faktoren vorlagen:

Fieber > 38,3 °C über mindestens 24 h, Leukozytose > 12 000/mm3, Infiltrate auf dem Thoraxröntgenbild, positive Sputumkultur oder purulentes Sputum mit mehr als 25 Leukozyten pro Gesichtsfeld, PaO2/FiO2 (Verhältnis zwischen arteriellem Sauerstoff-Partialdruck und zugeführtem Sauerstoffanteil im Beatmungsgas): < 250 mm Hg.

Bei Anwendung dieser Kriterien wurde bei 77 der 1669 Patienten (4,6 %) eine Pneumonie diagnostiziert. Nach koronarer Bypasschirurgie entwickelten 5 % der Patienten eine Pneumonie, nach anderen thoraxchirurgischen Eingriffen 3 %, nach abdominalchirurgischen Eingriffen 2 %.

Bei 33 der 77 Patienten (42,8 %) erfolgte die Ernährung enteral über eine Sonde.

In 31 Fällen handelte es sich um eine nasogastrische Sonde, in einem Fall um eine Gastrostomiesonde, in einem weiteren Fall um eine Jejunostomiesonde.

Tab. [1] zeigt, dass die beiden Patientengruppen in wesentlichen demografischen Faktoren übereinstimmten mit der einen Ausnahme, dass ein chronischer Nikotinkonsum signifikant häufiger in der Gruppe ohne Ernährungssonde vorkam. Die Patienten mit Sonde hatten eine signifikant höhere Letalität als Patienten ohne Magen- bzw. Jejunalsonde (33 % versus 17 %, p = 0,018) (Tab. [1]).

Tab. 1 Demografische Faktoren und Verlauf in den Patientengruppen mit und ohne Ernährungssonde Zahl der Patienten (%) Parameter mit enteraler Ernährung über Sonde (n = 33)* ohne Ernährung über Sonde (n = 41)* p-Wert Begleiterkrankungen insulinabhängiger Diabetes mellitus 8/33 (24) 6/41 (15) 0,37 Rauchen 13/26 (50) 25/30 (83) 0,03 chronisch-obstruktive Lungen-erkrankung 9/33 (27) 18/41 (44) 0,15 mittlere Herzauswurfleistung 41 ± 13 44 ± 12 0,45 Verlauf im Krankenhaus Organversagen 13/31 (42) 13/41 (32) 0,46 rezidivierende Pneumonie 7/33 (21) 13/41 (32) 0,43 Ulkusprophylaxe 20/26 (77) 30/37 (81) 0,76 Letalität 11/33 (33) 7/41 (17) 0,018 Art des chirurgischen Eingriffs Herzchirurgie 16/33 (48) 24/41 (59) 0,49 Abdominalchirurgie 6/33 (18) 4/41 (10) 0,50 Thorakotomie 3/33 (9) 7/41 (17) 0,50 anderer Eingriff 8/33 (24) 6/41 (15) 0,37 * Bei 3 Patienten war die Art der Ernährung nicht dokumentiert. In der Gruppe ohne Sondenernährung erfolgte die Ernährung entweder als normale orale Nahrungsaufnahme (n = 28) oder als parenterale Ernährung (n = 13)

Hardy-Thorsten Panknin

Badensche Straße 49

10715 Berlin

eMail: ht.panknin@worldonline.de