Z Geburtshilfe Neonatol 2005; 209(1): 14-21
DOI: 10.1055/s-2005-837795
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Integrative psychologische Elternbetreuung auf der neonatologischen Intensivstation: Konzept und erste Erfahrungen

Integrated Psychological Parental Assistance in the Neonatal Intensive Care Unit: Concepts and Primary ExperienceA. Panagl1 , C. Kohlhauser1 , A. Pollak1
  • 1Abteilung für Neonatologie, angeborene Störungen und Intensivmedizin, Univ. Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Wien
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Eingereicht: 20.8.2004

Angenommen nach Überarbeitung: 8.11.2004

Publication Date:
24 February 2005 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund und Fragestellung: Angesichts der psychischen Belastungen während eines stationären Aufenthaltes auf der neonatologischen Intensivstation (NICU) werden vermehrt psychosoziale Unterstützungsangebote für die betroffenen Familien geschaffen. Aufgrund knapper Ressourcen können diese Präventionsmaßnahmen oft nur jenen Eltern angeboten werden, die vom neonatologischen Betreuungsteam als besonders belastet eingeschätzt werden. Doch meist entspricht dieses Angebot nicht dem realen Unterstützungsbedarf der Eltern. Basierend auf den Ergebnissen einer Elternbefragung wurde an der Universitätsklinik für Kinderheilkunde in Wien ein standardisiertes, integratives psychologisches Betreuungskonzept entwickelt. Die Grundlagen des Modells sowie erste Erfahrungen werden vorgestellt. Patienten und Methoden: Das psychologische Betreuungsangebot richtet sich an Eltern von Neu- und Frühgeborenen auf der neonatologischen Intensivstation. Ziel der Betreuung ist, psychosoziale Folgeprobleme für das Kind und seine Eltern zu verhindern. In einer interdisziplinären Kooperation unterstützt die Psychologin den Beziehungsaufbau zum Kind, die Familienentwicklung und die Krankheitsverarbeitung. Neben einer standardisierten psychologischen Grundversorgung, die jeweils ein Beratungsgespräch am Anfang und am Ende der stationären Behandlung vorsieht, wird den Eltern eine fakultative psychologische Betreuung in Form einer Behandlungsbegleitung oder einer Intensivbetreuung angeboten. Ergebnisse: Während eines Jahres erhielten die Eltern von 152 Patienten die standardisierte psychologische Grundversorgung. Die Mehrheit nahm während des stationären Aufenthaltes zusätzlich die fakultative psychologische Betreuung in Anspruch. Aufgrund von externen Transferierungen (42.1 %) oder dem Versterben (18.4 %) des Kindes konnten nur 39.5 % der Eltern bis zur Spitalsentlassung begleitet werden. Schlussfolgerung: Effiziente psychosoziale Prävention auf der NICU erfordert kontinuierliche psychologische Unterstützung als wichtigen Bestandteil der intensivmedizinischen Betreuung. Ein integratives Betreuungsmodell erleichtert einerseits den Eltern den Zugang zu psychologischer Hilfe und sensibilisiert anderseits das neonatologische Betreuungsteam für psychosoziale Aspekte.

Abstract

Background and Hypothesis: Psychosocial support programs have been established in view of the burden caused to parents having their newborn admitted to the neonatal intensive care unit (NICU). Due to limited resources, preventive programs can only be offered to parents who are identified by the staff to be at risk. Based on the results of a parent questionnaire, the University Children’s Hospital Vienna has developed a standardized concept of integrated psychological support. The program and first results are presented. Patients and Methods: The psychological support is offered to parents of newborns admitted to the neonatal intensive care unit. The aim of the support is to avoid later psychosocial problems for child and parents. In an interdisciplinary collaboration, the psychologist facilitates parent-child bonding, family development and coping with the baby’s illness. The standardized psychological support consists of a consultation at the beginning and end of the hospital stay. Parents are offered optional psychological support or intensive assistance. Results: Parents from 152 patients received the standardized basic psychological support. The majority of the parents took advantage of the additional optional assistance. Because of external transfers (42.1 %) or infant death (18.4 %), only 39.5 % of the parents could be accompanied until discharge. Conclusions: A standardized psychological model provides parents with the psychological support as one important part of the overall concept of neonatal treatment. Additionally, the medical and nursing staff were sensitized to psychological factors. An effective psychosocial prevention requires psychological support as an essential part of intensive neonatal care.

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Prof. Dr. Christina Kohlhauser-Vollmuth

Kinderklinik am Mönchberg

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