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DOI: 10.1055/s-2005-837640
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Schwangerschaft und Karzinom - altes Problem und neue Erkenntnisse
Pregnancy and Carcinoma - an Old Problem and New InsightsPublication History
Publication Date:
29 June 2005 (online)
Ein Zusammentreffen von malignen Tumoren und Schwangerschaft ist selten. Die Häufigkeit beträgt für das Zervixkarzinom 1 : 2000 bis 2500, für das Mammakarzinom 1 : 3500 bis 10 000 und für das Ovarialkarzinom 1 : 12 000 bis 25 000. Für Vulva-, Vaginal- und Endometriumkarzinom liegen nur kasuistische Berichte vor.
Die frühere Annahme, dass eine Schwangerschaft mit ihren typischen hormonellen und immunologischen Veränderungen einen ungünstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben könnte, ist - wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat - nicht gerechtfertigt. Die Mehrzahl der vorliegenden Befunde lässt erkennen, dass die Schwangerschaft keinen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Karzinomerkrankung hat. Auch die in der älteren Literatur noch beschriebene Häufung prognostisch besonders ungünstiger Tumortypen, z. B. für das Zervixkarzinom, ist nicht gesichert. Übereinstimmend zeigen die aktuellen Analysen, dass die Diagnose eines Karzinoms in graviditate nicht selten verspätet gestellt wird, hieraus resultiert häufiger ein fortgeschritteneres Tumorstadium mit prognostisch ungünstigerem Verlauf.
Für die Frühdiagnostik des Zervixkarzinoms steht die zytologische Abstrichentnahme in Kombination mit Kolposkopie zu Beginn der Schwangerschaft im Vordergrund. Von Bedeutung ist für die weitere Diagnostik bei auffälligem Befund, dass wegen der typischen schwangerschaftsbedingten Zervixveränderungen und Lokalisation der Risikozone atypische Veränderungen auf der Portiooberfläche zu erwarten sind und somit bei guter Zugänglichkeit optimale Voraussetzungen für eine zytologisch-kolposkopische Kontrolle bieten. Bei Vorliegen eines PAP IV a bzw. eines atypischen kolposkopischen Befundes ist die Indikation zur eindeutigen histologischen Klärung gegeben. Hat die kolposkopisch gesteuerte Biopsie keinen Hinweis für einen invasiven Prozess ergeben, reicht die weitere zytologisch-kolposkopische Kontrolle aus. Bei Vorliegen einer fraglichen Invasion ist die Konisation indiziert. In Abhängigkeit vom exakten histopathologischen Befund, der sowohl qualitative als auch quantitative Parameter, z. B. Messung der Invasionstiefe, berücksichtigt, ist das Ausmaß einer möglichen operativen Behandlung festzulegen. Liegt histologisch ein im Gesunden entferntes Carcinoma in situ vor, reichen zytologisch-kolposkopische Kontrollen aus, bei mikroinvasivem Karzinom, das durch die Konisation im Gesunden reseziert wurde und keine histologisch nachgewiesenen Risikofaktoren (Gefäßbeteiligung) aufwies, ist es gerechtfertigt, von weiteren Therapiemaßnahmen Abstand zu nehmen. Voraussetzung ist auch hier die zytologisch-kolposkopische Kontrolle. Das histologisch erwiesene Zervixkarzinom macht die stadiengerechte Behandlung nötig, wobei die Therapieentscheidung sowohl durch das Stadium des Karzinoms als auch das Alter der Schwangerschaft beeinflusst wird. Nicht unberücksichtigt bleiben darf die Einstellung des Ehepaars zu dieser Schwangerschaft. Für das erste Trimenon und frühe zweite Trimenon ist die umgehende erweiterte abdominale Hysterektomie mit Lymphonodektomie unter Belassung des Fetus in utero, im dritten Trimenon die Sectio mit anschließender erweiterter abdominaler Hysterektomie und Lymphonodektomie indiziert.
Problematisch bleibt das Vorgehen bei nicht lebensfähigem Kind. Nur individuell wird zu entscheiden sein, ob die Lebensfähigkeit des Kindes abgewartet werden kann; die Lungenreife lässt sich durch Glukokortikoidgabe, z. B. Celestan solubile 12 mg i.v., an zwei aufeinander folgenden Tagen, induzieren. Unter Abwägung prognostischer Risiken für Mutter und Kind wird die Sectio in der Regel erst nach der 28. abgeschlossenen Schwangerschaftswoche vorgenommen, die dann mit der erweiterten operativen Behandlung kombiniert wird. Postpartal erfolgt bei histologisch gesichertem Zervixkarzinom die typische erweiterte Operation. Ein nicht operables Karzinom macht nach Entleerung des Uterus eine primäre Strahlentherapie notwendig.
Für das Ovarialkarzinom gilt in gleicher Weise wie bei nicht schwangeren Frauen die zumeist fehlende Symptomatik und ungenügende Möglichkeit einer Frühdiagnostik. Jeder Adnextumor in graviditate, dessen Durchmesser größer als 6 - 8 cm ist und jenseits der 16. Schwangerschaftswoche fortbesteht und im Ultraschall neben zystischen auch solide Anteile erkennen lässt, sollte in seiner Dignität operativ abgeklärt werden, da ein solcher Adnexbefund sich jenseits der 16. SSW nicht mehr mit funktionellen Veränderungen des Ovars erklären lässt, eine Corpus-luteum-Zyste hat sich z. B. spätestens bis zur 18. Schwangerschaftswoche zurückgebildet. Bei persistierendem sonographischen Befund ist die weitere Diagnostik notwendig, erst recht, wenn sonographisch solide Anteile, Septen oder papilläre Strukturen in Verbindung mit Aszites nachweisbar sind. Hilfreiche Zusatzinformationen kann die MRT-Untersuchung vermitteln, die auch in der Schwangerschaft möglich ist. Bei gesichertem Ovarialkarzinom entspricht das operative Vorgehen dem von nicht schwangeren Frauen, der weitere Krankheitsverlauf entspricht dem von nicht schwangeren Patientinnen mit gleicher histologisch nachgewiesener Tumorausdehnung bzw. R0-Resektion. Nur bei Vorliegen seltener Borderline-Tumoren bzw. Keimzelltumoren sowie in Ausnahmefällen eines epithelialen Tumors im gesicherten Stadium I a, G 1, mit intakter Organkapsel und unauffälliger Peritonealzytologie kommt ein organerhaltender Eingriff mit Fortsetzung der Schwangerschaft infrage.
Auch für Frauen mit Mammakarzinom gilt in gleicher Weise das diagnostisch-therapeutische Vorgehen wie bei nicht schwangeren Patientinnen. Unklare Palpationsbefunde werden sonographisch geklärt. Gegen die Durchführung einer mammographischen Untersuchung in graviditate bei Vorliegen eines sonographisch unklaren Befundes besteht keine Kontraindikation, wenn entsprechende Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Beurteilbarkeit durch typische schwangerschaftsbedingte Veränderungen des Drüsenkörpers erschwert wird. Die MRT-Untersuchung der Brust kann hilfreich sein, obwohl die Hypervaskularisation des Drüsenkörpers die Diagnostik erschwert. Die weitere definitive histologische Klärung eines suspekten Herdbefundes erfolgt durch Exstirpation oder Stanzbiopsie. Die alleinige Feinnadelpunktion ist nicht ausreichend.
Bei histologisch gesichertem Karzinom steht die brusterhaltende Operation auch bei schwangeren Patientinnen im Vordergrund. Die bei diesem operativen Vorgehen notwendige adjuvante Radiatio des restlichen Drüsenkörpers kann bis zu einem Zeitpunkt der Gravidität hinausgeschoben werden, bei der eine statistisch gesicherte Lebensfähigkeit und geringe Morbidität des Frühgeborenen, z. B. nach geplanter Beendigung der Schwangerschaft durch Sectio, zu erwarten ist. Bei der meist notwendigen adjuvanten Chemotherapie ist im ersten Trimenon der Schwangerschaftsabbruch zu diskutieren, da das erhöhte teratogene Risiko berücksichtigt werden muss. Im zweiten und dritten Trimenon unterscheidet sich die Behandlung nicht von den Empfehlungen für nicht schwangere Patientinnen. Das Risiko zytostatikabedingter kindlicher Fehlbildungen wird als gering angesehen. Einer CMF-Chemotherapie ist im Hinblick auf die Trophoblastenschädigung durch Methotrexat eine Epirubicin/Cyclophosphamid-Behandlung vorzuziehen. Unter Berücksichtigung einer nicht seltenen intrauterinen Wachstumsretardierung sind regelmäßige sonographische bzw. dopplersonographische Kontrollen notwendig. Ein Schwangerschaftsabbruch zur Verbesserung der Prognose ist nicht mehr gerechtfertigt. Frühere Untersuchungsergebnisse mit dem Hinweis, dass der Verlauf eines schwangerschaftsassoziierten Mammakarzinoms ungünstiger wäre, sind widerlegt. Werden Überlebensraten von gleichaltrigen Frauen mit histomorphologisch erwiesenem gleichen Tumorstadium verglichen, liegen keine statistisch belegbaren Unterschiede vor. Auch bei Schwangerschaften nach Behandlung eines Mammakarzinoms ist im Gegensatz zu früherer Auffassung nicht mit einer Verschlechterung des Krankheitsverlaufes zu rechnen.
Bei den genannten Karzinomen, Zervix-, Ovarial- und Mammakarzinom, ist im Schrifttum nahezu nie eine metastatische Absiedlung in die Plazenta bzw. ein metastatischer Übergang auf das Kind belegt. Der einzige maligne Tumor, der zu einer metastatischen Absiedlung in die Plazenta führt und damit auch beim Fetus zu einer Metastasierung führen kann, ist das maligne Melanom. Hier kommt es zur typischen Metastasierung in die fetale Leber, weshalb diese Kinder einer besonders sorgfältigen und engmaschigen sonographischen Kontrolle unterzogen werden müssen.
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Prof. Dr. med. J Baltzer
Klinikum Krefeld
Frauenklinik
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