Viszeralchirurgie 2005; 40(4): 288-290
DOI: 10.1055/s-2005-836755
Das viszeralchirurgische Prüfungsgespräch

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das viszeralchirurgische Prüfungsgespräch

Die AufklärungConsentP. M. Markus1
  • 1Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie, Elisabeth-Krankenhaus, Essen
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Publication Date:
13 September 2005 (online)

1. Nennen Sie mir die rechtliche Grundlage, warum eine Aufklärung vor einer Operation erfolgen muss.

Antwort:

Der Artikel 2 des Grundgesetzes sagt folgendes aus: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.” In diese Unversehrtheit einer Person darf nur unter besonderen Umständen eingegriffen werden. Hierfür bedarf es der Einwilligung des Patienten die eine rechtzeitige und ausführliche Aufklärung zur Voraussetzung hat.

2. Welches sind die Grundsätze einer Aufklärung?

Antwort:

Die ärztliche Aufklärung ist an keine besondere Form gebunden, sie muss allerdings in einem Aufklärungsgespräch erfolgen. Die Aufklärung über einen operativen Eingriff ist an einen Arzt gebunden. Der Arzt muss den Patienten über die Grundzüge der geplanten Untersuchung bzw. des Eingriffes aufklären. Die Aufklärung muss verständlich sein. Es muss über die häufigen und für die geplante Maßnahme typischen und sehr schwerwiegenden Risiken aufklären. Die Aufklärung muss behutsam erfolgen. Patientenfragen müssen wahrheitsgemäß beantwortet werden. Die Alternativen müssen aufgezeigt werden. Die Aufklärung muss rechtzeitig erfolgen.

3. Wie eingehend muss die Risikoaufklärung erfolgen?

Antwort:

Über die typischen Risiken eines Eingriffes ist unabhängig vom Prozent- oder Promillesatz möglicher Komplikationen aufzuklären.

Als Beispiel mag hier die Perforation bei einer Koloskopie dienen. Diese ist zwar extrem selten, aber stellt ein typisches Risiko der Untersuchung dar. Bei den so genannten untypischen Risiken ist der Umfang der Aufklärung von der Zwischenfallhäufigkeit abhängig. Hier ist schon bei äußerst niedriger Frequenz ein Hinweis angezeigt.

Die Rechtssprechung ist in diesem Punkte sehr uneinheitlich. In verschiedenen Urteilen des BGH wurden bei Komplikationsraten von 1 : 10 000 bis zu 1 : 2 000 000 für die Notwendigkeit eines Hinweis entschieden. Letztendlich muss der Arzt zwischen Notwendigkeit und Behutsamkeit der Aufklärung entscheiden.

Als sehr schwerwiegende Komplikation gilt eine HIV-Infektion nach Blutübertragung. Ist eine Bluttransfusion während eines operativen Eingriffes wahrscheinlich, muss auch in der Aufklärung auf die mögliche Komplikation der Infektion über die Blutkonserve hingewiesen werden. Die Zwischenfallshäufigkeit ist zwar extrem gering, aber so schwerwiegend, dass der Patient in Anbetracht der Folgen seine Einwilligung möglicherweise nicht geben würde.

4. Wie hat die Aufklärung bei Jugendlichen zu erfolgen?

Antwort:

Prinzipiell muss man bei Minderjährigen zwischen Einwilligungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit unterscheiden.

Minderjährige haben ab einem gewissen Alter (dies hängt von dem Reife- und Verständnisgrad des Minderjährigen ab) eine eigene Befugnis zur Einwilligung. In der Praxis wird so verfahren, dass bei Kindern bis 14 Jahren die Aufklärung und Einwilligung der gesetzlichen Vertreter ausreicht. Liegt eine Routinefall vor und hat nur ein Elternteil dem Eingriff zugestimmt, so kann der Arzt davon ausgehen, dass auch der andere Elternteil stillschweigend diesem Eingriff zustimmt.

Bei schwierigen oder weitreichenden Entscheidungen müssen beide Elternteile in einen Eingriff oder die Therapie einwilligen.

Bei Jugendlichen zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr sollte auch die Einwilligung des Patienten eingeholt werden.

5. Wann muss eine Aufklärung vor einem operativem Eingriff erfolgen?

Antwort:

Die Aufklärung muss rechtzeitig erfolgen und der Patient muss in vollem Besitz seiner Entscheidungsfähigkeit sein, er darf keinesfalls unter dem Einfluss von Medikamenten stehen, die seine Willenskraft oder Entscheidungsfähigkeit einschränken.

Sie muss bei einem größeren Eingriff, der ohne Dringlichkeit erfolgt, so rechtzeitig durchgeführt werden, dass dem Patienten noch ausreichend Zeit zum Überlegen bleibt.

Eine Aufklärung am Vorabend der Operation wird nach der Rechtsprechung nur bei einem kleinen und äußerst risikoarmen Routineeingriff akzeptiert. Ausnahme sind hier kleine ambulante Eingriffe, die der BGH auch am Tag der Aufklärung für rechtens erklärt.

Bei einer rechtmäßigen und zeitgerechten Einwilligung darf der Patient keinesfalls das Gefühl haben, dass er aus dem in Gang gesetzten Geschehensablauf nicht mehr ausweichen kann. Deshalb sollte die Aufklärung bei einem elektiven Eingriff am besten beim ersten Kontakt mit dem Patienten, also Tage oder Wochen vor der Operation, mindestens aber 24 Stunden vor dem Eingriff erfolgen.

6. Sie werden von Ihrem internistischen Kollegen zu einer Koloskopie hinzugezogen, bei der er ein Kolonkarzinom diagnostiziert hat. Er bittet Sie, die chirurgische Aufklärung durchzuführen, da der Patient noch am gleichen Tag nach Hause möchte und erst am Tag der Operation bei Ihnen aufgenommen wird. Ist diese Aufklärung rechtens?

Antwort:

Wenn der Patient unter der Einwirkung seiner Willenskraft beeinflussender Medikamente steht, ist diese Aufklärung keinesfalls gültig. Die Aufklärung muss dann an einem erneuten Termin vorgenommen werden.

7. Reicht juristisch das unterschriebene Formblatt zum Nachweis der Einwilligung aus?

Antwort:

Nein!

Die Rechtsprechung liegt Wert darauf, dass tatsächlich ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat. Der alleinige Nachweis eines unterschriebenen Formblattes ist keinesfalls ausreichend, um eine vollständige und ausführliche Aufklärung nachzuweisen. Obwohl der Patient die Unterschrift auf dem Formblatt geleistet hat, geht man in diesem Fall nicht unbedingt davon aus, dass der Patient das Formular auch gelesen und dessen Inhalt verstanden hat. In jedem Urteil wird deshalb auf das tatsächlich durchgeführte Aufklärungsgespräch gezielt.

8. Wie verhält es sich mit der Aufklärung bei Patienten, die ihren Willen nicht äußern können, z. B. ein bewusstloser Patient?

Antwort:

Bei Patienten, die ihren Willen nicht äußern können und bislang keinen Vormund für Fragen der Gesundheit besitzen, ist hier nach Dringlichkeit des Eingriffes bzw. der Therapie zu differenzieren.

Liegt eine lebensbedrohliche Situation vor, wo der Arzt sofort handeln muss, um bleibende Schäden zu verhindern, ist der Arzt verpflichtet, diese Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Schädigung des Patienten vorzunehmen.

Anders ist die Situation bei einem elektiven Eingriff, wo eine richterliche Einwilligung für diesen Eingriff eingeholt werden muss.

9. Nehmen Sie den Fall an, dass Sie einen Patienten operieren, bei dem Sie intraoperativ feststellen, den Eingriff erweitern zu wollen. Diese Operationserweiterung haben Sie aber im Aufklärungsgespräch mit dem Patienten nicht erwähnt. Was machen Sie?

Antwort:

Es gibt 3 Voraussetzungen, unter denen ich den Eingriff erweitern kann. Alle beinhalten, dass ein Abbruch der Operation eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit des Patienten darstellen.

Die Voraussetzungen sind folgende:

Wenn ohne eine Operationserweiterung der Befund mit an sicherheitsgrenzender Wahrscheinlichkeit in absehbarerer Zeit zum Tode des Patienten führen würde. Wenn der Abbruch der Operation (zur erneuten Aufklärung) mit zusätzlichen und gefährlichen Komplikationen verbunden wäre, die bei einer sofortigen Fortsetzung der Operation verhindern werden könnten. Wenn einer der Operationserweiterungen entgegenstehenden Willen des Patienten wegen der Lebensbedrohlichkeit des neu erhobenen Befundes nicht zu erwarten ist.

10. Welche Formen der Haftung kennen Sie?

Antwort:

Es gibt zweierlei Formen der Haftung. Einerseits den zivilrechtlichen Schadensanspruch für Heilbehandlungskosten, Schmerzensgeld und Einkommensverluste des Patienten.

Die zweite Form der Haftung stellt die strafrechtliche Verfolgung dar. Grundlage hierfür ist ein vom Zivilrecht unabhängiges Verfahren, welches in eine Geld- oder Freiheitsstrafe, z. B. wegen fahrlässiger Körperverletzung, münden kann.

Eine Verletzung der Aufklärungspflicht lassen die Einwilligung des Patienten unwirksam werden. Der operative Eingriff - selbst wenn er lege artis und ohne Komplikationen durchgeführt wurde - ist ohne gültige Einwilligung rechtswidrig. Der Eingriff ist in diesem Fall strafbar im Sinne der Köperverletzung als auch zivilrechtlich haftbar mit dem Anspruch des Patienten auf Schmerzensgeld.

11. Wer hat bei einem Verfahren die Beweislast, der Arzt oder der Patient?

Antwort:

Bei einem „normalen” Behandlungsfehler liegt die Beweislast prinzipiell beim Patienten. Allerdings ist der Arzt verpflichtet, dem Patienten Auskunft über sein Handeln zu geben und zumutbare Beweise vorzulegen. Dieser Beweispflicht kommt der Arzt in der Regel durch Vorlage einer ordnungsgemäßen Dokumentation in der Krankenakte und im Operationsbericht nach. Ist diese Dokumentation allerdings fehlerhaft oder unzureichend, wird dies als Indiz dafür gesehen, dass eine Maßnahme z. B. gar nicht durchgeführt wurde. Diese mangelnde Dokumentation führt über die Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr für den Patienten. Dann muss nicht mehr der Patient beweisen, dass beim operativen Eingriff ein Fehler gemacht wurde, sondern der Arzt muss beweisen, dass ihm kein Fehler unterlaufen ist. Dies wird ihm aber bei mangelhafter Dokumentation nur schwer gelingen.

Die häufigste Ursache für eine erfolgreiche Klage gegen einen Arzt ist die mangelhafte ärztlichen Dokumentation!

Prof Dr. med. Peter M. Markus

Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie · Elisabeth-Krankenhaus

Moltkestr. 61

45138 Essen

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