Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2004; 39 - V3
DOI: 10.1055/s-2004-837337

Neuentwicklung eines Diagnosegeräts zur zeitlichen und funktionellen Analyse des neuromuskulären Aktivitätsablaufs in vivo

N Rahe-Meyer 1, M Winterhalter 1, D Remmers 1, M Karst 1, F Logemann 1, J Zuk 1, M Leuwer 2, S Piepenbrock 1
  • 1Hannover
  • 2Liverpool

Fragestellung: Die funktionelle Untersuchung des Muskels ist eine dringende klinische Zielsetzung, so spielen Muskelerkrankungen bei der Beurteilung der Narkosefähigkeit eine Rolle und in der Intensivmedizin ist die so genannte critical-illness-Polyneuropathie eine häufige und gefürchtete Komplikation. Die Muskelfunktion ließ sich jedoch bis heute nicht wiederholbar und quantitativ untersuchen, abgesehen von den nur am Rande interessierenden neurophysiologischen Untersuchungen der Membraneigenschaften. Ein weitergehendes Ziel wäre die zeitliche Analyse der streng aufeinander folgenden molekularen Funktionsabläufe bis hin zur mechanischen Muskelfunktion.

Material und Methoden: Die Untersuchungen werden in vivo am Musculus adductor pollicis des Menschen durchgeführt. Ein eigenentwickelter Versuchsaufbau aus Verschienungseinheit und einem stufenlos verstellbaren Anschlag ermöglichen es, Muskeln unterschiedlicher Probanden exakt aufzunehmen, zu vermessen und wiederholbar in jedem Vordehnungszustand zu untersuchen. Der zuführende Nerv wird nichtinvasiv supramaximal erregt.

Ergebnisse: Zur Untersuchung des gesamten neuromuskulären Aktivitätsablaufs werden acht Messsensoren an Nerv und Muskel platziert, sie messen gleichzeitig elektrische Potenzialschwankungen, Muskelvibrationen, Muskelkraft, Muskelverkürzung und Kontraktionsgeschwindigkeit. Ein frei programmierbares Nervenstimulationsgerät ermöglicht die freie Definierbarkeit von Reizanzahl und Reizabständen. Die zeitliche Auflösung von Sensoren und Reizgerät ist jeweils eine hunderstel Millisekunde. In einem Versuchsprogramm von Einfach- und Mehrfachreizungen lassen sich die zeitlichen Abläufe der Nerv- und Muskelaktivität zergliedern und messen. Quantitativ bestimmen lassen sich unter anderem die Leitzeiten der Nerv- und Muskelmembran, die Zeit der elektromechanischen Kopplung, die Zeit der Kontraktionsvorspannung, die Interaktionszeit der kontraktilen Moleküle Aktin-Myosin und die durchschnittliche Umsatzgeschwindigkeit der Myosin-ATPase. Schlussfolgerungen: Mit der hier vorgestellten Neuentwicklung lassen sich die molekularen Schlüsselmechanismen im neuromuskulären Aktivitätsablauf zeitlich auflösen. Es ergeben sich faszinierende klinische Möglichkeiten, den Ort einer muskulären Schädigung zu lokalisieren und die Funktionseinschränkungen zu quantifizieren.