Zeitschrift für Palliativmedizin 2004; 5 - V1_01
DOI: 10.1055/s-2004-835222

Palliativ – Kurativ: Widerspruch oder Partnerschaft?

M Preitschopf 1
  • 1Palliativstation am St. Raphael Hospiz im KH des Göttlichen Heilandes Wien

Kurative und palliative Medizin verfolgen auf den ersten Blick zutiefst unterschiedliche Behandlungsziele. Der kurativen Medizin stehen mit den Möglichkeiten der modernen pharmakologischen und technischen Entwicklungen der letzten knapp 100 Jahren ungeahnte Möglichkeiten offen. Mit einem sehr hohen technischen, diagnostischen und therapeutischen Einsatz, liegt der Schwerpunkt auf Heilung erkrankter Organe bzw. Lebenserhaltung oder Lebensverlängerung. Dabei werden Einbußen von Lebensqualität den Patienten betreffend in Kauf genommen. Finanzielle Aufwendung in Forschung und Lehre werden weltweit intensiv betrieben, nur Spezialisierungen auf einzelne Fachteilgebiete ermöglichen die Übersicht rasanter Entwicklungen zu erhalten. Spezialistenteams agieren in teils nüchternen, zweckmäßigen Einrichtungen, Mitentscheidungen und Mitsprache des Patienten sind zwar iuridisch eingeräumt, letztendlich ist aber der Rat des spezialisierten Arztes ausschlaggebend. Tritt jedoch trotz aller Bemühungen die Inkurabilität ein, so kommt es entweder zu einem Reflex der Todesabwehr oder Todesverzögerung mit allen zu Verfügung stehenden Möglichkeiten oder zu einem ärztlichen Rückzug. Die palliative Medizin, vielfach als eine neue Form der Medizin apostrophiert, ist so alt wie heilendes Handeln selbst und ist den ältesten bekannten Kulturen verankert. Palliative Medizin ist eine angemessene medizinische Versorgung von Patienten mit fortgeschrittenen oder progredienten Erkrankungen mit einer begrenzten Lebenserwartung. Sie umfasst alle körperlichen, psychischen sozialen, spirituellen und kulturellen Bedürfnisse des Patienten und ist auf deren Lebensqualität zentriert. Sie schließt auch die Bedürfnisse der Familie vor und nach dem Tod ein und verhindert damit einen frühen psychischen und sozialen Tod. Ausschlaggebend für die Behandlung sind die Bedürfnisse des Patienten. Ein multidisziplinäres Team, dem auch Laien als ehrenamtliche Mitarbeiter angehören, kommt diesen Bedürfnissen nach. Im Gegensatz zur kurativen Medizin befinden sich Forschung und Lehre noch im Hintertreffen, wobei weltweit ermutigende Entwicklungen zu beobachten sind. Ziel jeder therapeutischen Intervention soll nun sein, dass diese beiden Formen der Medizin nicht streng von einander getrennt sequentiell ablaufen mögen, sondern gemeinsam je nach Krankheitsstadium miteinander kooperieren. So soll schon bei Diagnosestellung einer Erkrankung mit Einleitung der Akutmaßnahmen auch die Werkzeuge der Palliativmedizin in Betracht gezogen werden, die umso intensiver zum Tragen kommen mögen, je mehr sich die Erkrankung Richtung Chronifizierung bzw. Inkurabilität entwickelt. Dies kann nur in dem Ausmaß zu Tragen kommen, in dem das agierende Team mit den Möglichkeiten der Palliativmedizin vertraut und ausgebildet ist. Anderseits wird es immer wieder Situationen geben, in der die Maßnahmen und Techniken der modern kurativen Medizin auch Stadien der Inkurabilität zum Einsatz kommen müssen und sollen. Die Domäne der Palliativmedizin ist letztlich das Finalstadium einer Erkrankung und die Sterbephase, in der alle Mitglieder des multidisziplinären Teams einschließlich der ärztlichen Betreuung, auch über den Tod der Patienten hinaus, gefordert sind.