Hintergrund: Das autobiographische Gedächtnis besteht zu großen Teilen aus episodischen Erfahrungen mit Raum- und Zeitbezug, sowie einer affektiven Bedeutung, Beispiel: Erinnerung an den ersten Schultag. Zudem beinhaltet das autobiographische Gedächtnis aber auch semantische Informationen wie das eigene Geburtsdatum. Vorgestellt wird ein 33-jähriger Patient, der angibt, seit jeher ein deutlich beeinträchtigtes Gedächtnis vor allem für Episoden über seine gesamte Lebensspanne zu haben.
Methoden: Neben ausführlichen Anamnesegesprächen wurden in einer neuropsychologischen Testung Leistungen in den Bereichen Aufmerksamkeit, exekutive Funktionen, anterogrades und retrogrades Gedächtnis sowie autobiographisches (Episoden und semantische Inhalte) Gedächtnis erfasst. Zudem wurde seine psychische Symptombelastung erhoben. Auch fand eine Untersuchung mit struktureller Bildgebung (Magnet-Resonanz-Tomographie, MRT) statt.
Ergebnisse: Durch die Anamnesegespräche, sowohl mit dem Patienten als auch mit Angehörigen, konnte kein auslösendes Ereignis ausgemacht werden. Der Patient gab jedoch an, ein stressvolles und psychisch belastetes Leben geführt zu haben, z.B. durch mehrere Umzüge und häufige Ausbildungs- und Berufswechsel. Neuropsychologisch war er in fast allen Bereichen unbeeinträchtigt. Lediglich seine Leistungen in Aufmerksamkeitsfunktionen waren bereits bei einfachen Reiz-Reaktionsaufgaben gemindert. In einem autobiographischen Interview konnte er autobiographisch-semantisches Wissen nahezu vollständig für seine gesamte Lebensspanne wiedergeben. Im Gegensatz dazu war der Abruf von autobiographisch-episodischen Inhalten für sein gesamtes Leben eingeschränkt. In der Symptom-Check-Liste wies er in den Skalen Zwanghaftigkeit, Unsicherheit, Depression und Psychotizismus deutlich erhöhte Werte auf. Die MRT-Befunde zeigten keine strukturellen Hirnänderungen.
Schlussfolgerungen: Eine selektive Minderung des autobiographisch-episodischen Gedächtnisses – bei erhaltenem autobiographisch-semantischem Wissen – ohne Anzeichen von strukturellen Hirnänderungen kann durch eine langjährige psychische Belastung verursacht werden. Neuropsychologisch lassen sich Hinweise auf eine Aufmerksamkeitsstörung finden, welche sowohl die Einspeicherung als auch den Abruf von Informationen negativ beeinflussen können. Eine Überprüfung der Gehirnaktivität beim Abruf von autobiographischen Episoden, soll mittels funktioneller Bildgebung (fMRT) erfolgen.