Fortschr Neurol Psychiatr 2005; 73(5): 249-258
DOI: 10.1055/s-2004-830145
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Leitlinien und die Psychologie medizinischer Entscheidungsprozesse bei der Behandlung depressiver Erkrankungen

Guidelines and the Psychology of Medical Decision Making in the Treatment of Depressive DisordersM.  Linden1
  • 1Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation am Campus Benjamin Franklin der Charité und an der Rehabilitationsklinik Seehof der BfA, Teltow/Berlin
Die Arbeit beruht auf einem Vortrag beim Symposium „Ökonomisierung der Medizin - Standards und Leitlinien: Unerwünschte Wirkungen und rechtliche Konsequenzen” der Kaiserin-Friedrich-Stiftung und der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht, Berlin, 26. - 27.9.2003. Eine Vorfassung ist publiziert unter dem Titel „Der Einfluss von Leitlinien, Standards und ökonomischen Vorgaben auf medizinische Entscheidungsprozesse” in der Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen 2004; 98 : 200 - 205
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Publication Date:
28 January 2005 (online)

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Zusammenfassung

Leitlinien sollen zu einer Verbesserung der Qualität ärztlichen Handelns führen. Im Gegensatz zu Lehrbüchern und Übersichtsarbeiten, die Fachwissen vermitteln, sollen Leitlinien Vorgaben für ärztliches Handeln machen. Bezieht man sich auf grundlagenwissenschaftliche Modelle zur Erklärung ärztlicher Entscheidungen wie z. B. die Handlungstheorie und auf empirische Studien zur Wirksamkeit von Leitlinien, dann ergeben sich Zweifel daran, ob Leitlinien ihr Ziel tatsächlich erreichen oder ob sie nicht sogar zu einer Qualitätsminderung ärztlichen Tuns führen. Diese Problematik wird am Beispiel der Behandlung depressiver Störungen dargelegt, wobei die angesprochenen Prinzipien über diesen Anwendungsbereich hinaus generelle Bedeutung für die Medizin haben. Daraus folgt, dass in kontrollierten Studien empirisch zu prüfen ist, ob leitlinienexponierte Ärzte im Vergleich zu leitliniennaiven Ärzten bessere oder schlechtere Behandlungsergebnisse erzielen. Nur solche Leitlinien sollten als evidenzbasiert gelten, für die eine positive Wirkung empirisch belegt ist.

Abstract

Guidelines aim at improving medical decision making. Guidelines try to influence medical behaviour in contrast to textbooks and reviews which want to improve medical knowledge. Scientific models of medical decision making such as the action theory and empirical data on the effects of guidelines suggest that guidelines will not always reach their goal but instead can even deteriorate medical quality. The problem of guidelines in medicine is discussed in reference to depressive disorders. The problems at stake are nevertheless valid for medicine as a whole. Therefore it must be tested in controlled clinical trials whether guideline exposed physicians have better results with their patients than guideline naïve physicians. Only such guidelines should be called evidence based for which positive effects have been empirically demonstrated.