Fortschr Neurol Psychiatr 2004; 72(10): 555-556
DOI: 10.1055/s-2004-830080
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Effektivität, Effizienz und Evidenz - Studien zu Donepezil

Efficacy, Efficiency and Evidence - Studies on DonepezilC.-W.  Wallesch1 , A.  D.  Ebert1
  • 1Klinik für Neurologie der Universität Magdeburg
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Publication Date:
27 September 2004 (online)

In diesem Heft publizieren die Fortschritte einen Beitrag [1], zu dem es bereits im Vorfeld eine lebhafte Diskussion gegeben hat. Unter dem Titel „Pillen zum Vergessen” veröffentlichte der SPIEGEL am 9. 8. 04 einen Artikel, der ausführt, dass die Wirkung der Cholinesterasehemmer auf die Krankheitsprogression bei der Alzheimer-Demenz (AD) gering und „ohne Belang” sei. Außerdem wurde die wissenschaftliche Qualität der für die Medikamente durchgeführten Zulassungsstudien in Zweifel gezogen. Kritisiert wurde weiterhin, dass Cholinesterasehemmer in Leitlinien zur Behandlung der AD empfohlen werden [2] [3], so auch in der entsprechenden Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie [4] und in Empfehlungen des britischen National Institute for Clinical Excellence [5].

Im Weiteren berichtete der SPIEGEL-Artikel die Ergebnisse einer im Juni 2004 in „Lancet” erschienenen Studie, nach der sich die Behandlung mit Cholinesterasehemmern nicht auf den Zeitpunkt von Heimeinweisungen sowie auf Alltagsfunktionen auswirke [6].

Der SPIEGEL bezieht sich auf die Autoren der hier abgedruckten Arbeit. Diese sind Mitarbeiter des Instituts für Allgemeinmedizin der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf. Ihr Artikel ist eine systematische Analyse der publizierten randomisierten, kontrollierten und doppelblind durchgeführten Studien zu Donepezil. In den Datenbanken MEDLINE und EMBASE wurden 10 solcher Studien gefunden. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass wegen in allen Studien gefundener gravierenden methodischen Mängel der wissenschaftliche Nachweis einer positiven Wirkung von Donepezil noch ausstehe. Zudem stelle sich die Frage nach der klinischen Relevanz der postulierten positiven Ergebnisse.

Die methodischen Einwände von Kaduszkiewicz u. Mitarb [1] an der publizierten Studienmethodik und der Bewertung der Ergebnisse sind jeweils nachvollziehbar. Folgende Kritikpunkte scheinen relevant:

Zielgrößen waren erzielte Werte auf der ADAS-cog-Skala 7 und der CIBICplus 8. Die erstgenannte ist ein auf die Defizite bei AD abgestimmtes Screeninginstrument kognitiver Funktionen, das differenzierte Aussagen zur Veränderung einzelner kognitiver Funktionen nicht zulässt, das andere ein Untersucherrating von etwaigen Veränderungen auf unterschiedlichen Funktionsebenen. Gefundene Unterschiede waren statistisch signifikant, jedoch numerisch gering, bei allerdings auch geringer Veränderungssensitivität der Instrumente. Die Autoren monieren zu Recht, dass in den Publikationen der Zulassungsstudien wichtige Informationen fehlen: Stichprobengröße bei Endpunkt, Angabe von Mittelwertdifferenzen statt des bei der zu vermutenden Verteilung angemessenen Medians, fehlende Korrektur des Signifikanzniveaus bei multiplen statistischen Tests, Auswirkungen von Nebenwirkungen auf Verblindung und Drop-out-Rate.

Die Arbeit von Kaduskiewicz et al. [1] unterstreicht damit die kürzlich erhobene Forderung, dass die Daten von Zulassungsstudien grundsätzlich, unabhängig vom Ergebnis und vollständig verfügbar gemacht werden müssen. Wir vermögen allerdings nicht zu glauben, dass derartig grobe handwerkliche Fehler wie unter b) genannt den jeweiligen Zulassungsbehörden entgangen sein sollten. Aus eigener Erfahrung sei angemerkt, dass einige amerikanische medizinische Fachzeitschriften explizit auf Angabe von Mittelwerten bestehen, auch wenn der Median angebracht wäre. Je nachdem, welche statistischen Verfahren zur Anwendung kamen, wären verteilungsbedingt verzerrte Mittelwertdifferenzen bedeutsam oder bedeutungslos. Ob die verwendeten statistischen Verfahren dem Niveau und der Verteilung der Studiendaten jeweils angemessen waren, wird im Artikel nicht diskutiert.

Die unter a) genannten Kritikpunkte hinsichtlich der Maße zur Erfassung des Therapieerfolges und der Bedeutung der gemessenen Unterschiede („ökologische Validität”) sind überaus wichtig, waren jedoch bislang für Zulassungsstudien von allenfalls nachgeordneter Bedeutung.

Eine methodisch ähnlich angelegte Metaanalyse von Birks und Harvey für die Cochrane Collaboration [8] zeigte bei Einschluss von 16 Studien bessere kognitive und Alltagsleistungen sowie weniger Verhaltensauffälligkeiten bei Patienten unter Donepezil als unter Plazebo nach 12, 24 und 52 Wochen. Dabei waren die erhobenen Effekte in der Gesamtschau nicht groß. Es gibt Hinweise dafür, dass nur ein Teil der AD-Patienten „Responder” auf Cholinesterasehemmer sind. Der Therapieeffekt ist bei Respondern größer und wird bei Betrachtung der gesamten Stichprobe durch Non-Responder „verwässert” [9]. Es gilt, Untersuchungsverfahren zu entwickeln, um Responder zu identifizieren, z. B. durch ihr Ansprechen auf eine probatorische Behandlung [10]. Darauf aufbauende Studien sollten dann auch die durch Behandlung eingesparten Kosten aus gesellschaftlicher Perspektive erfassen, bewerten und in Beziehung zu gewonnener Lebensqualität von Patienten und betreuenden Angehörigen setzen.

Die Studie der AD2000-Gruppe [6] erfolgte industrieunabhängig, die Kosten wurden von den englischen Gesundheitsbehörden getragen. Patienten konnten eingeschlossen werden, wenn der behandelnde Arzt die Diagnose einer AD mit oder ohne begleitende vaskuläre Demenz auf der Basis einer DSM-IV-Checkliste stellte; außerdem musste der zuweisende Arzt sich unsicher sein, ob der einzuschließende Patient von einer Behandlung mit Donepezil profitieren würde (die übrigen Patienten erhielten vermutlich einen Cholinesterasehemmer außerhalb der Studie, da diese in Großbritannien für die Indikation AD zugelassen sind und empfohlen werden). Wenn man Erfahrung der behandelnden Ärzte unterstellt, handelte es sich also um eine Negativauslese („doubt to treat” statt „intention to treat”). Entsprechend wurden deutlich weniger Patienten als geplant eingeschlossen.

Die Endpunkte waren alltagsnah: ein definierter Verlust in Alltagsfunktionen (gemessen mit der Bristol Activities of Daily Living Scale) sowie die Einweisung in ein Pflegeheim. Die Studie unterschied sich von anderen Untersuchungen insofern, dass mehrere Perioden ohne Medikamentengabe einbezogen waren, die möglicherweise negative Auswirkungen auf die Wirkung gehabt haben [11]. Eine gesundheitsökonomische Analyse bezog sich nur auf die Kosten für das Gesundheitssystem. Auch die Studie der AD2000-Gruppe weist also eine Reihe von Kritikpunkten auf.

Die Gabe von Donepezil führte in dieser Studie zu einem signifikant geringeren Verlust an Alltagsfunktionen, jedoch nicht zu einer Verzögerung von Pflegebedürftigkeit. Der Unterschied hinsichtlich Alltagsfunktionen war zwar absolut gering, machte jedoch im Durchschnitt immerhin 7 % eines ohnehin niedrigen Ausgangswertes aus. Er erscheint somit nicht bedeutungslos. Außerdem wiesen in der Donepezil-Gruppe z. B. nach 12 Wochen deutlich mehr Patienten eine Verbesserung um mindestens 5-MMSE-Punkte (23 vs. 6) und deutlich weniger eine Verschlechterung um mindestens 5 MMSE-Punkte (13 vs. 22) auf. Im Ergebnis bejaht die Studie somit die Wirksamkeit von Donepezil unter Praxisbedingungen (Effektivität) sogar für eine „doubt to treat”-Gruppe, wirft jedoch die Frage nach der Kosteneffizienz auf. Diese war bisher allerdings nicht Gegenstand von Zulassungsstudien, was auch für andere Gebiete (MS, neue Antiepileptika usw.) gilt.

Neue wichtige Fragen erfordern neue Studien. So sollten differenziertere Untersuchungen von neuropsychologischen und Alltagsleistungen im Verlauf durchgeführt werden, um zu erfassen, welche Funktionen von Cholinesterasehemmern beeinflusst werden (und welche nicht) und welche Patienten wahrscheinliche Responder sind. Die Lebensqualität von Patienten und Angehörigen muss in die Betrachtung des Therapieerfolgs einbezogen werden. Es erscheint legitim, gewonnene Lebensqualität mit gesellschaftlichen Kosten in Beziehung zu setzen, die Bewertung wäre allerdings dann auch gesellschaftliche Aufgabe. Randomisierte Studien mit Implementierung einer Plazebo-Kontrollgruppe scheinen angesichts nachgewiesener Effektivität von Donepezil allerdings nicht mehr akzeptabel.

Literatur:

  • 1 Kaduszkiewicz H, Beck-Bornholdt H-P, Bussche H van den, Zimmermann T. Fragliche Evidenz für den Einsatz des Cholinesterasehemmers Donepezil bei demenziellen Erkrankungen - eine systematische Übersichtsarbeit.  Fortschr Neurol Psychiat. 2004;  im Druck
  • 2 Müller U, Wolf H, Kiefer M, Gertz H J. Nationale und internationale Demenz-Leitlinien im Vergleich.  Fortschr Neurol Psychiat. 2003;  71 285-295
  • 3 Wallesch C W, Förstl H, Herholz K, Lang C, Schmidtke K. Alzheimer-Demenz (AD) und Demenz mit Lewy-Körperchen (DLB). In: Diener HC, Hacke W (Hrsg): Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie Stuttgart: Thieme 2002: 6-9
  • 4 Technology Appraisal Guide No. 19: Guidance on the use of Donepezil, Rivastigmine and Galantamine for the treatment of Alzheimer’s Disease. Internet-Dokument 2001 http://(www.nice.org.uk)
  • 5 AD 2000 Collaborative Group . Long-term donepezil treatment in 565 patients with Alzheimer’s disease (AD2000):.  Lancet. 2004;  363 2105-2115
  • 6 Rosen W G, Mohs R C, Davis K L. A new rating scale for Alzheimer’s disease.  Am J Psychiatry. 1984;  141 1356-1364
  • 7 Schneider L S, Olin J T, Doody R S, Clark C M, Morris J C, Reisberg B, Schmitt F A, Grundman M, Thomas R G, Ferris S H. Validity and reliability of the Alzheimer’s Disease Cooperative Study - Clinical Global Impression of Change.  Alzheimer Dis Assoc Dis. 1997;  11 (suppl 2) S22-32
  • 8 Birks J S, Harvey R. Donepezil for dementia due to Alzheimer’s disease. Chichester: The Cochrane Library; John Wiley & Sons 2004
  • 9 Lanctot K L, Herrmann N, Yau K K, Khan L R, Liu B A, LouLou M M, Einarson T R. Efficacy and safety of cholinesteras inhibitors in Alzheimer’s disease: a meta-analysis.  Can Med Assoc J. 2003;  169 557-564
  • 10 Patterson C J, Gauthier S, Bergman H, Cohen C A, Feightner J W, Feldman H, Hogan D B. The recognition, assessment and management of dementing disorders.  Can Med Assoc J. 1999;  160 (12 Suppl) S1-15
  • 11 Doody R S, Geldmacher D S, Gordon B, Perdomo C A, Pratt R D. Open-label, multicenter, physe 3 extension study of the safety and efficacy of donepezil in patients with Alzheimer disease.  Arch Neurol. 2001;  58 427-433

Prof. Dr. Claus-W. Wallesch

Klinik für Neurologie der Universität Magdeburg

Leipziger Straße 44

39120 Magdeburg

Email: Neuro.Wallesch@Medizin.Uni-Magdeburg.de