Krankenhauspsychiatrie 2004; 15(3): 97
DOI: 10.1055/s-2004-830072
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Epilepsie - Eine neurologische oder eine psychiatrische Erkrankung?

Epilepsy - is it a Neurological or Psychiatric Disorder?W.  Fröscher1
  • 1Zentrum für Psychiatrie Weissenau, Abt. Neurologie und Epileptologie
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
23. September 2004 (online)

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurden die Epilepsien häufig mehr der Psychiatrie zugerechnet als der Neurologie. In manchen alten Lehrbüchern wurde die genuine Epilepsie mit dem manisch-depressiven Irresein und der Schizophrenie zu der Gruppe der „endogenen Psychosen” zusammengefasst. Heute wird die Epileptologie überwiegend der Neurologie zugerechnet, obgleich die Behandlung von Epilepsiepatienten psychiatrische Kenntnisse erfordert.

Für die Behandlung der Epilepsiepatienten wünscht man sich den „Nervenarzt” alter Prägung zurück oder ein Fachgebiet „Neuropsychiatrie”, in dem Neurologen und Psychiater „unter einem Dach” die Krankheit Epilepsie behandeln und erforschen. In seinem Lehrbuch der Psychiatrie (3. Auflage, 1973) schreibt Weitbrecht, der an der Bonner „Nervenklinik” Psychiatrie und Neurologie vertrat: „Die cerebralen Anfallsleiden sind ein Beispiel dafür, dass Neurologie und Psychiatrie nicht künstlich auseinander gerissen werden können. Ihre Symptomatik ist teilweise neurologisch, teilweise, wie etwa bei Dämmerzuständen, Absencen, Persönlichkeitsveränderungen und Demenz, psychiatrisch zu fassen, ohne dass man das Leiden in einen neurologischen und psychiatrischen Anteil trennen könnte”.

In den letzten Jahren zeichnet sich auf nationalen und internationalen Epilepsiekongressen und in der Literatur eine erfreuliche Entwicklung ab. Die psychiatrischen Aspekte der Epileptologie nehmen einen zunehmend breiteren Raum ein. Wie notwendig dies im Patienteninteresse ist, zeigt die Häufigkeit psychischer Symptome bei Epilepsiepatienten; bei etwa 50 % der erwachsenen Epilepsiepatienten ist mit dem Auftreten psychischer Symptome zu rechnen. Helmchen, einer der deutschen Psychiater, die sich intensiv mit den Epilepsien beschäftigten, stellte fest, der Lebenserfolg eines Anfallskranken werde wahrscheinlich mehr von seinen psychischen Störungen als von Anfallsfrequenz oder Anfallstyp bestimmt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer engen Kooperation von Neurologie und Psychiatrie bei epileptologischen Fragestellungen und den Bedarf an neuropsychiatrisch geschulten Fachärzten, also Ärzten, die in ihrer Fachausbildung Neurologie und Psychiatrie gelernt haben.

Eine führende Rolle in der Behandlung der Epilepsien und in der epileptologischen Forschung können diejenigen Einrichtungen übernehmen, an denen neurologische, psychiatrische und neuropsychologische Fachkompetenz vorhanden sind, beispielsweise die Universitätskliniken und die psychiatrischen Krankenhäuser mit neurologischen Abteilungen. Themen wie dissoziative Anfälle, epileptische Psychosen, Alternativpsychosen, pharmakogene psychische Veränderungen, Depression und Suizidalität bei Epilepsiepatienten, Psychotherapie bei Epilepsiepatienten und klinisch-psychologische Verfahren zur Behandlung der Epilepsien sollten hier zum Wohle der Betroffenen weiter erforscht werden.

Prof. Dr. Walter Fröscher

Die Weissenau, Abt. Neurologie u. Epileptologie

Weingartshofer Str. 2

88214 Ravensburg-Weissenau

eMail: walter.froescher@zfp-weissenau.de