Zentralbl Gynakol 2004; 126 - 5_053
DOI: 10.1055/s-2004-829710

Die moderene Behandlung der Dranginkontinenz – Standard 2004

A Szych 1, Y Mikulec 1, I Bogdanowa 1, C Aschka 1, T Dimpfl 1
  • 1Urogynäkologie, Frauenklinik Klinikum Kassel, Kassel

Die Dranginkontinenz oder auch Instabile Blase ist alles andere als ein Minderheitsproblem.

In Deutschland sind schätzungsweise sechs Millionen Menschen betroffen. Die in Großbritannien durchgeführte MORI-Umfrage ergab, dass bei den Betroffenen eine innere Abwehrhaltung gegen die Beanspruchung ärztlicher Hilfe besteht, obwohl etwa die Hälfte von ihnen eine Behandlung im Grunde begrüßen würde. Nachdem bei der Konsensuskonferenz der International Continence Society (ICS) gemeinsam mit der WHO im Juli 1998 in Monaco beschlossen wurde, die Harninkontinenz als Krankheit anzuerkennen, wird auch der gesundheitspolitische Stellenwert der Diagnostik und Behandlung der Harninkontinenz zunehmen. Nach entsprechender Diagnostik kann jedoch eine Vielzahl von Blasenfunktionsstörung konservativ, d.h. ohne Operation oder zumindest minimal invasiv, d.h. ohne den Organismus wesentlich belastende Eingriffe, erfolgreich behandelt werden. Die Dranginkontinez stellt die Domäne der konservativen Therapie.

Die medikamentöse Therapie, das gezielte Blasentraining sowie Korrekturen von Trinkgewohnheiten sind die wichtigsten Verfahren zur Behandlung der Dranginkontinenz. Heute werden zur Behandlung der Dranginkontinenz überwiegend anticholinerge Substanzen verwendet. Leider wirkt keine der bisher eingesetzten Substanzen blasenspezifisch. Seit 1999 ist eine neue Substanz, nämlich Tolterodin (Detrusitol®), im Handel, die im Tierversuch deutlich selektiver die Muskarinrezeptoren M3 hemmt, welche vor allem die Detrusorkontraktion vermitteln. Dadurch konnte die Rate an schwerer Mundtrockenheit, die zum Therapieabbruch führte, von 50% auf 9% gesenkt werden. Auch zentrale Nebenwirkungen treten praktisch nicht auf.

Es ist zu einer Renaissance der Elektrostimulation zur Behandlung der Dranginkontinenz gekommen, welche konservativ als Pudendus-Stimulation, oder interventionell als Neuromodulation eingesetzt wird. Bei Rückfällen kann eine intermittierende Therapie notwendig werden. Eine weitere Art der Elektrostimulation ist die Stoller-Afferent-Nerve-Stimulation (SANS), bei der über eine am MP-6 (Milz-Pankreas) Akupunkturpunkt am Unterschenkel platzierte Nadel stimuliert wird. Auch Alternativtherapien, wie Akupunktur, EMDA und Neuraltherapie, haben bei diesem schwer therapierbaren Krankengut ihren Stellenwert, und es sind Ansprechraten um 50% beschrieben. Die Elektrostimulation, bzw. die Elektromodulation, ist eine effektive, kostengünstige und praktisch nebenwirkungsfreie Therapie, die durch „Modulation“ gestörte, nervale Funktionsabläufe verbessern, bzw. normalisieren kann.