Zentralbl Gynakol 2004; 126 - 4_018
DOI: 10.1055/s-2004-829675

Geburts- und Familienvorbereitung zur Stabilisierung junger Familien

L Spätling 1
  • 1Frauenklinik, Klinikum Fulda

Zusammenfassung: Der extreme Geburtenrückgang wird in Deutschland schwerwiegende soziale, aber auch wirtschaftliche Folgen haben. Unser Land ist weit davon entfernt, jungen Familien für eine höhere Reproduktionsrate adäquate Umgebungsbedingungen zu bieten. Neben wirtschaftlicher Unzufriedenheit leiden sie an der Unfähigkeit ihre Partnerschaft zu verwirklichen, was sich in einer extrem hohen, weiter steigenden Scheidungsrate mit allen ihren Folgen widerspiegelt. Mann und Frau versuchen gleichberechtigt miteinander zu leben, was am Übergang zur Elternschaft ohne besondere Fähigkeiten nicht gelingt. Hierzu gehört im Wesentlichen Konflikt- und Zeitmanagement.

Die Vorbereitung auf die Geburt ist für fast alle, auch bildungsferne Menschen ein durch die emotionale Ausnahmesituation bedingter idealer Zeitpunkt, Wissen zu vermitteln. Der herkömmliche Geburtsvorbereitungskurs für Paare wurde aus diesem Grunde erweitert mit den Inhalten Konflikt- und Zeitmanagement zum Geburts- und Familienvorbereitungskurs. Die Deutsche Familienstiftung trägt und fördert diese Entwicklung, die mit ergänzenden in einer Familienschule lokalisiert ist.

Prof. Dr. H. Birg, Bielefeld, stellt eindrucksvoll dar, dass der weiter anhaltende dramatische Geburtenrückgang zu Problemen führt, die unsere Gesellschaft kaum meistern kann. Unser Wirtschaftssystem ist auf Wachstum aufgebaut. Wesentliche Voraussetzung für Wachstum ist die Binnennachfrage. Die Wirtschaft stöhnt, wenn die Bürger sparen. Jetzt wissen wir, es wird immer weniger Sparer geben. Und wenn die Prognosen zutreffen – und dies ist mehr als wahrscheinlich – müssen wir uns die Frage stellen: wer wird unsere Waren kaufen, wer in unseren Immobilien wohnen? Und wenn wir auch gelernt haben, dass wir dieses Defizit nicht durch zuwandernde Menschen auffangen können, dann wird unterstrichen, was wir lange wissen: wir brauchen mehr Kinder.

Betrachten wir uns einmal als einfaches Lebewesen, so wissen wir aus der Biologie, dass die Reproduktionsrate dort am höchsten ist, wo die Umgebungsbedingungen optimal gehalten werden, wo den Bedürfnissen der Lebewesen entsprochen werden kann.

Was gehört denn unseren wesentlichen Bedürfnissen?

Sich als Paar zu erleben, ist nicht nur aus Gründen der Arterhaltung in uns festgelegt, es ist ein elementares, Geist und Körper einbeziehendes Grundbedürfnis. Dieses wird dadurch unterstrichen, dass der Mensch leidet, wenn die Paarbildung behindert wird, mehr noch, dass er erkrankt, wenn die Paarbeziehung gestört ist. Jeder zweite Mensch, der seinem Leben ein Ende setzt, tut dieses aus einer gestörten Paarbeziehung heraus. Auch wird jeder zweite Patient einer psychiatrischen Klinik im Zusammenhang mit Partnerschaftskonflikten behandelt.

Laut Umfragen ist für 90 Prozent aller Frauen und Männer die Familie die angestrebte Lebensform. Teenager berichten, dass ihr wesentliches Ziel die Familiengründung mit meist drei Kindern sei. Leider werden ihre Wünsche von der Realität eingeholt, sie erkennen, wie schwer sich dieser Wunsch verwirklichen lässt. So wird von den geplanten drei oft nur ein Kind realisiert, oft sogar gar keines.

Haben zwei junge Menschen sich entschlossen ein Paar zu bilden, wird diese Paarbeziehung nach kurzem Honeymoon der Realität ausgesetzt. 204000 Ehen wurden im vorletzten Jahr geschieden, das sind gut die Hälfte der Eheschließungen im Jahr 2002. Die Tendenz ist steigend. Die entsprechende Größenordnung für die eheähnlichen Partnerschaften kennen wir nicht. Füllen wir die abstrakten Zahlen mit Inhalt und stellen wir uns den Streit und das Leid vor, das dem Entschluss zur Trennung vorangegangen ist. Sehen wir die 18% der minderjährigen Kinder, die nur von einem Elternteil erzogen werden. Häufig verbunden mit einem sozialen Abstieg. Viele Probleme entstehen daraus nicht nur für die Kinder sondern auch für unsere Gesellschaft, die die hieraus erwachsenden Kosten tragen muss.

Warum hat die Scheidungsrate so eine exorbitante Größenordnung erreicht?

Die traditionelle Familienstruktur hat sich aufgelöst. Das Rollenverständnis der Ehepartner hat sich in den letzten 50 Jahren grundlegend geändert. Mann und Frau versuchen gleichberechtigt miteinander zu leben. Beide wollen sich beruflich verwirklichen und beanspruchen ihren Freiraum. In einer Zweierbeziehung gelingt das noch ganz gut. Aber nach der Geburt, besonders des ersten Kindes, geraten viele Eltern in ernste Krisen. Sie sind auf ihre neuen Rollen nicht vorbereitet.

Die Paare sind auf sich allein gestellt, Paarkonflikte mit fatalen Folgen entstehen.

Hier am Übergang zur Elternschaft – und da sind sich die Familienforscher einig, befindet sich das größte Gefahrenmoment.

Was kann getan werden? Hier möchte ich einen von vielen Ansätzen nennen, die alle verfolgt werden müssen.

Fast alle werdenden Eltern nutzen das Angebot eines Geburtsvorbereitungskurses. Zu diesem Zeitpunkt sind Herz und Geist offen für Informationen, die helfen, die gemeinsame Zukunft zu formen, um glücklich in einer Familie mit Kindern zu leben. Alle wollen es zu diesem Zeitpunkt ganz besonders gut machen.

Bisher beschränkte sich die Geburtsvorbereitung auf Themen rund um Schwangerschaft und Geburt. Und so entstand die Idee, diese Kurse inhaltlich zu erweitern, aus einer reinen Geburtsvorbereitung ein Geburts- und Familienvorbereitungs-Programm zu entwickeln. Schon vor der Geburt dürfen junge Paare wissen, was sie beim Übergang zur Elternschaft erwartet, aber auch wie aufkommende Schwierigkeiten bewältigt werden können.

Mithilfe erfahrener Pädagogen und Psychologen wurde die Geburtsvorbereitung um präventiv wirkende Inhalte ergänzt und Themen wie die folgenden eingearbeitet:

  • Wie kommen wir mit unserer neuen Rolle als Eltern zurecht,

  • wie gehen wir mit der jetzt knappen Zeit um,

  • wie streiten wir, ohne das einer verliert

  • wie halten wir unsere Liebe lebendig?

Wir wissen viel, vieles ist auch erprobt. Pädagogen und Sozialpolitiker aber klagen einmütig über den fehlenden Zugang zu den jungen Menschen und erst recht zu den bildungsfernen. Zu den Geburtsvorbereitungen aber kommen sehr viele und es werden noch mehr kommen, wenn die Qualität dieses Angebotes verbessert wird, wenn die jungen Leute tatsächlich etwas mitnehmen können.

Kann denn dieser Ansatz Einfuß auf den Wunsch der Eltern nehmen, mehr Kinder zu bekommen?

Ein besseres Miteinander, mehr gegenseitiges Verständnis und Rücksicht fördert die Zufriedenheit und ein sich Wohlfühlen ... und eine solche Umgebung vermittelt den Eltern Vertrauen und lässt den Wunsch zu, ein weiteres Kind zu bekommen. -

Und das lässt sich nicht durch rein finanzielle Zuwendungen erreichen.

Aus der Geburts- und Familienvorbereitung haben wir noch keine entsprechenden Zahlen, aber kontrollierte Studien mit Ehevorbereitungskursen, die die Schwierigkeiten am Übergang zur Elternschaft unter Einbeziehung von Konflikt- und Zeitmanagement thematisieren, zeigen einen freundlicheren Umgang der Paare miteinander, eine geringere Scheidungsrate und wen wundert's – auch die Kinderzahl ist höher als in einem Vergleichskollektiv.

Den Ort für diesen Unterricht haben wir Familienschule genannt.

Die Deutsche Familienstiftung wurde ins Leben gerufen, um das Projekt Familienschule zu tragen, um die Qualität der Ausbildung sicherzustellen und später die Gründung weiterer Familienschulen im Land zu unterstützen, ähnliche Projekte zu fördern und zu koordinieren und um eine Lobby für die Familien zu bilden, um an der Kompatibilität von Schwangerschaft, Familie und Beruf zu arbeiten.

Lassen Sie mich diesen Ansatz einer Familienschule mit dem Focus auf Kommunen und Wirtschaft erweitern.

Familienschulen können auch ein Ort sein, an denen die vielfältigen schon jetzt vorhandenen Unterstützungsangebote einer Region, der Kommunen, Kirchen und Kammern aber auch der freien Träger zusammengeführt werden. Überschneidungen können so verringert und Kräfte gebündelt werden.

Familienschulen können ein Ort werden, an dem eine junge Mutter immer ein Problem mit einem fachlich kompetenten besprechen kann. Oft ist diese Art von Beratung nicht nötig, stellt man jungen Eltern nur einen Ort zur Verfügung, an dem sie mit ihresgleichen sprechen können.

Hilfe zur Selbsthilfe!

Familienschulen könnten in einer Region Anlaufstellen für neu Zugezogene sein, damit schneller Kontakte geknüpft, Freundfamilien – wenn wir sie so nennen wollen – gefunden werden können. Es können Betreuungsplätze vermittelt, Leihgroßeltern empfohlen werden.

Unsere Gesellschaft hat ein erhebliches Defizit wirtschaftliche Erfordernisse mit dem Bedürfnissen junger Familien zu koordinieren. Hier gäbe es die Möglichkeit für Betriebe eine von den Kammern gestützte Beratung wahrzunehmen, wie man betriebliche Kinderbetreuung umsetzt, vielleicht mit mehreren Betrieben kostengünstig koordiniert.

Wir können den jungen Frauen heute nicht vorschreiben, was sie zu tun haben. Sie werden ihre Wünsche umsetzen ehrlicher und überzeugter, je freier sie entscheiden können. Wenn wir z.B. möchten, dass sie zu Hause bleiben und ihre Kinder betreuen, dann müssen wir alles daran setzen, diesen Beruf Mutter mit der sozialen Anerkennung zu versehen, der im zusteht. Nur wenn eine Mutter frei wählen kann zwischen echten Alternativen Berufstätigkeit mit guter Kinderbetreuung oder Muttersein zu hause, besteht die Chance, dass sie sich für eine Betreuung der eignen Kinder entschließt. Unter intensiver Einbeziehung des Mannes bestehen hier viele Zwischenformen, von denen wir nicht einmal wissen, ob sie nicht sogar besser für Mutter, Kinder, Partnerschaft und Gesellschaft sind.

Neue Geburtsvorbereitung als Geburts- und Familienvorbereitung ist nur eine kleine Antwort auf die Vorgänge der Zeit, ein kleiner Beitrag zur Entwicklung unserer im Wandel befindlichen Gesellschaft, eine kleine Hilfe für das Individuum, mit der heutigen Welt fertig zu werden, in ihr zu leben. Die Welt ist nicht hart und grausam, sondern wir sind es, wenn wir als Bestandteil dieses Systems nicht dafür sorgen, dass das System und das doch so einfache Bedürfniss von uns Menschen, in guter Partnerschaft miteinander zu leben, nicht zu weit auseinander klaffen,

Liebe Zuhörer, gestalten sie diesen Wandel mit, indem sie Institutionen wie Familienschulen fördern, vielleicht auch die Deutsche Familienstiftung unterstützen, am besten dauerhaft. Das ist ein wichtiger Schritt in eine gute Zukunft mit zufriedenen Paaren und mehr Kindern.