Z Geburtshilfe Neonatol 2004; 208 - 139
DOI: 10.1055/s-2004-829344

Foudroyanter Verlauf einer Galaktosämie bei verzögertem Therapiebeginn

B Uebe 1, R Haase 1, U Lieser 1
  • 1Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Halle/ Saale, Deutschland)

Einleitung:

Erbliche Störungen im Galaktosestoffwechsel führen zu Galaktosämie. Drei Enzymstörungen sind bekannt. Bei der klassischen, autosomal rezessiv vererbten Galaktosämie, liegt ein Mangel an Galactose-1-Phosphat-Uridyltransferase vor. Die Anreicherung von Galaktosemetaboliten führt zu Schädigung von Leber, Niere, Gehirn, Ovar und Linse.

Auch unter galaktosearmer Diät sind bei Kindern die Sprachentwicklung und motorische Entwicklung verzögert. Eine gonadale Dysfunktion bei Frauen mit klassischer Galaktosämie wird beschrieben.

Fallbericht: Berichtet wird über ein Reifgeborenes, bei dem nach unauffälliger Geburt und Schwangerschaft aufgrund des pathologischen Stoffwechselscreenings der dringende Verdacht auf eine klassische Galaktosämie bestand. Da die Eltern nicht erreichbar waren, wurde das Kind erstmalig im Alter von 20 Tagen dem Kinderarzt vorgestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt war eine Ernährung sowohl mit Muttermilch als auch mit Säuglingsformulanahrung erfolgt.

Klinisch imponierte bei Aufnahme ein akut toxisches Krankheitsbild. Wir sahen einen dystrophen Säugling in reduziertem Allgemeinzustand. Auffällig waren ein blass-graues Hautkolorit, eine gespannte Fontanelle, eine ausgeprägte Hepatomegalie mit abdomineller Venenzeichnung, eine muskuläre Hypotonie sowie wechselnde Bewusstseinszustände. Eine Linsentrübung war deutlich, zeitgleich bestand eine gramnegative Sepsis mit Nachweis von E. coli. Im weiteren Verlauf entwickelte das Kind ein generalisiertes Hirnödem mit basaler Einklemmung und zentraler Atemlähmung. Eine kurzzeitige Beatmung sowie Hirndrucktherapie und Anlage einer Hirndrucksonde erfolgten.

Unter galaktosearmer Diät und antibiotischer Therapie besserte sich der Allgemeinzustand allmählich. Im weiteren Verlauf bestanden keine respiratorischen Probleme, es kam zu einem Rückgang der Hepatomegalie und einer Gewichtszunahme bei ausreichender Trinkleistung. Eine ausgeprägte muskuläre Hypotonie besteht fort.

Die Galaktose-1-Phosphat- Uridyltransferaseaktivität ist mit 0–0,05µmol/h/g Hb (Normwert 20–35µmol/h/g Hb) deutlich erniedrigt. Es handelt sich in unserem Fall um eine klassische Galaktosämie.

Schlussfolgerung:

Obwohl durch das in der Bundesrepublik Deutschland etablierte Neugeborenenscreening derartige Krankheitsverläufe extrem selten geworden sind, muss bei entsprechenden klinischen Zeichen und unklarem oder unbekanntem Screeningsergebnis eine Galaktosämie in die differentialdiagnostischen Überlegungen eingeschlossen werden.