Zentralbl Gynakol 2004; 126 - 10_081
DOI: 10.1055/s-2004-828862

Perspektiven der Hessischen Perinatalerhebung – Hat die Perinatalerhebung in ihrer heutigen Form noch Zukunftsaussichten?

S Schmidt 1
  • 1Klinik für Geburtshilfe und Perinatalmedizin der Philipps-Universität Marburg

Seit Einführung der Hessischen Perinatalerhebung im Jahr 1981 konnten durch konsequente und ausführliche Erfassung von Daten der Struktur, der Organisationsabläufe und der Ergebnisse in diesem Bundesland erhebliche qualitative und quantitative Veränderungen im Rahmen der Analyse der Perinataldaten (HEPE) dokumentiert werden.

Während somit insgesamt, gemäß den Ergebnissen der Qualitätssicherung des Landes Hessen HEPE, die perinatalmedizinische Versorgung ein sehr hohes Niveau erreicht hat, gilt es im Sinne der Versorgungsforschung Insuffizienzen kenntlich zu machen, um eine weitere Optimierung der Ergebnisse zu erreichen. Dieses setzt allerdings weiterhin eine umfängliche Datenerfassung zur adäquaten multivariaten Analyse voraus.

Wie die Evaluation von 610.683 Geburten aus den Jahren 1990 bis zum ersten Halbjahr 2000 zeigt, ist es zu einem deutlichen Abfall der subpartualen und der neonatalen Mortalität gekommen, während hinsichtlich der antepartualen Mortalität (AMP) dieser Effekt trotz intensiven Einsatzes von Ultraschall und CTG-Untersuchungen zunächst nicht abzeichnete.

Ein Hinweis auf einen Einfluss von Maßnahmen der Qualitätssteuerung auf die antepartuale Mortalität ergibt sich allerdings aus der Evaluation von unterversorgten Gruppen.

Hinsichtlich des Einflusses der Maßnahmen der Hessischen Perinatalerhebung auf die Prozessqualität ist darüberhinaus festzustellen, dass es gelungen ist, durch Erhebung bezüglich der Unterversorgung Maßnahmen zur Effektivierung der Schwangerenvorsorge gemäß der Mutterschaftsrichtlinien zu initiieren. Der Anteil der durch die Hessische Perinatalerhebung identifizierten Patienten mit einer der Unterversorgung (Anzahl der Schwangerenvorsorge unter 10, Anzahl der Ultraschalluntesuchungen unter 3, fehlende erste Ultraschalluntersuchung vor de 12. SSW) ist im Untersuchungszeitraum deutlich abgefallen. In diesem Zusammenhang findet sich ein Wert von 3% im Jahr 1999 (HEPE) (4).

Hier konnte durch die Analyse der Hessischen Perinatalerhebung eine Zuordnung zum Sozialstatus (8% unterversorgte Alleinstehende im Vergleich zu unter 4% bei nicht Alleinstehende), sowie ein epidemiologischer Kumulationseffekt bei Ausländern aus Osteuropa sowie den Mittelmeerländern (11 bzw. 9% unterversorgte Patienten) geleistet werden. Hieraus ergaben sich konkrete Verbesserungsmöglichkeiten für eine Senkung de APM durch gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Schwangerenvorsorge in diesen Gruppen.

Die Analyse der antepartualen Mortalität in der Gruppe der unterversorgten Patienten ergab eine OR für die Gruppe der Frauen mit verminderter Anzahl der Voruntersuchungen von 1,8, sowie einen Wert der Patienten mit weniger als 3 Ultraschalluntersuchungen von 2,4 bezogen auf die Totgeburtenrate. Dies legt einen kausalen Zusammenhang zwischen APM und Unterversorgung nahe (4).

Durch hinreichende prospektive Erfassung von Risiko- und Hochrisikopatientinnen und eine adäquate Interaktion der an der Schwangerschaftsvorsorge beteiligten niedergelassenen Ärzte, mit dem jeweiligen Krankenhaus im Rasterbereich, soll darüber hinaus sichergestellt werden, dass im Falle eines erhöhten perinatalmedizinischen Risikos eine frühzeitige Verlegung in ein Perinatalzentrum erfolgt (1, 2, 3).

Am Beispiel der Rate von Frühgeburten unter der 32. SSW respektive unter 1500g Geburtsgewicht in Kliniken mit angeschlossener Kinderklinik wird die Bedeutung einer frühzeitigen Einweisung bzw. Verlegung in das Perinatalzentrum verdeutlicht.

Wie die Daten aus wissenschaftlichen Publikationen und qualitätssichernden Maßnahmen der Neonatologie verdeutlichen, ergibt sich bei frühzeitiger Einweisung respektive Verlegung der diesbezüglich betroffenen Mütter eine Optimierung der perinatalen Ergebnisse (4). Die Regionalisierung in Perinatalzentren, im Falle der Frühgeburt, gelingt in unterschiedlichem Umfang in den Teilregionen des Bundeslandes Hessen.

Während im Sinne eines Benchmarks ein Wert von 95–100% erreichbar sein müsste, fand sich für die Jahre 1990–2000 tatsächlich in Hessen eine Regionalisierung, je nach Teilbereich des Bundeslandes in bis zu weniger als 75% der Fälle.

Schlussfolgerung aus der Perinatalerhebung: Eine risikoadaptierte Schwangerenvorsorge soll unter Einschluss der jetzt unterversorgten Gruppen zur Senkung der APM beitragen

Hinsichtlich der klinischen Versorgung wäre bezüglich der Regionalisierung in Hessen eine weitere Zentralisation zur Fallanzahloptimierung und Strukturoptimierung mit dem Ziel der Verbesserung der perinatalmedizinischen Ergebnisse anzustreben (3, 5). Dieses gilt sowohl für die Grund- und Regelversorgung als auch für die Maximalversorgung von Hochrisikoschwangerschaften.

Zukunftsperspektive: Auf Basis einer jetzt erarbeiteten HEPE Strukturerhebung kann ab 2004 in Zusammenführung von Neonatal- und Perinataldaten eine Gesamtanalyse erfolgen. Erst nach Evaluation dieser Ergebnisse ist eine Kennzahlensteuerung und Reduktion des Datensatzes denkbar.

Literatur: Heller G, Misselwitz B, Schmidt S.: Early neonatal mortality asphyxia-related deaths and timing of low risk births in Hesse, Germany 1990–1998. BMJ (2000) 274–275; Heller G, Richardson DK, Schnell R, Misselwitz B, Künzel W, Schmidt S: Are we regionalized enough? Early neonatal deaths in low risk births by the size of delivery units in Hesse, Germany, 1990–1999. Int J Epidemiol 31 (2002) 1061–1068; Goodmann DC, Fisher ES, Little GA, Stukel TA, Chang CH, Schoendorf KS: The relation between the availability of neonatal intensive care and neonatal mortality. New Engl J Med 346 (2002) 1538–1544; Schmidt S, Misselwitz B, Heller G: Qualitätssicherung und Senkung der antepartualen Mortalität – Sind so viele Ultraschalluntersuchungen und CTG-Registrierungen notwendig? Gynäkologe 34 (2001) 102–109; Tucker J, Gareth P, McCabe C, Nicolson P, Tarnow-Mordi W and the UK Neonatal Staffing Study Group: Patient volume, staffing, and workload in relation to risk-adjusted outcomes in a random stratified sample of UK neonatal care units; a prospektive evaluation. Lancet 359 (2002) 99–107.