Zentralbl Gynakol 2004; 126 - 13_027
DOI: 10.1055/s-2004-828808

Stammzellen aus dem Nabelschnurblut – Für und Wider

A Scharl 1, J Süß 1
  • 1Frauenklinik Klinikum St. Marien Amberg

Nabelschnurblut enthält Stammzellen, die dem Spender selbst (autolog) oder einem anderen (allogen) Empfänger transplantiert werden können. Es kann für jeden Bedürftigen in (im Aufbau befindlichen) öffentlichen Nabelschnurbanken – analog den Blutbanken – gespendet werden und steht damit allen Patienten zu Verfügung (ungerichtete Spende). Aufgrund des Potentials der polipotenten Stammzellen ist der allogene Einsatz – analog einer Fremdblutkonserve – sehr sinnvoll, darüber herrscht allgemeiner Konsens. Ein Vorteil der Nabelschnurblutstammzellen ist ihre im Vergleich zu Stammzellen von Erwachsenen geringere Immunogenität. Daher ist die Unverträglichkeitsrate geringer und eine allogene Spende kann auch erfolgen, wenn nicht alle Histokompatibilitätsantigene zwischen Spender und Empfänger übereinstimmen. Außerdem sind sie „unreifer“ und damit pluripotenter als Stammzellen von Erwachsenen, d.h. die Entwicklungsmöglichkeiten in unterschiedliche Gewebe ist größer. Dies ist v.a. für das „tissue engineering“ interessant.

Alternativ kann Nabelschnurblut aber auch als privater Besitz für die spätere Verwendung durch den Spender oder beim Geschwisterkind (gerichtete Spende) kostenpflichtig in kommerziellen (und seit neuem auch in öffentlichen) Nabelschnurbanken aufgehoben werden. Über das Pro und Contra dieses Vorgehens sind leidenschaftliche Auseinandersetzungen geführt worden. Nachfolgend werden einige Fakten dargestellt, die einen wissenschaftlich begründeten Standpunkt in dieser Diskussion ermöglichen.

Von den in Europa im Jahre 2001 durchgeführten 19.668 Stammzelltransplantationen waren nur 150– entsprechend 0,8% – aus Nabelschnurblut und ausschließlich als Fremdspenden (allogen). Aus den letzten Jahren ist ersichtlich, dass autologe Stammzelltransplantationen (gewonnen aus dem peripheren Blut) besonders häufig bei lymphoproliferativen Erkrankungen (z.B. multiple Myome oder Non-Hodgkin und Hodgkin-Lymphomen) durchgeführt wurden, während allogene Präparate (v.a. aus dem Knochenmark Erwachsener) überwiegend bei Leukämien zum Einsatz kommen.

Gründe gegen den flächendeckenden Einsatz von Nabelschnurblut zum Eigengebrauch (autolog) sind:

  • Die einwandfreie Qualität von Langzeit-Präparaten ist nicht erwiesen, da die meisten transplantierten Präparate nicht älter als 5 Jahre sind.

  • Die Logistik für jahrzehntelange Lagerung ist teuer.

  • Die begrenzte Zellzahl reicht gegenwärtig für Erwachsene kaum aus.

  • Alternative Therapien sind die Stammzell-Transplanation von nicht verwandten oder verwandten Personen.

  • Stammzellen können aus eigenem Knochenmark oder peripherem Blut gewonnen werden, wodurch Kosten und Nachteile der Lagerung wegfallen.

Die Wahrscheinlichkeit für die Nutzung des eigenen Nabelschnurblutes wird mit 1:15.000 geschätzt, während aus den Netcord-Daten – ein Zusammenschluss der weltweit 14 größten nicht-kommerziellen Nabelschnur-Zellbanken – eine allogene Transplantations-Rate von ca. 1:30 zu entnehmen ist.

Befürworter der Bevorratung von eigenen Stammzellen aus Nabelschnurblut halten dem entgegen, das die „biologische Lebensversicherung“ auf die zukünftigen Entwicklungen in der Forschung gerichtet sei. Z.B. ist es durch „Tissue-Engineering“ denkbar, reimplantierbare Körperzellen wie Knorpel, Haut oder Herzzellen herzustellen.

Ob dieser visionäre Ansatz mehrere Tausend Euro aus eigener Tasche wert ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Es verwundert jedoch nicht, dass hier ein lukratives neues Betätigungsfeld für Biotech-Unternehmen und öffentliche Nabelschnurbanken entstanden ist. Was Mütter und Wissenschaftler mehr verbindet als alles andere, ist die Hoffnung und der feste Glaube an die Zukunft.

Hilfreiche Internet-Adressen:

  • www.netcord.org: weltweiter Zusammenschluss nicht-kommerzieller Nabelschnurbanken

  • www.knochenmarkspende.de: Bayrische Stammzellbank gGmbH

  • www.bundestag.de: Stammzellen aus Nabelschnurblut. Nr. 32/02 vom 14.8.2002

  • www.bmdw.org: Bone Marrow Donators Worldwide (BMDW)

  • www.ebmt.org: European Group for Blood and Marrow Transplantation (EBMT)

  • www.vita34.de: VITA 34, größte kommerzielle Nabelschnurbank in Europa

  • www.gensundheits.bmsg.gv.at: Broschüre: Einfrieren von Nabelschnurblut – notwendig oder überflüssig?

  • www.babytop.de: Broschüre: Stammzellen aus Nabelschnurblut