Gesundheitswesen 2005; 67(1): 27-32
DOI: 10.1055/s-2004-813922
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Impfungen im frühen Kindesalter - Ergebnisse einer epidemiologischen Querschnittstudie in Hamburg

Vaccinations in Early Infancy - Results of an Epidemiological Cross-sectional Study in HamburgG. Fell1 , C. David2 , R. Reintjes2
  • 1Zentrum für Impfmedizin und Infektionsepidemiologie des Instituts für Hygiene und Umwelt, Hamburg
  • 2Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW), Hamburg
Die Autoren danken Frau Dr. med. C. Schlaich vom Amt für Gesundheit und Verbraucherschutz der Hamburger Behörde für Wissenschaft und Gesundheit für die ideelle und materielle Förderung der Studie. Außerdem gilt ihr Dank den Herren H. Kuschnereit und B. Bärschneider vom Amt für zentrale Meldeangelegenheiten des Bezirksamtes Hamburg-Harburg für die Überlassung der Stichprobendaten, dem Team der studentischen Hilfskräfte von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg für die Durchführung der Interviews sowie allen Eltern, die sich die Zeit genommen haben, die Fragen mit Sorgfalt und Interesse zu beantworten.
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Publication Date:
25 January 2005 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Im Jahre 2001 hat die ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) eine wesentliche Änderung ihrer Empfehlungen zur Erzielung eines zuverlässigen Impfschutzes im Kindesalter vorgenommen. Danach sollen die Impfserien gegen neun impfpräventable Erkrankungen einschließlich der zweimaligen Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) bis zum Ende des zweiten Lebensjahres abgeschlossen sein. Zum Erreichen dieses Ziels sollen bevorzugt Kombinationsimpfstoffe mit der höchstverfügbaren Plurivalenz eingesetzt werden. Da Daten über die Umsetzung dieser Empfehlungen insgesamt rar und in Hamburg gar nicht verfügbar sind, wurde zwischen April und August 2003 eine Querschnittstudie bei Hamburger Familien mit Kindern des Geburtsjahrganges 2000 durchgeführt. Methode: Aus dem Einwohnermelderegister wurde eine zufällige Stichprobe gezogen. Strukturierte telefonische Interviews wurden durchgeführt. Daten zur Bestimmung der Teilnahmerate und zum Alter der Kinder bei der ersten und zweiten MMR-Impfung, zur Anwendung eines hexavalenten Kombinationsimpfstoffes bei der Grundimmunisierung und zur Anzahl der Dosen der übrigen 6 empfohlenen Impfantigene wurden aus den Eintragungen in die Impfbücher erhoben. Ergebnisse: 366 Familien wurden in die Studie einbezogen. Hiervon waren 286 (78 %) zur Auskunft bereit. Bei 223 dieser Teilnehmer (78 %) waren die Angaben durch Vorliegen des Impfausweises während des Interviews (215) oder durch die Aussage „Kind ist bisher überhaupt nicht geimpft” (8) zuverlässig untersetzt. In dieser Gruppe hatten 180 (80,7 % CI 76 - 86 %) mindestens eine Dosis MMR-Impfstoff und 112 (50,2 % CI: 44 - 57 %) zwei Dosen erhalten. Innerhalb des von der STIKO jeweils empfohlenen Alters-Zeitfensters befanden sich bei der ersten MMR-Impfung 49 % und bei der zweiten Impfung 46 % der geimpften Kinder mit entsprechenden Zeitangaben. Bei 138 der 223 Kinder (62 % CI: 55 - 68 %) kam zur Immunisierung gegen die übrigen 6 Antigene hexavalenter Kombinationsimpfstoff zum Einsatz, wobei 84 dieser Kinder (61 %) mit 4 Dosen als vollständig geimpft anzusehen waren. Bei 73 Kindern waren Impfungen mit den genannten 6 Impfantigenen in Form von Einzelimpfstoffen oder Kombinationen unterschiedlichster Art dokumentiert. In dieser Gruppe erreichten nur 20 Kinder (27,3 %) bei den 6 Antigenen die für einen ausreichenden Impfschutz erforderliche Mindestanzahl von Impfdosen, wobei sich bei den übrigen Kindern die deutlichsten Lücken bei der HBV-Impfung zeigten. Kinder, bei denen der hexavalente Kombinationsimpfstoff eingesetzt wurde, hatten eine gut doppelt so hohe Chance, altersentsprechend vollständig geimpft zu sein, wie Kinder, bei denen zur Immunisierung andere Präparate und Zubereitungen gewählt wurden (RR 2,5; 95 % CI: 1,6 - 3,9). Diskussion: Die Ergebnisse sprechen dafür, dass die STIKO-Empfehlung zur Vorverlegung der 2. MMR-Impfung in das frühe Kindesalter nicht auf grundsätzliche Akzeptanzprobleme stößt. Allerdings wird etwa die Hälfte der Kinder später als in den empfohlenen Alters-Zeiträumen geimpft. Auch um das Ziel der für eine Eradikation erforderlichen MMR-Durchimpfungsraten zu erreichen, sind noch erhebliche Anstrengungen vonnöten. Bei den übrigen Impfungen muss angesichts des hohen Anteils inkompletter Impfserien mehr Gewicht auf deren rechtzeitige Vervollständigung gelegt werden. Evident wird das Potenzial hochvalenter Kombinationsimpfstoffe für die Erzielung eines vollständigen Impfschutzes.

Abstract

Background: National recommendations for vaccine policies in Germany were changed in 2001. Following this advice childhood vaccination for nine preventable diseases including measles, mumps, and rubella (MMR) should be completed within the first two years of life. To achieve this it is recommended that plurivalent combination vaccines should be used. As data on current practice is generally rare and not available for the State of Hamburg, a cross-sectional study amongst families from Hamburg with children born during the year 2000 was conducted between April and August 2003. Methods: A random sample from the resident register was drawn. Structured telephone interviews were conducted. Information on vaccine status and time of vaccination was collected based on individual vaccination documents. Results: 366 families were included in the study. 286 families (78 %) provided information. For 223 families the statements were reliably confirmed. In this group 180 children (80.7 % CI 76 - 86 %) had received at least one dose of MMR vaccine. 112 (50.2 % CI 44 - 57 %) had received two doses. Within the recommended time intervals 49 % had received the first, respectively 46 % had received the second MMR vaccination. A hexavalent contains vaccine containin the other six antigens was used for 138 of the 223 children (62 % CI 55 - 68 %). For 84 of those children (61 %) vaccination was completed with four doses. For 73 children other combinations including single valent vaccines were used. Among those for only 20 children (27.3 %) a completed vaccination status was reached during the recommended time interval. This gap was mainly due to missing hepatitis B vaccinations. The chance for their vaccination to be completed was more than twice as high for children who received the hexavalent combination vaccine compared to the others (RR 2.5; 95 % CI 1.6 - 3.9). Discussion: The results indicate that the recommendations to complete MMR vaccinations earlier are recognised. Nevertheless about half of the children were vaccinated later than recommended. In order to achieve vaccination coverage which will allow to achieve the goal of measles eradication substantial efforts are still required. Due to relatively large rates of incomplete vaccinations for the other antigens activities should focus on a timely completion of the gaps. The potential of combination vaccines to reach this aim is evident.

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Dr. med. Gerhard Fell

Leiter des Zentrums für Impfmedizin und Infektionsepidemiologie des Institutes für Hygiene und Umwelt, Hamburg

Beltgens Garten 2

20537 Hamburg

Email: gerhard.fell@ha.hamburg.de

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