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DOI: 10.1055/s-2004-813312
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Ernst Abbe, der Begründer der modernen Optik[*]
Publication History
Publication Date:
21 September 2005 (online)
Straßenschilder dienen der Orientierung und manche sollen zugleich an Personen erinnern.
Die Universitäts-Augenklinik Bonn liegt in der Abbestraße, benannt nach dem 1840 in Eisenach geborenen und für die Augenheilkunde so bedeutsamen Physiker und Mathematiker Ernst Abbe. Allerdings war bis vor einigen Tagen der Name auf dem Straßenschild falsch geschrieben. Dort konnte man nämlich Abbéstraße lesen, und damit wäre ganz allgemein ein Angehöriger des katholischen Klerus in Frankreich gemeint gewesen.
Ernst Abbe
Die nun durch uns angestoßene „Straßenreformation” möchte ich zum Anlass nehmen, an den großartigen Wissenschaftler Ernst Abbe mit einigen Notizen aus seinem Leben zu erinnern, denn durch sein Schaffen hat die Medizin gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen bis heute wirkenden Quantensprung gemacht.
Abbes Leben ist verwoben mit dem Leben von Carl Zeiß (geboren 1816 in Weimar). Carl Zeiß war Universitätsmechanikus in Jena und wollte 1846 eine eigene Werkstatt für Feinmechanik und Optik eröffnen, wofür er unter anderem die Referenzen von 3 Jenaer Professoren benötigte - die er auch bekommen hat. Zunächst als Einmannbetrieb und bald mit dem ersten Lehrling baute er Brillen, Lupen und Waagen und reparierte feinmechanische Geräte aus den Laboratorien der Universität. 1847 begann er mit dem Bau von Mikroskopen, denn das war seine eigentliche Liebe. Dabei muss man bedenken, dass zu dieser Zeit Mikroskope nach der Methode „Versuch und Irrtum”, also durch praktisches Probieren („Pröbeln” genannt), gebaut wurden. Die optischen Gesetze der Mikroskopie waren damals noch nicht bekannt. Wenn ein Mikroskop aus seiner Werkstatt den Qualitätsansprüchen von Carl Zeiß nicht entsprach, zerschlug er es mit dem Hammer. Die (nicht zerhauenen) Zeissmikroskope verkauften sich gut und Werkstatt und Belegschaft wurden größer. Zeiß versuchte, eine wissenschaftliche Grundlage der Mikroskopkonstruktion zu erarbeiten, aber ohne Erfolg.
Ernst Abbe war zu dieser Zeit nahezu mittelloser Privatdozent für Physik und Mathematik an der Universität Jena. Weil für neue Instrumente kein Etat vorhanden war, richtete Ernst Abbe in der Universität eine Werkstatt für Reparaturen ein und benutzte auch die Zeiss-Werkstatt. So lernte ihn Carl Zeiß 1866 kennen und gewann ihn zunächst als freien Mitarbeiter. Zeiß war zu dieser Zeit 50 und Abbe 26 Jahre alt. Später wurde Abbe Teilhaber der Firma. Das war eine glückliche Verbindung zwischen dem begnadeten Mechaniker Zeiß und dem genialen Physiker Abbe. Ernst Abbe entwickelte die Theorie der Bildentstehung am Mikroskop. Erst jetzt konnten Mikroskope planvoll auf einer mathematischen Grundlage konstruiert werden. Was das bedeutete, mag die folgende, anekdotisch anmutende Geschichte zeigen: Etwa 10 Jahre zuvor plante in München ein namhafter Anatom den Bau eines Riesenmikroskops, um mit erhöhter Auflösung tiefer in die Geheimnisse der Zelle eindringen zu können. Beschrieben wird ein Großgerät, „... das an Messing und Eisen mehrere Zentner wiegen wird, mit welchem Vergrößerungen, von denen man bis jetzt keine Ahnung hat, erreicht werden sollen ...”, und mündlich überliefert ist, dass sich dieses Mikroskop über 2 Stockwerke erstrecken sollte. Dieses Projekt wurde von Justus von Liebig unterstützt und 1500 Taler standen bereits zur Verfügung, doch durch den Tod des Konstrukteurs wurde nicht mit dem Bau begonnen.
In solche Träume einer wissenshungrigen Zeit platzten die von Ernst Abbe aufgestellten optischen Gesetze. Dazu gehörte die „Theorie der Sinusbedingung”, also das Gesetz von der optischen Auflösung. Die Auflösung gibt den kleinsten Abstand zweier Punkte an, die im Mikroskop noch getrennt abgebildet werden. Je kleiner dieser Abstand d, je höher die Auflösung. Die Formel dafür lautet d = λ/A, wobei λ die Wellenlänge des verwendeten Lichtes und A die numerische Apertur des Objektivs ist (A = 2 n sin α). Die kürzeste Wellenlänge des sichtbaren Lichtes mit λ = 400 nm lässt sich für das Lichtmikroskop logischerweise nicht unterschreiten und die Apertur des Objektivs lässt sich technisch nicht beliebig erhöhen. Deshalb ist die Auflösung des Lichtmikroskops definitiv begrenzt und der Traum vom Riesenmikroskop war damit mathematisch widerlegt und zu Ende.
Als Langzeitwirkung der von Abbe aufgestellten Formel von der optischen Auflösung kann man schließlich die Entwicklung des Elektronenmikroskops ansehen (1931 durch Max Knoll und Ernst Ruska). Mit dem Wissen um die Bedeutung von λ hat man den Lichtstrahl für die Bildentstehung durch den extrem kurzwelligeren Elektronenstrahl ersetzt (der allerdings durch Magnetfelder gebündelt wird) und man hat damit eine Auflösung in den Nanobereich erreicht.
1872 wurden schließlich von der Firma Carl Zeiss die weltweit ersten Objektive angeboten, die auf der Grundlage von Abbes mathematischer Forschung entstanden waren. Nun wurde die Firma weltberühmt und Ernst Abbe wurde 1875 Teilhaber. Einen Mangel gab es noch zu beheben. Die Qualität des Glases, aus dem die Linsen geschliffen wurden, war nicht ausreichend. Nach eigenen Versuchen Ernst Abbes suchte er einen Fachmann in der Glasherstellung und fand 1881 Otto Schott. Nach der Einrichtung eines glastechnischen Labors zur Herstellung optisch reiner Gläser wurden von Abbe, Schott und Zeiß die Jenaer Glaswerke gegründet, die sich Schott und Genossen nannten, und 1886 wurden dann die ersten achromatischen Objektive angeboten. Zu dieser Zeit waren bei Zeiss 250 Arbeiter beschäftigt. Nach dem Tod von Carl Zeiß 1888 wurde Ernst Abbe Alleininhaber der Firma.
Ernst Abbe hat nicht nur optische Gesetze gefunden und formuliert, er ist auch der Erfinder von über 50 optischen Apparaten. Ein Beispiel: 1896 traf er mit dem amerikanischen Zoologen Horatio Greenough zusammen. Der Zoologe hatte die Vision von einem beidäugigen Mikroskop. Abbe war von der Idee begeistert und ein Jahr später wurde das erste Stereomikroskop der Welt geboren.
Dann gründet Ernst Abbe 1897 die Abteilung Astronomie, in der zunächst astronomische Objektive aus Schottglas gebaut werden. Es war aber auch der Grundstein zur späteren Entwicklung von astronomischen Großgeräten.
1898 wurde ein binokulares Hornhautmikroskop gebaut (nach Czapski), dem nach dem Tod Abbes, aber auf seinen mathematischen Grundlagen beruhend, im Laufe der Jahre zahlreiche weitere Geräte für die Augenheilkunde folgten sollten, angefangen mit dem großen Opthalmoskop zur reflexfreien Beobachtung des Augenhintergrundes und der Spaltlampe (nach Gullstrand) 1911.
Die neuen Mikroskope eröffneten tatsächlich neue Welten. Sie waren definitiv das Werkzeug für zahllose Entdeckungen in Medizin, Zoologie, Botanik, Mineralogie usw., die auch mit einer Serie von Nobelpreisen gipfelten. Da wären, nur um den Anfang der Reihe zu nennen, der Begründer der Bakteriologie Robert Koch 1905, Santiago Rámon y Cajál und Camillo Golgi 1906, die gemeinsam die mikroskopische Anatomie des Nervensystems erforschten, und Paul Ehrlich, der den Nobelpreis 1908 für seine Arbeiten über die Immunität erhielt.
In Ernst Abbe steckten nicht nur der Naturwissenschaftler und Erfinder. Nach dem Tod des Firmengründers Zeiß gründete Ernst Abbe als Alleininhaber 1889 die Carl-Zeiss-Stiftung für soziale, wissenschaftliche und gemeinnützige Zwecke, in die das Vermögen der Firma, seine eigenen Anteile und die des Zeiß-Sohnes Roderich eingingen. In den Statuten der Stiftung wurde auch die damals vorbildliche soziale Stellung der Zeiss-Arbeiter erweitert und rechtlich abgesichert. Dazu gehörten Achtstundentag und festes Gehalt, Gewinnbeteiligung, Mitbestimmung, bezahlter Urlaub, Anrecht auf ein Darlehen, Pension bei Invalidität usw.
Festgelegt war auch das Einkommen der Führungskräfte, das einen bestimmten Faktor über dem Einkommen der Arbeiter nicht überschreiten durfte.
Im Kontrast dazu ging es zur gleichen Zeit vielen der so genannten kleinen Leute ziemlich schlecht und sie wurden schamlos ausgebeutet. Über seinen Vater schreibt Ernst Abbe in seinen Kindheitserinnerungen, dass dieser jeden Tag bis zu 16 Stunden ohne Pause stehend an einer Spinnmaschine arbeiten musste. Ernst Abbe war seiner Zeit weit voraus. Er gehört zu den wirklich großen Sozialreformern. 1891 machte er schließlich die Carl-Zeiss-Stiftung zur alleinigen Eigentümerin des Zeiss-Werks. Die Arbeiter haben es Ernst Abbe gedankt und mit ihrem Können zur Zeiss-Qualität beigetragen. Alle, die praktisch und wissenschaftlich an Mikroskopen arbeiten, sollten ihm noch heute dankbar sein. Ernst Abbe starb 1905.
Ich finde, dass die mit dem Namen Abbe verbundene Erfolgsgeschichte ein schönes Beispiel für Zusammenarbeit auf allen Ebenen in einem guten sozialen Klima darstellt. Ich freue mich, dass der Name Abbe als gutes Omen wieder auf dem Straßenschild vor der Augenklinik steht.
1 Kurzvortrag anlässlich der Verbesserung eines falsch geschriebenen Straßenschildes
Literatur
- 1 Auskünfte des Zeiss-Archivs, Jena.
- 2 Auskünfte des Zeiss-Museums, Oberkochen.
- 3 Innovation 1. Carl-Zeiss, Oberkochen und Jena, 1996.
- 4 v L anz T. Theodor Ludwig Wilhelm von Bischoff. Freund H, Berg A Geschichte der Mikroskopie, Band II Medizin Frankfurt a. M.; Umschau Verlag 1964: 23-29
1 Kurzvortrag anlässlich der Verbesserung eines falsch geschriebenen Straßenschildes